Vgl. Wiener Kongress und Versailler Verhandlungen - wieso die unterschiedlichen Reaktionen?

El Quijote

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Allgemein fehlte eine genaue Vorstellung über eine gemeinsame Zukunft, wie sie sich zumindest teilweise noch 1814-15 entwickelte.

Ich denke mal, dass das an der Art der Kriegführung lag und wer gegen wen kämpfte. In den napoleonischen Kriegen war der Konflikt - trotz Fichtes Reden an die Nation - doch eher ein weltanschaulicher Konflikt und - abgesehen vielleicht von Spanien oder Tirol - war es jenseits der doch räumlich stark begrenzten Schlachtfelder, wenn man mal von den durch die Kontinentalsperre verursachten Mängel absieht, vergleichsweise harmlos. Ich will damit weder die Toten der napoleonischen Kriege bagatellisieren noch das Einquartieren von Soldaten in rosigen Farben malen. Aber dieses unversönliche Streiten, der heimtückische Einsatz chemischer Kampfstoffe, die Inkaufnahme ziviler Opfer: Das alles kennen die napoleonischen Kriege nicht in dem Ausmaß. Und ich glaube, dass das nicht allein auf die rasante technologische Entwicklung seit der Mitte des 19. Jhdts. zurückzuführen ist.

Beim Wiener Kongress traf sich noch ein politischer Stand, der sich seines Standes bewusst war, der supranational die Ideen der Frz. Revolution zurückdrängen, eben die Restauration wollte. Aber der Erste Weltkrieg war kein Krieg mehr um eine Idee. Es war ein Krieg, in dem der Gegner verteufelt wurde, in dem man rücksichtslos gegen die fremden wie die eigenen Soldaten Waffen einsetzte (wenn der Wind plötzlich dreht, wird so ein eigener Senfgasangriff zum Problem), wo es um nationale Vormachtstellungen ging, wo es kaum noch ein definiertes Schlachtfeld gab...
 
Der Unterschied war in der Tat, dass es vorhandene Netzwerke der europäischen Diplomatie gab, die eine gemeinsame Lösung anstrebten.

Die Destruktion der Großmachtdiplomatie vor 1914 wird ja auch als ein Grund angeführt für das jämmerliche Versagen der Diplomatie der Großmächte in der Juli-Krise.

Bedingt durch das Aufkommen von Mittelmächten, dem Aufkommen von ethnisch geprägten ultra-nationalistischen Staaten waren die traditionellen Strukturen und Regeln der Großmachtdiplomatie keine Hilfe für das Interpretieren der Situation im Juli 1914 mehr.

Es gab aber auch eine Parallele. Die Zusammenarbeit mit einem monarchistischen Frankreich nach 1815 hat eine Parallele in der "wohlwollenden" Sicht von GB auf Deutschland nach 1918 als Bollwerk gegen den Bolschewismus.

Genauso wie man Frankreich nicht an die Revolution verlieren wollte, wollte man es auch nicht mit Deutschland. Das hätte einen "Dominostein-Effekt" auslösen können.
 
Ich würde auch hinzusetzen, dass der zu ordnende Raum übersichtlicher war und die beteiligten Akteure möglicherweise auch etwas mehr Ahnung über dessen Beschaffenheit hatten als 1918, zusätzlich auch nur die Interessenschwerpunkte von 3 großen kontinentalen Akteuren, Frankreich, Russland uns Österreich gegeneinander abgegrenzt werden mussten, Preußen als mindermächtiger Akteur schwamm in Wien ja doch vorwiegend im Fahrwasser Russlands und Britannien hatte in Kontinentaleuropa keine territorialen Interessen.
Da die Franzosen, bis sich die "Siegermächte" wegen der Zukunft Sachsens zerstritten und man wieder aktiv werden konnte eher kleine Brötchen backen mussten, ging es was die territoriale Neuverteilung angeht also primär vor allem um einen Ausgleich zwischen Österreich und Russland.

