Versailler Vertrag - Problematische Bestimmungen

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Gast

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erstmal will ich euch danken, dass ihr dieses forum betreibt und immer so schnell und gekonnt hilfe leistet :)

so nun zu meinen Fragen.
Wegen dem bevorstehenden Abi im März fass ich mir grad Infos zum Versailler Vertrag zusammen und bin dabei auf 2 Sachen gestoßen die ich nicht so ganz verstehe:

1) und zwar ist einmal die Rede davon, dass sich die Deutschen sehr ungerecht behandelt fühlten (vor allem als es an die Gebietsverluste ging) und dann steht in meinem Buch folgendes [das was in Klammern steht stammt von mir]: "Der Vorwurf der einseitigen Entscheidung (also Vorteil für Siegermächte bzw Frankreich und Polen) lässt sich heute nicht mehr halten, da Polen und Frankreich Maximalforderungen nicht verwirklichen konnten. Wohl aber führte diese Fehleinschätzung dazu, dass weder Politiker noch Militärs an Verhandlungen mit Polen dachten."
Verhandlungen mit Polen über was? Über die Gebiete? hätte Deutschland überhaupt ein Recht dazu gehabt?

2) dann noch eine Frage zum Kriegsverbrecherparagraf der im selben Buch so beschrieben ist: "Entscheidend für seine emotionalisierende Wirkung war die Nennung des Kaisers als Kriegsverbrecher und der Auslieferungsantrag an die Niederlande. Da dieser Antrag jedoch an den niederländischen Königshof gerichtet und die Niederlande zudem neutral waren, konnte dieser Artikel als weitgehend wirkungslos angesehen werden"

jetzt beim schreiben kam mir die beschreibun dann doch verständlicher vor... heißt das, dass der König sich in die Niederlande abgesetzt hatte? weil ich habs erst so verstanden als sollte er an die Niederlande ausgeliefert werden... macht ja nicht so viel sinn...



wieder mal danke für eure Mühe.
 
Zu Punkt 1: Deutschland hatte im Herbst 1918 den US-Präsidenten Wilson um einen Waffenstillstand auf Basis des 14-Punkte-Programms des US-Präsidenten gebeten. Darin war auch die Wiederherstellung Polens - mit einem freien Zugang zur See - vorgesehen. Zu diesem Zwecke wurde dann im Versailler Vertrag die Hafenstadt Danzig vom Deutschen Reich abgetrennt und zu einem Freistaat unter Völkerbundverwaltung erklärt. Dies geschah gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung. Wollten jedoch umgekehrt nationale Minderheiten (zum Beispiel die Dänen in Nordschleswig / Sonderjylland ) aus dem dem Deutschen Reich ausscheiden, wurde dies den Minderheiten durch eine Volksabstimmung ermöglicht. Ein anderes Beispiel ist das Saarland, welches für 15 Jahre unter französischer Verwaltung gestellt wurde. Auch hier wurde die Bevölkerung nicht gefragt. Desweiteren hat man den Beitritt Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich verboten. Dies wurde meines Wissens jedoch nicht im Versailler Vertrag geregelt, sondern dies erfolgte später. Die hehren Ziele der Alliierten nach Freiheit der Völker und Demokratie galten für die Deutschen gerade nicht. Das führte sicherlich zu der Ablehnung, wie in dem von zitierten Buch beschrieben. Was nun die Deutschen konkret mit den Polen hätten verhandeln sollen, müsste doch eigentlich aus dem ganzen Kapitel des von Dir zitierten Textes hervor gehen.

Zu Kaiser Wilhelm II.
Das hast Du richtig erkannt. Er ging im November 1918 ins holländische Exil.
 
Anmerkungen zu 1:
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Polen war über 100 Jahre (!) lang von der Landkarte verschwunden und kam nun mit Gebietsforderungen an den Verhandlungstisch. Das war der Siegermacht Frankreich sehr willkommen, denn es wünschte sich ein starkes Polen als zukünftigen Verbündeten im Osten Deutschlands.

Die Gebietsforderungen der polnischen Friedensdelegationen zielten auf eine Wiederherstellung Polens in seinen historischen Grenzen von 1772 ab: östliche Gebiete auf Kosten Rußlands und neben Teilen Posens und Westpreußens auch ganz Oberschlesien. Die Alliierten gingen weitgehend auf die Forderungen der Polen ein, Danzig wurde jedoch zur freien Stadt unter der Aufsicht des Völkerbundes erklärt und für Oberschlesien eine Volksabstimmung anberaumt, die über die endgültige Grenzziehung entscheiden sollte.


Anmerkungen zu 2:
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Die niederländische Regierung verweigerte die Auslieferung von Exkaiser Wilhelm II., und die Siegermächte nahmen dies hin. Wilhelm II. verbrachte dort seinen letzten Jahre, bis er dann Juni 1941 im Zenit Hitler'scher Erfolge starb.
 
