Verband Preußen und das Kaiserreich eine Personalunion?

Revolution09

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Hallo zusammen bei der Vorbereitung fürs Abi sprachen wir in Geschichte über die Verfassung von 1871. Dabei fiel das Wort Personalunion in Zusammenhang mit dem preußischen König und dem Deutschen Kaiser. Nun habe ich bei wiki nachgeschaut und bin über diese Aussage gestolpert:

Die Verfassung betonte das monarchische Element. Das Präsidium des Bundes führte der König von Preußen unter dem Titel Deutscher Kaiser. Was Preußen und das Reich verband, war also keine Personalunion. So gesehen irrte Wilhelm II., als er am Ende des Ersten Weltkriegs meinte, er könne auch lediglich als Deutscher Kaiser abdanken, aber König von Preußen bleiben. Es hätte diesbezüglich die Verfassung geändert werden müssen.
Bismarcksche Reichsverfassung ? Wikipedia

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Der König von Preußen war gleichzeitig auch Deutscher Kaiser. Das Kaiseramt war allerdings nicht mit der Person des jeweiligen preußischen Königs verbunden, sondern mit dessen Amt, ähnlich wie die Staats- bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU rotierend den Vorsitz im Europäischen Rat ausüben. Es handelte sich also streng genommen nicht um eine Personalunion, sondern hier spricht man von einer Realunion.
Personalunion ? Wikipedia

Ich wollte von euch wissen welche Argumente dafür und dagegen sprechen, ob es eine Personalunion war oder doch eher eine Realunion

Vielen Dank für eure Antworten:winke:
 
Der preußische König war automatisch deutscher Kaiser, dies spiegelt wiederrum den großen Einfluss wider, den Preußen im Kaiserreich gehabt hatte. Preußen war ja die dominierende Kraft in Deutschland und hat die süddeutschen Staaten+ Ö-U geschlagen. Mit dem Reicheinigungskrieg 1870/71 gegen Frankreich hat Preußen ja den Weg dazu geebnet, ein vereintes Deutschland zu schaffen => Kaiserreich=> Verdank Bismarcks.
 
Das war eine Realunion.

Die Kaiserwürde war ja nicht an Wilhelm I gebunden sondern an den preussischen Königstitel, egal wer diesen inne hatte.

Bei einer Personalunion erbt jemand mehrere Titel die im Todesfall oder bei Abdankung dann wieder anders verteilt werden können entweder weil er es so entscheidet oder weil die Erbregelungen unterschiedlich sind.

Karl V war z.B. Kaiser vom deutschen Reich und König von Spanien in Personalunion. Nach seiner Abdankung hatten beide Reiche wieder getrennte Herrscher.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hinzufügen ist noch, das bei der restlichen Spitze der Exekutive vom Deutschen Kaiserreich und Königreich Preußen (reichsdeutscher Reichskanzler-preußische Ministerpräsident und so weiter) oft eine Personalunion bestand.

Die Frage nach der Personalunion zwischen Preußen und dem Kaiserreich lässt sich daher teilweise bejahen.
 
hey danke für die Antworten, die helfen mir um einiges weiter. Manchmal habe ich das Gefühl, die Lehrer würden selbst keine Ahnung von ihrem Fach haben.

Großfürst Pavel meintest du Realunion? wenn der preußische Ministerpräsident gleichzeitig Reichskanzler war, dann wäre es doch ebenfalls eine Realunion, da es ja auch nicht z.B. mit der Person Bismarcks zusammen hang, sondern mit dem Amt des Ministerpräsidenten. Oder hab ich da was falsch verstanden?
 
hGroßfürst Pavel meintest du Realunion? wenn der preußische Ministerpräsident gleichzeitig Reichskanzler war, dann wäre es doch ebenfalls eine Realunion, da es ja auch nicht z.B. mit der Person Bismarcks zusammen hang, sondern mit dem Amt des Ministerpräsidenten. Oder hab ich da was falsch verstanden?

Nein, es gab in diesem Fall und auch dem des restlichen Kabinetts keine Union der Ämter, also eine Realunion, wie beim Staatsoberhaupt, sondern zumeist eine Personalunion.

Diese Konstruktion des „Bundeskanzlers“ wurde 1871 auf die Leitung der Exekutive des nun unter Einschluss der süddeutschen Staaten gebildeten Deutschen Kaiserreiches übertragen. Auch hier suggerierten die nunmehr verwendeten Termini des „Reichskanzlers“ (statt eines „Reichs-Ministerpräsidenten“) und der „Reichsleitung“ (statt eines „Reichs-Ministeriums“ oder einer „Reichsregierung“) eine (scheinbare) geringere Wertigkeit der Reichsexekutive gegenüber den Regierungen der Bundesstaaten. Weder der Reichskanzler noch die Chefs der ihm unterstellten Reichsressorts führten deshalb bis 1918 einen Ministertitel. Faktisch waren jedoch die meisten Angehörigen der Reichsleitungen dennoch Minister, da die Reichsämter in der Regel in Personalunion mit den entsprechenden preußischen Ministerien verwaltet wurden. Im Range eines (seinem Monarchen verantwortlichen) Ministers auf Reichsebene stand jedoch allein der Reichskanzler, während die Leiter der Reichsressorts keine eigenständigen Minister, sondern strikt weisungsabhängige „Staatssekretäre“ waren.

