Unsere Mütter, unsere Väter

Furchtbar. Es handelt sich um ein Film, der in erster Linie unterhalten soll. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung.

Mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte tun sich offenkundig viele Nationen schwer. ...

Ich kann über so etwas, was die Polen jetzt machen, nur noch den Kopf schütteln. Das gibt es ganz andere Filme.

Zustimmung. Dem kann man wohl wenig hinzuzufügen!
 
Fast wie bei Erdoğan

Es wäre fast lustig, wenn es nicht so traurig wäre: Die polnische PiS-Regierung, die ihrerseits von dem antijudaistischen/antisemitischen Sender Radio Maryja gestützt wird, will nun per Gesetz die Behauptung unter die Strafe stellen, Polen hätten im Zweiten Weltkrieg die Nazis bei der Sho'a unterstützt. Ja, 1/4 der als Gerechte unter den Völkern in Jad wa-Shem Geehrten sind Polen gewesen. Das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit, der demnächst in Polen unter Strafandrohung nicht mehr sagbar sein wird, ist, dass der exterminatorische Rassenantisemitismus auch in Polen verbreitet war und auch nach der Befreiung von der deutschen Besatzung noch Opfer forderte - und damit sind jetzt nicht Personen gemeint, die noch nach dem Mai 1945 an den Spätfolgen (Entkräftung, Typhus etc.) ihres KZ-Aufenthalts starben.
 
Zugebenermaßen habe ich weder den dreiteiligen Spielfilm gelesen, noch die 24-seitige Diskussion gelesen.

Trotzdem will ich auf den Artikel "Hybride Geschichte und Para-Histotie: Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts" bei der Bundeszentale für politische Bildung Hinweisen.
Konkret geht um die Wirkung von Spielfilmen auf das Geschichtsbewusstein. Insbesondere Junge Erwachsene könnte zwischen Fiktion und Historie, die in den Spielfilmem vermischt werden, nicht unterscheiden.

Satjukow schrieb:
"Unsere Mütter, unsere Väter" stimulierte die jungen Leute mithin dazu, sich mit eben diesen imaginierten "Großeltern" zu identifizieren. Im selben Atemzug verkehrten sie historisch gesicherte Zuschreibungen wie "Dies ist ein Opfer" und "Dies ist ein Täter" unversehens in ihr Gegenteil.
Interessant ist natürlich auf das Fazit. Wenn Filme für eine europäische Öffentlichkeit produziert werden, müssen auch die Geschichtsbilder der jeweiligen Länder berücksichtigt werden.
Satjukow schrieb:
Diese TV-Events bestimmen mittlerweile in ganz Europa, wie und welche Geschichte(n) in den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts erzählt werden. Ihre Ästhetik, ihre Bildprogramme, ihre musikalischen Welten und natürlich ihre historischen Narrative müssen ganz unterschiedlichen nationalen und internationalen Öffentlichkeiten die Möglichkeit bieten, die Filmbotschaft optimal in ihr jeweiliges Geschichtsverständnis und ihre spezifischen Lebenshorizonte einzupassen. Es stellt sich daher auch die Frage, ob ihr Konsum womöglich auch zu transnationalen Mustern des Gedächtnisses führen wird. Womöglich münden der transnationale Austausch und der Verkauf von "Geschichtsbildern" am Ende in einen gemeinsamen europäischen Opfermythos: Auf eine vereinfachende Moral wie "Krieg ist immer schlimm!" und "Wir sind alle seine Opfer!" können sich alle nur denkbaren Medienrezipienten leicht einigen.
Der deutsche Opfermythos ist bereits ziemlich flach. Die Topoi von den bösen Juden, Polen und Russen, sind in Polen nicht gut angekommen - in den USA auch nicht. "Unsere Mütter, unsere Väter" war aber noch nicht vereinfacht genug für eine internationale Anerkennung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich weiß wirklich nicht, welchen Film die Leute da gesehen haben. Ich habe einen Vierteiler gesehen, in dem vor allem Deutsche zu Tätern wurden. Und zwar nicht die hundertfuffzigprozentigen Nazis, sondern ganz normale Männer (und Frauen). Und eben, dass es Antisemitismus/-judaismus auch in Polen gab und gibt. Eine Wahrheit, die man in Polen nicht aussprechen darf, obwohl sie überall in Polen offenbar wird (ich möchte damit den deutschen Antisemitismus, der jüngst ja auch wieder offener zu Tage tritt nicht relativieren). Die "Russen" waren in UMUV eigentlich in erster Linie Opfer. Erst gegen Ende des Films/Vierteilers, als das Lazarett überrannt wurde, waren Sowjetsoldaten auch als Täter zu sehen. Nachdem drei Teile lang vor allem Deutsche als Täter und Mörder gezeigt wurden, gab es eine oder zwei Szenen mit Sowjetsoldaten als Täter. Auch wenn die deutsche Zivilbevölkerung oft unschuldig zu Opfern wurde, so trifft doch hier wieder das alte Wort zu, wer Wind säht, wird Sturm ernten. Genau das ist Dtld. de facto passiert auch wenn der Sturm nicht unterscheidet zwischen Tätern und Nichttätern. Und genau das zeigt auch UMUV. Ich kann nur mein altes Unverständnis wiederholen: An UMUV ist viel zu kritisieren, aber es werden immer die Dinge kritisiert, wo der Film/Vierteiler die Geschichte durchaus angemessen darstellt.

