Umsetzung des Marxismus in der Sowjetunion

A

Anonymous

Gast
Hallo liebes Geschichtsforum

Meine Frage: Inwiefern wurden Marx's Theorien in der Sowjetunion unter Stalin angewendet? Wo gab es Abweichungen???

Beispiel: Mit dem Kommunismus beginnt laut Marx die "eigentliche" Geschichte. Dort kann der Mensch sich die Produkte seiner Arbeit aneignen und über ihre Verwertung bestimmen. Doch dies ist doch im Kommunismus unter Stalin überhaupt nicht der Fall. Das Proletariat wird auch im Kommunismus ausgebeutet.

Danke für alle Antworten
 
Hey,

Marx sah die Geschichte etwa so: Der marxistische Geschichtsverlauf beginnt mit dem paradiesischen Urzustand. Der wird von der Sklavenhaltergesellschaft verdrängt (Beispiel: Antiker Mittelmeerraum). Auf diesen folgt die Feudalgesellschaft (Europäisches Mittelalter). Anschließend setzen sich die Bürger durch und errichten das Bürgerliche Zeitalter (Siehe Industrielle Revolution). Alle diese Epochen (abgesehen vom Urzustand...) haben gemeinsam, dass die "Arbeitende Klasse", also diejenigen, die als Sklaven rudern, als Leibeigene pflügen oder als Arbeiter an der Werkbank malochen, unterdrückt werden.

Marx schrieb seine Thesen 1848, also im aus seiner Sicht bürgerlichen Zeitalter. Er sagte voraus, dass die Geschichte mit dem Kommunismus enden würde. Es gäbe kein Eigentum mehr, alle Menschen seien gleichberechtigt und im Übrigen werde ewiger Friede herrschen.

Um den Kommunismus zu erreichen, sei aber erst der Sozialismus notwendig. Der Sozialismus ist die "Diktatur des Proletariats". Also die Arbeiterschaft übernimmt die Kontrolle und sorgt durch Zwang für Umverteilung. (Siehe die Enteignungen in der ehemaligen DDR).

Warum gab es Ausbeutung der Arbeiter unter Stalin?
Ohne die Details im Einzelnen zu kennen: Jede Diktatur hat einerseits ein offizielles Programm und muss andererseits das Volk unter Kontrolle halten und Realpolitik betreiben (wenn es erfolgreich sein will), also zweckmäßige Entscheidungen treffen. Auf diesem Wege kam es trotz des offiziellen Programms der "Diktatur des Proletariats" zur Ausbeutung der Arbeiterschaft.
 
Zuletzt bearbeitet:
Also, nachdem mir vorgeworfen wurde, ich würde hier einen politischen Standpunkt, dazu noch in Unkenntnis, vertreten, möchte ich noch mal zwei Dinge betonen:

1. Man sollte als Leser schon in der Lage sein, zu erkennen, dass ich Marx zitiere. Nicht bewerte oder gar vertrete. Es geht lediglich um die Darstellung seiner Geschichtsphilosophie. Und deshalb ist es eben doch eine "historisch angemessene Darstellung." und kein "politischer Beitrag". Im Übrigen: Marx ist nicht mit den Verbrechen späterer Diktaturen gleichzusetzen, mag man zu seinen Ideen stehen wie man will.

2. Mir wurde vorgeworfen, die, von mir selbst eingeräumte, Unkenntnis, verböte es mir, diesen Post zu schreiben. Die Unkenntnis bezieht sich auf den zweiten Absatz und dort speziell auf die Unkenntnis der stalinistischen Verbrechen im Detail. Wo ich mich trittsicherer fühle, das ist die Diskussion über (totalitäre) Diktaturen. Und mehr habe ich auch gar nicht geäußert, als dass auch eine totalitäre Diktatur neben einem offiziellen Programm auch Realpolitik betreiben muss.

Möglicherweise ist der letzte Satz von #2 unangemessen. Davon abgesehen bin ich der Meinung, dass der Thread okay ist. Es sei denn, man wollte mir vorwerfen, Stalins Russland als totalitäre Diktatur zu bezeichnen, sei eine politische Äußerung.

Im Übrigen würde ich solche Dinge doch lieber hier ausdiskutieren, dafür ist das Forum da.
 
Wenn Dir das alles klar ist und Du der Meinung bist, eine unpolitische Antwort geleistet zu haben, dann hättest Du zumindest deutlich machen müssen, dass Marx zunächst eine Begrifflichkeit eingeführt hatte, die zur Analyse von ökonomischen Beziehungen bzw. dann auch abgeleitet für politische Verhältnisse genutzt werden sollte.

Und genau dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Begriffssystem und der politischen Praxis in der SU war dann auch die Ausgangsfrage unter #1.