Russland irgendwelche Territorien innerhalb des alten Reiches, Italiens oder den Niederlanden zuzuschieben machte keinerlei Sinn, folglich war die Beteiligung Russlands in Form von Polen die logische Schlussfolgerung, genau wie die Österreichische hinsichtlich der Hinzugewinnung Norditaliens, da eine Wiedergewinnung der Österreichischen Niederlande nur die selben Probleme erzeugt hätte, die diese Provinz immer hatte (abgelegen, faktisch nicht in den Verwaltungsapparat integrierbar, direkter Interessensgegensatz zu Frankreich).

Die Erweiterung der Niederlande nach Süden und die Eindämmungspolitik gegenüber Frankreich ist ja im Grunde eine Wiederaufnahme des Verhältnisses, dass man schon im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges und danach hatte. Koalition Habsburgs mit Britannien und den Niederlanden.
Die Hinzuziehung Preußens machte aus der pragmatischen Erwägung heraus eine Preußisch-Französische Koalition, wie im Rahmen des Österreischischen Erbfolgekrieges gesehen, einfach Sinn.

Insofern würde ich sagen, war das 1815 einfach Pragmatismus der einigermaßen funktionierte und im Prinzip, was Frankeich angeht die Konstelltation des 18. jahrhunderts wieder herstellte, unter Berücksichtigung der Lehren aus dem spanischen Erbfolgekrieg.

Ansonsten hatte Wien für die beteiligten Großmächte den Vorteil, dass keiner ernstlich verlor. Frankreich wurde zwar die meisten seiner im Zuge der Revolutions- und napoleonischen Kriege erworbenen Besitzungen wieder los, durfte aber seine vorherigen Territorien unbeschadet behalten.
Die anderen Großmächte gewannen dazu oder verloren mindestens ebenfalls nicht.
Dann würde ich auch noch als wesentlichen Punkt ansehen, dass im frühen 19. Jahrhundert die Welt eben noch nicht verteilt ist, was den Vorteil hatte, das Expansionsdrang auch einfach nach außerhalb Europas verlagert werden konnte, wie etwa die Franzosen das um 1830 herum im Maghreb exerzierten oder die Russen in Richtung Zentralasien. Die Möglichkeit gab es dann 1918n natürlich auch nicht mehr.
 
Ansonsten hatte Wien für die beteiligten Großmächte den Vorteil, dass keiner ernstlich verlor. Frankreich wurde zwar die meisten seiner im Zuge der Revolutions- und napoleonischen Kriege erworbenen Besitzungen wieder los, durfte aber seine vorherigen Territorien unbeschadet behalten.

Ja, und ich meine, dass das aus dem Grunde so war, weil der Hochadel ein Interesse an der Wiederherstellung des status quo ante hatte, und eben ein Standesbewusstsein, welches die Unversehrtheit des Standes über territoriale Interessen stellte.
 
Ja, und ich meine, dass das aus dem Grunde so war, weil der Hochadel ein Interesse an der Wiederherstellung des status quo ante hatte, und eben ein Standesbewusstsein, welches die Unversehrtheit des Standes über territoriale Interessen stellte.

Naja, vom Status Quo ante würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen wollen. Dafür sind mir die territorialen Verschiebungen und Mediatisierungen dann doch etwas zu markant, am deutlichesten wahrscheinlich in der preußischen Westverschiebung manifestiert.

Letztenendes dürften so about 80% des Hochadels, die sich in vorrevolutionärer Zeit im deutschsprachigen und italienischsprachigen Raum "Suoveräne", wenn auch im kleinstformatigen Sinne schimpfen durften in Wien endgültig untergegangen sein, was die Unversehrtheit ihres vormaligen Standes als solche betrifft.

Insofern würde ich nicht sagen wollen, dass es sich um eine Wiederherrstellung des Status Quo ante handelt sondern um eine Novellierung des ständischen Systems, auf Kosten der Kleinfürsten.

Demnach würde ich was dieses "System" anbegeht kein Restaurations- sondern viel mehr ein Beuteteilungsparadigma anwenden wollen, dass die Unversehrtheit des Standes der mindermächtigen Fürsten eben nicht berücksichtigte.

