Vermittlung von geschichtlichen Themen in Unterhaltungsfilmen

hamburger84

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Hallo

ich würde gerne wissen ob Unterhaltungsfilme in der Lage sind Geschichte angemessen zu vermitteln.

Als Beispiel nehmen wir einfach mal Filme die auf die deutsche GEschichte bezogen sind.


  • Im Westen nichts neues
  • Der Untergang
  • Good Bye Lenin

Was ist an solchen Filmen, eurer Meinung nach problematisch?

Wird Geschichte verfälscht dargestellt?

Wird die Handlungs bewusst dramatisiert und überzeichnet (damit es sich besser verkauft)?

und wichtig:

Welchen Aussagewert haben Einzelschicksale im Film über die konkreten Geschehnisse. Kann man also sagen, dass bestimmte Personengruppen repräsentativ für ganze Bevölkerungsgruppen stehen und diese verkörpern?

Meine erste Frage ist somit:

sind Unterhaltungsfilme in der Lage Geschichte angemessen / unverfälscht zu vermitteln?
 
...
sind Unterhaltungsfilme in der Lage Geschichte angemessen / unverfälscht zu vermitteln?

@Hamburger84

Spannende Frage. Unterhaltungsfilme sind in erster Linie mehr oder weniger Kunst. Kunst lebt m.E. immer von der Rezeption des Gegenstandes durch der Künstler, hier vorallem Drehbuchautor, Regie, Kamera, Filmmusik und Schauspieler. Natürlich hat der Produzent auch Einfluß, bei ihm im Spagat von Business und Kunst.

Künstlerische Rezeption ist aber keine wissenschaftliche Rezeption, sondern lebt von der Sublimierung und der Zuspitzung der historischen Situation bzw. der Protagonisten, also z.B. der Projektion historischer Ereignisse auf persönliche Schicksale und Ereignisse, anders ausgedrückt der Individualisierung von Geschichte.

Die drei von Dir benannten Filme erzählen nicht nur die Schicksale von einzelnen Personen, sondern durchaus von Generationen. "Im Westen nichts neues", das Schicksal der Kriegsfreiwilligen des I. WK, die seelische Traumatisierung dieser Generation an der Front. Ein Tatbestand der noch viel Einfluß auf den Verlauf der dt. Geschichte haben wird. "Good bye Lenin", die Geschichte einer Generation die tief verwurzelt in der DDR war und der regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, eine für diese Generation traumatische Erfahrung. "Der Untergang", die Vollendung der Nemesis des ns Deutschlands.

Künstlerische Rezeption von Geschichte kann selbstverständlich nie wissenschaftliche Rezeption ersetzten, aber sie kann ein "Zeitgefühl" vermitteln, im besten Fall Interesse und Nachdenklichkeit sowie Inspiration bewirken für eigene Gedanken über das Gesehene, Gehörte und sie kann eine ganze Generation aufwühlen w.z.B. der Film "Holocaust".

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Meinung ist, die dass es in jeden der Filme ein Funken Wahrheit steckt, jedoch muss die Wahrheit oft dem künstlerischen Ideal weichen. So wird gern mal etwas überzeichnet etc.
Aber ich glaube man kann sicher etwas lernen, ich meine die große Frage ist ja auch immer wie wirklich sind die Bilder die man von früher hat??? Man muss alles genau hinterfragen, weil keiner von uns war früher wirklich dabei und kann sagen so war es...und wichtig ist auch von wem der Film gemacht wurde und wen er ansprechen soll.
 
Meistens ist es doch so, dass das Interesse, sich mit einer Epoche überhaupt näher auseinanderzusetzen, von Unterhaltungsmedien erzeugt ist. Man denke nur an die Scharen von Leuten, deren Interesse an römischer Geschichte ursprünglich durch Asterix geweckt wurde. Und die ganzen Piratenexperten beschäftigen sich aus dem gleichen Grund fast samt und sonders mit dem Goldenen Zeitalter (Karibik etc) statt z.B. mit den Napoleonischen Kriegen oder den lateinamerikanischen Rogue Privateers.
 
