Völkerwanderung - Gegenwartsbezug gesucht

Maximilian

Neues Mitglied
[FONT=&quot]Hallo liebe geschichtlich interessierte Mitglieder,

heute möchte ich einmal euer umfassendes geschichtliches Wissen im Zusammenhang mit der Völkerwanderung in Anspruch nehmen. Mir wäre bereits mit einem kleinen Tipp bzgl. eines Gegenwartsbezugs geholfen.

Kennt jemand eventuell geschichtliche Ereignisse der letzten 100 Jahre, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Völkerwanderung bzw. den unten genannten Vorkommnissen während der Völkerwanderung aufweisen?

Im Rahmen meines Geschichtsstudiums absolviere ich ein Praktikum an einem Gymnasium. Dabei hospitiere ich überwiegend.

Eine Lehrerin hat mir angeboten eine Geschichtsstunde in der 10 Klasse zu halten. Die Klasse bearbeitet zurzeit die Unterrichtsreihe der Völkerwanderung. Die Lehrerin hat mir angeboten, dass ich die Stunde relativ frei gestalten kann, jedoch sollte sie sich irgendwie in das Gesamtkonzept einfügen. Sie hat die Westgoten ins Zentrum ihrer Betrachtung gerückt.

Ich weiß noch nicht so recht, worauf ich den Schwerpunkt der Stunde legen soll, da sie mir hier freie Hand gelassen hat. Ich würde den Schwerpunkt ausgehend von der Quellenlage und meiner didaktischen Einfällen ableiten.

Vorgegebener Rahmen, in dem sich die Stunde bewegen soll:

Zeitrahmen 376 bis 500 n. Chr. (Handlungen)
Fokus: Westgoten[/FONT]

  • [FONT=&quot]Vertreibung der Völker durch die Hunnen[/FONT]
  • [FONT=&quot]Bitte der Westgoten an die Römer, um Aufnahme ins Römischen Reich[/FONT]
  • [FONT=&quot]Gewährung der Aufnahme durch die Römer unter Zusicherung der Versorung der Flüchtenden[/FONT]
  • [FONT=&quot]Flucht der Westgoten nach Ostrom (Trakien), heutiges: Rumänien[/FONT]
  • [FONT=&quot]Entwicklung eines Aufstand der Westgoten gegenüber den Römern, da sich die Römer nicht an ihre Zusagen hielten und die versprochene Versorgung der Westgoten nicht eingehalten wurde. (Hintergründe/Ursachen: wie Korruption bei der Verteilung der Versorgungsgüter oder die schiere Masse der Flüchtlinge, müssen nicht unbedingt in den Fokus der Stunde gestellt werden)[/FONT]
  • [FONT=&quot]Abschluss des Bündnisvertrags zw. Westgoten und Römern[/FONT]
  • [FONT=&quot]Zug der Gothen über Italien nach Gallien[/FONT]
  • [FONT=&quot]Ansiedlung der Gothen in Gallien, da der römische Kaiser ihnen dort Land vertraglich zusicherte[/FONT]
  • [FONT=&quot]Kultureller Hintergrund: Teilweise treten die im galischen Gebiet angesiedelten Römer in die Dienste der Westgoten ein[/FONT]
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[FONT=&quot]Als didaktisch sinnvoll wird bei uns an der Uni u.a. die Berücksichtigung der Mehrperspektivität und der Gegenwartsbezug angesehen. Ich bin mir darüber bewusst, dass diese Auffassung nicht jeder teilt, aber dennoch wäre ich über Hinweise die in diese Richtung gehen froh.

Bei der Planung der Geschichtsstunde habe ich einige Schwierigkeiten, da ich keine Mehrperspektivität herstellen kann, da alle zeitgenössischen Quellen ausschließlich den Römern zuzordnen sind und ich bisher trotz umfangreicher Recherche keinerlei Quellen von den Westgoten finden konnte. Die Quellenlage wird auch von einigen Wissenschaftlerin in der bisher von mir bearbeiteten Literatur als recht übersichtlich bezeichnet. Also muss ich hinsichtlich der Mehrperspektivität mangels nicht gefundernder bzw. nicht vorhandenerder westgotischer Quellen oder andererer nichtrömischer Zeitzeugen/Quellen leider Abstriche machen.

Für Tipps zu zeitgenössischen Ereignissen der letzten 100 Jahre, welche ebenfalls Ähnlichkeiten mit den o.g. Ereignissen der Völkerwanderung speziell der Westgoten aufweisen, wäre ich sehr dankbar.

