Ursachen der Weltkriege

Weiß jemand etwas über diese aktuellen Publikationen zu sagen:

Miranda Carter: George, Nicholas and Wilhelm - Three Royal Cousins and the Road to World War I
Marina Soroka: Britain, Russia and the Road to the First World War: The Fateful Embassy of Count Aleksandr Benckendorff (1903-16)
Christopher Wyatt: Afghanistan and the Defence of Empire - Diplomacy and Strategy During the Great Game
Shahbaz Shahnavaz: Britain and the Opening Up of South-West Persia 1880-1914: A Study in Imperialism and Economic Dependence
Firouzeh Mostashari: On the Religious Frontier - Tsarist Russia and Islam in the Caucasus
 
Auch aus den Memoiren anderer Generalstabsoffiziere geht hervor, dass die deutsche Militärelite die Wahrscheinlichkeit eines Krieges für gering hielt...(Turgot)

Das ist dadurch gegeben, dass man im Generalstab die Befürchtung hegte, Wilhelm II. könne, wie schon früher, den Entschluss zum (präventiv-) Krieg revidieren.

Nichts kann besser verdeutlichen, wie man den "Blankoscheck" nächst intern einschätzte: Risikomanagement, Eskalation, und politisches Spiel mit der Krise wie gehabt, um die Kontrahenten zu entzweien, Pflöcke setzen und Kapital zu schlagen...(Silesia)

Der Unterschied zu den Krisen der Vergangenheit ist der, dass mit dem Ausstellen des Blankoscheck vom 5. Juli weder der Kaiser noch die Politik die Krise steuern konnten - man war zwangsläufig im Fahrwasser der Habsburger. Da ja Deutschland objektiv passiv sein sollte für die Augen Europas, wurde auf jegliche weitere Einflussnahme verzichtet. Späte, gescheiterte Versuche das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen offenbarten lediglich welchen großen Fehler man am 5. Juli begangen hatte!

Falkenhayn kehrte am 24.Juli aus seinem Urlaub zurück. Moltke kam am 26.Juli aus Karlsbad zurück nach Berlin. Erst ab diesen Zeitpunkte begannen die Militärs zielstrebig sich in die Politik einzumischen und auf den Krieg zuzusteuern...(Turgot)

Weder die beiden Monarchen, Wilhelm II. und Franz-Josef, noch die Politiker beider Länder arbeiteten in jenen Tagen so eng zusammen wie die jeweiligen Generalstäbler v.Moltke und v.Hötzendorf. Mag es diesen Herren auch erst spät richtig klar geworden sein was am 5.Juli passiert war, die Ansicht, dass die Militärs erst ab Ende Juli "zum Krieg geblasen" hätten erscheint mir nicht richtig. Mit deutscher Zusage im Rücken konnte der Österreicher v.Hötzendorf seine Regierung in Richtung Krieg nötigen und diese Zusage würde genau dazu führen, wie dem Deutschen v.Moltke klar war. Beide Herren waren sich dahingehend einig, es müsse zum großen Schlagabtausch kommen und es sei besser heute als morgen!

Angetretene Urlaubsreisen wie auch vereinbarte "Nicht-Besuche" waren samt und sonders abgesprochen und dienten allein der Camouflage.

Übrigens läßt sich daraus auch ableiten, dass man der brit.-russ. Marinekonvention schon aufgrund der unüberbrückbaren und bekannten scharfen Gegensätze nicht allzuviel Bedeutung zumaß. Es spielte gerade in der Endphase keine beachtliche Rolle in den Akten...(Silesia)

Militärisch ist dies wahrscheinlich irrelevant bzw. es wurde deutscherseits nicht objektiv gewichtet. Schwerwiegender war die politische Auswirkung, dass man England nun auch nicht mehr "trauen könne" da Minister Grey offensichtlich nicht wahrheitsgemäß antwortete als man ihn über die Marinekonvention befragte. Hatte man 1913 noch in Zusammenarbeit mit England eine Ausweitung des Balkankriegs, auch auf die Großmächte Ö-U und Russland, verhindern können, so war dies 1914 durch das aufgekommene Misstrauen nicht mehr denkbar. Die "nebulöse" Britisch-Russische Marinekonvention verstärkte die Meinung einzelner in Deutschland dass die Entente auf den Krieg hinarbeitet und das der (Präventiv-) Krieg jetzt nötig sei da die Chancen auf einen Sieg mit jedem Monat schwinden.
 