Ja, ein Piratenfilm mit Pompeius als Pro- oder Antagonisten wäre mal nicht schlecht :winke:

Aber letztlich muss man die Schlussfrage des Ausgangspostings, ob Unterhaltungsfilme in der Lage sind, Geschichte angemessen und/oder unverfälscht zu vermitteln auch auf die Geschichtswissenschaftler erweitern: Sind Historiker in der Lage Geschichte angemessen/unverfälscht zu vermitteln?
Ich glaube, dass dies kaum möglich ist, eben weil Geschichte Geschichte ist. Sie ist Rekonstruktion des Vergangenen aus ihren fragmentarischen Überresten. Man kann sie nicht - ich greife hier ein Wort aus einer Szene auf, ohne diese damit angreifen zu wollen - re-enacten.

Was nun die genannten Filme angeht, so muss man sich auch fragen, ob es sich dabei wirklich um Unterhaltungsfilme handelt. Sicher, sie haben den Nebeneffekt zu unterhalten. Aber ist das auch ihr Ziel? Im Westen nichts Neues z.B. geht auf das Buch eines Menschen zurück, Kramer, Künstlername Remarque (Umkehrung von Kramer), der den Schützgraben selbst erlebt hatte. Es handelt sich um einen weitgehend autobiographischen Roman und die Verfilmungen sind diesem einigermaßen treu geblieben. Remarque wollte sicher nicht informieren, sondern aus der Erfahrung des Krieges heraus eine Botschaft unters Volk bringen, also eher appellieren.

Der Untergang
dagegen basiert auf der Rezeption der Drehbuchautoren und Regisseure von historischer Fachliteratur und Augenzeugenberichten, gerade mit den Augenzeugenberichten geht er m.E. etwas zu naiv um, aber nichtsdestotrotz ist der Film - bei aller Kritikwürdigkeit an der einen oder anderen Stelle - nicht schlecht.

Good bye, Lenin, ist nun wiederum ein Film, der einerseits versucht die euphorische Stimmung der Wendezeit aufzufangen (und es gelingt ihm auch), der aber andererseits auch die positive Erinnerung der DDR-Bürger an ihre Heimat nicht ausblendet, wie das bei manchen Fernsehproduktionen schnell geschieht. Gleichzeitig verfällt dieser Film nicht in die DDR-Apologetik mancher Ostalgiker, sondern ist sehr refelektiert, auch weil er ja gerade die echte Geschichte vom Ende der DDR, mit der Niederknüppelung von Demonstranten, mit der staatlicherseits erzwungenen Trennung von Familien, mit der Mangelwirtschaft, neben die alternative Geschichte vom Ende der DDR stellt und am Ende den Protagonisten aus dem Off auch sagen lässt, dass er sich ein würdigeres Ende für den Staat gewünscht hätte, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Für seine Mutter hat der Protagonist genau dieses würdigere Ende inszeniert.
 
Das Dumme ist ja, daß Filme mit geschichtlichem Hintergrund von der überwiegenden Mehrheit des Publikums kaum hinterfragt werden und sich deswegen idealisierte oder schlichtweg falsche Geschichtsbilder festsetzen können, die mit der Realität nicht allzuviel zu tun haben müssen.

Ich kann mir beispielsweise keine Piratenfilme ansehen (Filme mit Johnny Depp natürlich ausgenommen), weil ich über Piraten schon zuviel gelesen habe :)=
 
Was nun die genannten Filme angeht, so muss man sich auch fragen, ob es sich dabei wirklich um Unterhaltungsfilme handelt. Sicher, sie haben den Nebeneffekt zu unterhalten. Aber ist das auch ihr Ziel? Im Westen nichts Neues z.B. geht auf das Buch eines Menschen zurück, Kramer, Künstlername Remarque (Umkehrung von Kramer), der den Schützgraben selbst erlebt hatte. Es handelt sich um einen weitgehend autobiographischen Roman und die Verfilmungen sind diesem einigermaßen treu geblieben. Remarque wollte sicher nicht informieren, sondern aus der Erfahrung des Krieges heraus eine Botschaft unters Volk bringen, also eher appellieren.

Zur Ergänzung: Erich Maria Remarque hat nie "Kramer" geheißen, allerdings ist sein "richtiger" Name "Remark", dieser ist von vorhergehenden Generation orthographisch "eingedeutscht" worden (vermutlich französische Vorfahren). Remarque/Remark hat nur seinen "Originalnamen" wieder übernommen. Die Kramer/Remarque-Legende stammt aus dem Dritten Reich, als man ihm außerdem noch als "Juden" diffamieren wollte.

