Vergleich: Europäischer und osmanischer Feudalismus

Seldschuk

Aktives Mitglied
Moin moin aus Hamburg,

ich möchte euch noch ein klein wenig über den osmanischen Feudalismus berichten und dazu von euch einige Beiträge zum europäischen erhalten. Und dann vergleichen wir.

Zuerst muss ich voranstellen, dass die Geschichtsschreibung sich nicht einig ist, ob im Falle des osmanischen Feudalismus überhaupt von einem Feudalismus gesprochen werden kann.
 
Sorry muss jetzt Schluss machen, meine Frau schimpft. Aber ich werde dem noch Beiträge folgen lassen. Bitte um Geduld!:winke:
 
Ich muss bei dem Feudalismus im Osmanenreich 4 Phasen unterscheiden.
Die zweite Phase auf die ich hier näher eingehen will reichte ca. von Mehmet dem Eroberer bis zum Tode Süleymans des Prächtigen.
Zuerst muss man voranstellen, dass der Feudalismus im O.R. als Pfründenfeudalismus bezeichnet wird, d.h. Personen (Spahis - die schwere Reiterei) bekamen Pfründen zugewiesen, die vom Sultan jederzeit abgesetzt werden konnten. Im allgemeinen ist anzumerken, dass der Sultan absoluter herrschte, als es seine europäischen Widersacher taten.
Die auf dem Hof arbeitenden Bauern, waren keine Leibeigene. Und auch hatten die Spahis nicht die Gerichtsbarkeit über die Bauern, denn jeder, sogar der Sultan selbst, war lediglich den Religionsgesetzen unterworfen. Sie durften als Feudalrente lediglich den Zehnten einbehalten. Frondienste für die Bauern waren nicht vorgesehen.

- Fortsetzung folgt -
 
Und ich muß etwas anmerken... sorry Seldschuk... :winke:

Seldschuk schrieb:
Ich muss bei dem Feudalismus im Osmanenreich 4 Phasen unterscheiden.
Die zweite Phase auf die ich hier näher eingehen will reichte ca. von Mehmet dem Eroberer bis zum Tode Süleymans des Prächtigen.

Damit engst Du es auf den Zeitraum 15./16. Jh. ein. Gibt es dafür einen Grund?

Bitte korrigiere mich, wenn ich etwas falsch verstanden habe, aber die (west-)europäische Feudalgesellschaft des Mittelalters durchlief ebenfalls mehrere Phasen - mindestens gemäß der Dreiteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Und von regionalen Spezifika rede ich an der Stelle noch gar nicht...

Deshalb meine Frage: Welche "europäische" Feudalphase willst Du zum Vergleich herangezogen haben - oder doch alle in ihrem zeitlichen Wandel?

Bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich befürchte, der Aufwand könnte nicht mehr überschaubar werden bzw. zum Verzetteln führen...
 
timotheus schrieb:
Und ich muß etwas anmerken... sorry Seldschuk... :winke:



Damit engst Du es auf den Zeitraum 15./16. Jh. ein. Gibt es dafür einen Grund?

Bitte korrigiere mich, wenn ich etwas falsch verstanden habe, aber die (west-)europäische Feudalgesellschaft des Mittelalters durchlief ebenfalls mehrere Phasen - mindestens gemäß der Dreiteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Und von regionalen Spezifika rede ich an der Stelle noch gar nicht...

Deshalb meine Frage: Welche "europäische" Feudalphase willst Du zum Vergleich herangezogen haben - oder doch alle in ihrem zeitlichen Wandel?

Bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich befürchte, der Aufwand könnte nicht mehr überschaubar werden bzw. zum Verzetteln führen...

Könntest du recht haben. Dann schauen wir uns ganz speziell den Zeitraum an, den Du und ich beschrieben haben. Nämlich von Mitte des 15 Jhdt. bis Ende des 16 Jhdt. Einverstanden?
Warum ich gerade diesen Zeitraum wähle? Es ist die Blütezeit des O.R., denn nach dem 16 Jhdt. waren die gross angelegten Eroberungen der Osmanen vorüber.
 