Franz Ferdinand schrieb:
Das ist dadurch gegeben, dass man im Generalstab die Befürchtung hegte, Wilhelm II. könne, wie schon früher, den Entschluss zum (präventiv-) Krieg revidieren.

Wilhelm II. hat Österreich-Ungarn Rückendeckung für deren mögliche Aktion gegen Serbien gegeben. Am 07.Juli 1914 erfuhr Tschirschky von Berchthold und Tisza, das alles was Hoyos in Berlin geäußert hätte, dessen private Meinung sei! Das bezieht sich also auch auf das „Losschlagen“. Immerhin waren ja die Ausführungen des Sondergesandten Hoyos die Grundlage des deutschen Kalküls gewesen. Aber von einem Entschluß von Wilhelm II. einen Präventivkrieg zu führen, kann meines Erachtens nicht die Rede sein, sondern vielmehr Österreich-Ungarn bei dessen aggressiven Bedürfnis mit Serbien endgültig „abzurechnen“ Rückendeckung zu gewähren. Es sollte nach deutschen Willen sich um einen begrenzten, lokalisierten militärischen Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien handeln. Das dieses Wunschdenken reichlich naiv war, steht auf einen anderen Blatt Papier.

Franz Ferdinand schrieb:
Der Unterschied zu den Krisen der Vergangenheit ist der, dass mit dem Ausstellen des Blankoscheck vom 5. Juli weder der Kaiser noch die Politik die Krise steuern konnten - man war zwangsläufig im Fahrwasser der Habsburger. Da ja Deutschland objektiv passiv sein sollte für die Augen Europas, wurde auf jegliche weitere Einflussnahme verzichtet. Späte, gescheiterte Versuche das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen offenbarten lediglich welchen großen Fehler man am 5. Juli begangen hatte!

Das sehe ich nicht so. Die deutsche Diplomatie hat Österreich- Ungarn fortlaufend ermutigt, schnell zu handeln. Unterstaatssekretär Zimmermann hatte schon am 05.07.14 gegenüber Hoyos geäußert, wenn Österreich entschlossen sei zu handeln, dann müsse es das unmittelbar und ohne jede diplomatische Verzögerung tun. Denn wenn erst einmal die Diplomaten der Entente alarmiert seien, dann würde kostbare Zeit verloren gehen. In diesem Sinne haben die Deutschen gedrängt.

Des Weiteren ist davon auszugehen, dass deutsche Diplomaten bei der Ausarbeitung des Ultimatums geholfen haben. Dies ergibt sich zumindest aus einer entsprechenden Äußerung des Fürsten Eulenburg. Auf jeden Fall war aber das AA über die Entstehung und Entwicklung des Ultimatums voll im Bilde.


Franz Ferdinand schrieb:
Angetretene Urlaubsreisen wie auch vereinbarte "Nicht-Besuche" waren samt und sonders abgesprochen und dienten allein der Camouflage.


Moltkes Kur war langfristig geplant und konnte nicht entsprechend kurzfristig „organisiert“ werden. Ich weiß auch nichts davon, das Falkenhayns Abwesenheit eine inszenierte war; jedenfalls steht davon nichts in Afflerbachs bemerkenswerter Biographie zu lesen. Mir ist bekannt, das Zimmermann in Nachgang diese Behauptung aufgestellt hat, ob diese aber so zutreffend ist, vermag ich nach dem mir vorliegenden Material nicht beurteilen. Jedenfalls ist es sehr gut vorstellbar, dass man zu Beginn der Julikrise relativ sorglos war, da sich in Wien die Entscheidungsträger ja auch nicht einig über das weitere Vorgehen waren.