Er ist auch erst Juni 1916 an die Front versetzt worden, und bereits Ende Juli 1916 nach Splitterverletzung in ein Lazarett gekommen. Angesichts der kurzen Fronterfahrung wird wahrscheinlich nicht so viel autobiographisches im Buch enthalten sein, aber er wird sicherlich die Erfahrungen seiner verletzten Kameraden in das Werk einfließen gelassen haben. Das Gebäude in Duisburg, in dem das Lazarett provisorisch eingerichtet wurde, besteht übrigens heute noch und beherbergt ein kommunales Kino und ein Filmarchiv. So schließt sich wieder der Kreis zum Film.

Übrigens: ein großartiges Buch!
 
Zuletzt bearbeitet:
@hamburger84

Die Fragestellung ist natürlich etwas irreführend, da die von dir genannten Beispiele zumindest den Anspruch haben, Zeitgeschehen zu vermitteln. Durch diesen dokumentarischen Ansatz sind sie also keine reinen Unterhaltungsfilme, wie hier auch schon festgestellt wurde.

Um bei meinem Beispiel der Piratenfilme zu bleiben, kenne ich allerdings keinen einzigen, der dieses interessante Thema wirklich ernst nehmen würde. So könnte man etwa einmal die frühen Berichte eines Exquemelin über die "Americaensche Zee-Rovers" verfilmen, wobei jedoch zu befürchten wäre, daß das Actionpublikum seine Eintrittsgelder zurückverlangen würde :)=
 
Zuletzt bearbeitet:
Zur Ergänzung: Erich Maria Remarque hat nie "Kramer" geheißen, allerdings ist sein "richtiger" Name "Remark", dieser ist von vorhergehenden Generation orthographisch "eingedeutscht" worden (vermutlich französische Vorfahren). Remarque/Remark hat nur seinen "Originalnamen" wieder übernommen. Die Kramer/Remarque-Legende stammt aus dem Dritten Reich, als man ihm außerdem noch als "Juden" diffamieren wollte.
Stimmt, war falsch erinnert. Wobei die Umkehrung des Namens in Kramer, um Remarque als Juden zu diffamieren schon irgendwie ein Schuss nach hinten ist, wenn man bedenkt, dass Kramer/Cramer/Krämer/Cremer (etc.) ein nicht ganz seltener Name ist.
 
Meine erste Frage ist somit:

sind Unterhaltungsfilme in der Lage Geschichte angemessen / unverfälscht zu vermitteln?

Ist immer auch die Frage der Grenzziehung: was bedeutet "angemessen" / "unverfälscht"? Daraus leitet sich die Frage ab, was man mit dem Film transportieren will: Nackte exakte Fakten? Eine Einordnung? Sensibilisierung? Einen Überblick? Genau mit der selben Frage trägt sich ja auch die Wissenschaft: In Abwesenheit hieb- und stichfester Quellen ist es immer die Frage, wieviel Spekulation, Vermutung oder Plausibilisierung (selbstverfreilich ausdrücklich gekennzeichnet) erlaubt ist. Auch hier gibt es schon einen ganz erheblichen Interpretationsspielraum; die "Wahrheit" ist dabei stets abhängig vom Blickwinkel des Betrachters / Augenzeugen / Zeitzeugen / Verfassers der Quelle / Zeitalter oder Voreinstellung des Rezipienten bzw. Adressaten. Genau deswegen kann und will Geschichte keine "exakte" Wissenschaft. Für reines Handwerk halten wir uns Physiker und Mathematiker.:devil:

Beispiel: der Film "Gettysburg": Wer damals was wann gemacht hat, ist auf Armee-, Divisions- und Brigadeebene noch einigermaßen klar nachzuvollziehen. Spätestens auf dem Weg von Regiments- bis zur individuellen Ebene wird das immer schwieriger. Wer damals was wann WIESO gemacht oder nicht gemacht hat, ist praktisch unmöglich herauszufinden und darzustellen. Meistens wissen nicht einmal die Akteure selbst einen Tag, eine Woche, ein Jahr oder ein Leben später, was sie da geritten hat und häufig genug findet in deren Erinnerungen mit der Zeit eine kontinuierliche Uminterpretation der Geschehnisse statt. - Brutales Beispiel: Im Blutrausch tötet irgendein Kämpfer irgendeinen Gegenüber, der sich gerade ergeben will - nach dem ersten Nachdenken war es halt im Eifer des Gefechts, irgendwann später hat das Opfer den Täter doch irgendwann bedroht und vierzig Jahre später ist der "Täter" selbst überzeugt, dass "wenn nicht ich ihn, dann er mich." Oder es ist genau umgekehrt und ein Soldat zerbricht daran, dass er im Kampf jemanden möglicherweise "ermordet" hat. (Gibt's das nicht bei "Im Westen nichts neues", wo der Held einen bereits verletzten Tommy erschießt, weil er sich von ihm bedroht fühlt und dann herausfindet, dass der nur nach seiner Trinkflasche gefummelt hat?) Was ist nun die unverfälschte Wahrheit?

