Untergang des römischen Reiches

Ein paar kleine Korrekturen:

der Name Comitatenses kommt nicht von den Kommandanten des mobilen Heeresteil sondern von der Tatsache, das es ursprünglich nur eine Armee gab (die den Kaiser begleitete) die keinen fixen Standort hatte. Daher waren diese Soldaten die Begleiter (comitatenses) des Kaisers. Eingeführt von Gallienus oder um seine Zeit nahm die Anzahl dieser Armeen jedoch rasch zu, so dass im 4. Jahrhundert mehrere Armeen im Reich gab. Komandiert wurden die mobilen Heere nicht von einem magister militum sondern von einem comes.
Magister equitum bzw. magister peditum stellten dabei anfangs den Oberbefehl über die Reiterei bzw. Infanterie. Mit Zunahme der comitatensischen Heere wurde im magister militum der Oberbefehl über die in den nun eingerichteten Diöszesen stationierten Truppen übertragen.
Dieser Grund spricht auch etwas gegen die Annahme das durch eine Aufteilung der Truppen eine Usurpation unterbunden werden sollte, denn das war nur für die Zeit Gallienus möglich. Schon Konstantin wurde eben durch die Truppen zum Kaiser ausgerufen und das war nur gute 50 Jahre nach der Reform.
 
Richtig, war unscharf formuliert, auch durch einen zu großen zeitlichen Sprung (comes . magister militium) als Zeitraffer.
Dabei wäre anzumerken, dass Konstantin durch die Truppen seines Vaters zum Kaiser ausgerufen wurde, der zu jenem Zeitpunkt ein augustus der Tetrarchie war. Diese Usurpation erklärt sich m.E. eher durch den Gegensatz von Tetrarchie mit traditionellen dynastischen Vorstellungen. Letztlich eine Grundkrise der Tatrarchie als Regierungsform. Die alten duce hatten erheblich kleinere Truppen und Gebiete zu kommandieren als die späteren magister militium der Diozösen (wobei es duce weiterhin gab!).
Die Vorgänge sind recht kompliziert, nicht zuletzt da die Militärreformen in den Zeiten der Soldatenkaiser (Gallienus) begannen, in der Tetrarchie eine starke Ausprägung bekamen und schließlich in der Zeit der konstantinschen Dynastie im Wesentlichen abgeschlossen wurden. Das sind nicht nur Änderungen von Regierungen, sondern deutlich andere Regierungsformen, was sich natürlich auch auf das Militär auswirkten und die ebenfalls in den von dir angesprochenen, rund 50 Jahren stattfanden!
 
27 v. Chr. -> 395 = 422
395 -> 476 = 81
395 -> 1453 = 1058
800 -> 1806 = 1006
1472 -> 1917 = 445

staatsrechtliche Dauer des Römischen Reichs:
eine Einheit: 422 Jahre (27 v.Chr. - 395)
Westlicher Reichsteil: 1087 Jahre (81 + 1006)
Östlicher Reichsteil: 1503 Jahre (1058 + 445)
Längste Dauer: 1925 Jahre (422 + 1502)

--> Westrom 1509 Jahre
--> Ostrom 1925 Jahre

Außer den Pharaonen besitzt das Römische Reich wohl die längste (fast) kontinuierliche imperiale Tradition der Weltgeschichte.[FONT=&quot]
[/FONT]

In dieser Darstellung finde ich mich wieder:

Byzanz war kein neuer Staat, und die byzantinische Geschichte stellten auch keinen Neuanfang dar, sei er nun auf revolutionäre Weise oder auf dem Weg der Evolution erfolgt. Byzanz war Rom! Seine Kaiser konnten sich in ungebrochener Tradition bis auf Caesar und Augustus zurückführen, ja einige seiner Institutionen und Traditionen reichten noch weiter zurück bis in die Anfänge der römischen Republik. Und so war es auch natürlich, daß die Byzantiner sich selbst als Römer fühlten und auch so bezeichneten: Ihr Reich war die Basileia ton Rhomaion, was nichts anderes ist als die griechische Entsprechung des lateinischen Imperium Romanum, eben des Römischen Reiches. Dieses Reich, für das wir erst seit der Neuzeit den Namen „Byzanz“ benutzen, war auch nicht das Ergebnis einer Teilung des Römischen Reiches, denn dieses Reich ist nie geteilt worden. Es wurde nur im vierten Jahrhundert administrativ in zwei große Teile gegliedert, die ihrerseits wieder unterteilt wurden, weil sein Herrschaftsgebiet zu umfangreich geworden war, als daß man von einem einzigen Zentrum aus die immer zahlreicher werdenden Probleme an den verschiedenen, weit auseinander liegenden Grenzen hätte lösen können. Aber jeder Bewohner dieses Reiches, ob im Osten oder Westen, Norden oder Süden, fühlte sich als Römer, als Romanus, oder eben, wie ein Grieche es ausgedrückt hätte, als Rhomaios. Rom war im Bewußtsein des frühen Mittelalters keineswegs untergegangen, sondern hat fortgelebt, wenn auch in einem 7 geographisch reduzierten Rahmen. Das wurde auch von den germanischen Staaten, die auf dem Boden des untergegangenen weströmischen Reichsteils entstanden waren, so gesehen. – Diese Tatsache und ebenso das Wissen um diese Tatsache stellte den Kaiser in Konstantinopel in eine nachgerade einzigartige Tradition und verlieh ihm ein Übergewicht über alle anderen Herrscher des frühen Mittelalters, das von diesen auch mehr oder weniger ausnahmslos anerkannt wurde. Die Begründung für diese Ausnahmestellung ist relativ einfach: Rom war in jedem, und zwar in jedem nur denkbaren Bereich einzigartig gewesen: in seiner Größe wie in seiner Macht, in seinem Alter wie in seiner Kultur. Außerhalb Roms gab es nichts, was ihm gleichkam. Rom umfaßte, von dem fernen und für den Römer ohnehin unbegreiflichen Orient einmal abgesehen, die ganze bewohnte Welt, die Oikoumene im eigentlichen Wortsinn. Rom bildete zugleich den Höheund Endpunkt einer ganzen Epoche. In ihm fand sich die gesamte antike Kultur, lebte nicht nur das Lateinische, sondern auch das Griechische, die Verkehrssprache der Gebildeten im Reich. Ein weiterer Punkt darf gleichfalls nicht unterschätzt werden. Für das Christentum war dieses Reich nachgerade unverzichtbar! Seine Existenz erst schuf die Möglichkeit zur raschen Ausbreitung des christlichen Glaubens. In ihm lebten die Kirchenväter, hatte Konstantin der Große den Siegeszug der Kirche zu seinem eigenen gemacht und das Schicksal des Reiches mit dem neuen Glauben verbunden. Für viele Christen der ausgehenden Antike und des beginnenden Mittelalters war die Vorstellung, daß Rom untergehen könnte, gleichbedeutend mit dem Weltende und der Ankündigung des Jüngsten Gerichts. Ob diese Glorifizierung Roms tatsächlich berechtigt war, brauchen wir nicht zu untersuchen. Entscheidend ist, daß man es in der Spätantike und im frühen Mittelalter, bewußt oder unbewußt, so empfunden hat. Und dadurch, daß Rom eben der Kulminationspunkt einer ganzen Epoche gewesen war, der in dieser Ausschließlichkeit nie wieder erreicht worden ist, 8 mußte es demjenigen, der dieses Reich verkörperte, ja der es war, wenn auch nur noch in Teilen, einen Nimbus verleihen, dem kein anderer Herrscher etwas Gleichwertiges entgegensetzen konnte. Und eben dieses Römische Reich verkörperte Byzanz, auch als die Stadt Rom selbst nicht mehr seine Hauptstadt bildete, sondern Konstantinopel – das „neue Rom“, das von Konstantin an der Stelle des alten Byzantion gegründet worden war und das Last und Ehre Roms übernahm: die Tochter, die die erschöpfte Mutter ablöste. Und so war auch der byzantinische Kaiser kein Nachfolger oder gar Erbe des römischen Kaisertums, sondern der byzantinische Kaiser war der römische, in einer direkten, ununterbrochenen Sukzession von Caesar und Augustus bis hin zu Konstantin XI. Palaiologos im 15. Jahrhundert. Diese Tatsache blieb für alle, vor allem aber natürlich für die Einwohner des byzantinischen Reiches selbst, durch lange Jahrhunderte hindurch eine Selbstverständlichkeit. Sie bestimmte als quasi unumstößliche Realität das Bewußtsein eines jeden Byzantiners, wann und wo er auch lebte, und verlieh seiner Existenz unter allen Völkern der Welt eine besondere und einzigartige Qualität. Das daraus resultierende Selbstbewußtsein wiederum befähigte ihn, die Rückschläge und Niederlagen, die Byzanz in der wirklichen Welt hinnehmen mußte, zu verdrängen und auf die Angriffe von außen mit einer an Hochmut grenzenden Nichtachtung zu reagieren.[FONT=&quot] [/FONT]
 
Wirklich? Der Text von Ralph-Johannes Lilie sieht allein in Byzanz die Weiterführung des römischen Reiches - was ziemlich unbestritten ist. Du dagegen nimmst das HRR und das Zarenreich mit ins Boot. Ich sehe da sehr große Unterschiede zwischen Euch beiden.