Der Reichskanzler war zwischen 1871 und 1918 allein dem Deutschen Kaiser – und nicht etwa dem Reichstag – verantwortlich. Der Kaiser als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches berief und entließ den Reichskanzler. Der Kanzler hatte ohne (preußisches) Mandat auch kein Recht, vor dem Reichstag zu erscheinen. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck wurde 1871 der erste Reichskanzler, und seither wurde es Tradition, das Amt des Reichskanzlers mit dem des preußischen Ministerpräsidenten zu koppeln. Ausnahmen bildeten lediglich die preußische Ministerpräsidentschaft Albrecht von Roons von Januar bis November 1873 und die schlecht funktionierende Amtszeit Botho Wendt zu Eulenburgs von März 1892 bis Oktober 1894 unter Reichskanzler Leo von Caprivi; der Grund hierfür war die vom Norddeutschen Bund geerbte Unterstellung des Kanzlers unter die preußische Regierung.

Reichskanzler ? Wikipedia
 
ja schon, aber spricht das jetzt für eine Personal- oder Realunion?

Wie schon gesagt wurde: teils, teils! Dabei gilt: [1]

  • Wenn ein Organ von P (Preußen) kraft objektiven Rechts zugleich Organ von R (Reich) ist, nennt man das Realunion.
  • Wenn die objektive Rechtsgrundlage fehlt, die Verbindung also rechtlich nicht notwendig ist, spricht man von Personalunion.
In unserem Fall gibt es einen "ewigen Bund", der den Namen "Deutsches Reich" trägt (RV 1871, Präambel) und eine Reihe von Bundesstaaten (Art. 1, von Preußen bis Reuß älterer Linie). Seine parlamentarischen Organe sind der Bundesrat, bestehend aus Vertretern (Bevollmächtigten) der Bundesstaaten (Art. 6), und der Reichstag (Art. 20).

Fall 1 (König - Kaiser): Realunion
Der Bund hat ein Bundes-Präsidium. Dieses "steht dem König von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt" (Art. 11).

Fall 2 (Reichskanzler): Personalunion
"Der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte stehen dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist" (Art. 15). Das es ein Preuße sein muß oder sogar der preußische Ministerpräsident, steht nicht in der Verfassung, und wie Pavel sagt, war das auch nicht immer der Fall.
Allerdings ist der Kaiser nicht frei bei seiner Ernennung. Es muss nämlich jemand sein, der Mitglied des Bundesrates ist, also von einem Bundesstaat entsandt (bevollmächtigt) wird.
Ein Reichskanzler aus Preußen kommt also durch ein zweistufiges Verfahren ins Amt: (a) Der König von Preußen ernennt ihn zum Bevollmächtigen im Bundesrat, und (b) der Deutsche Kaiser ernennt ihn zum Reichskanzler. Theoretisch könnte der Kaiser auch den Bevollmächtigten des Bundesstaates Reuss ältere Linie ernennen. (Vielleicht wäre die deutsche Geschichte dann anders verlaufen.:grübel:)

PS: Pavel ist mir zuvorgekommen. Ich lasse es trotzdem mal hier stehen. (1918 fiel die Personalunion nochmals für ein paar Wochen weg.)


[1] Das gilt in unserem Kontext; für frühere Zeiten müsste man das anders darstellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Theoretisch könnte der Kaiser auch den Bevollmächtigten des Bundesstaates Reuss ältere Linie ernennen."
Heinrich XXII. war ja ein wahrer Preußen-Fan;-) Ausgerechnet dessen Tochter war dann später Wilhelms zweite Frau.


"Ein Reichskanzler aus Preußen kommt also durch ein zweistufiges Verfahren ins Amt: (a) Der König von Preußen ernennt ihn zum Bevollmächtigen im Bundesrat, und (b) der Deutsche Kaiser ernennt ihn zum Reichskanzler."
Der Reichskanzler war immer gleichzeitig preußischer Außenminister. Die preußische Verfassung kannte übrigens das Amt des Ministerpräsidenten gar nicht.
 
Heinrich XXII. war ja ein wahrer Preußen-Fan;-) Ausgerechnet dessen Tochter war dann später Wilhelms zweite Frau.
Guter Hinweis!:winke:

Der Reichskanzler war immer gleichzeitig preußischer Außenminister.
Nein, nicht immer: 1894/97 war Marschall von Bieberstein preußischer Außenminister, während Hohenlohe-Schillingsfürst Reichskanzler war.

Die preußische Verfassung kannte übrigens das Amt des Ministerpräsidenten [MP] gar nicht.
Ja, aber: Das preußische Kabinett (Staatsministerium) war kollegial verfasst, sein Vorsitzender nur primus inter pares. Aber schon Manteuffel erwirkte beim König die berühmte Kabinettsordre vom 8.9.1852, welche dem MP eine Koordinierungskompetenz und andere Vorrechte sicherte (vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 65).
 
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