Und in diesem Zusammenhang hätte man erwarten können, so meine ich, das der "Ausbeutungsbegriff" in seiner analytischen Ausformung bezogen auf eine kapitalistische Produktionsform und die politische Unterdrückung durch das stalinistische System kritisch betrachtet werden.

Und ich bin auch der Meinung, dass eine Zitierung sinngemäß erfolgen sollte, und eine derartige Aussage in Bezug auf die Ausgangsfragstellung signalisiert, dass die theoretische Position von Marx zwangsläufig zur praktischen Unterdrückung der Bevölkerung in der SU durch Stalin geführt hat.

Zitat Anselm:
Um den Kommunismus zu erreichen, sei aber erst der Sozialismus notwendig. Der Sozialismus ist die "Diktatur des Proletariats". Also die Arbeiterschaft übernimmt die Kontrolle und sorgt durch Zwang für Umverteilung.

Das Du es ja so einfach nicht siehst, hast Du ja in einem weiteren Posting deutlich gemacht. Aber dieses differenzierte Sichtweise hätte ich bei dem Thema erwartet, um gewissen "Erwartungshaltungen" von Threaderstellern nicht zu entsprechen.

Zitat Amselm:
Marx ist nicht mit den Verbrechen späterer Diktaturen gleichzusetzen
 
Danke für die Antworten. Also war eines der grossen Probleme mit welchen Lenin bzw. Stalin konfrontiert wurden, dass Russland zur Zeit der Revolution und auch später noch sehr stark von feudalistischen Strukturen geprägt war (ca. 80% Bauern). Hätte der Krieg gegen das Kulakentum, welcher schlussendlich zum Krieg gegen alle Bauern mit nur geringsten Habseligkeiten mutierte, also nicht so viele Opfer gefordert wäre Russland bei der Machtübernahme Stalins schon ein vollkommenes industrialisiertes Land gewesen? Dann hätte Stalin zum Beispiel auch kein Getreide etc. exportieren müssen, um die Industrialisierung, vor allem die Modernisierung der Schwerindustrie, in Russland voranzutreiben. Folglich hätte auch die Hungerskatastrophe weniger Menschenopfer gefordert. (Ich will mit diesen hypothetischen Fragen die Unmenschlichkeit und Grausamkeit unter Stalin auf keinen Fall verharmlosen, welche die sozialen Ziele auf entsetzliche Weise entstellten.)
Kann man also behaupten die Revolution des Proletariats kam zu früh, da sich Russland noch im "Zeitalter" des Feudalismus befanden. Wie rechtfertigten sich Lenin bzw. Stalin?
Gibt es weitere Abweichungen von Marx's Theorien in der Sowjetunion??? (In meinem Geschichtsbuch steht leider nichts über solche Abweichungen und im Internet fand ich leider auch nicht Schlaues)
Dankbar für jede Antwort...
 
Deine hypothetischen Fragen kann Dir niemand im Forum ernsthaft beantworten und es ist auch eigentlich nicht die Aufgabe einer historischen Analyse dieser Frage nachzugehen.

Ansonsten zur Entwicklung der Theorie von Marx durch Lenin eine ähnliche Fragestellung.

http://www.geschichtsforum.de/f59/soziale-frage-37762/#post573283

Es sind jedoch ein Vielzahl ähnlicher Themen bereits behandelt worden. Via Suchfunktion lassen sich deutlich mehr Informationen zu diesem Thema finden.
 
@thanepower: deine Kommentare und Zurechtweisungen in allen Ehren, jedoch solltest Du dann nicht Überzeugungen hier vermuten und vergleichen. Ich seh nix Verwerfliches im Beitrag von Anselm.
in Anbetracht der Ausgangsfrage ist doch eigentlich nur anzuführen, dass bis dato noch kein Land den Kommunismus, wie er von Marx gedacht war, geschaffen hat. es gab in allen sozialistischen Staaten Eigentum, und somit noch kein Kommunismus.
Im Übrigen behauptet jeder Staat und jede Diktatur irgendeine bestimme Politik zu verfolgen, ob diese dann auch real ist, steht auf einem anderen Blatt...
 
@Speaker: Dann noch ein paar "oberlehrerhafte", zusätzliche Anmerkungen, wie Du es ja so schön geschrieben hast.

Ich habe durchaus meine Probleme in Bezug auf das Theorieverständnis, wenn ich lese: "Das Proletariat wird auch im Kommunismus ausgebeutet" und auf die habe ich hingewiesen und auf das Spannungsverhältnis der darin verwendeten Begriffe.

Aber offensichtlich siehst Du die Dinge anders und hast kein Problem mit dieser Formulierung.