Bisher fallen mir nur flachere Beispiele ein.

Ich freue mich über jede noch so kleine Anregung, welche mir hilft Beispiele zu finden.

Abstrakt formuliert:
Ich suche für den Gegenwartsbezug (letzte 100 Jahre) ein Volk A, welches von seinem Land durch ein Volk B vertrieben wurde und um die Aufnahme in einem anderen Land C gebeten hat. Soweit dürfte es vermutlich bzgl. Migration/Immigration irgendwelche Beispiele geben.:confused:

Diesem Volk B wurde die Genehmigung erteilt, sich in dem anderen Land C anzusiedeln. Hierfür fällt mir zurzeit nur der aktuelle Syrienkonflikt der Türkei ein. Jedoch wird Syrien nicht von einem dritten Volk C angegriffen und Teile der syrischen Bevölkerung fliehen in Richtung Türkei (Land C) vor dem eigenen Regiem und den Kriegshandlungen.

Einzig bei der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge ist der Gegenwartsbezug wieder ähnlich.
Aber die Türken geben die Obergrenze mit 100.000 Flüchtlingen in die Türkei an und versuchen auf syrischem Gebiet die weiter nachströmenden Flüchtlinge in Camps aufzufangen, zu versorgen und sie nicht in die Türkei (Land C) ein zu lassen. Dies wiederspricht widerum dem Handeln der Römer und Westgoten, welche eingelassen wurden.

Fällt jemand ein Beispiel hat, bei dem Flüchtlingen Land zugewiesen wird, welche sich dann dort niederlassen und Teile der dort bereits vorher ansässigen Bevölkerung in die Dienste der neuen Landbesitzer treten bzw. für sie arbeiten, der würde mir mit seinem fundierten Geschichtswissen sehr weiterhelfen.

VIELEN HERZLICHEN DANK FÜR JEDEN HINWEIS / TIPP. :winke:[/FONT]
 
Ich halte jeden Bezug auf Ereignisse der vergangenen 100 Jahre für an den Haaren herbeigezogen, da schon die Definition des Begriffes Volk problematisch ist, die heute dominierenden nationalstaatlichen Konstruktionen vor 2000 Jahren unbekannt waren und es auch bei den zu Grunde gelegten Ereignissen der Völkerwanderungszeit zu viele Unklarheiten bezüglich der tatsächlichen Geschehnisse gibt.

Tut mir leid, wenn das so negativ daher kommt.
 
Vergiß es, es hat in den letzten 100 Jahren keine Flüchtlingsbewegung gegeben, bei der anschließend die Flüchtlinge die Oberhoheit hatten. Ich wüßte keinen Fall.
 
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Kennt jemand eventuell geschichtliche Ereignisse der letzten 100 Jahre, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Völkerwanderung bzw. den unten genannten Vorkommnissen während der Völkerwanderung aufweisen?

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[FONT=&quot]Als didaktisch sinnvoll wird bei uns an der Uni u.a. die Berücksichtigung der Mehrperspektivität und der Gegenwartsbezug angesehen. Ich bin mir darüber bewusst, dass diese Auffassung nicht jeder teilt, aber dennoch wäre ich über Hinweise die in diese Richtung gehen froh.


Abstrakt formuliert:
Ich suche für den Gegenwartsbezug (letzte 100 Jahre) ein Volk A, welches von seinem Land durch ein Volk B vertrieben wurde und um die Aufnahme in einem anderen Land C gebeten hat. Soweit dürfte es vermutlich bzgl. Migration/Immigration irgendwelche Beispiele geben.:confused:
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Wenn du in Richtung Migration gehst, kann das - da du ja nur eine Stunde zur Verfügung hast - ganz böse ins Auge gehen und bei den SchülerInnen Stereotype sowohl hervorlocken wie festigen.

Das Beispiel, das mir einfällt, wären die Naskapi in Kanada und ihre mehrfache 'Umsiedlung' ab dem 19. Jahrhundert, allerdings bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein. Es handelt sich dann zwar nicht um ein Volk A, das von Volk B in das Territorium C vertrieben wird oder dahin flüchtet, sondern um die ursprünglichen Einwohner, mit denen sowohl Hudson Bay Company wie kanadische Behörden lange Zeit nach Gutsherrenart verfuhren. Aufgrund der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein gegebenen ökonomischen Abhängigkeit der Naskapi von der HBC entspricht deren Geschichte nicht dem, was die SchülerInnen zum Thema Indianer im Kopf haben werden.