So ist Gettysburg auf einem Roman auf der Grundlage der Erinnerungen eines Nordstaatenobristen (Chamberlain) und eines Südstaatengenerals (Longstreet) aufgebaut. Aus Sicht der beiden Soldaten (höchstwahrscheinlich) ehrlich die "unverfälschte" Wahrheit zum Zeitpunkt - nicht der Schlacht, nein - zum Zeitpunkt der Niederschreibung dieser Erinnerungen. Der Romanautor hat sicherlich da und dort den einen oder anderen Geschmacksverstärker eingebaut, aber lediglich, um irgendetwas zu "verdeutlichen", nicht "umzudeuten". Jeder andere Entscheidungsträger hat mit Sicherheit die Entscheidungen und Vorgänge anders beurteilt. Der selbe Film auf der Grundlage der Erinnerungen irgendeines anderen Paares von Soldaten, die am selben Tag an den selben Brennpunkten eingesetzt waren, würde mehr oder weniger weit von diesem Gettysburg abweichen. In Chamberlains Regiment gibt es mindestens einen Hauptmann, der die Urheberschaft der Idee mit dem Bajonettangriff für sich reklamierte statt für seinen Chef. Beide Filmversionen wären genauso (un)verfälscht wie jede hochwissenschaftliche Quellenausgabe.

"Pickett's Charge" wurde übrigens genau auf der Wiese gedreht, auf der sie stattgefunden hat. Allerdings auf Grund der günstigeren Geländegegebenheiten zur Zeit des Filmdrehs um einige hundert Meter verschoben. Also verfälscht. Aber warum? Richtziel des Angriffs war eine Baumgruppe. Diese hat sich in den über 100 Jahren, die seit der Schlacht vergangen waren, verändert. Damit hat der bloße Zeitablauf eine exakt faktengetreue Verfilmung bereits unmöglich gemacht. Etwas weiter war jedoch eine Baumgruppe verfügbar, die einigermaßen so aussah, wie es zur Zeit der Schlacht ausgesehen hat. Diese "Verfälschung" diente also dazu, die andere "Verfälschung" für den Zuschauer zur "Verrichtigen". Die Frage nach richtig oder falsch liegt eben im Auge von Absender(n) wie Betrachter(n).

Ich stimme dem Vorschreiber zu, der den wesentlichen Wert historischer Darstellungen - sei es Vortrag, Buch oder Film - darin sieht, das sie uns dazu bringen, uns mit dem Thema zu beschäftigen.
 
Den "Untergang" halte ich - ungeachtet der ausufernden Diskussionen über die Geschichtsinterpretation des Drehbuchs - für ein sehr gelungenes Beispiel, wie in einem Film Dramaturgie und Authentizität abgewogen werden. Es hält sich auch sehr nahe an die Version der Geschichte, wie sie ein Historiker, hier nämlich Joachim Fest, erzählt. Würde man bezüglich der Details tiefer in die Forschungsdiskussion einsteigen, besonders die Aspekte, wer wann wie an diesen Tagen gestorben ist, würde man feststellen, dass etliche Fragen eigentlich noch offen sind. Trotzdem: im Gesamten mag ich da kaum meckern.

Ein ähnlicher Film in dieser Richtung wäre der "Baader-Meinhof-Komplex", den ich allerdings etwas kritischer sehe - vor allem, weil er als Film nicht mehr so gelungen ist.


Will man etwas sehr authentisch gestalten, biete sich klar umrissene und dokumentierte, in kurzer Zeit abgelaufene Ereignisse an, die sich kammerspielartig abhandeln lassen. So einen Film gab es z.B. über die Wannsee-Konferenz.