Natürlich nur soweit er auf Byzanz als Rom Bezug nimmt, da das "Byzantinische Reich" wie allgemein bekannt eine neuzeitliche Erfindung der Geschichtswissenschaft ist.

Die fränkischen und russischen Ansprüche thematisiert er ja nicht weiter, aber die halte ich aus genau denselben Gründen für gerechtfertigt, nämlich daß damals deren Rechtsnachfolge-Ansprüche auf das Römische Reich weithin anerkannt wurden. Das wiegt für mich unendlich mehr als die bornierte Einstellung mancher zeitgenössischer 'Historiker', die ganzen Epochen und Staatswesen das eigene Selbstverständnis absprechen wollen.
 
Was die Rechtsnachfolge des Römischen Reiches angeht tue ich mich immer ein bisschen schwer.
Am ehesten denke ich, trifft das auf Byzanz zu, weil wir hier noch die Fortführung des oströmischen Kaisertums haben und das Territorium dasselbe ist. Im Westen sind es wahrscheinlich noch am ehesten die Franken, weil sie am längsten auf römischem Gebiet siedelten (seit dem 4. Jahrhundert) und nach dem Untergang Roms dessen Verwaltungsstrukturen in großen Teilen übernahmen und fortführten. Zwischen Rom und dem HRR kann ich keinerlei Bezug herstellen - vom Namen vielleicht mal abgesehen, weil wir hier sowohl ein anderes Gebiet als auch eine gänzlich andere Kultur haben. Gleiches trifft auf das russische Zarenreich zu. Das könnte man höchstens noch als Nachfolger des Byzantinischen Reiches als wichtigstes Land des orthodoxen Christentums betrachten.
 
Gleiches trifft auf das russische Zarenreich zu. Das könnte man höchstens noch als Nachfolger des Byzantinischen Reiches als wichtigstes Land des orthodoxen Christentums betrachten.

Genau so definierten ja auch die ollen Zaren ihre Nachfolge: Moskau sollte nach Rom und Konstantinopel das Dritte Rom - und zwar das Letzte sein.
Inwiefern das gewichtiger ist als ein Anspruch Kaiser Karls des Großen oder eines Kaiser Otto bleibt mir schleierhaft. Genauso warum die Ansprüche fränkischer Könige auf die Kaiserkrone begründeter sein sollte als jene des HRR....
Das antike Römische Reich hat in seiner Geschichte manche Veränderungen mitgemacht und überlebt. Das oströmisch/byzantinische Reich war eine Fortsetzung dieser Geschichte ohne wesentlichen Brüche, während die übrigen Ansprüche auf Kontinuität eher auf eine integrierende Reichsidee, oder christliche Traditionen zurückgreifen mussten. Es gab hier und da relativ fließende Übergänge (zu den germanischen Nachfolgereichen etwa), doch keine wirkliche staatliche oder institutionelle Kontinuität.
 
Ich habe vor Kurzem von einer recht bizarren Theorie über den Untergang Roms gelesen, die in den 40er und 50er Jahre herumgeisterte.

Laut einem Historiker namens Fritz Kaphan soll die römische Bevölkerung ab dem 3. Jahrhundert zunehmend einer allgemeinen "Verkrankung" zum Opfer gefallen sein.

Zum einen sollen physische Erkrankungen wie zahlreiche Pestepidemien ihren Tribut gefordert und zahllose Landstriche entvölkert haben.

Zum anderen stellt Kaphan eine geistige Degeneration fest, die durch schwere "seelische und geistige Störungen" hervorgerufen wurde, und zu einem Zusammenbruch der "volklichen Substanz" geführt haben soll. Die antike Menschheit soll deshalb in Melancholie versunken sein und jegliches Interesse an ihrer Außenwelt verloren haben.

Bevölkerungschwund, der durch Epidemien hervorgerufen wird, und der damit einhergehende wirtschaftliche Niedergang klingen wenigstens noch halbwegs nachvollziehbar aber diese psychologischen Thesen wirken doch recht suspekt.
Dennoch interessant, worauf die Menschen früher alles gekommen sind, um sich geschichtliche Ereignisse zu erklären.

Grüße Cato
 
Genau so definierten ja auch die ollen Zaren ihre Nachfolge: Moskau sollte nach Rom und Konstantinopel das Dritte Rom - und zwar das Letzte sein.

Soweit ich weiß wurde die Tochter des byzantinischen Kaisers dem Großfürsten der Kiewer-Rus zur Frau gegeben. Vielleicht sah man auch darin einen Vertretungsanspruch Roms durch die Zaren.
Wladimir I. ? Wikipedia
Hätte dann aber nach dem Ende der Linie der Rurikiden enden müssen und eigentlich nicht Moskau, sondern Kiev sein sollen.
 