Dabei geht es überhaupt nicht um die platte Feststellung, dass es keinen Staat gibt, in dem Marxens Modell umgesetzt wurde. Das ist völlig unstrittig!

Allerdings, die "Diktatur des Proletariats" als Organisationsform von Politik wurde zunächst durch Engels (1891) im Rahmen der Beschreibung der Pariser Kommune benutzt.

Marx dagegen hat diesen Begriff zur Kenzeichnung der Pariser Kommune nicht verwendet, sondern im Rahmen seiner Kritik am Gothaer Programm. Und bezeichnet damit die Übergangszeit zwischen kapitalistischer und kommunistischer Gesellschaft, als Diktatur und revolutionäre Gewaltanwendung durch die Arbeiterschaft. Implizit beschrieb er jedoch die politischen Zustände der Pariser Kommune.

Und diese politischen Zustände waren durch ein fast "basisdemokratisches" Regierungssystem gekennzeichnet, das die Ausübung von Gewalt, im Rahmen der Aufhebung der Gewaltenteilung und der Wählbarkeit von Ämtern, in das Gegenteil seiner bisherigen Erscheinungen in Monarchien oder Republiken verkehrte.

Und deswegen ist es aus meiner Sicht problematisch, wenn durch den unkommentierten Begriff der "Diktatur des Proletariats" der Eindruck erzeugt wird, dass Marx eine Rechtfertigung für die politische Ordnung unter Stalin geliefert hat.

Und an diesem Punkt wird zwar Marx bzw. Engels zitiert, jedoch in einer sinnentstellenden Art und Weise, die dem Begriff und dem Kontext nicht gerecht wird.

Dass Marx bei seinen Betrachtungen zur Pariser Kommune die Analyse mit seiner politischen Leidenschaft durchgegangen ist, ist ein anderes Thema.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn Dir das alles klar ist und Du der Meinung bist, eine unpolitische Antwort geleistet zu haben, dann hättest Du zumindest deutlich machen müssen, dass Marx zunächst eine Begrifflichkeit eingeführt hatte, die zur Analyse von ökonomischen Beziehungen bzw. dann auch abgeleitet für politische Verhältnisse genutzt werden sollte."
Nein. Denn es ging mir nur um die Schilderung seiner Sicht auf den Geschichtsverlauf.

Und in diesem Zusammenhang hätte man erwarten können, so meine ich, das der "Ausbeutungsbegriff" in seiner analytischen Ausformung bezogen auf eine kapitalistische Produktionsform und die politische Unterdrückung durch das stalinistische System kritisch betrachtet werden.
Niemand hindert dich.

Und ich bin auch der Meinung, dass [...] eine derartige Aussage in Bezug auf die Ausgangsfragstellung signalisiert, dass die theoretische Position von Marx zwangsläufig zur praktischen Unterdrückung der Bevölkerung in der SU durch Stalin geführt hat.
Eben nicht. Ich habe doch die Intentionen der "Ausbeutung" benannt: Die Bestrebung, das Volk "unter Kontrolle zu halten" und realpolitische Überlegungen. Zudem ist es nun einmal - meines Wissens nach (und hier lasse ich mich gerne korrigieren!) - zwangsläufig so, dass nach Marx auf dem Weg zum Kommunismus erst einmal der Sozialismus als Phase der erzwungenen Umverteilung der Produktions-/Investitionsgüter errichtet werden muss.

Ich habe durchaus meine Probleme in Bezug auf das Theorieverständnis, wenn ich lese: "Das Proletariat wird auch im Kommunismus ausgebeutet".
Wäre der Frager umfassend informiert, würde er hier nicht fragen. Anonymous muss es nicht darauf angelegt haben, Munition für irgendeine Weltanschauung zusammenzuklauben.

Aber offensichtlich siehst Du die Dinge anders und hast kein Problem mit dieser Formulierung.
Was wirfst du Anonymous denn genau vor?

Und deswegen ist es aus meiner Sicht problematisch, wenn durch den unkommentierten Begriff der "Diktatur des Proletariats" der Eindruck erzeugt wird, dass Marx eine Rechtfertigung für die politische Ordnung unter Stalin geliefert hat.
Allmählich verstehe ich. Dieser Kritikpunkt ist mMn berechtigt. Also füge ich im Anschluss noch einmal einen Abschnitt in einen Repost von #2 ein.

Nichts für ungut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hey,

Marx sah die Geschichte etwa so: Der marxistische Geschichtsverlauf beginnt mit dem paradiesischen Urzustand. Der wird von der Sklavenhaltergesellschaft verdrängt (Beispiel: Antiker Mittelmeerraum). Auf diesen folgt die Feudalgesellschaft (Europäisches Mittelalter). Anschließend setzen sich die Bürger durch und errichten das Bürgerliche Zeitalter (Siehe Industrielle Revolution). Alle diese Epochen (abgesehen vom Urzustand...) haben gemeinsam, dass die "Arbeitende Klasse", also diejenigen, die als Sklaven rudern, als Leibeigene pflügen oder als Arbeiter an der Werkbank malochen, unterdrückt werden.