Punkt 1.
"Der Vorwurf der einseitigen Entscheidung lässt sich heute nicht mehr halten, da Polen und Frankreich Maximalforderungen nicht verwirklichen konnten."
Ich denke da liegt der Autor des Buches etwas falsch. Nur weil die Maximalforderungen die beim Anfang der Verhandlungen existierten nicht durchgesetzt wurden, heisst das noch lange nicht das sie nicht einseitig gewesen waren.
Einseitig im Sinne von Sieger und Besiegten waren sie ganz eindeutig, das jetzt unter den Siegern zb England mässigend auftrat und Maximalforderungen Frankreichs einen Riegel vorschob war zb das Minimalziel Englands, um Frankreich nicht zu mächtig werden zu lassen.
Nichteinseitige Entscheidungen auf seiten der Sieger weil deren Interessen unterschiedlich waren bedeutet nicht das sie dadurch nicht Einseitig gegenüber den Besiegten waren.
Somit brauchst diesen Punkt des Autors nicht beachten, er ist falsch.

"Wohl aber führte diese Fehleinschätzung dazu, dass weder Politiker noch Militärs an Verhandlungen mit Polen dachten."
Diese mutmassung des Autors ala "Deutschland hat nicht gemerkt das es gut davon gekommen ist" somit Polens expansion Richtung Westen eine Normalität im Umgang von Nationalstaaten untereinander gewesen wäre, war damls und ist auch heute nicht der Fall.
Kein Staat anstelle Deutschlands hätte die Ostgrenze damals anerkannt und das wäre die minimale Vorbindingung für Verhandlungen gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
zu 2.

Hindenburg hat Wilhelm II. in Spa durch ein unzutreffendes Bedrohungsszenario, beispielsweise seien revolutionäre Einheiten von Aachen unterwegs nach Spa und es sind nicht genügend Truppen zum Schutz des Kaisers vorhanden, unter Druck gesetzt, doch in die Niederlande überzutreten. (1) Wilhelm II. hat sich dann schließlich am 10.November in die Niederlande begeben. Am 28.November hat er dann formell abgedankt.

Am 16.Januar 1920 wurde dem niederländischen Gesandten in Paris die Note überreicht, in der die Auslieferung Wilhelm II. gefordert wurde. Die Regierung in Den Haag weigerte sich aber dieser Aufforderung Folge zu leisten.

Die Auslieferungsliste wurde auch auf Grundlage des Artikel 227 – 230 am Abend des 03.Februar 1920 dem Vorsitzenden der Deutschen Friedensdelegation in Paris überbracht. Auf der Liste standen nicht nur der Name vom Deutschen Kaiser Wilhelm II., sondern weitere knapp 900 Personen. Beispielsweise sollten außerdem der ehemalige Reichskanzler Bethmann Hollweg, Kronprinz Wilhelm, Kronprinz Rupprecht von Bayern, Großherzog Ernt Ludwig von Hessen, Herzog Albrecht von Württemberg, Feldmarschall von Bülow, Feldmarschall von Mackensen, Feldmarschall von Hindenburg, Generaloberst von Beseler, Generaloberst von Hausen, Generaloberst von Kluck, Großadmiral von Tirpitz, Admiral von Ingenohl, Admiral von Müller, Admiral von Scheer etc.etc.. Die Reichsregierung sträubte sich zäh, die genannten Personen auszuliefern, weil sie sich auch u.a. Sorge über etwaige Reaktionen in der Reichswehr machte.

Am 14.Februar 1920 machten Lloyd George und Millerand in einer weiteren Note massiv Druck auf die Niederlande, ja sie drohten sogar Konsequenzen an.

Letzen Endes mussten sich Frankreich und Großbritannien aber mit einer schriftlichen Erklärung Wilhelm II. zufrieden geben, aus der hervorgeht, Haus Doorn und das umliegende Gebiet nicht zu verlassen und sich jeder politischen Betätigung zu enthalten. Des Weiteren musste Wilhelm II. in einer Zensur seiner schriftlichen Korrespondenz einwilligen. (2)


(1) Pyta, Hindenburg, S.375ff, München 2007
(2) Röhl, Wilhelm II, S.1250ff, München 2008
 
zu 1.

Clemenceau war mit seinen über den Versailler Vertrag hinausreichenden Forderungen nach Abtrennung der linksrheinischen Gebiete von Deutschland durch Frankreich nach harten Auseinandersetzungen schließlich gescheitert. Clemenceau wollte die Grenze von 1814 realisieren, das hätte in der Praxis bedeutet, dass das Saargebiet und die südliche Pfalz ebenfalls zu Frankreich gekommen wären. Clemenceau ist mit seinen weitreichenden Vorstellungen aber nicht bei Wilson und Lloyd George durchgedrungen. Großbritannien und die USA stellten eine militärische Garantie in Aussicht. Gegenstand der Garantie war, das Frankreich für den Fall eines unprovozierten Angriffs durch Deutschland militärisch unterstützt wird.