In den siebziger Jahren waren die VR Polen und die Bundesrepublik, trotzdem sie unterschiedlichen Lagern angehörten, mitden deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen wesentlich weiter als heute in einer Verständigung auf ein gemeinsames Geschichtsverständnis.
 
Die Spielfilme sind wahrscheinlich noch nicht mal das Problem, sondern das Framing mit Dokumentationen und Talkshows, die kaum zur Dekonstruktion des Films beitragen, sondern auch nur zur Bühne werden, auf der Schauspieler und Revisionisten die Filmhandlung am besten gleich gegen die Zeitzeugen verteidigen und auch eine Geschichtsdeutung des Films vorgeben.

Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp hat die Talkshow Lanz zum Film kommentiert. Im Zentrum seiner Kritik steht Talkshowgast Arnulf Baring, ebenfalls Politikwissenschaftler. Deutsche Geschichte bei Lanz: Zu wenig Kolonien, zu viele Juden
Anrulf Baring schrieb:
Diese Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern, die Deutschen sind ein Tätervolk und die Juden sind Opfer…Nein! Auch viele Juden haben sozusagen, das kann man in dem Film auch sehen, haben andere verraten, um ihre eigene Haut zu retten.
Man beachte hier, dass Baring den Film gleich als Quelle verwendet. Das verrückte ist, dass seine Argumentation auch noch geglaubt wird.
 
Mittlerweile ist das ZDF in Polen vor Gericht verurteilt worden:

Das Krakauer Gericht verurteilte das ZDF und die UFA-Produktionsfirma von „Unsere Mütter, unsere Väter“ dazu, Radlowski eine Geldbuße von umgerechnet 5000 Euro zu bezahlen und im polnischen sowie im deutschen Fernsehen eine Entschuldigung zu veröffentlichen.

Das ZDF kündigte umgehend Berufung gegen das Urteil an. Es teilte der Nachrichtenagentur AFP sein Bedauern darüber mit, dass das Gericht „der künstlerischen Freiheit nicht genügend Beachtung geschenkt“ habe. Der Sender erinnerte daran, dass er bereits 2013 auf die Kritik an bestimmten Passagen reagiert habe.

„Unsere Mütter, unsere Väter“: Polnisches Gericht verurteilt ZDF zu Schadensersatz
 
Das ZDF hat angekündigt, in die Berufung vor dem polnischen Appellationsgericht zu gehen. Insoweit wird der polnische Instanzenzug sicher von beiden Seiten bis in die Revision ausgenutzt werden.

