Verfemte im Mittelalter

@Scorpio: super, danke für Deine informativen Beiträge. Weißt Du noch mehr? Ich würde mich freuen, noch mehr zu lesen :)

In meiner Heimatstadt durfen die Scharfrichter immer als Tierärzte arbeiten.
Wenn sie jedoch ihre Kenntnisse Menschen angedeihen ließen, gab´s in der Regel großen Ärger, bis hin zur fristlosen Entlassung.
Viele gute Ärzte gingen später aus den Scharfrichterfamilien hervor.

Spätestens in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Scharfrichter, der "Meister Hans" wie man ihn unabhängig vom tatsächlichn Namen nannte im bewusstsein kaum noch der "Angstmann" wie man ihn im Rheinland nannte, sondern eher Heilpraktiker und Veterinär. Hinrichtungen und Folterungen nahmen ab, sie widersprachen dem Geist der Aufklärung und waren vor allem überaus kostspielig. man könnte sagen, eine Hinrichtung war eine Art Volksfest mit Verdienstmöglichkeiten für alle Gewerbe. Da war ein Galgen zu bauen, Wagner, Seiler, Schmiede wollten ebenso bezahlt werden wie der Barbier, der den Delinquenten rasierte, den Rat bzw die Räte, die das Urteil fällten, die Gastwirte die Henkersmahlzeit und Umtrunke lieferten, der Totengräber, der den Delinquenten bestattete und die alle hielten die hand auf, so dass sich die Kosten für eine Hinrichtung leicht auf 200 fl und mehr beliefen. solchen aufwand betrieb man nicht, um einen Hühnerdieb hinzurichten.

Das handwerk der Scharfrichter und Henker hatte die gleichen, wie die übrigen: es war überbesetzt, und es boten sich darüber hinaus nur eine beschränkte Anzahl an Stellen, die die Meistersöhne und Töchter begünstigten.

Scharfrichter heirateten untereinander, und es gab ganze Dynastien, die miteinander verwandt waren. Viele Stellen befanden sich seit Generationen im Familienbesitz. Verstarb ein Bewerber, konnte seine Witwe oder Tochter sich an einen Bewerber verheiraten oder eine vakante Stelle verwalten, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden war. Von einem solchen erwartete man eine Probe seines Könnens, üblicherweise eine Exekution mit dem schwert.

Es gibt darüber einige Anekdoten: So bewarben sich drei Henker um eine Stelle. Der Erste enthauptete einen Delinquenten mit einem Schlag auf dem Block, der zweite vollbrachte das Kunststück einen Mann der frei kniete zu enthaupten, der Dritte aber fixierte eine Erbse mit einem lederband am Hals eines Delinquenten, enthauptete ihn sauber mit einem Hieb und spaltete die Erbse.

Diese Koryphäe erhielt die Stelle.



In Wirtshäusern durfte ein henker nur an seperaten Tischen und aus einem Krug ohne Deckel trinken, um vorzubeugen, dass man unwissentlich mit einem Henker anstieß, was zur Übertragung der Unehrlichkeit führte und Leute dazu trieb, sich deshalb umzubringen. Scharfrichter trugen daher meist auch Berufskleidung, oft leuchtende Farben wie Rot, die man auch Prostituierten aufzwang.
 
@Scorpio: das von Dir genannte Buch kenne ich und ich muß, meine persönliche Meinung, dass es ein wichtiges Werk ist.

Du kennst sicher die nachfolgend genannten Bücher:

Koch, Tankred "Die Geschichte der Henker"
Wagner/Failing " Vielmals auf den Kopf gehacket.."
Keller, Albrecht " Henker, Blutvogt, Carnifex"
Schubert, Ernst " Räuber, Henker, arme Sünder"
Ehrlich, Anna "Hexen, Mörder, Henker"
 
In Wirtshäusern durfte ein henker nur an seperaten Tischen und aus einem Krug ohne Deckel trinken, um vorzubeugen, dass man unwissentlich mit einem Henker anstieß, was zur Übertragung der Unehrlichkeit führte und Leute dazu trieb, sich deshalb umzubringen. Scharfrichter trugen daher meist auch Berufskleidung, oft leuchtende Farben wie Rot, die man auch Prostituierten aufzwang.