Seldschuk schrieb:
Ich muss bei dem Feudalismus im Osmanenreich 4 Phasen unterscheiden.
Die zweite Phase auf die ich hier näher eingehen will reichte ca. von Mehmet dem Eroberer bis zum Tode Süleymans des Prächtigen.
Zuerst muss man voranstellen, dass der Feudalismus im O.R. als Pfründenfeudalismus bezeichnet wird, d.h. Personen (Spahis - die schwere Reiterei) bekamen Pfründen zugewiesen, die vom Sultan jederzeit abgesetzt werden konnten. Im allgemeinen ist anzumerken, dass der Sultan absoluter herrschte, als es seine europäischen Widersacher taten.
Die auf dem Hof arbeitenden Bauern, waren keine Leibeigene. Und auch hatten die Spahis nicht die Gerichtsbarkeit über die Bauern, denn jeder, sogar der Sultan selbst, war lediglich den Religionsgesetzen unterworfen. Sie durften als Feudalrente lediglich den Zehnten einbehalten. Frondienste für die Bauern waren nicht vorgesehen.

- Fortsetzung folgt -

Die Gerichtsbarkeit oblag den osmanischen Kadis.
Der Boden, das Hauptproduktionsmittel, gehörte seit Mehmet II. zum größten Teil dem Staat. Nur ca. 5-10 % waren vererbbares Privateigentum (mülk). Die frommen Stiftungen (vakf) hatten etwas mehr Anteil am Boden, als das Privateigentum. Der grösste Teil des Bodens aber gehörte dem Staat (arz) und wurde seit Mehmet II. grösstenteils militärischen Bediensteten zur Nutzniessung überlassen, ab Anfang des 15 Jhdt., aber auch zivilen Bediensteten.
 
Korrektur: Ab Anfang des 16 Jhdt. wurden auch zivile Bedienstete auf Pfründe "gesetzt" nicht seit dem Anfang des 15 Jhdt.
Die Spahis, die eine Pfründe zugewiesen bekommen haben, haben diese lediglich auf widerruf erhalten, konnten also jederzeit, z.B. bei Unvermögen oder mangelnden Einsatz im Felde, ihrer Pfründe enthoben werden. Auch waren diese Pfründe nicht vererbbar, wobei die Söhne wohl mit einem kleinen Teil des Bodens abgefunden worden sind.

Wie hoch der Anteil der Spahis zu der Bevölkerung war, kann ich nicht mit genauer Sicherheit sagen. Aber das Heer der Spahis, die je nach Grösse der Pfründe bis zu 7 Männer mit ausrüsten und in das Feld mitbringen mussten, betrug wohl zu Anfang des 16 Jhdt. um die 90.000 Reiter (inklusive der ausgerüsteten Reiterei). Die Bevölkerungszahl inklusive der Vasallenstaaten war ca. so gross, wie die drei volkreichsten Länder Europas, namentlich Spanien, Italien und Frankreich, zusammen, so um die 35 Millionen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Seldschuk schrieb:
... schauen wir uns ganz speziell den Zeitraum an, den Du und ich beschrieben haben. Nämlich von Mitte des 15 Jhdt. bis Ende des 16 Jhdt. Einverstanden?
Warum ich gerade diesen Zeitraum wähle? Es ist die Blütezeit des O.R., denn nach dem 16 Jhdt. waren die gross angelegten Eroberungen der Osmanen vorüber.

Können wir gerne so machen; wiewohl sich gerade in dem Zeitraum (im westlichen Europa ausgehendes Spätmittelalter & Frühe Neuzeit) signifikante Veränderungen vollziehen.
Der "klassische europäische" Feudalismus bildete sich bereits im frühen Mittelalter heraus und erlangte im Hochmittelalter (etwa bis 1300) seinen Gipfelpunkt, während danach bereits das traditionelle Lehenssystem einen Niedergang erfuhr bzw. sich wandelte (Stichwort: Niedergang des Rittertums).
Nach 1450 muß dann zudem unbedingt und mehr als zuvor zwischen Deutschland, Frankreich und England (um sich auf die "wichtigsten" Staaten zu beschränken) unterschieden werden...
Außerdem gibt es nach 1500 mit dem Beginn der Frühen Neuzeit noch einmal gesellschaftlich bedeutende Umbrüche im europäischen Westen.
 