Juristisch -bilateral - ist weiterhin spannend, dass sich dazu auch bereits der BGH geäußert hat.
BGH v. 19.07.2018 - IX ZB 10/18 - NWB Datenbank

"Die Vollstreckung eines Urteils, welches der verurteilten Fernsehanstalt aufgibt, eine nach Ansicht des Gerichts des Urteilsstaats in einer Äußerung enthaltene Geschichtsverfälschung zu bedauern und sich für eine nach Ansicht des Gerichts des Urteilsstaats hierin zu sehende Persönlichkeitsrechtsverletzung zu entschuldigen, verstößt offenkundig gegen das Grundrecht auf negative Meinungsfreiheit und gegen den deutschen ordre public."
Die polnischen Urteile sind damit nicht in Deutschland vollstreckbar. Zum Schadensersatz müsste man sich an ZDF-Vermögen (oder gar Staatsvermögen) in Polen "halten".

Damit wird zugleich die nächste Ebene interessant. Im Mohammed-Urteil hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und der Möglichkeit geäußert, dass eine Tatsachenbehauptung in Meinungsdebatten den "öffentliche Frieden" gefährdet.

HUDOC - European Court of Human Rights
(Dort unter "38450/12" suchen)
Case of E.S. v. AUSTRIA, Oct., 25th, 2018

"57. The Court, in conclusion, finds that in the instant case the domestic courts comprehensively assessed the wider context of the applicant’s statements, and carefully balanced her right to freedom of expression with the rights of others to have their religious feelings protected, and to have religious peace preserved in Austrian society. They discussed the permissible limits of criticism of religious doctrines versus their disparagement, and found that the applicant’s statements had been likely to arouse justified indignation in Muslims.In addition, the Court considers that the impugned statements were not phrased in a neutral manner aimed at being an objective contribution to a public debate concerning child marriages (contrast Aydın Tatlav and Giniewski, both cited above), but amounted to a generalisation without factual basis. Thus, by considering them as going beyond the permissible limits of an objective debate and classifying them as an abusive attack on the Prophet of Islam, which was capable of stirring up prejudice and putting at risk religious peace, the domestic courts came to the conclusion that the facts at issue contained elements of incitement to religious intolerance. The Court accepts that they thereby put forward relevant and sufficient reasons and finds that the interference with the applicant’s rights under Article 10 indeed corresponded to a pressing social need and was proportionate to the legitimate aim pursued.

58. Therefore, the Court considers that the domestic courts did not overstep their – wide – margin of appreciation in the instant case when convicting the applicant of disparaging religious doctrines. Accordingly, there has been no violation of Article 10 of the Convention.



Die historische Diskussion um die Rolle der Polnischen Heimatarmee, bezogen auf die im Mohammed-Fall gesetzten Massstäbe, geht damit nicht um richtig oder falsch im Sinne der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit, sondern um die Frage, ob der Fall geeignet ist, als eine Schmähung oder ausfallenden Angriff gedeutet zu werden und den "öffentlichen Frieden gefährdet" (im Mohammed-Fall: religiösen). Eine Analogie findet sich bei uns in den Grenzen der "Volksverhetzung". Dabei spielte für den EGMR auch die "geringfügige Strafe" eine Rolle:

("56. Lastly, the Court reiterates that the applicant was ordered to pay a moderate fine of only EUR 480 in total for the three statements made, although the Criminal Code alternatively would have provided for up to six months’ imprisonment. Furthermore, the fine imposed was on the lower end of the statutory range of punishment of up to 360 day-fines, namely only 120 day-fines, and the domestic courts applied only the minimum day‑fine of EUR 4. Though the applicant had no previous criminal record and this was taken into account as a mitigating factor, her repeated infringement had to be considered as an aggravating factor. Under the circumstances, the Court does not consider the criminal sanction as disproportionate.")
 
Hier mal ein Ausschnitt aus einem Zeit-Interview von 2013 mit Nico Hofmann, dem Produzenten von UMUV und Historiker Götz Aly, auch hier sind die Konfliktlinien, die zwischen ZDF und polnischen Klägern aufkamen, schon angelegt und auch hier wird deutlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sein können:

...

ZEIT: Interessanterweise tritt in diesen Filmen der Antisemitismus am stärksten bei den polnischen Partisanen hervor, bei denen Viktor, der Jude unter den fünf Freunden, eine Weile unter Geheimhaltung seiner Identität mitkämpfen darf. Kann der ahnungslose Zuschauer da nicht auf den Gedanken kommen, dass die Polen eigentlich so schlimm wie die Deutschen waren?