Ich habe vor Kurzem von einer recht bizarren Theorie über den Untergang Roms gelesen, die in den 40er und 50er Jahre herumgeisterte.

Laut einem Historiker namens Fritz Kaphan soll die römische Bevölkerung ab dem 3. Jahrhundert zunehmend einer allgemeinen "Verkrankung" zum Opfer gefallen sein...

Aus dem Zeithorizont heraus kann man einige dieser Schlußfolgerungen wohl erklären und damit relativieren. Dabei stellt sich jedem vor allem die Frage, warum den "Barbaren" dann der Pest und andere Erkrankungen nicht ebenfalls zugesetzt haben sollten? Insbesondere wandernde Völker, besonders römische Foederaten die von Römern versorgt wurden, sollten doch ganz besonders anfällig für Krankheiten sein oder nicht?

@Drittes Rom:
Ein größerer Komplex, den wir hier vielleicht nicht wirklich diskutieren müssten.... Aber zur Einstimmung gibts auch dazu ein Wiki-Artikel, der weiter ausgreift als der Bezug zu Wladimir:

Drittes Rom ? Wikipedia
 
Aus dem Zeithorizont heraus kann man einige dieser Schlußfolgerungen wohl erklären und damit relativieren. Dabei stellt sich jedem vor allem die Frage, warum den "Barbaren" dann der Pest und andere Erkrankungen nicht ebenfalls zugesetzt haben sollten? Insbesondere wandernde Völker, besonders römische Foederaten die von Römern versorgt wurden, sollten doch ganz besonders anfällig für Krankheiten sein oder nicht?

Das habe ich mich auch gefragt. Aber laut dieser These beschränkte sich diese "Krankheit" nur auf die Bewohner des Reiches. Allerdings gab es auch hier einige Ausnahmen. Vor allem bedeutende Römer wie etwa Aetius sollen laut Kaphan immun dagegen gewesen sein.

Laut der Argumentation konnten die Germanen schon wegen ihrer Wesensart nicht infiziert werden. Diese ganzen Ausführungen sind etwas germanenverherrlichend und für uns heute kaum nachvollziehbar. Trotzdem finde ich das Buch interessant, weil man gut sieht wie sich die Germanen-Forschung entwickelt hat und wie lange sich diese Vorstellungen von den "blonden Recken" auch in der Fachwelt gehalten hat.
 
Was sind die Ursachen weslhalb die germanischen Reiche auf den Boden des Weströmischen Reiches keine lange Dauer halten?
 
Das stimmt so doch gar nicht. Das Westgotenreich überdauerte immerhin fast 300 Jahre, das der Franken im Grunde genommen bis heute, das der Langobarden auch etwa 200 Jahre.
Aber die beiden Hauptprobleme waren wohl, dass die germanische Herrenschicht zahlenmäßig relativ klein war und obendrein oft in religiösem Gegensatz (Arianismus gegen Katholizismus) zu den romanischen Untertanen stand.
 
Sowohl die Westgoten als auch die Langobarden haben aber im Laufe des 6. Jahrhunderts den katholischen Glauben abgenommen, was ihre Integration in die romanische Bevölkerung begünstigte; ob im 8. Jahrhundert, als beide Reiche zugrunde gingen, es überhaupt noch "Westgoten" bzw. "Langobarden" in dem Sinne gegeben hat, ist daher schwer zu sagen. Als Ursache für ihren Untergang fallen sie jedoch weg. Den "konfessionellen" Unterschied als Urgrund für das Ende eines Germanenreiches sehe ich höchstens bei den Vandalen, deren arianische Könige die katholische Bevölkerung unterdrückt hat - ein willkommener Zeitpunkt für die Byzantiner und Belisar, dort einzugreifen und ihrem Reich den Garaus zu machen. Auf die Ostgoten trifft dieses Szenario vielleicht auch noch zu.

Das Westgotenreich ging durch den Einfall der Mauren 711 zugrunde, das der Langobarden wurde 774 von Karl dem Großen besiegt (der nun seinerseits den Titel eines Königs der Langobarden annahm, den es noch lange geben sollte). In beiden Reichen hat es tatsächlich Reibereien in der Führungsschicht gegeben, häufig einander abwechselnde Könige, was wohl der Grund für den jeweiligen Untergang gewesen sein wird. Interessanterweise ging es aber in beiden Fällen relativ schnell, ohne einen lange anhaltenden Krieg.
Pelagius (oder auch Pelayo) aus der westgotischen Führungsschicht organisierte aber eine Art Widerstand gegen die Mauren, aus dem dann das Königreich Asturien hervorging; es besteht eine direkte Kontinuität zum heutigen Spanien (wobei die Existenz Pelayos meines Wissens in der Forschung umstritten ist).
Und auch nach Karl dem Großen blieb das Königreich der Langobarden (bzw. das regnum italiae, wie es häufig auch genannt wurde) theoretisch unabhängig; Otto der Große hat sich noch als "rex francorum et langobardorum" bezeichnet. Ebenso bestanden die langobardischen Herzogtümer Spoleto und Benevent noch im Hochmittelalter - weitgehend unabhängig von fremden Mächten.
Die Reiche der Angelsachsen, die sich dann irgendwann vereinigten, sind übrigens auch erst 1066 "untergegangen", wenn man denn so will, wobei auch hier gewisse Kontinuitätslinien fortbestanden. Also ein weiteres germanisches Reich, das nicht so schnell zugrunde gegangen ist.
 