Zum Einlesen:

Naskapi ? Wikipedia


Ausführlicher ist die engl Wikipedia:
Naskapi - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Ich glaube, es besteht ein Missverständnis zum Begriff Gegenwartsbezug. Der Gegenwartsbezug beinhaltet nicht die Aufgabe, ein modernes Parallelereignis zur spätantiken Völkerwanderung zu finden (obwohl es das durchaus gibt, man denke nur mal an Lampedusa, eine Insel die vor allem weswegen bekannt ist?) oder globaler die Süd-Grenzen der EU und der USA.
Aber in diesem Zusammenhang dürfte der Gegenwartsbezug anders gemeint sein. Schulunterricht bedarf einer Rechtfertigung. Warum sollen Schüler etwas lernen, was vor 1600 Jahren stattfand? Wieso ist das für die Schüler heute wichtig? Mit einem wagen "weil's der Allgemeinbildung dient" kommt man da nicht weiter. Die Eltern/Steuerzahler benötigen eine Rechtfertigung, dass der Schulunterricht kein Selbstzweck ist.* Gleichzeitig muss aber auch das Kunststück geschafft werden, die Schüler für den Unterrichtsstoff zu interessieren. Auch hier spielt der Gegenwartsbezug eine gewisse Rolle, denn letztlich interessieren wir uns auch immer wieder für das, was wir schon kennen. Wenn du also für die Schüler einen Wiedererkennungsmoment herstellen kannst, dann ist die Chance darauf, dass du bei den Schülern ein Interesse an der Lösung der Unterrichtsfrage generieren kannst, schon mal ein Stück weit höher, als wenn sie gar keinen Bezug zu ihrer Lebenswelt haben.

*Die Eltern, weil sie natürlich wollen, dass aus ihren Kindern "was" wird, die Steuerzahler, weil sie schließlich die Lehrer für eine Leistung bezahlen. Die Eltern, die in ihrer Mehrheit auch Steuerzahler sind haben also ein doppeltes Interesse.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dazu vielleicht eine Idee: In einem Auswandererforum (Spanien/Portugal) las ich vor Jahren die - absurde - Behauptung eines Deutschen (der im Übrigen alles andere als ungebildet war, der Mann lebte mit seinen Hunden von dem Geld welches ihm ein Buch über Wirtschaftsrecht, eine Studieneinführung, einbrachte), der an der Algarve lebte. Dieser Mann, der sich verweigerte portugiesisch oder spanisch zu lernen (obwohl er sich damals mit Umzugsplänen von der Algarve nach Andalusien beschäftigte), rechtfertigte diese Weigerung mit der Existenz der völkerwanderungszeitlichen Reiche der Sueben und Westgoten auf iberischem Boden. Er vertrat dabei die Auffassung, dass der germanische Adel sich über die maurische Eroberung gerettet habe und Träger der Reconquista gewesen sei und die germanischen Sprachen damit bis heute auf der iberischen Halbinsel vertreten sein sollten. (Das war keine Provokation, dieser Mann meinte das ernst!) Du könntest also diese Haltung, die ja das historische Ereignis Völkerwanderung als Rechtfertigung für eine Geisteshaltung im 21. Jahrhundert heranzieht, vielleicht verknüpft mit einer dieser gestellten Auswandererserien aus dem Privatfernsehen, als Grundlage für eine historische Diskussion nehmen. Das bedarf aber einer guten Vorbereitung.
 
Vielleicht wäre es ja ein Ausweg für Dich, wenn Du darstellst, warum die Verhältnisse der Völkerwanderungsszeit nicht auf heutige Verhältnisse übertragbar sind. Als "Gegenwartsbezug" ergäbe sich dann die Herausarbeitung der Beschaffenheit der heutigen Welt im Vergleich zur damaligen.
 
Hinsichtlich des Gegenwartsbezugs stimme ich El Q. zu.

Was die Multiperspektivität angeht, so musst Du aus den geschilderten Gründen wohl tatsächlich

[FONT=&quot]leider Abstriche machen.

Allerdings werden sich doch sicher römische Quellen finden lassen, die das Thema unterschiedlich deuten (anders herum: nicht alle römischen Quellen sind aus der selben Perspektive geschrieben). Auf diese Weise könntest Du der Forderung nach Multiperspektivität dann doch noch nachkommen.
 