Hinsichtlich der Integrität Frankreichs stellt sich mir schlicht die Frage, was die realistische Alternative gewesen wäre?
Weitere künstliche Kleinstaaten hätten sich ohnehin nicht dauerhaft behaupten können und Österreich oder Preußen bis deutlich nach Frankreich hinein zu verlegen hätte auch keinen Sinn gemacht.

Das einzige, tatsächlich restaurative Moment, dass ich am Wiener Kongress und den daraus resultierenden Folgen sehe ist die Wiedereinsetzung der Bourbonen als Könige in Frankreich. Im Hinblick auf Spanien hatte sich das ja mehr oder minder bereits von selbst geregelt und selbst die Kompromissregelung für Neapel/Sizilien ist ja ein gutes Stück davon entfernt vollendete Restauration zu sein.
 
Vgl. Wiener Kongress und Versailler Verhandlungen - ..

ich finde das Thema interessant, habe aber leider gerade zu ersterem eine eher schwache Belichtung zum Ablauf dieser Zeit.
Schwierigkeiten habe ich mit der stillschweigenden Voraussetzung, dass sich aus dem schnellen Scheitern des VV, es hätte ja durchaus auch anders kommen können, ein wesentlicher, wenn nicht gar der wesentliche, Unterschied zu den vergleichsweise stabilen Ergebnissen des Wiener Kongress‘ ableiten ließe.
Dass man also annehmen könne, in dem einen Fall habe man im Sinne der Friedenssicherung gut gearbeitet, und im anderen schlecht.

In den napoleonischen Kriegen war der Konflikt - trotz Fichtes Reden an die Nation - doch eher ein weltanschaulicher Konflikt
Folgt man Henry Kissinger 1) so ging es in Wien darum eine postrevolutionäre Ordnung zu schaffen, nachdem die Revolution selbst ihren Zenit bereits überschritten hatte.
Und das wäre dann ja, wie du bemerkst, eine sehr viel andere Situation als nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Ursprung nicht die Revolution war, aber sehr virulente Revolutionen zur Folge hatte.




1) Kissinger, Henry (1990): Das Gleichgewicht der Großmächte. Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 - 1822. 2. Aufl. Zürich: Manesse-Verl. (Manesse-Bibliothek der Weltgeschichte). S. 274ff
(Dieses Buch hat der Jungakademiker Kissinger 1954 fertiggestellt und 1957 erstmals veröffentlicht.
Es ist letztlich seine Doktorarbeit.)
 
Vgl. Wiener Kongress und Versailler Verhandlungen - ..

ich finde das Thema interessant, habe aber leider gerade zu ersterem eine eher schwache Belichtung zum Ablauf dieser Zeit.
Schwierigkeiten habe ich mit der stillschweigenden Voraussetzung, dass sich aus dem schnellen Scheitern des VV, es hätte ja durchaus auch anders kommen können, ein wesentlicher, wenn nicht gar der wesentliche, Unterschied zu den vergleichsweise stabilen Ergebnissen des Wiener Kongress‘ ableiten ließe.
Dass man also annehmen könne, in dem einen Fall habe man im Sinne der Friedenssicherung gut gearbeitet, und im anderen schlecht.


Man könnte spitzfindig behaupten, dass die Wien bereits wieder dekonstruiert wurde, bevor die Ordnung tatsächlich entstanden war und zwar durch die Rückkehr Napoleons, die was in Wien beschlossen wurde, wenn auch nur für einen kurzen Zeitabschnitt bereits wieder obsolet wurde.
Ansonsten stellen sowohl 1830, als auch 1848 bis 1859 Wendepunkte da, nach denen das Wiener System bereits weitgehend liquidiert ist.

- Endgültiges Ende der Bourbonen in Frankreich
- Ende des Projektes der Vereinigten Niederlande und Entstehung Belgiens
- Zerwürfnis zwischen Österreich und Russland in Sachen Krimkrieg und von da an stärker werdender Gegensatz
- Entstehung Italiens auf Kosten Österreichs, das zunächst zusätzlich die Lombardei verliert.