Auch länder- und epochentypisch gibt es große Unterschiede. Je weiter es in der Geschichte zurückgeht, desto mehr steigen die Anforderungen, will man in der Ausstattung authentisch sein.
Andererseits neigen Drehbuchschreiber und Regisseure dazu, Fakten zu streichen, weil sie nicht in die Geschichte passen, wie sie sich vorstellen. Das führt mitunter zu extremen Verfälschungen.

Es gibt auch ländertypisch andere Herangehensweisen. In deutschen Filmen dominiert eher ein ernsthaft, um Realismus bemühter Umgang mit der eigenen Zeitgeschichte; deswegen halte ich "Goodbye Lenin" für einen sehr starken Filmen, weil er sich einen spielerischen Umgang damit erlaubt, ohne geschmacklos zu werden.
 
So könnte man etwa einmal die frühen Berichte eines Exquemelin über die "Americaensche Zee-Rovers" verfilmen, wobei jedoch zu befürchten wäre, daß das Actionpublikum seine Eintrittsgelder zurückverlangen würde :)=

Joah, oder es wird als launige Klamotte verfilmt und alle liegen gackernd am Boden, oder es kommt als Torture Porn auf den Index - je nach Auswahl der zu verfilmenden Szenen. Schon die einzelnen Quellen (wie etwa Exquemelin) sind ja wesentlich komplexer und facettenreicher als ein einzelner Film es darstellen kann. Wie soll dann Geschichte an und für sich repräsentiert werden? Neddy hat schon recht, das ist doch irgendwie eine verfehlte Fragestellung.

Filme bieten eine Perspektive an, einen Einstieg in die Materie, eine (meistens halt sehr platte, unreflektierte und holzhammermäßige) These wie es gewesen sein könnte. Letztendlich tun Historiker (auf höherem Niveau) auch nichts substanziell anderes, weil auch sie nie vollständig erfassen können, wie es tatsächlich war. Sowohl Film als historisches Argument können sich bestenfalls am Forschungsstand orientieren. Oder eben nicht. Letzteres kommt bei Historikern auch öfter vor als man sich so eingestehen mag.
 
Joah, oder es wird als launige Klamotte verfilmt und alle liegen gackernd am Boden, oder es kommt als Torture Porn auf den Index - je nach Auswahl der zu verfilmenden Szenen.

Die Matelotage der Buccaneers ließe sich natürlich in den schrillsten Farben ausmalen. Aber wahrscheinlich würde doch wieder eine familientaugliche Klamotte daraus werden mit viel Augenklappen, Doublonen und bunten Papageien auf Piratenschultern und mit der üblichen bombastischen Orchestermusik, sobald ein Segel am Horizont auftaucht.
Wirklich schade, daß dieses Sujet so dermaßen mit Klischees zugekleistert ist, schlimmer noch als das Indianerthema. Selbst unsere eigenen Piraten wie Störtebeker&Co kennt man ja nur als Knallchargen in drittklassigen Freilichttheateraufführungen. :-(=
 
@hamburger84

Die Fragestellung ist natürlich etwas irreführend, da die von dir genannten Beispiele zumindest den Anspruch haben, Zeitgeschehen zu vermitteln. Durch diesen dokumentarischen Ansatz sind sie also keine reinen Unterhaltungsfilme, wie hier auch schon festgestellt wurde.

Um bei meinem Beispiel der Piratenfilme zu bleiben, kenne ich allerdings keinen einzigen, der dieses interessante Thema wirklich ernst nehmen würde. So könnte man etwa einmal die frühen Berichte eines Exquemelin über die "Americaensche Zee-Rovers" verfilmen, wobei jedoch zu befürchten wäre, daß das Actionpublikum seine Eintrittsgelder zurückverlangen würde :)=


