Umgangsformen Ende des 19. Jahrhunderts

OliviaSophie

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Hallo Allerseits,

ich schreibe an einem Detektivroman, dessen Handlung gegen Ende des viktorianischen Zeitalters in England spielt. Gewählt habe ich dieses Umfeld, weil ich selbst Literatur aus dieser Zeit bevorzuge und mich mit einem "Mr. Noble" oder einer "Miss Bennett" einfach besser identifizieren kann als mit "Thomas Meyer" oder "Sandra Schulz".

Natürlich möchte ich alles so authentisch wie möglich erscheinen lassen und habe unter anderem schon Bildbände über Bekleidung und Einrichtung gewälzt. Auch habe ich vor, dieses Jahr eine England-Reise anzutreten, um landschaftliche bzw. städtische Eindrücke zu sammeln. Was mir aber noch fehlt, sind konkrete Kenntnisse bezüglich der Etikette dieser Zeit.

Kann mir jemand Literatur zu diesem Thema empfehlen?
Bereits gefunden habe ich "Der gute Ton" von Otto Frhr. von Berger. Zudem wurde der "Knigge" im 19. Jahrhundert offenbar um ein 4. Kapitel ergänzt, welches sich ausschließlich konkreten Benimmregeln widmet.

Ebenfalls interessant wären Bücher zum Thema Liebe und Sexualität in dieser Zeit. Hat jemand von euch beispielsweise eines der Bücher von Peter Gay ("Erziehung der Sinne", "Die zarte Leidenschaft"...) gelesen und kann etwas dazu sagen?

Zu guter Letzt habe ich für mein erstes Kapitel noch eine konkrete Frage. Dort geht es um die erste Begegnung zweier Mitglieder des Bürgertums: Einerseits handelt es sich dabei um "meinen" Detektiv, andererseits um eine gebildete, aber ziemlich mittellose, alleinstehende junge Frau, die sich in der Annahme, er habe eine Stelle als Gouvernante zu vergeben, bei ihm vorstellt.

Wie begrüßen sich die beiden nun?

Vielen vielen Dank im Voraus für eure Antworten und Ideen. Vermutlich werden noch einige Fragen folgen ;)

Viele Grüße,

Olivia
 
Hallo Allerseits,

ich schreibe an einem Detektivroman, dessen Handlung gegen Ende des viktorianischen Zeitalters in England spielt. Gewählt habe ich dieses Umfeld, weil ich selbst Literatur aus dieser Zeit bevorzuge und mich mit einem "Mr. Noble" oder einer "Miss Bennett" einfach besser identifizieren kann als mit "Thomas Meyer" oder "Sandra Schulz".

Hallo auch an dich! :winke: Und schade. Persönlich würde ich gerne mal einen Krimi lesen, der im wilhelminischen Deutschland spielt. Spaß beiseite, da hast du dir aber eine ordentliche Konkurrenz ausgesucht. Hut ab. Na gut, ich gebe es zu, als Fan der Lady Emily Serie von Tasha Alexander, und der Charlotte Pitt Serie von Anne Perry, bin ich gespannt. :yes:

Natürlich möchte ich alles so authentisch wie möglich erscheinen lassen und habe unter anderem schon Bildbände über Bekleidung und Einrichtung gewälzt. Auch habe ich vor, dieses Jahr eine England-Reise anzutreten, um landschaftliche bzw. städtische Eindrücke zu sammeln.
Ich weiß ja nicht wohin du fahren wirst, und finde dein Unterfangen sehr löblich, nur zur Warnung: Im Londoner Stadtzentrum an sich, muß man teilweise schon sehr genau hinschauen um zu sehen was viktorianisch bzw älter ist, und was nicht. Da hat der Krieg einiges zerstört, und auch um Spitalfields Market/Whitechapel/Brick Lane gibt es nur noch wenige Straßen, die so erhalten sind wie sie mal waren. Mayfair, Belgravia etc sind da schon besser erhalten. Was vielleicht eindrucksvoll wäre, man aber in London nicht mehr erlebt, ist der "fog". Hier in Schottland gibt es hin und wieder den sogenannten "Ha'a", was ein Nebel ist, der vom Meer kommt. Wenn er richtig dick ist, und es dunkel ist, sieht man keine zwei Meter weit, und erschrickt regelrecht, wenn einem plötzlich jemand aus der Erbsensuppe kommend auf die Füße tritt.