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Das "monarchische Prinzip" nach den restaurativen Vorstellungen das Wiener Kongresses ist im Grunde genommen spätestens 1848 so nicht mehr zu halten. In Wien muss gar der Kaiser ausgetauscht werden und Habsburg kann seinen Thron und Reich nur durch massive russische Intervention retten. Im Hinblick auf Frankreich und die Niederlande ist Wien, was den politischen Rahmen angeht bereits 1830 wieder passé.

Das "Barriere-Projekt" gegenüber Frankreich wird bereits 1830 durch das Ende der Vereinigten Niederlande einmal deutlich erschüttert, nachdem der neu entstandene Nachbar Belgien in weit geringerem Maße faktisch handlungsfähig ist, den zweiten deutlichen Dämpfer, der es weitgehend zur Makulatur werden lässt, erfährt es in den 1850er Jahren. Einmal durch die Annäherung an Großbritannien bedingt durch den Krimkrieg und dann 1859 durch den Krieg gegen Österreich, der letzteres die Lombardei und die habsburgischen Nebenlinien in der Toskana und in Modena kostet und für die Entstehung Italiens sorgt, mit welchem sich Österreich in Folge wegen dessen Ansprüchen im adriatischen Raum auseinander zu setzen hatte.

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Was Kriesen des Systems angeht, stand man bis dahin mindestens drei mal vor dem großen Knall:

- 1840 in der Orient- und Rheinkrise, als Frankreich nachdem es in Sachen Kolonien von Großbritannien düppiert worden war die Rheingrenze forderte und es einige Zeit lang so schin, als könnte sich daraus ein Krieg mit den deutschen Bundesstaaten entwickeln, bis von französischer Seite her dann doch ein Rückzieher gemacht wurde.
- Anfang der 1850er während des Krimkriegs. Geht Österreich auf die Avancen Russlands oder Frankreichs ein und schlägt sich auf eine der beiden Seiten statt neutral zu bleiben, steht ganz Europa in Brand.
- 1859 droht sich der Krieg in Italien nach den französisch-piemontesischen Erfolgen bei Magenta und Solferino/San Martino auszuweiten, weil Preußen der Mobilisierung des Bundesheeres zustimmt und von preußischer und britischer Seiten dringende Mahnungen ergehen die Feindseligkeiten einzustellen. Das wurde ihm daduch erleichtert, dass man sich von österreichischer Seite kompromissbereit zeigte und der Abtretung der Lombardei vergleichsweise schnell zustimmte. Hätte man hier von Österreichischer Seite laviert und Frankreich möglicherweise zu weiteren Offensiven gezwungen hätte das die Intervention der deutschen Bundesstaaten und Großbritannien nach sich ziehen können, auch das wäre ein veritabler Kontinentalkrieg gewesen.

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Was lässt sich bis 1859 konstatieren? Die Grenzen in Europa haben sich in der zeit sieht man von der Entstehung Belgiens und Italiens ab nicht groß verändert. Die Mächtekonstellation hat sich in dieser Zeit eigentlich dramatisch geändert.
Stellte das Staatensystem 1815 noch weitgehend ein Werkzeug zur Einhegung Frankreichs dar, konnte davon 1859 keine rede mehr sein. Stand 1859 kreist das System weniger Frankreich aus, als Österreich ein (Österreichisch-Preußische Rivalität die virulent zu werden beginnt, Italienische Forderungen gegen Österreich, wachsender Gegensatz zwischen Österreich und Russland).



Im Nachgang gab es auch hier Krisen, die den Rest des Systems aus den Angeln heben und reichlich Chaos hätten stiften können, wenn einige Dinge etwas anders gelaufen wären.

Die Luxemburg-Krise 1867 hätte da genau so eskalieren können, wie der vorrangegangene Krieg Preußens und Italiens gegen Österreich und die deutschen Bundesstaaten, wenn sich die maßgeblichen Akteure auf französischer Seite rechtzeitig zu einer Intervention entschlossen hätten um einen preußischen Sieg zu verhindern, mit dem man voerher nicht gerechnet hatte.

Im Bezug auf die Kriege von 1859 und 1866/1867 kam es wahrscheinlic nur deswegen nicht zum ganz großen Knall, weil es gelang sie mehr oder minder als Kabinettskriege zu führen und sehr zügig zu liquidieren.