Das war auch mein Gedanke, als die "Gasthausbetreibenden Henker" erwähnt wurden. Irgendwie passt das ja dann nicht solange vom Mittelalter die Rede ist.
Es mag da möglicherweise auch Länder-/ Gebiets- oder Stadtbezogene Ausnahmen gegeben haben.
 
Scorpio:Henker trugen neben Rot auch Schwarz, meistens kombiniert.

Simon Abel, Scharfrichter in Wien (1828-1835), konnten die Bürger im Prater in lichtgrüner Kleidung auf seinem Schimmel im Prater begegnen.

Luwig XV. verbot Sanson, die Scharfrichterfamilie in Paris, blaue Kleidung zu tragen, da dies die Farbe des Adels war. Sanson gehorchte und trug grüne Kleidung. Modegecken machten auch dies nach...

Prostituierte trugen neben roter auch grüne Kleidung. In ihre Haare, die sie offen trugen, flochten sie rote oder grüne Bänder.
 
Ob es dem Scharfrichter tatsächlich verwehrt war, die Kirche zu besuchen, darüber ist sich die Forschung nicht ganz schlüssig...

Warum sollte einem Christenmenschen der Kirchenbesuch verwehrt sein? Der Henker übte ein öffentliches Amt aus, wenngleich ein unehrliches. Ein Verbot des Kirchenbesuches wäre nur dann möglich gewesen, wenn er keiner christlichen Kirche angehört hätte oder exkommuniziert worden wäre - Beides hätte das sofortige Ende seiner Karriere bedeutet.

Der Kontakt zu ihm war bekanntlich unerwünscht, weshalb es ja auch die Vorschriften für den Wirtshausbesuch usw. gab. In der Kirche hatten er und seine Familie besondere Plätze, damit keine ehrenhaften Mitmenschen neben ihnen sitzen mussten.

Man sollte auch nicht vergessen, dass in früheren Jahrhunderten der Kirchgang quasi Pflicht war. (Ach was, frühere Jahrhunderte; das ging bis weit ins 20. Jh. hinein.)

In München (und wohl auch in anderen Orten) gehörte es übrigens zu den Pflichten des Henkers (der sein Haus unweit des Sendlinger Tors hatte), jeden Morgen die Huren in die Frühmesse zu geleiten. Es war genau vorgeschrieben, in welcher Reihenfolge, in welcher Kleidung und auf welcher Strecke diese Weg zurückgelegt werden musste.
 
Die Tagebücher der Sansons sind wirklich lesenswert. Der Letzte soll sogar die Guillotine im Suff verpfändet haben.


Auch wenn Hinrichtungen und Folterungen weitaus nicht so häufig waren, wie sich das Mancher vorstellt, erforderte dieser Job wirklich ein überaus stabiles Nervenkostüm und ein großes "Fachwissen". Kein Wunder, wenn viele Henker Alkohol benötigten, um zu funktionieren. Wie schoon erwähnt, musste der Scharfrichter einen Delinquenten gesundpflegen, und er war wohl neben dem Beichtvater der Mensch, der am meisten Umgang mit einem Verurteilten in seinen letzten Lebenstagen hatte.

Wenn mehrere Delinquenten, etwa Angehörige von Räuberbanden exekutiert werden sollten oder Verschwörer und Attentäter hingerichtet werden sollten, musste zuweilen von auswärts ein Fachmann hinzugezogen werden, wie zu Beginn des 18. Jahrhunderts amsterdam offenbar keinen fest besoldeten henker hatte und einen aus Harleem kommen ließ.

Jörg truchseß von Waldburg begleitete während der Bauernkriege ein mobiler Henker, der Meister Augustin, der nach der Schlacht von Frankershausen Dutzende von Gefangenen exekutiert haben sollte.

