Truman und die Massenproduktion

KeineAhnung

Aktives Mitglied
Hallo alle,

ich habe mal eine recht schwammige Frage.

Vor ungefähr 1 1/2 Jahren lief bei 3Sat eine BBC-Doku-Reihe mit dem Titel: "Die Fettmacher - wer uns immer dicker macht" Teil 1 und Teil 2.

Leider ist diese Doku aus dem www genommen worden, denn ich hätte gerne die Stelle, um die es mir geht, im tatsächlichen Wortlaut dargestellt. So muss ich es leider aus der Erinnerung zusammenfassen, in der Hoffnung alles noch richtig im Kopf zu haben.

Folgendes wurde sinngemäß postuliert:

Nach dem WKII gingen amerikanische Hausfrauen auf die Barrikaden, weil bezahlbare Grundnahrungsmittel fehlten bzw. unerschwinglich teuer geworden waren. Daraufhin soll Truman ein Gesetz (?) erlassen haben, wonach Farmer ihre Anbauflächen mindestens zu verzehnfachen hätten. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob auch von staatlichen Subventionen zu Urbarmachung von Ackerland sowie Beschaffung von Saatgut und Düngemittel die Rede war.
Kurz und gut, dies wird in der Doku-Reihe als Startschuss für die Massenproduktion von Lebensmitteln mit allen Auswüchsen bis heute - sozusagen die Wurzel allen Übels benannt.

So, nun meine Frage dazu: Ich konnte im Netz absolut nichts dazu finden. Weder über den Hausfrauenprotest noch Trumans Reaktion darauf.
Kann mir jemand näheres dazu sagen, bzw. hat eine Fundstelle dazu im Netz auftun können, die das verifiziert?

LG
KA
 
Hausfrauenprotest wegen Nahrungsmittelversorgung und eine spezielle Reaktion Trumans darauf kann ich nicht zuordnen.

Was Du da ansprichst, betrifft auch weniger die gesamte Farmflächenentwicklung in den USA, sondern:

- die chemisch-biologische "Revolution" in der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg
- die schrumpfenden Betriebszahlen, resp. umgekehrt die Entwicklung zu Großbetrieben
- die stark ansteigende Mechanisierung nach WK II

-> und im Ergebnis: die geradezu explodierende Produktivität in der landwirtschaftlichen Erzeugung durch vorgenannte Faktoren (Steigerungsraten noch im Vergleich oberhalb derjenigen industrieller Branchen), die gemessen an den Flächen zur Verdopplung des Outputs binnen 30 Jahren führte.

Was an den Protesten dran ist, weiß ich nicht. Wegen des Bevölkerungsanstieges und in Folge der Krisenjahre 1929/39 gab es aber Engpässe, sicher auch bis 1945. Obgleich diese oben beschriebene Entwicklung schon in den 1930er begann. Die grafischen Darstellung der genannten Faktoren schnellen aber erst ab 1940/45 in die Höhe.

Es gibt zur Agrarrevolution ein Kapitel in Cambridge Economic History of the United States, Band 3.
 
Was Du da ansprichst, betrifft auch weniger die gesamte Farmflächenentwicklung in den USA, sondern:

- die chemisch-biologische "Revolution" in der Landwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg
- die schrumpfenden Betriebszahlen, resp. umgekehrt die Entwicklung zu Großbetrieben
- die stark ansteigende Mechanisierung nach WK II

-> und im Ergebnis: die geradezu explodierende Produktivität in der landwirtschaftlichen Erzeugung durch vorgenannte Faktoren (Steigerungsraten noch im Vergleich oberhalb derjenigen industrieller Branchen), die gemessen an den Flächen zur Verdopplung des Outputs binnen 30 Jahren führte.
Vielen Dank,

ausgehend von von deinem Stichwort: "chemisch-biologische Revolution der Landwirtschaft" habe ich dann doch einige Hinweise zur "Entstehung" der Massenproduktion von Lebensmitteln gefunden:

[FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1]Ende des 19. Jahrhunderts löste ein Ende der Ertragssteigerungen in den USA eine Panik aus: Ohne reichliche, preiswerte Nahrungsmittel fürchtete die Regierung ein Ende der Industrialisierung. Es wurde ein Landwirtschaftsministerium geschaffen, dass die Versorgung sicherstellen sollte; und dieses begann unter anderem mit dem Bau von Staudämmen und Bewässerungskanälen (>> [/SIZE][/FONT][FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1]hier[/SIZE][/FONT][FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1]), baute das Eisenbahnnetz weiter auf, um die “Salatschüssel” Kalifornien, die Getreideanbaugebiete und die Rinderweiden des Westens mit den Verbrauchern zu verbinden. An Forschungsinstituten und Universitäten begann die wissenschaftliche Pflanzenzüchtung, im Jahr 1918 wurden die ersten
pfeil.gif
[/SIZE][/FONT][FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1]Maishybride[/SIZE][/FONT][FONT=Verdana,Tahoma,Arial,Helvetica,Sans-serif,sans-serif][SIZE=-1] entwickelt....
aus: Die Industrialisierung der Landwirtschaft (ich hoffe, der Link geht in Ordnung, ansonsten löschen)
Der Verfasser der Seite führt als weitere Wachstumsfaktoren u.a. die Entwicklung des Kunstdüngers durch John Bennet Lawes und Justus Liebig sowie die Mechanisierung der Landarbeit an.

Das bedeutet, dass die Industrialisierung der Landwirtschaft zwar durchaus in den USA ihren Ursprung nahm, aber aus anderen Gründen und in anderer Weise, als in der BBC-Dokureihe behauptet. So wie dort formuliert greift es zu kurz. Oder habe ich was übersehen?
[/SIZE][/FONT]
 
So wie Du die längerfristige Entwicklung beschreibst, würde ich das auch sehen.

Diese Produktivitätssprünge kamen in Etappen, vor 1900 gehört die Entwicklung der Düngung (Kali, Salpeter bzw. Ammoniaksynthese) hinzu. Man könnte eine Historie der Hektarerträge beschreiben, als "Innovationen" hinzu kommen die zitierten Hybride (in den 1940ern), Mechanisierung und Größenverhältnisse der Betriebe etc.

Ein anderer Aspekt ist, dass diese rasante Entwicklung und Massenproduktion parallel zur Bevölkerungsentwicklung zu sehen ist. Der von der BBC dargestellte Zusammenhang ("Fettmacher") ist nun auch eine "Verteilungsfrage", sogar eine globale (das sind dann aber politische, tagesaktuelle Fragen).
 
Ein anderer Aspekt ist, dass diese rasante Entwicklung und Massenproduktion parallel zur Bevölkerungsentwicklung zu sehen ist. Der von der BBC dargestellte Zusammenhang ("Fettmacher") ist nun auch eine "Verteilungsfrage", sogar eine globale (das sind dann aber politische, tagesaktuelle Fragen).
Ja, das ist ein ganz anderer Aspekt und um den geht es mir hier auch überhaupt nicht.

Ich bin einfach über diese relativ kurz formulierte Darstellung in der Doku gestolpert und wollte es gerne genauer nachlesen. Als dann nichts darüber zu finden war, bin ich schon etwas stutzig geworden.
In dieser Doku ging es massiv darum, Lobbyismus aufzudecken und an den Pranger zu stellen - leider nicht mit sauberen Mitteln.
 
Zu dem landwirtschaftlichen Lobbyismus könnte man weiter recherchieren. Da werden einige Zweige der Chemieindustrie und auch der Industrieproduktion, sozusagen in der Umstellung "von Kriegswirtschaft auf Traktoren und Pflugscharen", erhebliche Interessen gehabt haben.

Möglicherweise gab es da auch beachtliche staatliche Eingriffe, Subventionierungen etc. Die Preise sind ja schon angesprochen worden.
 