Insofern würde ich, lange Rede, kurzer Sinn behaupten der Kern des Wiener Systems, nämlich die Restauration in Frankreich und die Auskreisung desselben aus Europa kippen bis Anfang der 1850er Jahre um, womit sich das System dann etwa 35 Jahre gehalten hätte. Gut, deutlich länger als der VV und nicht mit der Konsequenz eines Weltkrieges, aber das System, wie es entworfen wurde, war nach dem Krimkrieg, spätestens nach der italienischen Einigung weitghend über den Jordan, danach hielten sich nur noch Restelemente.
Restelemente des VV hielten sich ebenfalls bis in die jüngere Vergangenheit hinein. Von daher würde ich die Wiener Ordnun, wenn man sie als festgefügte Ordnung versteht nicht für wesentlich langfristiger und erfolgreicher als den VV, was dauerhafte Stabilität im Bezug auf seine ursprünglichen Ziele angeht.
 
Danke Shini.

Zum guten Teil beschreibst Du ja eine Transformation des Prinzips der Legitimität im zwischenstaatlichen Verhältnis vom monarchistischen hin zum nationalen, im betrachteten Zeitraum.
Um den jungen Kissinger S. 180 zu zitieren:
"Im achtzehnten Jahrhundert wäre niemand auf den Gedanken verfallen , die Legitimität eines Staates hänge von der sprachlichen Einheit seiner Bevölkerung ab. Für die Schöpfer des Versailler Vertrages war jede andere Regelung undenkbar. Es ist der Triumph legitimierender Prinzipien, daß man sie für selbstverständlich hält."
 
Danke Shini.

Zum guten Teil beschreibst Du ja eine Transformation des Prinzips der Legitimität im zwischenstaatlichen Verhältnis vom monarchistischen hin zum nationalen, im betrachteten Zeitraum.
Um den jungen Kissinger S. 180 zu zitieren:
"Im achtzehnten Jahrhundert wäre niemand auf den Gedanken verfallen , die Legitimität eines Staates hänge von der sprachlichen Einheit seiner Bevölkerung ab. Für die Schöpfer des Versailler Vertrages war jede andere Regelung undenkbar. Es ist der Triumph legitimierender Prinzipien, daß man sie für selbstverständlich hält."

Mit dem Zitat übertreibt es Kissinger allerdings in beide Richtungen hin deutlich.

Sicherlich war vor dem 19. Jahrhundert der Gedanke sprachliche Einheit und kultureller Bezug wären in irgendeiner Form wichtig deutlich weniger ausgeprägt, aber die nicht zufälig beginnende Nationalstaatsbildung in Westeuropa während des 17. und 18. Jahrhunderts legen eigentlich auch nahe, dass dieses Prinzip weder vollkommen unbekannt noch vollkommen unbedeutend war, schon aus dem Grunde, weil es auch eine Möglichkeit war die persönliche Herrschaft zu festigen und auszubauen.

Ebensowenig ist die in Versailles und den anderen Pariser Verträgen alles entscheidend, denn wenn sprachliche Homogenität das Instrument der Legitimation gewesen wäre, dann wären im besonderen die Tschechoslowakei, Jugoslawien und das vergrößerte Rumänien nicht zustande gekommen. Vom sprachlichen Standpunkt her schuf man da definitiv eine Reihe von Vielvölkerstaaten.

Wenn es in der Hinsicht im 19. Jahrhundert nochmal einen deutlichen Umschwung gibt, dann vermutlich dahingehend, dass das sprachliche und ethnische Element (übrigens auch das der sozialen Klasse) bei der Klassifizierung von Zugehörigkeit gegenüber Religion und Zugehörigkeit zu einem Untertanen- und Rechtsverband an Bedeutung relativ zunehmen. Es kommt aber nichts verabsloutierbares dabei herum.
Viel eher müsste man das lange 19. Jahrhundert eigentlich als eine Zeit der Parallelität dieser Prinzipien ansehen und das beinhaltet auch sein Ende.