Was mir aber noch fehlt, sind konkrete Kenntnisse bezüglich der Etikette dieser Zeit. Kann mir jemand Literatur zu diesem Thema empfehlen?
Bereits gefunden habe ich "Der gute Ton" von Otto Frhr. von Berger. Zudem wurde der "Knigge" im 19. Jahrhundert offenbar um ein 4. Kapitel ergänzt, welches sich ausschließlich konkreten Benimmregeln widmet.
Das Buch kenne ich persönlich nicht, und frage mich dabei wie hilfreich ein deutsches Buch, für den deutschen Markt für englische Benimm-Regeln ist. England (ich gehe davon aus, daß du nur England meinst, und nicht noch Wales, Schottland und Nord-Irland) hat auch heute noch ein paar "Benimm-Regeln", die sich ziemlich vom Kontinent unterscheiden. Da ich das Buch nicht kenne, weiß ich nicht wie übertragbar das ist.

Auf Englisch gibt es da jede Menge "Benimm-Bücher", auch zeitgemäße. Da du nicht genau gesagt hast, wann und wo deine Geschichte spielt, hier mal ein paar Namen, und ein paar Erklärungen, wenn du weiterliest.


Ebenfalls interessant wären Bücher zum Thema Liebe und Sexualität in dieser Zeit. Hat jemand von euch beispielsweise eines der Bücher von Peter Gay ("Erziehung der Sinne", "Die zarte Leidenschaft"...) gelesen und kann etwas dazu sagen?
Hab' ich nicht, aber ich verstehe nicht so ganz, was "Peter Joachim Fröhlich" (geb 1923) mit dem viktorianischen Zeitalter in England zu tun hat. :confused: Zum Thema gibt es auf Englisch tausende von Büchern, aber hier mal ein paar Eindrücke: Michael Mason (1994) "The Making of Victorian Sexuality" Oxford University Press. Für einen etwas biographischeren Eindruck würde ich "My Secret Life" (1888) von Walter empfehlen. Vorsicht bei "My Secret Life" - dabei handelt es sich um das sehr anschauliche Tagebuch eines viktorianischen Mannes aus dem gehobenen Bürgertum, der sein Liebesleben niedergeschrieben hat. Durchaus sozio-kulturell interessant, wenn man etwas über die Klassengesellschaft, und deren Auswirkungen auf Vorstellunge über Sexualität wissen will, ansonsten ist es halt altmodische Pornographie, und nicht jugendfrei.

Zu guter Letzt habe ich für mein erstes Kapitel noch eine konkrete Frage. Dort geht es um die erste Begegnung zweier Mitglieder des Bürgertums: Einerseits handelt es sich dabei um "meinen" Detektiv, andererseits um eine gebildete, aber ziemlich mittellose, alleinstehende junge Frau, die sich in der Annahme, er habe eine Stelle als Gouvernante zu vergeben, bei ihm vorstellt.Wie begrüßen sich die beiden nun?
Das verstehe ich jetzt nicht. Willst du wissen ob es okay ist, daß sie einfach so bei ihm aufkreuzt? Geht sie einfach ohne Terminabsprache bei ihm vorbei? Ohne vorher einen Brief zu schicken? Das finde ich etwas seltsam bei einer wohlerzogenen Bürgerstochter. Als Dienstmädchen kann man vielleicht an den Dienstboteneingang klopfen und nachfragen, aber wenn sie beide zum kleineren oder mittleren Bürgertum gehören, wäre es doch höflicher vorher mal anzufragen. Und warum kümmert sich der Hausherr selbst um Gouvernanten? Wenn er verwitwet mit Kindern ist, dann hat er doch sicher eine alleinstehende Verwandte im Hause, die sich um solche Angelegenheiten kümmert, oder?