Robert Louis Stevensons Schatzinsel ist freilich eine fiktive, literarische Vorlage, und es spielt die Handlung mindestens dreißig Jahre nach der Zeit der letzen "Blüte" des karibisch-atlantischen Piratenwesens in den 1720er Jahren, doch Stevenson hat sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt, was sich auch in seinem Roman niederschlägt. Sicher, manche Details wie der "schwarze Fleck" sind fiktiv, doch einige Details stammen aus der vermutlich von Daniel Defoe verfassten Geschichte der Bukanier. Der gefürchtete Captain Flint trägt Züge von Blackbeard und "Black Barty Roberts. Flints alten Geschützmeister Israel Hands nennt Stevenson Israel Hands, genauso wie ein Seemann hieß, der Blackbeard des Falschspiels bezichtigte, worauf dieser ihn ins Bein schoss. Long John Silver berichtet, er sei zuerst mit dem (historischen) Captain Eduard England gesegelt und dann mit Flint. Silver lässt sich dazu aus, was mit der Achterdeck-Partei geschehen soll und dass Roberts sie wohl kaltgemacht, während England sie ausgesetzt hätte. Er, Silver verabscheue Gewalt, doch bevorzugte er das Motto des Maats Billy Bones: "Tote Hunde beißen nicht mehr". Ben Gunn, aber auch Defoes Robinson Crusoe gehen beide auf den Ex- Piraten Alexander Selkirk zurück, der genau wie Ben Gunn "marooned" wurde, also auf einer Insel ausgesetzt, wo er sich der Ziegenjagd- und --Zucht widmete und ebenso wie Gunn und Crusoe in der Einsamkeit zurück zur Religion und Gottesverehrung fand.

Treasure Island ist rein fiktiv, doch literarisch wie historisch weitaus authentischer, als manche Hollywood-Drehbücher.

Da wir von Piratenfilmen sprachen, musste ich aber an eine andere Verfilmung denken. Von uns "alten Säcken" erinnern sich bestimmt noch die meisten an Sandokan, den Tiger von Malaysia, den sich Emilio Salgari (1862-1912) ausgedacht hat. Sandokan, besser gesagt Sandokung war ein historischer Pirat, der an der Nordküste Borneos sein Unwesen trieb, wo sein historischer Gegenspieler James Brooke sich als Sultan von Sarawak etabliert hatte. Brooke und seine nachkommen beherrschten bis 1948 Sarawak. Die von Sandokan geführte Tigerflagge ging auf den Syarif Osman von Marudu, einem Kampfgefährten des historischen Sandokungs, der um 1845 lebte. Von Sandokan ließ sich übrigens auch einer der Bosse der Camorra, Francesco Schiavone inspirieren, der sich Sandokan nannte.
 
@Hamburger84

Spannende Frage. Unterhaltungsfilme sind in erster Linie mehr oder weniger Kunst. Kunst lebt m.E. immer von der Rezeption des Gegenstandes durch der Künstler, hier vorallem Drehbuchautor, Regie, Kamera, Filmmusik und Schauspieler. Natürlich hat der Produzent auch Einfluß, bei ihm im Spagat von Business und Kunst.

Künstlerische Rezeption ist aber keine wissenschaftliche Rezeption, sondern lebt von der Sublimierung und der Zuspitzung der historischen Situation bzw. der Protagonisten, also z.B. der Projektion historischer Ereignisse auf persönliche Schicksale und Ereignisse, anders ausgedrückt der Individualisierung von Geschichte.

Die drei von Dir benannten Filme erzählen nicht nur die Schicksale von einzelnen Personen, sondern durchaus von Generationen. "Im Westen nichts neues", das Schicksal der Kriegsfreiwilligen des I. WK, die seelische Traumatisierung dieser Generation an der Front. Ein Tatbestand der noch viel Einfluß auf den Verlauf der dt. Geschichte haben wird. "Good bye Lenin", die Geschichte einer Generation die tief verwurzelt in der DDR war und der regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, eine für diese Generation traumatische Erfahrung. "Der Untergang", die Vollendung der Nemesis des ns Deutschlands.

Künstlerische Rezeption von Geschichte kann selbstverständlich nie wissenschaftliche Rezeption ersetzten, aber sie kann ein "Zeitgefühl" vermitteln, im besten Fall Interesse und Nachdenklichkeit sowie Inspiration bewirken für eigene Gedanken über das Gesehene, Gehörte und sie kann eine ganze Generation aufwühlen w.z.B. der Film "Holocaust".

M.


An Holocaust habe ich selbst schon denken müssen. Ich muss damals, als die Serie zum erstenmal in der BRD gesendet wurde, etwa 12- 13 Jahre alt gewesen sein und weiß noch, dass viele Teenager das gar nicht sehen durften. Es hat Holocaust eine ungeheure Resonanz gefunden, und es war im Grunde genommen das erste Mal, dass die Shoah außerhalb eines akademischen Zirkels thematisiert wurde und darüber in weiten Teilen der Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde.