Das wird, wenn man es an einem Beispiel anfhängen will im Rahmen des Versailler Vertrags bzw. dessen Vorverhandlungen sehr deutlich, als die Frage der politischen Zukunft Masurens und des Ermlandes aufgeworfen wird.
Der polnische Anspruch auf Masuren ließe sich von einem Standpunkt her rechtfertigen, der auf sprachliche Homogenität rekuriert, der auf das deutschsprachige Ermland wurde hingegen mit Verweis auf die historische Grenze Polen-Litauens vorgetragen. Letztlich hatte ja auch die gesammte Idee eines polnischen Zugangs zur Ostsee eher historische und pragmatische Legitimationsgründe, als ethnisch-sprachliche.

Dann kam im Zuge des Schachers um Gebiete zwischen Deutschland und Polen, noch der Versuch hinzu nationale Zugehörigkeit über die konfession mit zu definieren.
Das stiftete dann im Bezug auf die beiden genannten Landstriche, dann ziemliche Verwirrung, weil die slawisch-sprachige Bevölkerung Masurens einmal mehrheitlich aus Protestanten bestand, die zum polnischen Nationalkatholizismus nicht passen wollten und die deutschsprachige Bevölkerung des Ermlandes mehrheitlich aus Katholiken, die sich nicht recht in das Bild des Preußisch-Deutchen Protestantismus fügen wollten.

Letztlich ließ man in Masuren dann die Bevölkerung befragen, die sich trotz slawischer Sprache mit überwältigender Mehrheit für einen Verbleib bei Deutschland aussprach, auch wenn da vielleicht die sowjetischen Erfolge im Krieg gegen Polen mit reinspielten.
Masuren – Wikipedia

Auch wenn man sich das entsprechende Abstimmungsergebnis und die damalige Bevölkerungsstatistik für Oberschlesien ansieht, wird klar, dass ein nicht geringer Teil der dort ansässigen polnischsprachigen Bevölkerung seinerzeit für Deutschland votiert haben muss.
Volksabstimmung in Oberschlesien – Wikipedia

Das widerspricht der Vorstellung sprachliche/ethnische Zusammengehörigkeit, wäre um 1920 herum das einzig konstitutionalisierende und damit legitimierende Elemten der Staatenbildung gewesen.

Das die Schöpfer des Versailler Vertrages dann später im Zuge der benannten Abstimmung deren Ergebnisse weitgehend bestätigten, dass sie nachträglich den Friedensvertrag von Riga und damit den polnischen Erwerb der ukrainischen und weißrussischen Gebiete östlich Brest-Litowsk und des Bug akzeptierten und wie gesagt die Existenz jugoslawiens, Rumäniens und der Tschechoslowakei in den in den Verträgen von Saint-Germain und Trianon festgelegten Grenzen ebenfalls bestätigten, zeigt, dass die sprachliche Homogenität für die damaligen Entscheidungsträger allenfalls eine Richtlinie war.
Viellicht das schwerwiegendste Kriterium von allen, aber nicht das einzige und wie sich zeigt auch nicht dass zwangsläufig Stechende
 
Hinsichtlich von Transformation von legitimistischen zum nationalen/sozialen Paradigma würde ich zwar grundsätzlich zustimmen aber auch hier anfügen, dass dieser Transformationsprozess eine Rolle spielt, ich würde aber auch behaupten, dass er erst mit dem Ende des 2. Weltkriegs wirklich abgeschlossen ist.

Wie kommt z.B. in Italien, dass bekanntlich bis 1946 Königreich blieb ein Mussolini an die Macht? Weder durch Wahl, noch durch gescheiterten Putsch, sondern er wird dem italienischen Volk letztlich durch König Viktor Emanuel III. verordnet. Nicht zuletzt, weil dieser gegen die Faschisten kein Militär einsetzen wollte, zumal er nachdem er beim Kriegseintritt Italiens und der daraus resultierenden Krise eine recht aktive Rolle gespielt und daraus wiederrum resultierend ein massives Popularitätsproblem hatte, ergo um die loyalität der Armee und seine eigene Stellung im Falle eines Zusammenstoßes fürchten musste.
Genau so spielt diese Doppelstruktur auch im Jahr 1943 bei der Kapitulation Italiens eine Rolle, die von Seiten der Alliierten letztendlich weniger mit der faschistischen Regierung, als mit dem Königshaus ausverhandelt wird, welches dann auch bei der Absetzung Mussolinins wieder eine entscheidende Rolle spielte.