Oder meinst du jetzt wirklich die Grußformeln? Gehören die beiden der gleichen Schicht des Bürgertums an? Ist eine weitere Dame hingegen, die die Vorstellungen durchführt? Wenn ja, dann wird immer die jüngere, niedrigergestellte Person der anderen präsentiert, und man begrüßt sich höflich mit "how do you do" worauf die Antwort auch "how do you do" ist.
 
Bei einem spontanen Griff in mein Bücherregal entdecke ich "A word to woman" by Mrs. Humphry von 1898, das hab ich mal als günstigen Nachdruck erworben.
Es erscheint mir teilweise sehr moderne Ansichten zu vertreten (z.B. dass man auch als Mutter unbedingt Fahrrad fahren sollte, damit man vor seiner Tochter nicht die Glaubwürdigkeit verliert) Ansonsten sollte auch googlebooks weiterhelfen, in dieser Zeit wurden ja wirklich TONNEN von Ratgeberliteratur auf den Markt geworfen.
Sehr interessant - allerdings für Deutschland - finde ich persönlich "Das häusliche Glück" das sich an Arbeiterfrauen wendet.
 
Ich finde, am besten kann man sich die Umgangsformen einer Epoche erschließen, wenn man Romane aus jener Zeit liest.

Sieh mal zu, ob Du was von britischen Autoren aus der Zeit um 1900 findest. Da müsstest Du eigentlich fündig werden.

Viel Erfolg!
 
Hallo,

und danke euch allen für die Buchtipps! Romane aus der Zeit habe ich schon einige gelesen, aber dort wird die Kenntnis der Etikette beim Leser ja vorausgesetzt, und Begrüßungen etc. werden nicht so detailliert beschrieben, dass man sich daraus ein sicheres Gerüst bauen könnte. Von daher werde ich es mal mit "A word to woman", "The Making of Victorian Sexuality" und mit Sicherheit auch "My Secret Life" versuchen (danke für den Link).

@Saint-Simone: Ich hatte ursprünglich vor, mit Freunden ein altes Cottage irgendwo auf dem Land zu mieten und mal einen Abstecher nach London zu machen. Da dies aber relativ teuer ist und nicht alle so enthusiastisch sind wie ich, hat sich der Plan zumindest für dieses Jahr erledigt; es wird wohl erstmal bei einem Wochenend-Trip nach London bleiben. Danke für deine Tipps bezügl. (mehr oder weniger) historischer Stadtviertel.

Mein Detektiv ist ein junger, alleinstehender Mann, sehr schüchtern und unbeholfen im Umgang mit Frauen, der mit seiner ältlichen Haushälterin und deren Mann (Aufgabenbereich noch unbekannt) im Dachgeschoss eines Hauses in der Stadt lebt (das Haus gehört ihm; dort befindet sich auch das Büro und separate Räumlichkeiten für ihn und die Haushälterin).

Er gibt nun eine Anzeige auf, in welcher er keine bestimmte Position angibt (es wird nicht ausdrücklich nach einer Gouvernanten gesucht), jedoch Wert auf die Bildung und Umgangsformen der anzustellenden Person legt.

Die junge Dame (wenn man sie so bezeichnen darf), die sich daraufhin meldet, gibt vor, aus gutem Hause zu stammen, jedoch seien ihre Eltern ums Leben gekommen, und ihre Brüder hätten das Vermögen geerbt. Sie erhält von diesen angeblich nur so viel Geld, dass es für den Lebensunterhalt kaum reicht. Ich stelle sie mir als eher unkonventionell und mutig vor, da sie schon einige Lebenserfahrung (mehr als üblich) gesammelt hat; sie möchte ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und spaziert deshalb einfach zur angegeben Adresse.

Vermutlich reagiert nun mein eher scheuer Detektiv auf dieses Benehmen ziemlich fassungslos. Es geht mir also weniger um mündliche Begrüßungsformeln, sondern eher darum, ob sie ihm forsch die Hand gibt (oder ist das völlig unüblich? Ich möchte sie nicht als unhöflich oder ungeschickt, sondern einfach als selbstbewusst darstellen) und wie er laut Etikette (sofern er sie in diesem Moment wahren kann) reagieren sollte (befremdetes Schweigen und Zurückweichen? Überspielen der Situation durch Freundlichkeit?).