Also ich habe noch einmal in meinem Lieblingsbuch der Osmanen nachgeschlagen und Herr Matuz <Das Osmanische Reich> äussert sich zu meinem Thema folgendermaßen:

1. Phase des osmaischen Feudalismus

Die erste Phase reicht von den Anfängen des Osmanenreiches bis in das letzte Viertel des 15 Jhdt. Demnach sind die Bodenbesitzverhältnisse folgendermaßen erläutert:
Es gibt ein Nebeneinander von Privatbesitz und dem Timar-System und die Erscheinungsform der Bauernschaft ist die vorwiegende Hofbauernschaft.

2. Phase des osmanischen Feudalismus

Vom letzten Viertel des 15 Jhdt. bis in die zweite Hälfte des 16 Jhdt. Es herrscht das Timar-System vor. Und die Bauern sind in der Hofbauernschaft zusammengeschlossen, wie in der 1. Phase auch.
 
3. Phase des osmanischen Feudalismus

Von der zweiten Hälfte des 16 Jhdt. bis in die zwanziger Jahre des 19 Jhdt. Die Timare verschwinden immer mehr von der Bildfläche und der Privatbesitz, sowie die Staatsdomänen, nehmen wieder zu. Es herrscht eine Teilpächterschaft vor, indem der Boden auf bestimmte Zeit gepachtet wird und lediglich eine Pauschale entrichtet werden muss.

4. Phase des osmanischen Feudalismus

Von den Dreißigern des 19 Jhdt. bis zum Untergang des osmanischen Reiches. Die Staatsdomänen sind bestimmend und der Anteil des Privatbesitzes ist zu einem Drittel nur von geringer Bedeutung. Auch in dieser letzten Periode ist die Teilpächterschaft vorherrschend.
 
Die Inhaber der Timare, die Spahis, waren lediglich Nutzniesser des Bodens. Sie durften nur den Ertrag des Bodens für sich behalten. Der Boden gehörte Ihnen nicht. Sie durften ihn nicht verkaufen oder verschenken und auch nicht vererben. Diese osmanischen Pfründner besaßen auch keine Rechtsimmunität, wie es wohl die europäischen Lehensherrn besaßen?
Die Bauern waren keine Leibeigene, waren den Spahis also nicht unterworfen. Allod und Fronhof waren den osmanischen Bauern unbekannt, jedenfalls in der 2. Phase. Der Spahi kümmerte sich nicht weiter um das Land, sondern tauchte nur auf um seine Rente abzuholen und die Steuern einzutreiben, welche er dem osmanischen Fiskus weiterzuleiten hatte.

Was die Fläche anbelangt gab es drei Grössen der zugewiesenen Pfründe.
1. Die Kleinpfründe

Das Jahreseinkommen betrug höchstens 19.999 Asper. Die Stammpfründe wurde auf 1000-3000 Asper angesetzt, indem der Spahi nur selbst zu einem Feldzug antreten und sich selbst ausrüsten musste, jedoch noch keine ausgerüsteten Männer bereitstellen musste. Nach und nach begann man Anfang des 16 Jhdt. auch Nicht-Militärs Kleinpfründe zuzuweisen, da ab dem 16 Jhdt. das Bargeld fehlte.
 
2. Die Großpfründe

Auch Ziamet genannt stand höheren Offizieren zu, aber auch höhere Verwaltungsbeamte bekamen eine Großpfründe zugewiesen. Diese Großpfründe brachten dem Inhaber 20 000-99 999 Asper ein.