Vor kurzem habe ich das interessante Buch von Peter Heather zum Untergang des (West-)Römischen Reichs gelesen und bin dann einigen der vielen Ideen und Ansätzen zu diesem hochintessanten Thema in diesem Forum gefolgt.

Ich finde es bemerkenswert, dass Heather annimmt, dass das Weströmische Reich militärisch bis sehr nahe an sein Ende handlungsfähig blieb und bis in die 460er Jahre hinein die Fähigkeiten besessen hätte, sich zu "retten". Letztendlich brach ihm der Verlust Nordafrikas und seiner Einkünfte an die Vandalen das Genick (429-439), als Endglied einer Kausalkette die von der ersten Invasionswelle der Hunnen auf den Nordostbalkan in den 370er Jahren ausgelöst wurde. Allerdings gab es bis 468 mehrere vielversprechende Versuche Westroms (unterstützt durch Ostrom) Nordafrika zurückzugewinnen. Das diese scheiterten lag nicht nur an militärischer und wirtschaftlicher Schwäche, sondern auch schlicht an Kriegsglück auf Seiten der Vandalen. Allerdings beschleunigte natürlich jede Niederlage auch die Abwärtsspirale und Verluste konnten nicht mehr ausgeglichen werden.

Innere Schwächen, "spätrömische Dekadenz" und "Fäulnis" wie sie seit Gibbon immer wieder ins Feld geführt werden, sieht Heather offenbar nicht als maßgebliches Problem. Tatsächlich dürfte das System der magistri militae als de-facto-Herrscher relativ belastungsfähig gewesen zu sein - es waren Männer praktischen Sachverstands mit Felderfahrung, die den Respekt ihrer Truppen genossen. Die Schwäche der weströmischen Kaiser des 5. Jhdts. dürfte für das Gesamtsystem kaum eine Rolle gespielt haben, solange sie sich auf ihre mehr zeremonielle-symbolische Rolle beschränkten. Daher war es ja auch verheerend, als Valentinian III. sich plötzlich emanzipieren wollte und Aetius ermordete (454), einer der fähigsten Männer die dem Reich zur Verfügung standen.

Drei Aspekte würden mich aber besonders interessieren:

- Welche Rolle spielte die Tatsache, dass viele magistri militae germanischer Herkunft waren? Wollten sie vielleicht aufgrund überkommener Bande manche Konflikte mit den germanischen Invasoren des 4.-5. Jhdts. mit mehr Konsens lösen als notwendig? Waren sie Rom gegenüber kompromisslos loyal, wenn es gegen ihre ethnischen Wurzeln ging? Betrachteten sie sich 100%ig als Römer?

- Was bedeutete die Gewährung des Bürgerrechts für alle freien Reichseinwohner durch die Constitutio Antoniniana Caracallas für die Wehrhaftigkeits und Identitätsstiftung des Reichsgedankens? Der Wegfall des Bürgerrechts als Lohn für treue Dienste in der Armee dürfte es für viele Nichtrömer relativ entwertet haben. Und die Römer verloren einen Teil ihres elitären Status, der sicherlich ein wichtiger Leitgedanke für die Reichseinheit war.