Hofmann: Ich bitte Sie, es gibt zwei brutale SS-Offiziere, darunter als durchgehender Handlungsstrang den SS-Mann Dorn, der Viktor ja vernichten will! Sie sehen die entsetzliche Erschießung eines jüdischen Mädchens, die übrigens genauso passiert ist.

Aly: Deportationen kommen auch vor.

Hofmann: Und es gab, wie im Film dargestellt, übrigens auch ein jüdisches Leben 1941 in Berlin, was viele gar nicht wissen – woran man sieht, wie fehlgeleitet unsere historische Aufklärungsarbeit gewirkt hat.

Aly: In dem Film werden Partisanen nicht pauschal heiliggesprochen. Das ist historisch richtig. Aber im Mittelpunkt des Films steht eben nicht der deutsche Antisemitismus, sondern der Krieg – und das mit einigem Recht. Die großen Verbrechen, Geisteskranken-, Juden-, Gefangenen- und Zivilistenmorde setzten die massenhafte Gewalterfahrung und moralische Selbstverstümmelung voraus. Die Basis, auf der Auschwitz gebaut werden konnte, war der Krieg. Der Westkrieg entsprach noch den Bräuchen des europäischen Normalkriegs – den Ostkrieg führten die Deutschen von Anfang an als beispiellosen Eroberungs-, Raub- und Vernichtungskrieg, in dem schier alles erlaubt war. Das zeigt der Film deutlich.

ZEIT: Dennoch kann man sich mit Wehrmachtssoldaten wie Friedhelm und Wilhelm leichter identifizieren, denn die SS-Offiziere sind das entmenschlichte Böse.

Hofmann: Aber Sie gucken doch den Film nicht an und sagen danach, nur die Waffen-SS war schuld! In der Friedhelm-Figur von Tom Schilling entsteht die Gewalt; er tritt als normaler Soldat in dieselben amoralischen Abgründe.

...​
 
Der Film hat einen Unterhaltungsauftrag, und keinerlei Bildungs- oder Erkenntniswert. Damit ist das 100% Konsum, und rein rechtlich - die Wahrnehmung bleibt jedem überlassen - kann man ihn als Kunst und Meinungsäußerung einstufen.

Gestritten wird also über Geschmack bzw. Geschmacksirrationen oder das "Beleidigtsein" (vs. Kunst und Meinungsfreiheit). Der Streit ist außerdem inzwischen politisch aufgeladen.

Diese "Konfliktlinie" haben auch die Gerichte offenbar erkannt und hangeln sich daran entlang, halten sich dagegen nicht mit Scheingefechten über historische Wahrheiten auf und ihren Abbildungserfordernissen.
 
Gestritten wird also über Geschmack bzw. Geschmacksirrationen oder das "Beleidigtsein" (vs. Kunst und Meinungsfreiheit). Der Streit ist außerdem inzwischen politisch aufgeladen.

Diese "Konfliktlinie" haben auch die Gerichte offenbar erkannt und hangeln sich daran entlang, halten sich dagegen nicht mit Scheingefechten über historische Wahrheiten auf und ihren Abbildungserfordernissen.
Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber ich bin mir nicht sicher, ob du Recht hast. Im Prinzip geht der juristische und ästhetische Streit um eine absolute Nebensache im Film, nämlich ob man - oder ob speziell Deutsche als Nachfolger des Volkes, welches den Vernichtungskrieg führte und am Holocaust schuldig wurde - auch polnischen Antisemitismus im Allgemeinen oder Antisemitismus in der Armija Krajowa darstellen darf. Paradoxerweise ist es ja so, dass diejenigen Polen, die da am meisten gegen streiten, genau das Gegenteil dessen erreichen, was sie erreichen wollen. Sie wollen den polnischen Antisemitismus am liebsten vergessen machen aber dadurch dass sie ihn thematisieren, bleibt er überhaupt erst Tagesthema. Ob es für die Diskussion hilfreich ist, dass diese ausgerechnet aus Deutschland angestoßen wurde, ist eine andere Frage. Und ich verstehe natürlich auch, wenn Polen, die in der Armija Krajowa gedient haben und keine Antisemiten waren, sich durch die Darstellung des Films ein Stück weit angefasst fühlen. Aber da ist eben festzuhalten, dass die Armija Krajowa ja gar nicht homogen antisemitisch dargestellt wird sondern absolut heterogen.

