Vesper von Ephesos

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Was steckte hinter dem Plan dieser kollektiven Tötung der Römer und Italiker?
Warum mußten auch die Frauen und Kinder umgebracht werden?
 
Damit beabsichtigte der pontische König jede italische Opposition in dem von ihm beherrschten Gebiet auszuschalten. Sein Ziel war jedoch zugleich, die materiellen Erwartungen seiner Parteigänger zu befriedigen.
Vesper von Ephesos - Wikipedia
 
Solche Aktionen gab es ja häufiger in der Geschichte (z. B. "sizilianische Vesper").
Zum Einen machte sich hier schlicht die Wut über die römische Okkupation Luft.
Und daß Frauen und Kinder nicht geschont wurden, war damals recht üblich. Gerade die Römer selber haben schonungslos auch Massenmord an Zivilbevölkerung begangen, wenn sie ein Exempel statuieren oder Verrat bestrafen wollten.

Für den pontischen König (und auch andere Führer, die solche Aktionen veranlaßt haben) gab es noch einen politischen Vorteil: Mit dieser Metzelei war klar, daß die Einwohner von den Römern keine Schonung zu erwarten hatten und sie ihn nun bedingungslos in seinem Kampf gegen Rom unterstützen mußten.
 
Danke für die bisherigen Hinweise!
Was bedeutete dies nun für das Verhältnis von Mithradates und Rom?
Und woher kommt der Begriff "Vesper"?
Hat dies etwas mit der "sizilianischen Vesper" zu tun, wenn ja, wie steht dies in Verbindung?
 
Was bedeutete dies nun für das Verhältnis von Mithradates und Rom?
Todfeindschaft und Krieg bis zum Ende (des Mithridates).

Und woher kommt der Begriff "Vesper"?
Vesper ist ja (in einigen Regionen immer noch üblich) eine Abendmahlzeit, bzw. das Abendgebet.
Eigentlich wird also nur der Zeitpunkt beschrieben, an dem der Aufstand losbrach.

Hat dies etwas mit der "sizilianischen Vesper" zu tun, wenn ja, wie steht dies in Verbindung?
Ich weiß es nicht, vermute aber, das irgendein Historiker diesen Begriff in Anlehnung an die bekanntere "sizilianische Vesper" geprägt hat - ich kann mir nicht vorstellen, daß schon die Römer das so genannt haben.
 
Mir ist aufgefallen, dass auch von den heutigen Autoren die Opferzahl von 80.000 in der Regel unreflektiert wiedergegeben wird, so auch im Wikipedia-Artikel, und das, obwohl antike Zahlenangaben heute meist nach unten korrigiert werden. Das erstaunt mich, denn mir kommt die Opferzahl viel zu hoch vor, ich halte sie für eine maßlose Übertreibung der römischen Propaganda. 80.000? Können sich denn überhaupt annähernd so viele Römer und Italiker in Asia aufgehalten haben? Das waren doch hauptsächlich Steuerpächter und Händler, allenfalls mit ihrem Anhang, was sollen 80.000 davon? Sollte man da nicht eine Null wegstreichen, um auf eine einigermaßen realistische Zahl zu kommen?
 
Mir ist aufgefallen, dass auch von den heutigen Autoren die Opferzahl von 80.000 in der Regel unreflektiert wiedergegeben wird. [...] Sollte man da nicht eine Null wegstreichen, um auf eine einigermaßen realistische Zahl zu kommen?
Da gebe ich Dir völlig recht! Delbrück hat sich der Sache indirekt angenommen, indem er Truppenstärken und Verlustziffern im Krieg zwischen Rom und M. unter die Lupe nahm. Ich zitiere [1].
Die Memoiren Sullas selber, die Plutarch und andere benutzt haben, müssen prahlerisch und wenig anschaulich gewesen sein. In der Schlacht bei Chäronea soll Sulla mit 15000 Mann und 1500 Reitern über 120000 oder, nach der bescheideneren Angabe, 60000 Asiaten gesiegt und von ihnen 100000 oder 50000 getötet, selber aber nur 14 Mann vermißt haben, von denen sich noch zwei wiederfanden [...] Später steigen die Heere des Mithridates [memoirenmäßig] bis zu 500000 Mann.
Können sich denn überhaupt annähernd so viele Römer und Italiker in Asia aufgehalten haben?
Eine berechtigte Frage, auf die leider keine Antwort möglich ist. Von der Zahlenproblematik abgesehen irritiert mich das Wirrwarr bezüglich der Angaben über Ort, Zeit und Modalität der Untat: Mal wird M.s ganzes Reich genannt, mal nur Kleinasien; mal wird von einem Tag gesprochen, mal von einer Nacht; bei letzterem erhebt sich sogleich die Frage, wie es zu dieser Zeit gelungen sein mag, zeitlich synchron zu handeln; der Kreis der Opfer wird mal so, mal so gezogen... usw.