- Was passierte während der Severer-Dynastie? Putschversuche und Usurpationen gegen den Princeps hatte es spätestens seit Tiberius immer wieder gegeben und konnten keinen etablierten Kaiser ernsthaft bedrohen. Diese wahrten stets die Autorität über den größten Teil der Reichstruppen. Wieso verlor Severus Alexander sie? War es wirklich nur persönliche Schwäche und politisches Unvermögen? Ganz entscheidend war wahrscheinlich auch der völlige Machtverlust des Senats. Letztendlich konnte nach dem Präzendenzfall des Maximinus Thrax jeder versuchen, sich zum Kaiser zu erheben, der genug Truppen hinter sich versammelte - eine Legitimation durch den Senat und das Volk wurde völlig überflüssig. Die Schwächung des Reichs durch permanente Bürgerkriege dürfte nicht seinen Untergang direkt ausgelöst haben, aber es den Germanen erlaubt haben, das Reichsgebiet dauerhaft zu infiltrieren - ein Vorgang der durch die Anwerbung und den "Import" von germanischen Söldnern durch verschiedene Bürgerkriegsparteien noch verschärft wurde. Die Verwüstung Galliens und Hispaniens als Folge der gewaltigen Invasion 406/407, und damit letztendlich auch der Fall Nordafrikas an die Vandalen, dürfte ohne die massive Bindung von Truppen in inneren Konflikten kaum möglich gewesen sein (die jahrhundertelange Garnisonsstadt Mainz, wahrscheinlich das "Einfallstor" der Germanen, soll von Truppen völlig entblößt gewesen sein und im gesamten gallischen Hinterland gab es nichts, was die "Barbaren" aufhielt...).

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:cool: Maximinus
 
Die Verwüstung Galliens und Hispaniens als Folge der gewaltigen Invasion 406/407, und damit letztendlich auch der Fall Nordafrikas an die Vandalen, dürfte ohne die massive Bindung von Truppen in inneren Konflikten kaum möglich gewesen sein (die jahrhundertelange Garnisonsstadt Mainz, wahrscheinlich das "Einfallstor" der Germanen, soll von Truppen völlig entblößt gewesen sein und im gesamten gallischen Hinterland gab es nichts, was die "Barbaren" aufhielt...).

Hier sollte man vor allem die verheerenden Auswirkungen der Schlacht am Frigidus (394) beachten. Nach einer der blutigsten Schlachten der römischen Geschichte existierte im Westreich nur noch ein Rumpfheer, welches mit der Verteidigung überfordert war. Zwar schaffte Stilicho :)winke:) eine gewisse Stabilisierung, doch war er mit der Verteidigung Italiens gegen Radagaisus und Alarich genügend beschäftigt, eine Aufstockung der Truppen am Rhein oder in Gallien stand nicht mehr zur Diskussion.
Nach der Ermordung des Stilicho :)motz:) wandte sich auch der inzwischen mit ihm Verbündete Alarich wieder gegen Westrom, Honorius schlug in völliger Verkennung der Lage einige Friedensangebote der Westgoten aus.

An "römischer" Armee war im Westreich kaum noch etwas vorhanden und es gelang auch in der Folge nicht mehr, die Haupteinheiten der Goten wieder auf die römische Seite zu ziehen.

Die Frage ist, ob diese Entwicklung in vorderster Linie eine Folge der Unfähigkeit des Honorius ist, ob unter einer geschickteren Führung eine
Restauration nach der Frigidusschlacht möglich gewesen wäre.

Allerdings erscheint dies nach dem Verlust Galliens und Spaniens mehr als fraglich. Nominell blieb dies zwar noch weströmisches Gebiet, großartige Einnahmen dürften aber nicht mehr hereingekommen sein. Diese gingen an die Westgoten bzw. die Vandalen, Sueben und Alanen. Schon damit fehlten die Mittel, eine schlagkräftige Armee wieder aufzubauen, man war auf "billige" Germanensöldner angewiesen, um wenigstens den Schein zu wahren. Nach dem Verlust Nordafrikas reichte auch dazu das Geld nicht mehr.


 
Innere Schwächen, "spätrömische Dekadenz" und "Fäulnis" wie sie seit Gibbon immer wieder ins Feld geführt werden, sieht Heather offenbar nicht als maßgebliches Problem.

Das sehen die meisten Historiker allerdings anders. Der Untergang Westroms ist ein vielschichtiges und mehrdimensionales Problem, bei dessen Entwirrung Schlachten und Armeen nur einen Faktor von mehreren bilden.

In der Spätantike und im Mittelalter sah man mögliche Erklärungen im Verfall alter römischer Werte und Tugenden und in der Vergänglichkeit irdischer Macht. Ein Staat, so glaubte man, würde wie ein lebender Organismus nach der Geburt einen kraftvollen Höhepunkt erreichen, schließlich aber dem Zerfall und einem unaufhaltsamen Tod entgegengehen (Dekadenztheorie).

Dieses Denken in moralischen und christlichen Kategorien hat die moderne Geschichtswissenschaft natürlich in vieler Hinsicht erweitert. Heute besteht kein Zweifel daran, dass soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme des spätantiken römischen Staats ebenso für seinen Niedergang verantwortlich sind, wie die äußere Bedrohung durch die germanische Völkerwanderung.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Niedergang der Landwirtschaft und eine unerhörte steuerliche Belastung, die die Kosten der Reichsverteidigung und andere staatliche Leistungen aufbringen sollte. Die Steuerreform des Diokletian verstärkte den Druck auf die Reichsbewohner, die sich inzwischen einer übermächtigen Bürokratie und unerträglichen Steuerlast gegenüber sahen. Besonders hart traf es die Landpächter, die Kolonen. Zur Verhinderung der Landflucht fesselte sie der Staat durch Gesetze an die Scholle und erzwang damit - oft vergeblich - die Bebauung des Landes und Steuerzahlungen.