Ihr seht, die Situation ist sehr komplex :)
 
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Mein Detektiv ist ein junger, alleinstehender Mann, sehr schüchtern und unbeholfen im Umgang mit Frauen, der mit seiner ältlichen Haushälterin und deren Mann (Aufgabenbereich noch unbekannt) im Dachgeschoss eines Hauses in der Stadt lebt (das Haus gehört ihm; dort befindet sich auch das Büro und separate Räumlichkeiten für ihn und die Haushälterin).

Er gibt nun eine Anzeige auf, in welcher er keine bestimmte Position angibt (es wird nicht ausdrücklich nach einer Gouvernanten gesucht), jedoch Wert auf die Bildung und Umgangsformen der anzustellenden Person legt.

Die junge Dame (wenn man sie so bezeichnen darf), die sich daraufhin meldet, gibt vor, aus gutem Hause zu stammen, jedoch seien ihre Eltern ums Leben gekommen, und ihre Brüder hätten das Vermögen geerbt. Sie erhält von diesen angeblich nur so viel Geld, dass es für den Lebensunterhalt kaum reicht. Ich stelle sie mir als eher unkonventionell und mutig vor, da sie schon einige Lebenserfahrung (mehr als üblich) gesammelt hat; sie möchte ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und spaziert deshalb einfach zur angegeben Adresse.

Vermutlich reagiert nun mein eher scheuer Detektiv auf dieses Benehmen ziemlich fassungslos. Es geht mir also weniger um mündliche Begrüßungsformeln, sondern eher darum, ob sie ihm forsch die Hand gibt (oder ist das völlig unüblich? Ich möchte sie nicht als unhöflich oder ungeschickt, sondern einfach als selbstbewusst darstellen) und wie er laut Etikette (sofern er sie in diesem Moment wahren kann) reagieren sollte (befremdetes Schweigen und Zurückweichen? Überspielen der Situation durch Freundlichkeit?).

Ihr seht, die Situation ist sehr komplex :)
Zuerst würde der Dedektiv keine schwammige Anzeige aufgeben, sondern genau äussern, was er sucht. Als Dedektiv würde er er per se schon auf Details achten.

Natürlich kann sie ihm nicht einfach die Hand geben. Er würde übrigens nicht einfach eine junge Dame ohne Referenzen einstellen.

Was meinst du mit Erfahrungen und mehr als üblich?
 
Nachtrag: Herkunft und Verhältnisse deiner Protagonistin sind nicht ganz stimmig. Wenn sie aus gutem Hause war, hätte man sie alleinstehend, nicht sich selbst überlassen. Es gehörte sich genaugenommen nicht einmal, dass sie völlig allein spazieren ging. Sie würde also bei einem der Brüder wohnen, oder sonst welchen Angehörigen.

Zudem hätte der Tod der Eltern nebst dem Erben in den Zeitungen gestanden, damit etwaige Gläubiger noch Aussenstände bei dem Erben einfordern/einklagen konnten. In Bath und Brighton z.B. wurden selbst Ankünfte und Abreisen von Gästen notiert. Man hatte ja sonst nicht viel interessantes zu berichten.
 
Hallo Caro,

die Unstimmigkeiten bei meiner Protagonistin liegen vor allem darin begründet, dass sie nur vorgibt, ihre Eltern verloren zu haben bzw. von den Brüdern unterhalten zu werden. Das meinte ich auch mit den "mehr als üblichen Erfahrungen" (wobei ich selbst noch nicht genau weiß, worin diese bestehen, denn so gut kenne ich die Protagonistin noch nicht). Dass sie allerdings alleinstehend üblicherweise nicht draußen herumläuft bzw. Referenzen vorlegen müsste, die sie in Wirklichkeit nicht hat, ist ein guter Punkt.

Abgesehen davon werde ich also den Händedruck durch eine Verbeugung ersetzen und sie sich vor ihrem Besuch anmelden lassen. Ich nehme an, die Referenzen werden üblicherweise vor dem ersten Treffen zugesendet und entscheiden dann darüber, ob überhaupt ein Gespräch stattfindet?