 
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Ich schaue das auch nochmal nach ( Moltke and the Origins of the World War), aber hier wie bei Afflerbach zu Falkenhayn ergibt sich nmE nichts Konstruiertes an der Abwesenheit.

Der Vorgang verdeutlich nur, was der 5.7.1914 eigentlich bedeutete: politische Zuspitzung der Krise.

Auf einen Beleg, dass eine tragfähige Verbindung GB-RUS gesehen wurde, wäre ich quellenseitig sehr gespannt.
 
Ich habe jetzt auch noch einmal nachgesehen und bin fündig geworden. Vizeadmiral Hopman hatte von Capelle den Auftrag erhalten, beim Chef des Zentraldepartements Oberst Scheüch des Kriegsministeriums die dortige Auffassung in Erfahrung zu bringen.

Dort erfuhr Hopman, das Wilhelm II. davon ausgeht, das die Entspannung bzw. Klärung der Lage nicht vor drei Wochen erfolgen würde. Scheüch meinte eher noch einen längeren Zeitraum zu veranschlagen, weil Österreich-Ungarn schon in seinen scharfen Forderungen nachlasse. Falkenhayn würde morgen, also den 08.Juli auf Inspektionsreise gehen und anschließend in den Urlaub. (1)


(1) Hopman, Das ereignisreiche Leben eines Wilhelminers, S.384f
 
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Das Problem des serbischen Nationalismus in Bosnien und Herzegowina hätte man durchhaus damit entschärfen können, wenn man eine Agrarreform durchgeführt hätte.


Über 90 % das Land gehörte (muslimischen) Großgrundbesitzern. Nach dem 1. Weltkrieg wurde es dann auch durchgeführt. Nachdem es in Serbien seit dem 1. und 2 serbischen Aufstand keine Großgrundbesitzer gab.

Wenns interessiert

Milenko Karanovic, The agrarian reform of 1919 in Yugoslavia, University of Wisconsin 1970
 
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Aber von einem Entschluß von Wilhelm II. einen Präventivkrieg zu führen, kann meines Erachtens nicht die Rede sein, sondern vielmehr Österreich-Ungarn bei dessen aggressiven Bedürfnis mit Serbien endgültig „abzurechnen“ Rückendeckung zu gewähren. Es sollte nach deutschen Willen sich um einen begrenzten, lokalisierten militärischen Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien handeln. Das dieses Wunschdenken reichlich naiv war, steht auf einen anderen Blatt Papier.

Ich glaube, naiv und Wunschdenken ist da sehr milde ausgedrückt. Mir scheint fast, die Entscheidungsträger auf deutscher Seite waren mit dem Dummbeutel geschlagen. Das ist es wohl auch, was das alles fast schon unglaubwürdig erscheinen lässt. Zumindest in meinen Augen.
Wie konnte man mit dem Schlieffenplan in der Tasche an einen begrenzten Konflikt glauben? Das deutet auf Paranoia hin.
Man hätte eigentlich trotz Blankoscheck nur Gewehr bei Fuß stehen brauchen.
Irgendwie drängt sich mir immer der Gedanke auf, man war trotz aller Moderne in feudalem Denken gefangen. Dann die dazu paradox erscheinende, deutsche Neigung, Probleme technisch zu lösen. Das alles war unberechenbar, nicht nur für die Gegenüber, sondern auch für einen selbst.
 
Ich glaube, naiv und Wunschdenken ist da sehr milde ausgedrückt. Mir scheint fast, die Entscheidungsträger auf deutscher Seite waren mit dem Dummbeutel geschlagen. Das ist es wohl auch, was das alles fast schon unglaubwürdig erscheinen lässt. Zumindest in meinen Augen.

Ich denke ihr habt da beide recht, die Handlungsweise und die erwartete Sicht der Entwicklung durch diesen "Blankoscheck" mag uns heute blauäugig vorkommen. So unrealistisch, daß man nach anderen Hintergünden sucht.