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[FONT=&quot]Als didaktisch sinnvoll wird bei uns an der Uni u.a. die Berücksichtigung der Mehrperspektivität und der Gegenwartsbezug angesehen. Ich bin mir darüber bewusst, dass diese Auffassung nicht jeder teilt, aber dennoch wäre ich über Hinweise die in diese Richtung gehen froh.[/FONT]
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Das sind inzwischen Basisforderungen aller Lehrpläne für den Geschichtsunterricht, die mit unwesentlichen Abänderungen in den Richtlinien aller Bundesländern wiederkehren: Multiperspektivität, Mehrdimensionalität, Problemorientierung und Gegenwartsbezug.

Multiperspektvität beim Thema "Völkerwanderung" bedeutet z.B.. die Situation von Eroberern und Eroberten einander gegenüberzustellen. Ob allerdings Quellenmaterial für die Sichtweise der germanischen Invasoren bereitgestellt werden kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhn gibt es z.B. zu Theoderich und seiner Regierung zahlreiche Quellen, auch solche, die seinen Arianismus oder seine Regierung kritisch beleuchten. Eine andere Perspektive nimmt bei den Ostgoten die katholische Kirche gegenüber dem Arianismus der Ostgoten ein, was ebenfalls analysiert werden kann.

Was die Mehrdimensionalität angeht, so sollten die Wanderzüge und Germanenreiche auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden, u.a. in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, sozialer, kultureller, religiöser, demografischer und politischer Hinsicht.

"Gegenwartsbezug" meint keineswegs nur eine Spiegelung der Völkerwanderung in Migrationsbewegungen heutiger Zeit. Es kann auch untersucht werden, was von den Germanenreichen der Völkerwanderung bis in die heutige Zeit geblieben ist, selbst wenn man dabei zu dem Schluss kommt, dass diese Gebilde nicht zukunftsfest waren, wobei sich die Frage anschließt, warum nicht.

Auf der Hand liegt natürlich ein Vergleich der Völkerwanderung mit Migrationsbewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei können die Schüler versuchen, Vergleichbares und Unvergleichbares zu ermitteln. Migrationsgeschichte damals und heute kann an Fallbeispielen zeigen, warum Menschen ihre Heimat verließen (Motive/Ursachen, z. B. klimatische, religiöse,
wirtschaftliche oder politische), wie dies geschah (Verläufe) und welche Folgen das für sie und ihr soziales und politisches Umfeld hatte.

Gerade am letzten Punkt könnte sich die Richtlinienforderung "Problemorientierzng" festmachen.
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In der neuerer Zeit habe ich Vorgänge solcher Art eigentlich nur im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion wahrgenommen.
Schaue Dir mal den Konflikt um Südossetien und Abchasien an.

Abchasien -> Vertreibung der georgischen und nicht abchasischen Bevölkerung (ca. 260.000 Menschen).
Ähnlich in Südossetien, da betrifft es wohl zurzeit ca. 30.000 Menschen.

Und dann solltest Du Dir noch das Drama mit den Armeniern ansehen.
2005 hatten wir den 90igsten Jahrestag der Vertreibung der Armenier durch die Türken.
Hier geht es um 1,5 Millionen Menschen.
 
In der neuerer Zeit habe ich Vorgänge solcher Art eigentlich nur im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion wahrgenommen.Schaue Dir mal den Konflikt um Südossetien und Abchasien an.

Die Stämme der Völkerwanderung wurden nicht aus ihren ursprünglichen Sitzen vertrieben. Daher kommen für einen Vergleich mit heutigen Migrationsbewegungen nur Migranten infrage, die ihr Land freiwillig verließen, um woanders bessere meist wirtschaftliche Bedingungen zu finden.
 
Migrationssoziologisch ist von Freiwilligkeit eigentlich nur zu sprechen, wenn es zwar Pull-(Sog)-Faktoren aber keine Push-(Schub)-Faktoren gibt.
Schubfaktoren können Krieg oder kriegsartige Zustände, Naturkatastrophen, Hunger, Armut etc. sein.
 