Die Zeitungsanzeige soll schwammig sein, weil der (recht unselbständige) Detektiv in Wirklichkeit eben keine Gouvernante, sondern jemanden sucht, der für wenig Geld eine Art Sekretär/Buchhalter-Posten übernimmt. Er kann aufgrund seines Vermögens, das von der Öffentlichkeit für größer gehalten wird, als es ist (der Grund dafür muss ebenfalls noch erdacht werden), keinen männlichen Angestellten bezahlen. Insgeheim würde er sich einem anderen Mann vermutlich auch unterlegen fühlen. Aus Stolz und weil ihm bewusst ist, wie "unpassend" es für eine Frau wäre, diese Arbeit zu übernehmen, drückt er sich in der Anzeige bewusst vage aus.

Die Protagonistin beeindruckt ihn später übrigens durch ihre Klugheit und wird im Geheimen zu seiner Assistentin. Zusammen mit der Haushälterin und ihrem Mann formiert sich dann eine Art Detektiv-Team. Dass DAS augrund der Standesunterschiede und Geschlechterrollen unrealistisch ist, ist mir bewusst :pfeif: - ich finde es aber spannend, eine unkonventionelle und ungewöhnliche Art Detektivroman zu schreiben, in denen die Charaktere aus den vorgegebenen Rollenverhältnissen ausbrechen.

Ich denke es ist am besten, wenn ich einfach erstmal loslege und nebenbei einige Bücher wälze bzw. Details nachher korrigiere.

Viele Grüße,

Olivia

P.S. Ich habe jetzt mal in "Manners for Women" von Mrs. Humphry reingelesen (MANNERS FOR WOMEN--Part One; wurde offenbar "A word to women" verfasst) und glaube, dass es genau das ist, was ich benötige ;)
 
Liza Picard hat ein Buch über das viktorianische London, Leben, Sitten, Klassenunterschiede etc geschrieben, welches vielleicht für dich interessant sein könnte "Liza Picard: Victorian London - the Life of a city 1840-1870". Gelesen habe ich es selbst nicht, fand aber ein vergleichbares Werk über London im 17. Jhdt von ihr ganz interessant, und anschaulich. Was auch interessant sein könnte wäre "Judith Flanders: The Victorian House- Domestic Life from Childbirth to Deathbed". Beide Bücher sind bei einschlägigen Versandhäusern käuflich zu erwerben.

Ähnlich wie Caro macht mir deine Protagonistin ein wenig Magenschmerzen. Das sie forsch und selbstbewusst rüberkommen soll ist ja gut, nur frage ich mich aus welcher Klasse sie kommen soll. Bei der unteren Mittelschicht hätte ich weniger Bedenken sie alleine auf die Straße zu schicken, wenn es denn sein muß. Bei allem was gehobener ist, würde ich mir als viktorianischer Arbeitgeber Gedanken um den "moralischen Charakter" der jungen Dame machen, ob man eine solche Person einstellen kann, oder ob sie vielleicht auf einmal eine Sufragette ist.

Des weiteren, auch wenn eine junge Dame als Gouvernante ihre Klassenzugehörigkeit nicht verliert, verliert sie an Ansehen. Bezahlte Arbeit war, naja, bezahlt und deswegen für eine Dame nicht ganz einwandfrei. Von einer solchen jungen Dame wurde auf der einen Seite verlangt, daß sie freilich eine Dame ist, aber auf der anderen Seite "ihren Platz kennt". Daher frage ich mich, wie forsch sie wirklich beim ersten Treffen auftreten würde.

Und ich sehe da auch ein "Problem" mit der Anzeige. Anzeigen für Gouvernanten sagten schon relativ spezifisch welche "accomplishments" die junge Dame mitzubringen hatte, oder was sie ihren Chargen beibringen sollte. Z.B.: eine "gute englische Erziehung", Französisch, Klavierspielen etc. An eine solche Position kam man in erster Linie über Freunde und Bekannte, und dann über Agenturen. Ab ca der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zeitungsannoncen für Gouvernanten als disreputabel angesehen (Was stimmt nicht mit der Herrschaft, daß sie das so öffentlich machen?). Also, falls Freunde und Bekannte einem keine Situation verschaffen konnten, dann wandte man sich besser an eine Agentur. Mehr zum Thema: Suffer and Be Still: Women in the Victorian Age

Und noch ein Link über das Leben im Viktorianischen London.
 