Im Bezug auf die Balkanstaaten gibt es da, was Gerangel um politische Macht und gegeneinander von konstitutionellen und nationalen Elementen angeht, noch während des 2. Weltkriegs ganz ähnliche Phänomene, auch der Spanische Bürgerkrieg legt in gewissem Maße noch Zeug davon ab, wenn man die Vorgeschichte und auch den Nachgang des Franco-Regimes miteinbezieht, wo es dann ähnlich wie in Italien am ende das eigentlich überkommene Element der Monarchie in Verbindung mit den daran hängenden Institurionen ist, dass das franquistische System liquidiert.

Insofern, wenn man sich über den Zeitraum der ersten Hälfte des 19. jahrhunderts unterhält hat diese Wandel angefangen sich bemerkar zu machen, ist aber keineswegs eine vollendete Tatsache.


Zieht man dazu den Franco-Piemontesisch-Österreichischen Krieg von 1859 heran, war der eigentlich als ein klassischer Kabinettskrieg gedacht, der Österreich schwächen, dem Königreich Sardinien-Piemont die Lombardei und Venetien einbringen sollte.
Von französicher Seite her versprach man sich im Prinzip die Gewinnung von Nizza und Savoyen am Verhandlungstisch, die Verdrängung Österreichs aus Oberitalien und einen norditalienischen Pufferstaat, der klein genug blieb, dass Frankreich ihn als Satelliten instrumentalisieren konnte.
Dass sich im Verlauf die mittelitaliensichen Staaten gegen ihre in Wien eingesetzten Herrschaften wanden und sich derer entledigten, durch Garibaldis Nationalisten das Kgr. Beider-Sizilien sich der ganzen Sache ebenfalls noch anschloss und damit der italiensiche Nationalstaat geboren war, war aus französischer Sicht ein ziemlich fataler Betriebsunfall, der dann im Nachgang durch das Farnzösisch-Österreichischer Kaiser-Projekt in Mexiko denn auch gleich wieder dahingehend ausgebügelt werden sollte den Habsburgern Kompensation für den Verlust der Lombardei zu beschaffen und die Beziehnungen im legitimistischen Sinne zu kitten.

Ein anderes schönes Beispiel wäre 1870/1871, was von beiden Seiten als Kabinttskrieg geplant wird und dann aber in eine gesamtnationale Angelegenheit ausartet, die nicht nur den Krieg ungeplant deutlich verlängert, sondern auch das politische System im Frankreich wieder kippt, so dass sich da in der Folge ganz andere Kräfte bahnbrechen, als unter dem System Naoplens III.


Wenn man es aber von einem anderen Standpunkt her betrachtet, haben Wien und das "Versailler System" aber eine ziemlich interessante Gemeinsamkeit. Beide werden von einer sehr schwachen Ordnungsmacht bestimmt, die im einen Fall "Legitimismus" und im anderen Fall "Nationalismus" heißt.

Die alten Imperien innerhalb des Wiener Systems, und deswegen war die Restauration der Bourbonen in Frankreich entscheidend für das Projekt, konnten, wenn sie ihre Sozialordnung beibehalten wollten nur auf die Kampfmittel zurückgreifen, die die Monarchie und der alte Adel tatsächlich bei sich monopolisieren konnten. Das war innerhalb des Staates genug um innerhalb dieses Staates den Ton angeben zu können, da es politische Massenorganisationen ja noch nicht in der Form gab, im Vergleich zu den Gesamtkräften des Staates aber verschwindend. Schon aus dem Grund, neben der Industrialisierung als Katalysator dieser Entwicklung war Wien seinem eigentlichen Zweck nach mit dem Ende der Bourbonen in Frankreich und der Entstehung Italiens mehr oder minder erledigt, denn um diese staatlichen Konstrukte noch im Zaum halten zu können, reichten die Machtmittel der alten Monarchen nicht mehr aus. es mussten also neue akkumuliert werden und das ging nicht ohne Zersetzung des inneren sozialen Systems.