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Kennt jemand eventuell geschichtliche Ereignisse der letzten 100 Jahre, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Völkerwanderung bzw. den unten genannten Vorkommnissen während der Völkerwanderung aufweisen?
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Patrick Geary: Myths of nations. The medieval origins of Europe. Princeton University. Princeton 2003, ISBN 0-691-09054-8. (dt. Ausgabe: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Vorspohl. Fischer, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-60111-8)
das letzte Kapitel könnte anregend für dich sein: es wendet die Terminologie, mit welcher die Ethnogenesen im frühen Mittelalter beschrieben werden, auf afrikanische Verhältnisse des 19. Jhs. an - - überhaupt ein sehr lesenswertes Buch, auch zur Völkerwanderungszeit!

salopp vergleichend könnte man in einer Diskussion das spätrömische Verbot gotischer Tracht mit dem heutigen Echauffement bzgl. Kopftüchern ansprechen - da ließen sich die spätantiken mit den heutigen Vorurteilen vergleichen. Das wäre ein zwar problematischer, denn er müsste sehr gut vorbereitet werden, aber doch irgendwie "aktueller" Einstieg.
 
Anknüpfend an den Vergleich Völkerwanderung-Migration habe ich zuerst an Mitgrationsbewegungen wie die der Hugenotten nach "Deutschland" oder die der Iren nach Amerika gedacht. Das hinkt aber alles, weil Migration mehr oder minder ausgeprägt mit dem Begriff Integration verknüpft ist. Völkerwanderung hingegen sah anders aus. Da war es ein Spezifikum, dass ein ganzes "Staatswesen" (also nicht nur Menschen, sondern eine Herrschaftsstruktur) in ein neues Wohngebiet zog und dort als Staatswesen erhalten blieb, oft sogar dominierend wurde. Das ist nicht Integration sondern Segregation. Dazu fällt mir aus neuerer Zeit kein Beispiel ein. Ereignisse aus der Zeit des Imperialismus vielleicht. Südafrika? Da fehlt vermutlich der Aspekt der "Asylsuche" der "Zuwanderer". Das war wohl eher von Beginn an eine Eroberung.

Um einen Gegenwartsbezug herzustellen, müsste man sich also vermutlich tatsächlich etwas weiter strecken und nachschauen, welche Entwicklungen der Völkerwanderungszeit bis heute "nachwirken". Auflösung von Stammesgesellschaften und Herausbildung von "Nationen" (organisatorischer Zusammenschluss mehrerer Stämme), Entwicklung des Gefolgschaftssystems zu einem Erbadel, damit einhergehend Konzentration von Eigentum in bestimmten Gesellschaftsschichten, gesellschaftliche Differenzierung etc etc. So könnte man zum Beispiel darlegen, dass das deutsche System der Bundesstaatlichkeit ein Effekt der Völkerwanderung sein KÖNNTE (!). Für eine Unterrichtsstunde ist das natürlich ein ziemlich heftiger Anspruch....

MfG
 
Anknüpfend an den Vergleich Völkerwanderung-Migration habe ich zuerst an Mitgrationsbewegungen wie die der Hugenotten nach "Deutschland" oder die der Iren nach Amerika gedacht. Das hinkt aber alles, weil Migration mehr oder minder ausgeprägt mit dem Begriff Integration verknüpft ist. Völkerwanderung hingegen sah anders aus. Da war es ein Spezifikum, dass ein ganzes "Staatswesen" (also nicht nur Menschen, sondern eine Herrschaftsstruktur) in ein neues Wohngebiet zog und dort als Staatswesen erhalten blieb, oft sogar dominierend wurde. Das ist nicht Integration sondern Segregation.
einige Historiker, und sicher nicht die schlechtesten, bezeichnen die spätantike / frühmittelalterliche Völkerwanderung bzw. die Transformation des weströmischen Reichs als "gescheiterte Integration" (z.B. Wolfram, Todd, Geary)
 
Anknüpfend an den Vergleich Völkerwanderung-Migration habe ich zuerst an Mitgrationsbewegungen wie die der Hugenotten nach "Deutschland" oder die der Iren nach Amerika gedacht. Das hinkt aber alles, weil Migration mehr oder minder ausgeprägt mit dem Begriff Integration verknüpft ist. Völkerwanderung hingegen sah anders aus. Da war es ein Spezifikum, dass ein ganzes "Staatswesen" (also nicht nur Menschen, sondern eine Herrschaftsstruktur) in ein neues Wohngebiet zog und dort als Staatswesen erhalten blieb, oft sogar dominierend wurde.