Und ich sehe da auch ein "Problem" mit der Anzeige. Anzeigen für Gouvernanten sagten schon relativ spezifisch welche "accomplishments" die junge Dame mitzubringen hatte, oder was sie ihren Chargen beibringen sollte. Z.B.: eine "gute englische Erziehung", Französisch, Klavierspielen etc. An eine solche Position kam man in erster Linie über Freunde und Bekannte, und dann über Agenturen. Ab ca der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zeitungsannoncen für Gouvernanten als disreputabel angesehen (Was stimmt nicht mit der Herrschaft, daß sie das so öffentlich machen?). Also, falls Freunde und Bekannte einem keine Situation verschaffen konnten, dann wandte man sich besser an eine Agentur.
Danke hierfür. Zumal man ihre Bildung leicht überprüfen und testen konnte. Sie konnte kaum vorgeben gebildet zu sein und dann z.B. die "modernen" Sprachen nicht beherrschen, die bei einer Gouvernante vorausgesetzt wurden.
 
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Die Zeitungsanzeige soll schwammig sein, weil der (recht unselbständige) Detektiv in Wirklichkeit eben keine Gouvernante, sondern jemanden sucht, der für wenig Geld eine Art Sekretär/Buchhalter-Posten übernimmt. Er kann aufgrund seines Vermögens, das von der Öffentlichkeit für größer gehalten wird, als es ist (der Grund dafür muss ebenfalls noch erdacht werden), keinen männlichen Angestellten bezahlen. Insgeheim würde er sich einem anderen Mann vermutlich auch unterlegen fühlen. Aus Stolz und weil ihm bewusst ist, wie "unpassend" es für eine Frau wäre, diese Arbeit zu übernehmen, drückt er sich in der Anzeige bewusst vage aus.
Er wäre kein Dedektiv, wenn er Vermögen hätte. Ein Gentleman arbeitete nicht, sonst war er kein solcher mehr. Vor allem wäre er nicht Dedektiv, wenn er wenig Selbstbewusstsein hätte.

Natürlich musste er trotzdem inserieren, welche Voraussetzungen die "Hilfskraft" übernehmen sollte, zumal wenn es um Buchführung ging.
Wozu sollte er einen Buchhalter brauchen, wenn er kein Geld hat? Frauen wurden in Gelddingen übrigens nicht beschäftigt.
 
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Er wäre kein Dedektiv, wenn er Vermögen hätte. Ein Gentleman arbeitete nicht, sonst war er kein solcher mehr. Vor allem wäre er nicht Dedektiv, wenn er wenig Selbstbewusstsein hätte.

Natürlich musste er trotzdem inserieren, welche Voraussetzungen die "Hilfskraft" übernehmen sollte, zumal wenn es um Buchführung ging.
Wozu sollte er einen Buchhalter brauchen, wenn er kein Geld hat? Frauen wurden in Gelddingen übrigens nicht beschäftigt.

Hmm, ich glaube zu Ende des 19. Jhdts wurde das nicht mehr ganz so eng gesehen, womit ich aber eher eine Ausweitung des Verständisses des Konzepts "Gentleman" meine. In der oberen Mittelklasse konnte man durchaus in der City arbeiten, und sich als Gentleman betrachten, wobei die Oberschicht das freilich etwas anders sah. Nur "Polizeiarbeit" und sich dann für einen Gentleman halten, betrachte ich als problematisch. Das wurde, anders als in der City zu arbeiten, ja als "dreckige" Arbeit verstanden. Wäre er ehrenamtlicher Detektiv, der für Freunde und Bekannte die ein oder andere Nachforschung anstellt, dann wäre das eher akzeptabel.

Oder wenn er einen Sekretär braucht, warum sagt er das nicht einfach? Zum Thema technische Ausbildung für junge Damen, wird hier behauptet, daß es 1875 durchaus Buchhalterinnen in großen Hotels gab. Aber da stellt sich die Frage ob man diese auch als "Damen" bezeichnet hätte.
 