Im hinblick auf Versailles ist die Entwicklung im Grunde genommen eine ganz ähnliche, nur eben auf anderer Ebene. Frankreich war 1918 die stärkste militärische Macht in Europa, aber im Hinblick auf das Potential des zu ordnendes Raumes schwach. Versailles und die Folgen wären vielleicht dann länger haltbar gewesen, wäre die Zerchlagung des Zarenreiches von Dauer gewesen, spätestens mit der Wiedereingliederung der Ukraine und des Kaukasus und dem Ausgreifen nach Polen und dem Baltikum durch die Bolschewiki/ werdende Sowjetunion ist ab 1920 aber ein außenpoliticher Gegner des Systems gegeben, der perspektivisch in der Lage ist ein solches Ausmaß an Kräften zu auqierieren, dass absehbar ist, dass Frankreichs Kräfte, auch die seiner öslichen Verbündeten Rumänien, Polen und Jugoslawien auf dauer nicht hinreichen werden um dagegen zu halten, zumal so lange Deutschland Teilkräfte Polens, Frankreichs und der Tschechoslowakei neutralisierte.
Schon aus dem Grund, war das "Versailler System", wenn man denn von einem kompletten System sprechen will, was es meiner Meinung nach nicht war, aber nehmen wir es der Einfachheit halber mal an, ein Kräftesystem mit vergleichsweise kurzfristigem Ablaufdatum und jeder Menge Neuordnungsbedürfnis.
 
Eine interessante Fragestellung, zu der sich hier einige Leute mit tiefgründenden Kenntnissen ziemlich ausführlich geäußert haben. Jetzt noch eine ganz einfache Bemerkung: Die Verhandlungen zum Versailler Frieden waren fast ausschließlich welche zwischen den Siegern, in Wien waren auch die Verlierer von Anfang an dabei.
 
Nunja, in Wien war Frankreich von Beginn an dabei, saß aber auch mehr oder minder am Katzentisch, bis sich die Sieger wegen der sächischen Frage in die Haare bekamen und Frankreich auf diese Weise wieder ein Gewicht bekam, dass es in die Waagschale werfen konnte.
 
Weitere, bekannte Akzeptanz-Faktoren, neben schon genannten und jenem, dass die Französische (Nachfolge-)Regierung, ob Katzentisch oder nicht, besonders in Person des mehrfachen Außenministers Talleyrand an den Wiener Gesprächen beteiligt gewesen war (mit wachsendem Einfluss, wesentlich gefördert natürlich von den äußeren Ereignissen):

- Die vorrevolutionären Grenzen Frankreichs von 1792 blieben anerkannt.
- Die Reparationen/Kriegsgutmachungen hielten sich für Frankreich in Grenzen
- Es gab natürlich keinen (vermeintlichen) 'Alleinschuld'-Artikel
- dauerhafte, vertraglich festgelegte, wesentliche militärische und Rüstungs-Beschränkungen für Frankreich gab es meiner Erinnerung nach nicht
- keine entmilitarisierte Zonen
- Die Französische Administration wurde letztlich als Vertretung einer wichtigen/wesentlichen europäischen (Groß-?)Macht akzeptiert/anerkannt und eingebunden.

Wenn man es aber von einem anderen Standpunkt her betrachtet, haben Wien und das "Versailler System" aber eine ziemlich interessante Gemeinsamkeit. Beide werden von einer sehr schwachen Ordnungsmacht bestimmt, die im einen Fall "Legitimismus" und im anderen Fall "Nationalismus" heißt.

Sie werden von Ordnungsmächten bestimmt, 'Legitimismus und Nationalismus'? Ordnungsprinzipien ist wahrscheinlich der bessere Ausdruck, und der Begriff 'normative Ordnung' gehört wohl eher in Einzelstaaten.
Transnationale Regime, mal hier die Wiener Schlussakte so bezeichnet, haben wahrscheinlich immer schwache, da freiwillige Ordnungsprinzipien - es sei denn, (mindestens) ein Hegemon steckt im oder hinter dem Transnationalen Regime. Solange dieser/diese dominieren (können), usw. usw.
 
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