Andere Filme haben den polnischen Antisemitismus während des Zweiten Weltkriegs auch thematisiert und ich habe nie gehört, dass es deswegen Proteste gegen sie gegeben habe.

So sagt etwa jemand in Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss (1/4) im Zuge der Polenaktion (paraphraisert): "So treffen sich Juden zwischen Deutschland und Polen. Hier markiert man die Kilometer nicht mit Steinen sondern mit Antisemiten." Auch später, als der Warschauer Ghetto-Aufstand organisiert wird und die Juden versuchen Waffen zu erwerben, werden sie von Polen über den Tisch gezogen und nachdem sie aus der Szene raus sind, sagt der eine zum anderen, dass er den Juden nicht traue. Ich wüsste nicht, dass das in Polen zu Widerspruch geführt hätte. Nun war 1978/79 natürlich eine andere Zeit.

Aber auch in Der Pianist - der ja auf den Erinnerungen von Władek Szpilman basiert und damit nochmal einen völlig anderen Authentizitätsanspruch einnimmt als Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss oder UMUV, wo die Hauptcharaktere ja fiktiv sind - ist polnischer Antisemitismus - genauso wie aber auch polnische Unterstützung von Juden - ein wichtiges Thema: Władek Szpilman kann die Zeit zwischen seiner Flucht aus dem Ghetto und dem Warschauer Aufstand nur mit Hilfe von Polen überhaupt überleben, dass sie ihm ein Versteck besorgen und ihn mit Nahrungsmitteln versorgen, aber er muss sein Versteck schließlich wegen einer polnischen Denunziantin verlassen.

Und wenn man sich Schindlers Liste anschaut, auch dort ist polnischer Antisemitismus ein Thema. Auch hier ist das authentische Erleben von Holocaustüberlebenden nacherzählt.

In jedem dieser Filme und jeder dieser Kurzserien spielt polnischer Antisemitismus nur eine Nebenrolle und deutscher Antisemitismus ist es, der die Ursache allen Leids darstellt, das ist also angemessen dargestellt. Und außer in UMUV geht in den genannten Filmen/Serien die Darstellung des polnischen Antisemitismus natürlich nur in Der Pianist über die "Teichoskopie" (in Anführungszeichen, weil es in Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss keine Teichoskopie im eigentlichen Sinne ist) und abfällige Bemerkungen hinaus.

Und da ich jetzt so viel über polnischen Antisemitismus geschrieben habe, möchte ich um der Gerechtigkeit willen auch noch einmal daran erinnern, dass Polen die überwiegende Mehrheit der Gerechten unter den Völkern stellen, also an Menschen, die Juden vor dem Holocaust gerettet haben.
 
Es geht um einen Rechtstreit.

Ob Tatsachenbehauptungen im Film eine Nebensache darstellen, andere Filme gleich oder anders sind, die Behauptungen falsch oder richtig sind, historisch belegt oder Filmphantasie, ist völlig irrelevant.

Die juristischen Kategorien sind oben in #468 aufgezeigt, und zwar ganz simpel in drei Schritten

1. reicht die persönliche Betroffenheit mit welcher Anspruchsgrundlage für eine Untersagung? Wenn nein: Ende.
2. sofern sie reichen sollte: steht dem die Meinungsfreiheit und Entfaltung der Kunst entgegen? Wenn nein: Ende.
3. sofern 2. mit ja beantwortet wird: legen übergeordnete Aspekte (EGMR) eine Untersagung nahe? Wenn ja: Untersagung.
 
Da haben wir zwei unterschiedliche Annäherungsweisen. Du argumentierst auf einer juristischen Ebene. Mich interessiert eher die didaktische und fachliche Ebene.
a) Wird die Darstellung in ihrer Gewichtung der historischen Wirklichkeit gerecht?
b) Ist sie angemessen?