Selbst scheinbar weniger schwierige Hinrichtungen wie Erhängen oder verbrennen, setzte gewisse berechnungen voraus, die eine Hinrichtung vermassseln konnte. So berechnete bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen der Henker nicht das niedrigere Gewicht der Delinquenten, so dass der Scharfrichter nachhelfen musste, das Genick zu brechen. In Nördlingen berechnete ein Henker bei einer Verbrennung die nötige Holzmenge viel zu hoch, so dass ein unkontrollierbarer Brand ausbrach, vor dem das Hohe Gericht flüchten musste. Dafür wurde der Henker zur Strafe eine Woche ins städtische Narrenhaus gesperrt, abfgesehen davon, dass ihm die Hinrichtung nicht bezahlt wurde.

Eine Missrichtung aber galt es unbedingt zu verhindern, kippte dabei doch oft genug das "gesunde Volksempfinden" und wendete sich gegen die Obrigkeit, bzw. den Henker, der nicht selten riskieren musste, angefeindet oder misshandelt zu werden.
 
Der letzte Sanson verpfändete tatsächlich mehrfach seine Guillotine, erhielt Verwarnungen und schließlich wurde ihm das Amt entzogen.

Henker verfielen, wie schon erwähnt, nicht selten dem Alkohol, fielen in Depressionen oder begingen auch Selbstmord.

Manche Städte oder Gemeinden vefügten nicht über einen eigenen Scharfrichter, sondern mußten einen "ausleihen". Dafür wurden eine Gebühr und eine Vergütung der Spesen verlangt.
Als die Hexenverfolgungen begannen, taten sich zwei Henker als "Spezialisten" für die Foltermethoden hervor: Johann Volmar und Christoph Hiert aus Biberach. Johann Abriel aus Schongau trat, als er Kontakt zu den beiden hatte, als der dritte "Spezialist" hervor, der wegen Hexenprozessen über Land reiste.
Die Drei ließen sich ihre Dienste und Spesen gut bezahlen...

Als das Amt des Scharfrichters offiziell wurde, um private Rache abzuschaffen, war er zunächst vom Kirchbesuch ausgeschlossen, da er nach dem gesellschaftlichem Verständnis Blut an den Händen hatte.
Davon kam man aber rasch ab, da er im Auftrag der Obrigkeit handelte. Was blieb, war der gesonderte Platz in der Kirche.
In der Regel wurde peinlich darauf geachtet, dass er ein gottesfürchtiger Mann war.
In Hall wurde ein Beichtzettel verlangt, in meiner Heimatstadt wurde monatlich geprüft ob der Kirchenbesuch erfolgte und durch abfragen die Kenntnis der Bibel (meine Heimatstadt war seit der Zeit der Reformation evangelisch).
Kurios: der letzte Scharfrichter meiner Heimatstadt wollte in der Martinskirche einen Platz käuflich erwerben, d.h. sein Sitzplatz wurde mit einem Namensschild versehen. Der Rat lehnte das zweimal ab, "weil er kein Bürger sei". Mit dem Ende der Reichsfreiheit erlosch auch das Scharfrichteramt und er konnte, jetzt Bürger, den Platz doch noch erwerben.

"Butzen" war das schlimmste, was dem Scharfrichter passieren konnte. Die aufgebrachte Menge ließ nicht selten die Wut am Scharfrichter aus, da half auch der ausgerufene Friede nur wenig.
Wie schlimm das enden konnte, erzählt der Kriminalfall der "Helene Gillet".
Auch Franz Schmidt butzte, aber er war ein guter Scharfrichter und geachteter Mann, so daß nichts geschah.
Valten Maltz warf nach einer mißglückten Hinrichtung das Richtschwert von sich und verfluchte sich, sollte er es je wieder erheben. Er wurde abgeführt und mit fünf Tagen Gefängnis bestraft, weil er das Schwert von sich geschleudert hatte. Nach diesem Erlebnis erwarb er den Ehrbrief, baute sich ein Haus und praktizierte als Tierarzt. Er wurde sehr geschätzt und erwarb sich die Achtung seiner Mitbürger.
 
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