Es gab damals aber auch Kritik, nicht nur aus revisionistischen Kreisen, sondern auch von Seiten Überlebender. Die Kritik war ahnlich wie später bei Spielbergs Verfilmung von Schindlers Liste ganz ähnlich, man sagte, dass es praktisch unmöglich sei, das geschehen angemessen wiedergeben zu können, nicht zuletzt auch deshalb, weil es fast unmöglich ist, die Wirklichkeit einem Filmpublikum zumuten zu können.

So berichtete Moische Belski über seine Erfahrungen mit Spielberg. Es ging um die Szene, wo Göth mit einem Gewehr vom Balkon aus Häftlinge abknallt. Belski war wenig überzeugt, denn: "Es gab viel Schlimmeres, als erschossen zu werden."

"Was denn?

"Na ja, zum Beispiel seine Hunde Ralf und Rolf, Göth hat Menschen von seinen Doggen zerreißen lassen."

Worauf Spielberg antwortete, das könne man keinem zumuten.

Trotzdem haben Holocaust und Schindler´s List ein Millionenpublikum erreichen können,was vermutlich nur durch das Medium des Films möglich war, haben eine weite Diskussion in großen Teilen der Bevölkerung angeregt und Persönlichkeiten wie Oscar Schindler in Deutschland bekannt gemacht.
 
An Holocaust habe ich selbst schon denken müssen. Ich muss damals, als die Serie zum erstenmal in der BRD gesendet wurde, etwa 12- 13 Jahre alt gewesen sein und weiß noch, dass viele Teenager das gar nicht sehen durften. Es hat Holocaust eine ungeheure Resonanz gefunden, und es war im Grunde genommen das erste Mal, dass die Shoah außerhalb eines akademischen Zirkels thematisiert wurde und darüber in weiten Teilen der Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde.

Es gab damals aber auch Kritik, nicht nur aus revisionistischen Kreisen, sondern auch von Seiten Überlebender. Die Kritik war ahnlich wie später bei Spielbergs Verfilmung von Schindlers Liste ganz ähnlich, man sagte, dass es praktisch unmöglich sei, das geschehen angemessen wiedergeben zu können, nicht zuletzt auch deshalb, weil es fast unmöglich ist, die Wirklichkeit einem Filmpublikum zumuten zu können.

So berichtete Moische Belski über seine Erfahrungen mit Spielberg. Es ging um die Szene, wo Göth mit einem Gewehr vom Balkon aus Häftlinge abknallt. Belski war wenig überzeugt, denn: "Es gab viel Schlimmeres, als erschossen zu werden."

"Was denn?

"Na ja, zum Beispiel seine Hunde Ralf und Rolf, Göth hat Menschen von seinen Doggen zerreißen lassen."

Worauf Spielberg antwortete, das könne man keinem zumuten.

Trotzdem haben Holocaust und Schindler´s List ein Millionenpublikum erreichen können,was vermutlich nur durch das Medium des Films möglich war, haben eine weite Diskussion in großen Teilen der Bevölkerung angeregt und Persönlichkeiten wie Oscar Schindler in Deutschland bekannt gemacht.


Ähnlich wie die Fernsehserie Holocaust hat eigentlich nur eine andere Serie Aufsehen erregt und eine weite Diskussion angestoßen, und diese Serie war Roots, in der zum erstenmal amerikanische Geschichte aus Sicht der Afroamerikaner thematisiert wurde. Der Autor Alex Haley musste sich Plagiatsvorwürfe gefallen lassen, und Kritiker bemängelten, dass in Roots historische Ereignisse reichlich spekulativ aufbereitet würden, dennoch wurde Roots, durchaus zu recht, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet
 
Ja, ein Piratenfilm mit Pompeius als Pro- oder Antagonisten wäre mal nicht schlecht :winke:

Aber letztlich muss man die Schlussfrage des Ausgangspostings, ob Unterhaltungsfilme in der Lage sind, Geschichte angemessen und/oder unverfälscht zu vermitteln auch auf die Geschichtswissenschaftler erweitern: Sind Historiker in der Lage Geschichte angemessen/unverfälscht zu vermitteln?
Ich glaube, dass dies kaum möglich ist, eben weil Geschichte Geschichte ist. Sie ist Rekonstruktion des Vergangenen aus ihren fragmentarischen Überresten. Man kann sie nicht - ich greife hier ein Wort aus einer Szene auf, ohne diese damit angreifen zu wollen - re-enacten.