3. Die Stabspfründe (has)

Die Staatspfründe war im Gegensatz zu den beiden anderen Grössen die grösste und war im Gegensatz zu den vorhergehenden Pfründen an ein Amt gekoppelt. Die Inhaber von Klein- und Großpfründen erhielten Ihre Pfründe als Lohn.
Diese Inhaber von Stabspfründen waren Wesire, Beglerbegs, Sandschakbegs und andere hohe Würdenträger der Zentralverwaltung, wie z.B. der Nisanci (Leiter der osmanischen Staatskanzlei) oder der Heeresrichter (Kadiasker).
Das Jahreseinkommen betrug mindestens 100 000 Asper. In den Zeiten, als das Osmanische Reich auf seinem Zenit stand hatte ein Sandschakbeg ein Einkommen von 200 000 - 550 000, ein Beglerbeg von 800 000 - 1 200 000, ein Kuppelwesir (bis zu 4 Kuppelwesire, die dem Großwesir unterstanden) 1 000 000 - 1 200 000 und der Großwesir gar bis zu 2 000 000 Asper jährlich.
 
Zur Währung Asper:
Ende des 15 Jhdt. kosten 10 KG Mehl etwas weniger als 1 Asper und ein Schaf rund 30 Asper!!!
 
Hallo Seldschuk,

das ist wirklich sehr interessant :hoch:

Darf ich noch einmal den Vorschlag zum Vergleich präzisieren?

Vorschlag: Wenn ich dazu komme, werde ich eine kurze Charakteristik des mittelalterlichen europäischen Feudalismus (westliches Europa) entsprechend der von Dir angeschnittenen Punkte einstellen.
Was hältst Du davon?

Viele Grüße

Timo

PS: Heute klappt das leider nicht mehr; es ist doch schon recht spät...
 
timotheus schrieb:
Hallo Seldschuk,

das ist wirklich sehr interessant :hoch:

Darf ich noch einmal den Vorschlag zum Vergleich präzisieren?

Vorschlag: Wenn ich dazu komme, werde ich eine kurze Charakteristik des mittelalterlichen europäischen Feudalismus (westliches Europa) entsprechend der von Dir angeschnittenen Punkte einstellen.
Was hältst Du davon?

Viele Grüße

Timo

PS: Heute klappt das leider nicht mehr; es ist doch schon recht spät...

Davon halte ich sehr viel! Hat auch keine Eile! Ich bin auch nur noch wach weil ich arbeite!
Zudem müssen wir uns dann ansehen wie die Menschen damals gelebt haben, d.h. die Bauern und die Timarioten und das entsprechende Pendant im christlichen Westen.
Ich bin dir sehr verbunden für deine Teilnahme! :yes:
 
Zuletzt bearbeitet:
timotheus schrieb:
Nach 1450 muß dann zudem unbedingt und mehr als zuvor zwischen Deutschland, Frankreich und England (um sich auf die "wichtigsten" Staaten zu beschränken) unterschieden werden...
Wobei mich Spanien (Habsburger Lande) auch sehr interessiert, das gerade zur Blütezeit der Osmanen ein starker Gegner im Mittelmeerraum war. D.h. die Konfrontation Karl V. und Süleyman d. Prächtige. :fs:
 
Seldschuk schrieb:
Wobei mich Spanien (Habsburger Lande) auch sehr interessiert, das gerade zur Blütezeit der Osmanen ein starker Gegner im Mittelmeerraum war. D.h. die Konfrontation Karl V. und Süleyman d. Prächtige. :fs:

Hallo,
ich habe fast den Eindruck, dass der Boden nur dem Adel und dem Staat gehörte. Das dürfte aber wohl nicht richtig sein, oder ?
Wer konnte noch alles Besitzer von Land sein ? Privatpersonen ? Nur Muslime, etc. ? Stiftungen, religiöse Institutionen ?

Falls Matuz was dazu schreibt, wäre ich für Infos dankbar.

Grüße,
Mike
 
Mike Hammer schrieb:
Hallo,
ich habe fast den Eindruck, dass der Boden nur dem Adel und dem Staat gehörte. Das dürfte aber wohl nicht richtig sein, oder ?
Wer konnte noch alles Besitzer von Land sein ? Privatpersonen ? Nur Muslime, etc. ? Stiftungen, religiöse Institutionen ?

Falls Matuz was dazu schreibt, wäre ich für Infos dankbar.

Grüße,
Mike

Du hast nicht alles gelesen!!!:hmpf:
 
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