Der Versailler Vertrag war sicher sehr hart und enthielt eigentlich gar keine versöhnlichen Bestimmungen, aber das Deutsche Reich hat es den Alliierten mit dem Diktatfrieden von Brest Litowsk im März 1918 vorgemacht. Nur die SPD hat sich im Reichstag der Stimme enthalten. Gegenstimmen gab es m.W. nach keine. So musste Russland sich beispielsweise mit dem Verlust von Finnland, Estland, Livland, Kurland, Litauen, Polen, Georgien und der Ukraine abfinden.
 
...aus dem dem Deutschen Reich ausscheiden, wurde dies den Minderheiten durch eine Volksabstimmung ermöglicht. Ein anderes Beispiel ist das Saarland, welches für 15 Jahre unter französischer Verwaltung gestellt wurde. Auch hier wurde die Bevölkerung nicht gefragt. ...

Hallo flavius,

ist das nicht etwas komplizierter?

Ein Wechselspiel der Allierten und der französischen Forderungen, das Saarland als "Verlängerung Lothringens", und die Saarland-Kohle als Lückenfüller der lothringischen Stahlproduktion?
 
@ silesia

Stimmt, ich habe es mir einfach gemacht. Ich habe mich nicht mit den Intentionen Frankreichs beschäftigt, sondern lediglich mit deren Auswirkung auf die Bevölkerung des Saargebietes.
Aber das war von mir so gewollt, weil es ja um die Gefühlslage der Deutschen ging.
;)
 
Aber das war von mir so gewollt, weil es ja um die Gefühlslage der Deutschen ging.

Nicht nur.:winke:

Das Saarland war ein Fall, bei dem die frz. Maximalforderungen auf Annexion(hier wohl insbesondere wegen der ökonomischen Kalkulationen) nicht erfüllt worden sind.

Nach der Fragestellung sollte das doch der deutschen Perzeption des Vertrages entgegen gestellt werden.
 
Desweiteren hat man den Beitritt Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich verboten. Dies wurde meines Wissens jedoch nicht im Versailler Vertrag geregelt, sondern dies erfolgte später.


Versailler Vertrag:

Sechster Abschnitt. Österreich.

Artikel 80
Deutschland anerkennt die Unabhängigkeit Österreichs und wird sie streng in den durch Vertrag zwischen diesem Staate und den alliierten und assoziierten Hauptmächten festzusetzenden Grenzen als unabänderlich beachten, es sei denn mit Zustimmung des Rates des Völkerbundes.
 
Desweiteren hat man den Beitritt Deutsch-Österreichs an das Deutsche Reich verboten. Dies wurde meines Wissens jedoch nicht im Versailler Vertrag geregelt, sondern dies erfolgte später.
Versailler Vertrag:
Sechster Abschnitt. Österreich.
Stimmt, das wird schon im Versailler Vertrag aufgeführt. Aber im späteren Vertrag zwischen Österreich-Ungarn und den Entente-Mächten, dem Friedensvertrag von Saint-Germain, wird das nochmal ausdrücklich als Friedensbedingung gestellt. (Artikel 88)
 
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Danke Euch Dreien.

@ silesia
Da habe ich wohl das Thema verfehlt
:winke:

@ Turgot
Der Versailler Vertrag ist auch nach fast 90 Jahren noch immer für Überraschungen gut - zumindest für mich.

@ mko322
Den Vertrag von St. Germain hatte ich gemeint.
 
zClemenceau wollte die Grenze von 1814 realisieren, das hätte in der Praxis bedeutet, dass das Saargebiet und die südliche Pfalz ebenfalls zu Frankreich gekommen wären. Clemenceau ist mit seinen weitreichenden Vorstellungen aber nicht bei Wilson und Lloyd George durchgedrungen.

Hallo Turgot, dazu eine Anmerkung:
Das war von frz. Seite seit 1916 propagiert und ist auch diplomatisch vorgetragen worden. Großbritannien und (später) die USA hüllten sich dazu in Schweigen.

Eigentlich müßte schon aus diesen Reaktionen klar gewesen sein, dass sich das nicht durchsetzen läßt. Trotzdem wurden neue Anläufe 1918/19 unternommen, das führte dann zu diesem Provisorium.

Bezüglich des dann unter Verwaltung gestellten Saarlandes war man sich auf der frz. Seite 1919 jedenfalls sicher, dass nach Ablauf der 15 Jahre für Frankreich gestimmt würde.
 
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