Marx schrieb seine Thesen 1848, also im aus seiner Sicht bürgerlichen Zeitalter. Er sagte voraus, dass die Geschichte mit dem Kommunismus enden würde. Es gäbe kein Eigentum mehr, alle Menschen seien gleichberechtigt und im Übrigen werde ewiger Friede herrschen.

Um den Kommunismus zu erreichen, sei aber erst der Sozialismus notwendig. Der Sozialismus ist die "Diktatur des Proletariats". Also die Arbeiterschaft übernimmt die Kontrolle und sorgt durch Zwang für Umverteilung. (Siehe die Enteignungen in der ehemaligen DDR).

Totalitäre Diktaturen brauchen eine Ideologie als höheres Ziel, mit der sie ihre Programmatik und Verbrechen rechtfertigen können. Die Diktatur Stalins instrumentalisierte unter Anderem die Marxsche Geschichtsdeutung, welche im 19. Jahrhundert entstand und dringend im historischen Kontext gesehen werden muss, als Rechtfertigung für ihre brutale und unmenschliche Diktatur.

Warum gab es Ausbeutung der Arbeiter unter Stalin?
Ohne die Details im Einzelnen zu kennen: Jede Diktatur hat einerseits ein offizielles Programm und muss andererseits das Volk unter Kontrolle halten und Realpolitik betreiben (wenn es erfolgreich sein will), also zweckmäßige Entscheidungen treffen. Auf diesem Wege kam es trotz des offiziellen Programms der "Diktatur des Proletariats" zur Ausbeutung der Arbeiterschaft.
 
Theorie und Praxis

Warum gab es Ausbeutung der Arbeiter unter Stalin?
Ohne die Details im Einzelnen zu kennen: Jede Diktatur hat einerseits ein offizielles Programm und muss andererseits das Volk unter Kontrolle halten und Realpolitik betreiben (wenn es erfolgreich sein will), also zweckmäßige Entscheidungen treffen. Auf diesem Wege kam es trotz des offiziellen Programms der "Diktatur des Proletariats" zur Ausbeutung der Arbeiterschaft.

Es scheint hier verwirrend , dass man die theoretische Konstruktion
" Diktatur des Proletariats " von der Realpolitik der Lenin/Stalin-Herrschaftszeit ,
welche auch unter der Devise " Diktatur des Proletariats " propagiert wurde ,
trennen muss.

Die Lenin/ Stalin -Herrschaftszeit finde ich viel besser unter der zunächst
für die Anfangszeit geprägten Devise des " Kriegskommunismus "
verständlich.
Dabei ging man von der Konfrontation mit inneren und äusseren Feinden
aus und postulierte , dass damit jegliche Repressionen gerechtfertigt seien,
da man ja zahlreiche Feinde der Sowjet-Diktatur besiegen und ausschalten müsse.

MMn behielt Stalin diese Devise jedoch zwar unausgesprochen , aber
unverändert bei - bis zu seinem Tod .
Ohne jetzt zu diskutieren , in welchem Grad Stalin nun psychotisch war.

Es ergibt Sinn . dass auch unter diesem Gesichtspunkt die wirtschaftliche
Struktur in der Sowjet-Gesellschaft die Ausbeutung der Arbeiter nutzte ,
um entsprechende Erlöse zu erzielen.
Immerhin hatte man ja die schnellstmögliche industrielle Entwicklung
( zB. Elektifizierung , Eisenbahn -Ausbau , Stahlindustrie ) und die
schnellstmögliche militärische Rüstung ( gegen die imperialistische
Bedrohung ) im Sinn.
Unter diesen Prämissen trat die Errichtung des " Paradieses für Arbeiter "
weit zurück und geriet auf die Schiene der immerwährenden Verprechung -
praktiziert bis zum Zusammenbruch des Ostblock.

Die Interpretation des Begriffs " Diktatur des Proletariats " wurde nun
ausgehend von der erstmaligen Formulierung ein ständige Übung
marxistischer Theoretiker.
Immerhin lief die scheinbare demokratische politische Struktur der
DDR als Mehrparteien -System auch unter der der Oberstruktur
einer praktizierten " Diktatur des Proletariats ".

Machterhaltung und Machtausübung zu gewährleisten war das vorrangige
Ziel - wie man es auch immer propagandistisch oder angeblich
wissenschaftlich ( marxistisch ) fundiert umschrieb .

[Mod: Tagespolitik entfernt]
 
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