Die städtischen Eliten verarmten inzwischen, da der Staat alle Leistungen auf die Kommunen abzuwälzen suchte und dafür städtische Senate und Bürgermeister in Haftung nahm. Das führte schließlich dazu, dass sich niemand mehr für den römischen Staat verantwortlich fühlte, der nur noch als immense Belastung im täglichen Leben wahrgenommen wurde.

Als nach dem Hunneneinfall germanische Völker auf die Reichsgrenzen vorrückten, trafen sie im Raum des Weströmischen Reichs auf eine zerrüttete Landwirtschaft mit unzureichender Nahrungsbasis, stellenweise entvölkerte Regionen mit unbebauten Äckern sowie niedergehende Städte. Die Armee bestand sowohl diesseits als auch jenseits der Reichsgrenze aus vielfach unzuverlässigen Barbaren - abgesehen von den Führungskadern - , und an der Spitze des Staates standen entweder Kinderkaiser, die oft korrupte oder unfähige Vormünder hatten, oder rasch wechselnde Kaiser von Gnaden des Militärs.

Diese totale Desintergration Westroms, hervorgerufen durch unterschiedliche Faktoren, bewirkte damit zwangsläufig seinen Untergang. Es ist bezeichnend, dass das Oströmische Reich, das innenpolitisch und wirtschaftlich stärker gefestigt war, noch eine weitaus längere Lebensdauer hatte.
 
Ich möchte noch ein paar Kleinigkeiten ergänzen, um aufzuzeigen, wie komplex die Ursachen für den Untergang des Westreiches waren:

Ein Punkt, der mir sehr wichtig erscheint, der aber in den einschlägigen Darstellungen nie angesprochen wird, ist folgender: Die Oströmer verstanden es immer wieder, potentielle Invasoren (Westgoten, Hunnen, Ostgoten) durch Diplomatie, Tribut und Bestechung nach Westrom umzulenken, frei nach dem Florianiprinzip. Das wurde aber freilich nur möglich, weil das oströmische Reich über mehr reiche Provinzen verfügte als der Westen und daher mehr Tribut und Bestechungsgelder aufbringen konnte. Die Grenzverteidigung gegen Hunnen und Germanen war jedenfalls nicht besser, der Balkan stand denen nahezu ungehindert offen. Hilfreich war natürlich auch, dass es im 5. Jhdt. gelang, mit den Persern, abgesehen von einem Krieg unter Theodosius II., weitgehend Frieden zu halten. Außerdem hatten die Sassaniden ihr eigenes Hunnenproblem, in ihrem Fall halt mit den Weißen Hunnen.

Ein Grund für den Untergang war auch, dass die Integration der Barbarenvölker nicht mehr funktionierte. Germanen waren schon in früheren Jahrhunderten auf dem Reichsgebiet angesiedelt worden, aber in der Spätantike waren es dann ganze Stämme, denen die Römer notgedrungen die Ansiedlung erlaubten und die auch formal die römische Herrschaft anerkannten, aber faktisch nicht zu kontrollieren waren, wie z. B. die Westgoten.
Aber da waren die Germanen nicht das einzige Problem: Auch römische Potentaten regierten zunehmend in verschiedenen Reichsteilen mehr oder weniger selbstständig und scherten sich nicht mehr viel um die Zentralmacht, wie z. B. Bonifatius in Nordafrika oder später Aegidius in Nordwestgallien. Da kam ihnen natürlich die Schwäche der Kaiser entgegen.

Ein wichtiger Grund waren auch die innerrömischen Bürgerkriege: Die Nordgrenze des weströmischen Reiches brach in der Nacht vom 31.12.406 zusammen, als die Wandalen, Alanen, Sueben und Alemannen den zugefrorenen Rhein überquerten. Da wurde eine entschlossene Abwehr durch den Umstand erschwert, dass die Feldherrn des unfähigen Westkaisers Honorius gerade damit beschäftigt waren, die Gegenkaiser Gratianus und Konstantin III. zu bekämpfen. Die Westgoten griffen dann auch aktiv in die Thronkämpfe ein, indem sie z. B. den Gegenkaiser Attalus unterstützten.