... eine maßlose Übertreibung der römischen Propaganda...
So wird es sein. Die Siege über M. erscheint dann noch größer - und dessen Untaten auch. Es gibt ein schönes Beispiel aus jüngerer Zeit: Bengtson formuliert in seiner Griechischen Geschichte: "80.000 Italiker, Männer, Frauen und Kinder, fielen als Opfer eines durch M. befohlenen Progroms, wie es nur im Hirne eines asiatischen Barbaren erdacht werden konnte." [2]


[1] Geschichte der Kriegskunst, Bd. 1, S. 471
[2] Unterstreichung von mir; zum Hintergrund siehe Elisabeth Charlotte Welskopf und die ... - Google Books
 
Zuletzt bearbeitet:
mal wird von einem Tag gesprochen, mal von einer Nacht; bei letzterem erhebt sich sogleich die Frage, wie es zu dieser Zeit gelungen sein mag, zeitlich synchron zu handelnhttp://books.google.com/books?id=4e5rsK1Who8C&pg=PA64
Daran habe ich keine Zweifel. Das waren schließlich keine spontanen Ausschreitungen, sondern sie wurden von langer Hand geplant, man konnte also problemlos einen bestimmten Zeitpunkt festlegen. Die Täter mussten doch dann nur zu einem vorgegebenen Zeitpunkt losschlagen.
 
Adrienne Mayor schreibt in ihrer Mithridatesbiographie ebenfalls darüber, daß die Zahlenangaben ungeheuer schwierig festzustellen seien: Es könnten auch 150 000, oder aber auch nur 40 000 Römer gewesen sein.

Man muß aber bedenken, daß Asia seit 133 v. Chr. römische Provinz war, also schon eine beachtliche Anzahl von Römern dort gewesen sein dürfte. Plausibel finde ich das Argument, daß wegen des Vormarschs von Mithridates viele Römer auch aus dem Landesinneren in die Küstenstädte geflohen seien, so daß es dort zu einer Vervielfachung der Anzahl römischer Bürger gekommen sein dürfte, was wohl auch die Hemmschwelle für das Morden herabsetzte, denn Fremde tötet man in der Regel leichter als Nachbarn, wobei hier wieder Haß, Neid und andere Faktoren mit einfließen.

Das synchrone Losschlagen war wohl eine logistische Meisterleistung, die nicht ganz geklärt ist. Es wird zumeist von einem Monat Vorlaufzeit gesprochen.

Um auf Raveniks Frage einzugehen: Wenn Du eine Null wegstreichst und es bleiben nur 8000 Leute übrig - das sind nicht viele. Ich kann mir schon einige zehntausend vorstellen. Asia war eine dichtbesiedelte Provinz mit großen Städten.
 
Adrienne Mayor schreibt in ihrer Mithridatesbiographie ebenfalls darüber, daß die Zahlenangaben ungeheuer schwierig festzustellen seien: Es könnten auch 150 000, oder aber auch nur 40 000 Römer gewesen sein.
Ich bin von Natur aus misstrauisch gegenüber Historikern, die gern Superlative verwenden wie hier Mayor ("Rome's deadliest enemy") mit ihrer im angloamerikanischen Raum sehr beliebten statistischen Spielerei ("comparison of estimated death toll": The Poison King: the life and legend ... - Google Books). Allerdings scheint sie einiges an Sekundärliteratur ausgewertet zu haben (The Poison King: the life and legend ... - Google Books), und vielleicht ist das "Null-Streichen" wirklich einen Tick zu einfach.:pfeif:

Was bleibt an Plausibilitätsüberlegungen? Kirsten [1] vermerkt vor Ephesus ein (branchenbezogenes) "Einströmen von Händlern, Zöllnern und Darlehnsgebern aus Italien" nach Kleinasien (und übernimmt die Zahl 80.000). Bei Mayor wird die Volkszählung von 70 BC zitiert: Danach gab es (nur) 910.000 römische Vollbürger im Reich; andererseits soll die Gesamteinwohnerzahl im Jahre 14 bei 54 Millionen gelegen haben! Behält man diese Relation im Auge, könnte die Größenordnung von 80.000 Opfern (oder 40.000) dann an Plausibilität gewinnen, wenn unterstellt wird, dass nicht nur römische Vollbürger (mit Frauen und Kindern) massakriert wurden, sondern auch Menschen aus deren privatem und geschäftlichem Umfeld.
 