Oder wenn er einen Sekretär braucht, warum sagt er das nicht einfach? Zum Thema technische Ausbildung für junge Damen, wird hier behauptet, daß es 1875 durchaus Buchhalterinnen in großen Hotels gab. Aber da stellt sich die Frage ob man diese auch als "Damen" bezeichnet hätte.

Ja, nur dass man im Hotel eher versteckt beschäftigt war, bzw. in sogenannten Schreibstuben. Allerdings waren die Frauen hier weder direkt noch indirekt mit dem Geldfluss betraut, sondern tippten nur die Zahlenreihen.
Wie war das in den großen Banken? Kundenkontakt hatten hier sicher auch nur Männer, oder?
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Wenn der gedachte Dedektiv so unselbstständig ist, dass er seine Abrechnung bei einer handvoll Kunden nicht selbst erledigen kann, müsste sie ja sozusagen seine Geldgeschäfte übernehmen. Und das ist ein absolutes no go.
 
Ja, nur dass man im Hotel eher versteckt beschäftigt war, bzw. in sogenannten Schreibstuben. Allerdings waren die Frauen hier weder direkt noch indirekt mit dem Geldfluss betraut, sondern tippten nur die Zahlenreihen.
Wie war das in den großen Banken? Kundenkontakt hatten hier sicher auch nur Männer, oder?
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Wenn der gedachte Dedektiv so unselbstständig ist, dass er seine Abrechnung bei einer handvoll Kunden nicht selbst erledigen kann, müsste sie ja sozusagen seine Geldgeschäfte übernehmen. Und das ist ein absolutes no go.

Stimmt. Das kommt freilich erschwerend hinzu, und ich glaube, bin aber nicht sicher, daß sie auch in den großen Banken auch eher hinter verschlossenen Türen agierten. Und einer Dame echte Geldgeschäfte zumuten, wenn's schon für einen Herren grenzwertig war...nö.
 
Und ich sehe da auch ein "Problem" mit der Anzeige. Anzeigen für Gouvernanten sagten schon relativ spezifisch welche "accomplishments" die junge Dame mitzubringen hatte, oder was sie ihren Chargen beibringen sollte. Z.B.: eine "gute englische Erziehung", Französisch, Klavierspielen etc. An eine solche Position kam man in erster Linie über Freunde und Bekannte, und dann über Agenturen. Ab ca der Mitte des 19. Jahrhunderts waren Zeitungsannoncen für Gouvernanten als disreputabel angesehen (Was stimmt nicht mit der Herrschaft, daß sie das so öffentlich machen?). Also, falls Freunde und Bekannte einem keine Situation verschaffen konnten, dann wandte man sich besser an eine Agentur.
Noch ein Nachtrag dazu:
Bei Thackeray's "Vanity Fair" wird eine der Protagonistinnen (Rebecca, Becky) durch die Leiterin des Mädchenpensionats (in dem Becky teils als Schülerin, teils als Lehrerin beschäftigt ist) als Gouvernante weitervermittelt. Auch dies war ein probater Weg nach entsprechenden Schülerinnen und vor allem deren Leumund zu fragen, die man beschäftigen konnte/wollte.
 
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Noch ein Nachtrag dazu:
Bei Thackeray's "Vanity Fair" wird eine der Protagonistinnen (Rebecca, Becky) durch die Leiterin des Mädchenpensionats (in dem Becky teils als Schülerin, teils als Lehrerin beschäftigt ist) als Gouvernante weitervermittelt. Auch dies war ein probater Weg nach entsprechenden Schülerinnen und vor allem deren Leumund zu fragen, die man beschäftigen konnte/wollte.

Ähnlich läuft das ja auch bei "Jane Eyre", mit den Referenzen, wobei sich Charlotte Bronte dort durchaus der dubiosen Zeitungsanzeigen als Stilmittel bedient. Hätte Jane Eyre bessere Verbindungen, wäre sie auch nicht gezwungen auf eine Annonce zu reagieren, und dann bei einem durchaus dubiosen Arbeitgeber zu landen. :pfeif:
 
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