Ein großes Unglück war, wie von Maximinus schon angedeutet, das Scheitern der Wandalenexpedition des Basiliskos: Der Verlust Africas an die Wandalen war mit ein Grund für den Niedergang des Weströmischen Reiches, da Rom von den dortigen Getreidelieferungen abhängig war. Wie ernst dieses Problem war, zeigen die Rückeroberungsversuche: Schon Kaiser Maiorianus bereitete eine Invasion vor, die aber mit der Vernichtung der Invasionsflotte bei Karthago Nova scheiterte. Dann kam es unter den Kaisern Anthemius und Leo I. zu einem großangelegten kombinierten west- und oströmischen Zangenangriff unter dem Kommando des späteren Usurpators Basiliskos: Basiliskos war der Schwager von Kaiser Leon I. und wurde 468 mit einer riesigen (und teuren) Invasionsflotte (angeblich über 1000 Schiffe und über 100.000 Mann, das bezweifle ich aber) zur Eroberung des Wandalenreichs geschickt. Gleichzeitig eroberte eine zweite Flotte Sardinien, und ein Landheer marschierte von Ägypten aus die afrikanische Küste entlang und eroberte Tripolis zurück. Basiliskos landete in der Nähe von Karthago. Geiserich, der auf den Angriff nicht wirklich vorbereitet war, täuschte jedoch Kapitulationsbereitschaft vor und brachte Basiliskos (möglicherweise durch Bestechung) dazu, ihm mehrere Tage für Verhandlungen zu bewilligen. Basiliskos lud daraufhin seine Truppen wieder ein und segelte aufs offene Meer hinaus. Geiserich nutzte die Zeit, um eine Flotte zusammenzuziehen. Er griff Basiliskos mit Brandern an und versenkte fast die ganze Flotte mitsamt der darauf befindlichen Armee. Manche sind der Ansicht, dass dieser Fehlschlag endgültig den Untergang des Westreiches besiegelte.
 
Ein Punkt, der mir sehr wichtig erscheint, der aber in den einschlägigen Darstellungen nie angesprochen wird, ist folgender: Die Oströmer verstanden es immer wieder, potentielle Invasoren (Westgoten, Hunnen, Ostgoten) durch Diplomatie, Tribut und Bestechung nach Westrom umzulenken, frei nach dem Florianiprinzip. Das wurde aber freilich nur möglich, weil das oströmische Reich über mehr reiche Provinzen verfügte als der Westen und daher mehr Tribut und Bestechungsgelder aufbringen konnte. Die Grenzverteidigung gegen Hunnen und Germanen war jedenfalls nicht besser, der Balkan stand denen nahezu ungehindert offen. Hilfreich war natürlich auch, dass es im 5. Jhdt. gelang, mit den Persern, abgesehen von einem Krieg unter Theodosius II., weitgehend Frieden zu halten. Außerdem hatten die Sassaniden ihr eigenes Hunnenproblem, in ihrem Fall halt mit den Weißen Hunnen.

Für Ostrom sprach hier auch einfach der geographische Vorteil. Syrien und Ägypten waren für die "Barbaren" unerreichbar, Anatolien nur mit großer Mühe. Mit den Sassaniden hatte man sich arrangiert, von ein paar Städten hin und her gab es keine größeren Angriffsversuche, da war der gegenseitige Respekt zu groß. Nach den Katastrophen von Gordian III. und Valerian hatte Rom ohnehin die Ostgrenze auf Kosten der Westarmee größtmöglich verstärkt. Mit diesen gesicherten Ressourcen konnte es sich Ostrom leisten, den Barbaren thrakische oder illyrische Gebiete zu überlassen, sie sich dort "austoben" zu lassen.
Dagegen hatte Westrom größte Mühe, Gallien angesichts der geschwächten Rheingrenze zu halten, womit auch der Weg nach Spanien und schließlich Karthago offenstand. Italien selbst bot aber zu wenig Ressourcen.

Diese Entwicklung war aber zu einem Großteil dem Auftauchen einer ebenbürtigen Großmacht, eben den Sassaniden, geschuldet. Die Bedrohung im Osten führte dazu, dass der Gegner an Rhein und Donau unterschätzt wurde. Innere Probleme verschärften die Lage noch, verhinderten eine Stabilisierung.

Ostrom war schon länger der wichtigere, wohlhabendere Reichsteil, dieser wurde erfolgreich behauptet. Möglichweise wird der "Untergang" des Westteils aus unserer Sicht auch überbewertet. Byzanz existierte noch 1000 Jahre.
 
Ich teile ausdrücklich nicht die Behauptung, der Osten sei durch seine geographische Lage besser geschützt gewesen: Unerreichbar waren selbst die orientalischen Provinzen für die Germanen nicht: Im 3. Jhdt. kam es in Kleinasien zu einem großen Einfall von Goten, die per Schiff über das Schwarze Meer kamen, sich aber mit der Eroberung und Plünderung etlicher Städte begnügten
 
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