Ich bin der Meinung, dass die künstlerische Freiheit in einem solchen Streifen notwendigerweise eher reduziert ist. Man kann mit einem fiktiven Personenstab arbeiten (wie in UMUV und Holocaust weitgehend geschehen). Man kann Geschichte gewissermaßen auf eine Gruppe von Personen verdichten. Nehmen wir Holocaust: Dass Eltern und der Onkel gleichzeitig beim Judenrat und beim Ghetto-Widerstand, die Tochter ein T4-Opfer, der eine Sohn über Buchenwald nach Theresienstadt und schließlich nach Auschwitz kommt, während der andere als ukrainischer Partisan beim Massenausbruch von Sobibor teilnimmt und die Familie gleichzeitig noch bekannt ist mit einem Organisatoren des Holocaust, ist mehr als unwahrscheinlich, trotzdem ist die Geschichte, obwohl die Protagonisten erfunden sind, auf einer gewissen Ebene wahr. Das was den fiktiven Familien Dorf und Weiss passiert, haben tatsächlich vielen Menschen erlebt und der Film, obwohl seinerzeit bahnbrechend, schont uns Zuschauer ja sogar noch (ohne zu verharmlosen). Da endet die künstlerische Freiheit dann aber bei solchen Filmen schon.
Wenn also Antisemitismus in der Armija Krajowa kein Thema gewesen wäre, dann würde es sich verbieten, ihn darzustellen.
 
Richtig, das ist bei mit eine fokussierte, nur eingeschränkte Sicht.
Der Grund liegt darin, weil dieser Rechtstreit (und sein Ergebnis) Austrahlungswirkung auf andere Debatten hat.

Das ist mE falsch, und gerade diese Einschränkung war mir wichtig. Die juristische Konfrontation ist ungeeignet, für andere Dispute "ausgeschlachtet" zu werden.
 
Die gestrige Nachricht hat nur indirekt etwas mit UMUV zu tun. Sehr wohl aber mit der Kritik an UMUV aus Polen. Wir haben ja breit darüber diskutiert, ob UMUV mit dem Verweis auf polnischen Antisemitismus die deutschen Verbrechen relativieren würde. Ich kann das bei UMUV nicht erkennen, das dem so wäre.

Nun hat die polnische Stiftung Reduta Dobrego Imienia (Festung des guten Namens, Gründer: Maciej Świrski, PiS) via der Nichte eines Ortsvorstehers, der von zwei polnischen Historikern, Barbara Engelking und Jan Grabowski in einem Nebensatz ihres Buches Dalej jest noc (2018)* bezichtigt wird, den Deutschen bei der Vernichtung der Juden zugearbeitet zu haben, erfolgreich gegen diese beiden Historiker geklagt. Zwar wollten die Anwälte der Stiftung für die offizielle Klägerin 100.000 Zloty (22.500 €) Schmerzensged herausschlagen, was ihnen nicht gelungen ist, die Historiker müssen aber dennoch öffentlich Abbitte leisten.

Die Holocaust-Gedenkstätte Yad va-Shem zeigte sich in einer ersten Stellungnahme entsetzt über das Urteil, das eine freie Holocaust-Forschung in Polen wesentlich erschweren würde.

*Mitverfasser, aber offenbar nicht mitangeklagt war Dariusz Libionka
 
Dazu eine Stellungnahme aus der NYT:

But the judge, Ewa Jonczyk, rejected a demand for damages of $27,000 by the niece, Filomena Leszczynska, who was supported in her legal action by a partly state-funded organization dedicated to protecting the “good name of Poland and that of the Polish nation.”

Judge Jonczyk said she had ruled against awarding damages because court decisions “should not have a cooling effect on scientific research.” She also rejected a demand that the apology describe the wartime mayor of Malinowo village, Edward Malinowski, as a “Jew-saving hero.” The book had portrayed him as a thief and Nazi collaborator.

The libel case has caused alarm among Jewish groups and scholars around the world, who worry that Poland’s nationalist government, led since 2015 by the conservative Law and Justice party, wants to curb independent research into the Holocaust. The government has denied any involvement in the case.