Aus dem Bauch heraus würde ich behaupten, dass die chemische Industrie allen voran das größte Interesse hatte. Ertragssteigerung durch Monokulturen erforderten nicht nur Düngemittel sondern bald auch Pflanzenschutzmittel. Industriell gefertigte Lebensmittel mussten in größerem Umfang haltbar gemacht werden und benötigten Konservierungsstoffe, Geschmacks- oder Farbverluste durch Konservierungsverfahren mussten mit Aromen und Farbstoffen kompensiert werden, etc.
Die metallverarbeitende Industrie (Motorenwerke z.B.) sahen sich sicher als Nutznießer dieser Entwicklung, ich kann mir aber nicht vorstellen dass sie auch der Motor dazu waren.
 
War vielleicht die Petition dieser 50 ›desperate housewives‹ gemeint, was 1947 in der Pittsburgh Post-Gazette immerhin für paar Zeilen auf Seite 2 sorgte?
Pittsburgh Post-Gazette, 22. Okt. 1947

Phau!! Wenn die das wüssten!
Super, danke!
Ich glaube, genau darauf wurde Bezug genommen!

Was aber vermutlich nichts an dem ändert, was Silesia bereits ausgeführt hat, nämlich dass es ein Prozess war der bereits früher begann und von der Situation nach dem WK II "nur" forciert wurde. Die Landwirtschaft nahm den selben Weg, den andere Branchen auch gingen.
 
Was aber vermutlich nichts an dem ändert, was Silesia bereits ausgeführt hat, nämlich dass es ein Prozess war der bereits früher begann und von der Situation nach dem WK II "nur" forciert wurde. Die Landwirtschaft nahm den selben Weg, den andere Branchen auch gingen.
Schon, insofern, dass Truman die Subventionen, die bereits von Roosevelt in 1938 mit dem Agricultural Adjustment Act eingeführt wurden (Subventionierung von tiefen Preisen bei Grundnahrungsmitteln bis zu einer gewissen Menge), 1949 mit dem Agricultural Act verlängerte. Erst sein Agrarminister Brannan wollte dies in Subventionierung nach Einkommen ändern, was aber mit dem Korea-Krieg in Vergessenheit geriet.

Dass aber Anbauflächen hätten vergrößert werden müssen, kann ich mir nur schwer vorstellen. Truman und Brannan waren ja eigentlich für die Förderung der Kleinbetriebe, was auch jener Brannan Plan hätte bewirken sollen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Vergrößerung der Betriebe war nicht als Vorgabe angesprochen, sondern als Trend, der sich in den Farmstatistiken einfach zeigte. Gleichwohl gab es eine Zwischenphase bis in die Nachkriegszeit, in der sich Farmen durch die Agrarentwicklung, Erbschaften, etc. aufspalteten. Der Trend zur Größe wurde dadurch nicht gebrochen, offensichtlich überwiegten die Übernahmen und Zusammenlegungen nach Verkäufen oder Aufgaben.


Dazu noch eine Monographie:

Conkin, A Revolution down on the Farm - The Transformation of American Agriculture since 1929, 2008.
 
Dass der Trend zur Größe nach dem Krieg zunahm, ist unbestritten. Ich dachte nur, dass die Darstellung in der von 3-Sat gezeigten BBC-Dokumentation etwas reißerisch sei, falls sich KeineAhnung richtig erinnert (ich hab die Doku nicht gesehen), nimmt man die Hausfrauen auf den »Barrikaden«, oder allein nur den Titel dieses Threads »Truman und die Massenproduktion«.

Anstatt Truman an den Pranger zu stellen, der zwar die von Roosevelt eingeführten Subventionierungen zunächst weiterwinkte, sollte man die Kriege für die Akzeptanz einer rücksichtslosen Massenproduktion verantwortlich machen: einerseits den Koreakrieg, der eine Anpassung jener Subventionen verhindert hatte, andererseits v.a. aber den 2. WK, wonach in der Aufbruchstimmung das Wie wenig interessierte. So gesehen sind die Deutschen gar nicht so unschuldig an dieser Entwicklung. Da wird Trumans Macht und Einfluss auf das Geschehen maßlos überbewertet.

Paul Conkins Buch kenne ich nicht, werde mir aber näher anschauen, zumal es sowohl Informationen aus erster Hand als auch Analysen von Statistiken verspricht. Danke für den Tipp!
 
Zurück
Oben