Die Erklärung aus der Zeit liegt aber einerseits im Charakter und dem Selbstverständnis Wilhelms II. und andererseits im jahrzehntelangem Gebaren der deutschen Militärs, denn ähnlich handelten sie bisher immer wieder und immer wieder war die Methode gutgegangen. Schließlich hatte man so 26 Jahre Frieden erhalten. Allein die Drohung mit der militärischen Macht hatte ihren Zweck erfüllt, politische Ziele durchzusetzen und war "gut gegangen".
Dass ausgerechnet diesmal der "Bogen überspannt" wurde und es zum Konflikt kommen sollte, war für sie nur eine Version im "Planspiel", die zwar grob einkalkuliert war, aber nicht gut und weit genug durchdacht war. Die Eskalation, die dann völlig ausser Kontrolle geriet, hatten die meisten nicht wirklich auf der Rechnung.
Bildlich gesprochen haben einige "Säbelrassler" nachher wohl erschrocken die Hände vor die Augen gehalten und Angst bekommen, was sie da angerichtet hatten. So macht auch Wilhelms Zitat Sinn "Ich habe es nicht gewollt". Was machen die meisten Menschen in so einer Situation? Sie suchen die Schuld woanders.
 
Bildlich gesprochen haben einige "Säbelrassler" nachher wohl erschrocken die Hände vor die Augen gehalten und Angst bekommen, was sie da angerichtet hatten. So macht auch Wilhelms Zitat Sinn "Ich habe es nicht gewollt". Was machen die meisten Menschen in so einer Situation? Sie suchen die Schuld woanders.

Eine kleine Anmerkung: Bei Tuchman (der stolze Turm und August 1914) wird es in das soziale und kulturelle Empfinden eingebettet, dass sich die komplexen "Überwerfungen" (sozialer und politischer Natur) durch ein "reinigendes Gewitter" lösen könnten.

Eine Form des sozialen Wandels durch Krieg und seinen schwer zu kalkulierenden Auswirkungen.

In diesem Sinne haben vermutlich viele, aus sehr unterschiedlichen Gründen, nicht vehement genug, gegen die "krieglüsternde Stimmung" in Teilen der Politik Stellung bezogen.

Da mag sogar, aus der Sicht der "Modernisierer, Russland 1905 und seine "kleine Revolution" als Modell gestanden haben.
 
Ich glaube, naiv und Wunschdenken ist da sehr milde ausgedrückt. Mir scheint fast, die Entscheidungsträger auf deutscher Seite waren mit dem Dummbeutel geschlagen. Das ist es wohl auch, was das alles fast schon unglaubwürdig erscheinen lässt. Zumindest in meinen Augen.
Wie konnte man mit dem Schlieffenplan in der Tasche an einen begrenzten Konflikt glauben? Das deutet auf Paranoia hin.
Man hätte eigentlich trotz Blankoscheck nur Gewehr bei Fuß stehen brauchen.
Irgendwie drängt sich mir immer der Gedanke auf, man war trotz aller Moderne in feudalem Denken gefangen. Dann die dazu paradox erscheinende, deutsche Neigung, Probleme technisch zu lösen. Das alles war unberechenbar, nicht nur für die Gegenüber, sondern auch für einen selbst.

Alle Wertungen oder Hypothesen sind verständlich und wurden so auch in der Literatur immer wieder geäußert.

Die zeitgenössische feste Überzeugung von der militärischen Überlegenheit, vom "Schlüssel zum Sieg", den der Generalstab in den Händen hält, ist ein prägendes Element für die Schlussphase der Julikrise. Dem widerspricht nicht, dass immer wieder - so auch bei Moltke vor dem 1.8. - ganz kurz der letzte Zweifel aufblitzte.

Das mag heute nicht oder nur noch schlecht nachvollziehbar sein. Vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses des deutschen Militärs, von Sedan und Königsgrätz, ist diese dogmatisch gesetzte Überlegenheit erklärbar. Der Hauch von Zweifel gehört eher zu diesem Selbstbewusstsein, ebenso wie eine Schlieffen-Moltke-Planung, die ausschließlich dem Dogma der Vernichtungsschlacht folgte. In dem Sinne war alles eine Frage der Planung, der Sieg eine Resultante von Kraft, Raum und Zeit, die in dieser Gleichung nur zu pflücken war.
 
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