Die Privatkläger wurden von der Anti-Diffamierungs-Liga unter-/gestützt, nicht von Behörden.

Ich verstehe die Aufregung und die Politisierung nicht ganz. Selbstverständlich müssen sich Nachkommen wehren können, wenn wissenschaftliche Forschung Fehler enthält, die Personen/Handlungen betreffen. Das bleibt auch nicht etwa exklusiv dem rezensierenden und disputierenden Forschungsbetrieb vorbehalten.

Irgendwelche Aussagen sind nicht deshalb dem Rechtsweg auf Untersagung entzogen, nur weil sie in einem wissenschaftlichen Werk publiziert werden.

Im Übrigen lässt das Urteil der Richterin offenbar die übrigen desaströsen Aussagen zu der verstorbenen Person (Bürgermeister) als Dieb und Kollaborateur unangetastet.

Das Urteil ist damit eher ein Spiegel der Politisierung und gesellschaftlichen Eskalation, nämlich deshalb, weil gegen so etwas geklagt wird, anstatt fachliche Korrekturen abzuwarten oder anzustreben.

Insofern ist das auch eine andere Hausnummer als die Diskussion über irgendeinen Fernsehserien-Quark.
 
Das Urteil ist damit eher ein Spiegel der Politisierung und gesellschaftlichen Eskalation, nämlich deshalb, weil gegen so etwas geklagt wird, anstatt fachliche Korrekturen abzuwarten oder anzustreben.

Insofern ist das auch eine andere Hausnummer als die Diskussion über irgendeinen Fernsehserien-Quark.

Die Diskussion über den Fernsehserien-Quark und die Klage hier kommt aus derselben Ecke.

Als deutscher, israelischer oder argentinischer Autor (es war zunächst eine argentinische Zeitung, die von Reduta Dobrego Imienia (RDI) angegriffen wurde) kann es einem relativ egal sein, was die RDI meint. Aber für polnische Historiker besteht die Gefahr in solchen Gerichtsprozessen darin, dass sie von Angehörigen zweiten und dritten Grades plötzlich belangt werden können unter der Androhung ganz massiver Geldstrafen. Das dürfte zufolge haben, dass polnische Historiker oder Historiker, die in polnischen Archiven arbeiten wollen, auf Dauer sehr viel zurückhaltender sein werden, um sich nicht dem Shitstorm durch die RDI und eventuellen Klagen auszusetzen.
 
Hier noch zu dem Gerichtsverfahren einige Artikel aus der Presse:

Prozess in Polen: Holocausthistoriker müssen sich entschuldigen
Poland orders Holocaust scholars to apologize in case that could muzzle research
Polish Holocaust scholars on trial for suggesting mayor helped kill 22 Jews
Geschichte vor Gericht

Es geht um den Fall des Dorfschulzen Malinowski. der laut dem Buch von Engelking/Grabowski Juden verraten haben soll.


So weit ich das aus den Artikeln entnehmen kann, wurde dieser Dorfschulze Malinowski 1950 von dem Vorwurf, er habe Juden verraten, vor einem Gericht in Polen freigesprochen. Als Zeugin in diesem Gerichtsverfahren war auch die Jüdin Wiltgren vertreten, die zu seinem Gunsten ausgesagt hat. Mit Hilfe von Malinowski konnte sie während des Krieges sich mit falschen Papieren sich vor der Judenverfolgung retten. 1996 hat sie in einem Interview allerdings auch ausgesagt, dass Malinowski sich die Hilfe hat bezahlen lassen, und dass er darüberhinaus auch für den Verrat an den Juden veranwortlich sei.

Vermutlich wird sich wohl der wahre Sachverhalt nicht mehr aufklären lassen.
 
Man muss bei der Entwicklung der Lage in Polen und dem Einfluss, den die PiS(s) sowohl auf die Rechtsprechung eierseits als auch auf die Geschichtsforschung und -darstellung andererseits ausübt (siehe auch den Umgang mit dem Muzeum II Wojny Światowej (Museum zum Zweiten Weltkrieg) und seinem Gründungsdirektor Paweł Machcewicz), dieses Urteil beinahe schon mutig nennen.
 
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