Was nun die genannten Filme angeht, so muss man sich auch fragen, ob es sich dabei wirklich um Unterhaltungsfilme handelt. Sicher, sie haben den Nebeneffekt zu unterhalten. Aber ist das auch ihr Ziel? Im Westen nichts Neues z.B. geht auf das Buch eines Menschen zurück, Kramer, Künstlername Remarque (Umkehrung von Kramer), der den Schützgraben selbst erlebt hatte. Es handelt sich um einen weitgehend autobiographischen Roman und die Verfilmungen sind diesem einigermaßen treu geblieben. Remarque wollte sicher nicht informieren, sondern aus der Erfahrung des Krieges heraus eine Botschaft unters Volk bringen, also eher appellieren.

Der Untergang dagegen basiert auf der Rezeption der Drehbuchautoren und Regisseure von historischer Fachliteratur und Augenzeugenberichten, gerade mit den Augenzeugenberichten geht er m.E. etwas zu naiv um, aber nichtsdestotrotz ist der Film - bei aller Kritikwürdigkeit an der einen oder anderen Stelle - nicht schlecht.

Good bye, Lenin, ist nun wiederum ein Film, der einerseits versucht die euphorische Stimmung der Wendezeit aufzufangen (und es gelingt ihm auch), der aber andererseits auch die positive Erinnerung der DDR-Bürger an ihre Heimat nicht ausblendet, wie das bei manchen Fernsehproduktionen schnell geschieht. Gleichzeitig verfällt dieser Film nicht in die DDR-Apologetik mancher Ostalgiker, sondern ist sehr refelektiert, auch weil er ja gerade die echte Geschichte vom Ende der DDR, mit der Niederknüppelung von Demonstranten, mit der staatlicherseits erzwungenen Trennung von Familien, mit der Mangelwirtschaft, neben die alternative Geschichte vom Ende der DDR stellt und am Ende den Protagonisten aus dem Off auch sagen lässt, dass er sich ein würdigeres Ende für den Staat gewünscht hätte, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Für seine Mutter hat der Protagonist genau dieses würdigere Ende inszeniert.


Es sagen Filmproduktionen oft sehr mehr über das Geschichtsverständnis ihrer Entstehungszeit aus, als über die Geschichtsperiode, die sie darstellen. Historienfilme, bzw. Filme mit historischem Hintergrund spiegeln daher auch immer veränderte Sichtweisen der eigenen Geschichte wieder. In diesem Zusammenhang musste ich vor allem an Clint Eastwoods "Flag of our fathers" und "Letters from Iwo Shima" denken.
 
@ Scorpio

Stevensons Roman "Treasure Island" mag sicherlich einiges an authentischem Zeitkolorit eingefangen und wiederbelebt haben, verfilmt haben das Ganze dann aber wieder die üblichen Verdächtigen mit immer denselben Requisiten und dem entsprechenden Desinteresse, wirklich einmal nachzuforschen, wie ein Seeräuberalltag tatsächlich ausgesehen hatte.
Gerade darüber sagen derlei Versatzstücke leider sehr wenig aus. Nicht einmal der Piratenfuhrpark wird in solchen Filmen angemessen rübergebracht, sondern immer der Eindruck vermittelt, als verfügten die Herren über die schiffbauliche Infrastruktur einer kleineren Seemacht. Ebensowenig wie heutige somalische Piraten mit Kreuzern und Zerstörern angreifen, standen ja auch den karibischen Freibeutern und Piraten meist nur kleine und wendige Schiffchen zur Verfügung, von der Piratenflotte Henry Morgans und anderen Ausnahmen einmal abgesehen. Aber was hört man in schönster Regelmäßigkeit beim Besuch einer schiffshistorischen Ausstellung? "Kuck mal, ein Piratenschiff!" Und die kleinen Kinder zeigen dann garantiert auf die größten Linienschiffe und Galeonen, die die entdecken können :)

Daniel Defoe alias Lovat Fraser haben wir jedenfalls DIE literarische Quelle zu verdanken, aus der sich bisher noch jeder Drehbuchautor ausgiebig zu bedienen wusste. Seine "History and Lives Of all the most Notorious PIRATES and their CREWS" hat somit ein ganzes Genre bestimmt, leider nicht unbedingt zum Positiven, aber das konnte er ja damals nicht ahnen :)=
 
Quatsch! Lovat Fraser verfasste das Vorwort und illustrierte meine 20er-Jahre Ausgabe.
Defoe schrieb unter dem Pseudonym Captain Charles Johnson :)=
 
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