So ganz grün werde ich mit dem Buch auch nicht (das pontische Gift in deutscher Übersetzung klingt auch recht reißerisch), da summieren sich viele kleine Ungenauigkeiten und Fehler zu einem unangenehmen Gefühl. Aber es ist das, was ich gerade bei der Hand habe.

Sie spricht an einer Stelle auch von Neubürgern, die zum Teil wieder das römische Bürgerrecht abgeben wollen, allerdings bin ich der Meinung, daß die Republik da noch sehr sorgsam mit der Bürgerrechtsvergabe umging. Etwas anderes war es dann bei Freigelassenen und Auxiliartruppen. Auch da können in den vierzig Jahren, die Asia beim Zeitpunkt des Massakers schon Provinz war, auch einige Tausend Menschen zusammenkommen.
 
Es handelte sich bei den Opfern nicht nur um Römer, sondern auch um sonstige Italiker. Trotzdem: Wieso sollten sich 80.000 davon in Asia aufgehalten haben? Von einer Massenauswanderung von Römern und Italikern nach Asia wird sonst doch nirgendwo berichtet. Es wurden dort doch nicht einmal Kolonien gegründet, das müssten allesamt Steuerpächter und Geschäftsleute mit ihren Familien, Freigelassenen und Sklaven gewesen sein.
 
Tja, wer sind die Römer in Kleinasien, und noch vielmehr, wer sind die Italiker, gerade in einer Zeit, als die Italiker im Bundesgenossenkrieg mit den Römern liegen?

Ich denke, daß wir nicht nur mit den Steuerpächtern rechnen müssen. Kaufleute und Händler dürften im reichen Kleinasien nicht wenige dagewesen sein, aber auch Leute, die sich dort Land angeeignet hatten (das kann ich jetzt aber nicht sofort belegen), und viele Leute aus dem Umkreis der Legionen.

Ich will mal ein Rechenmodell erstellen. Darf ich? Kein Widerspruch? Ok.

Gehen wir mal von den 80 000 aus (die 150 000 sind von Plutarch, glaube ich). Wenn wir von römischen Familien ausgehen, denn in den Berichten ist ja auch von Frauen und Kindern die Rede, dann gehen wir mal von Mutter, Vater, im Schnitt drei Kindern aus, dazu einige Sklaven oder Freigelassene, also gehe ich mal von einem Schnitt von 10 Personen pro Haushalt aus.
80 000 durch 10, da wären wir dann bei den 8000, die ich mal Familien nenne. 8000 römische Familien in ganz Kleinasien klingt schon nicht mehr soviel. Teilen wir die jetzt auf imaginäre 50 Städte auf, bleiben noch 160 Familien pro Ort übrig.

Nun könnte man anfangen, hin-und herzuschieben. Natürlich sind es mehr Orte als 50 gewesen, aber nicht in jedem gleich 160 Familien, in vielen weniger, in einigen mehr, manche Familien setzen sich aus mehr als 10 Mitgliedern zusammen. Und es müssen ja auch nicht 80 000 Römer und Italiker gewesen, es können auch 60 000 gewesen sein.

Was soll nun dieses völlig hypothetische Zahlenspiel? Wenn wir die 80 000 auf das Land verteilen, bleiben nicht mehr soviele übrig. Wenn die nun dichtgedrängt auf der Flucht vor Mithridates sich in den Küstenstädten drängen, kann man wohl schon von einigen zehntausend Toten ausgehen.

Nun wäre es die Aufgabe, sich Belege zu besorgen. Kann man nachweisen, daß sich schon viele römische Bürger Landbesitz in Kleinasien in republikanischer Zeit angeeignet hatten. Oder anderweitig dort tätig und unterwegs waren, nicht nur als Kaufleute. Ein kleiner Hinweis hier vielleicht:

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