Dich irritiert die Verwendung des Migrationsbegriffs auf die Völkerwanderung, mich irritiert die Bindung (nicht die Verknüpfung) des Migrationsbegriffs mit dem Integrationsbegriff. Integration kann auf Migration folgen, muss aber nicht sein.
Migration ist zunächst mal völlig wertfrei eine Wanderungsbewegung.
In der Archäologie wird der Begriff völlig selbstverständlich verwendet. Eine kleine Literaturauswahl:
Burmeister, Stefan: Migration und ihre archäologische Nachweisbarkeit. In: Archäologische Informationen 19/1996, S. 13-21.
Burmeister, Stefan: Zum sozialen Gebrauch der Tracht. Aussagemöglichkeiten hinsichtlich des Nachweises von Migrationen. In: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift (EAZ) 39/1997, S. 177-203.
Thomas Tütken, Corina Knipper und Kurt W. Alt: Mobilität und Migration im archäologischen Kontext: Informationspotential von Multi-Element-Isotopenanalysen (Sr, Pb, O). In: Bemmann, J. and M. Schmauder (Hrsg.): Kulturwandel in Mitteleuropa. Langobarden, Awaren, Slawen. Bonn 1998, S. 13-42.
Aus meiner Sicht ist der Begriff präzise gewählt.
 
Um einen Gegenwartsbezug herzustellen, müsste man sich also vermutlich tatsächlich etwas weiter strecken und nachschauen, welche Entwicklungen der Völkerwanderungszeit bis heute "nachwirken".

Nein, es geht darum, ob die Ereignisse heute noch eine Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler haben könnten. Hast Du Kinder mit Migrationshintergrund in deiner Klasse? Hast Du Schüler in deiner Klasse, die andere kennen, für die Migration eine Rolle spielt? Haben die einen diffusen Blick davon?

Versuche, diesen Blick zu schärfen. Die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen kann ein Brennglas für so etwas sein.
 
Dich irritiert die Verwendung des Migrationsbegriffs auf die Völkerwanderung, mich irritiert die Bindung (nicht die Verknüpfung) des Migrationsbegriffs mit dem Integrationsbegriff. Integration kann auf Migration folgen, muss aber nicht sein.
Migration ist zunächst mal völlig wertfrei eine Wanderungsbewegung.

Stimmt. Deshalb wird der Begriff "Migration" unter anderem auch dann treffend verwendet, wenn man die Bahnänderung von Planeten oder die rechnergestützte Entzerrung seismischer Messdaten beschreiben will. Darüber reden wir hier aber nicht. Tatsächlich habe ich auf die heute gebräuchliche Definition von "Migration" in sozialem Zusammenhang abgestellt. In diesem Sinne ist auf den Eingangsbeitrag geantwortet worden, weshalb auch ich den Begriff präzise gewählt finde. Einen Konsens über diese Definition voraussetzend, finde ich es nach wie vor schwierig, Parallelen zwischen heutigen/jüngergeschichtlichen Formen der Migration und Erscheiungsformen der Völkerwanderung herstellen zu wollen. Jedenfalls ist mir aus der jüngeren Vergangenheit kein Fall bekannt, in dem ganze soziale Gemeinschaften gewandert sind und an ihrem Zielort weitgehend die Strukturen behielten, die sie vor ihrem Abmarsch hatten.

Nein, es geht darum, ob die Ereignisse heute noch eine Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler haben könnten. Hast Du Kinder mit Migrationshintergrund in deiner Klasse? Hast Du Schüler in deiner Klasse, die andere kennen, für die Migration eine Rolle spielt? Haben die einen diffusen Blick davon?
Auch das ist richtig. Aber nur dann, wenn man voraussetzt, dass die Wanderung eines ganzen Volkes tatsächlich vergleichbar ist zur Auswanderung eines Individuums oder einer Familie von ihrem Geburtsort zu einem neuen Wohnort. Sollten die beiden Phänomene nicht vergleichbar sein, würdest Du dem Kind mit Migrationshintergrund in Deiner Klasse einen völlig falschen Eindruck von dem vermitteln, was im vierten Jahrhundert ganze Völker in Bewegung gebracht hat.

Versuche, diesen Blick zu schärfen. Die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen kann ein Brennglas für so etwas sein.
Ich weiß. Deshalb beschäftige ich mich mit geschichtlichen Themen. Und deshalb finde ich Migration (in spezifisch soziologischem Sinne) unvergleichbar mit Völkerwanderung.

MfG
 
Ich weiß. Deshalb beschäftige ich mich mit geschichtlichen Themen. Und deshalb finde ich Migration (in spezifisch soziologischem Sinne) unvergleichbar mit Völkerwanderung.
die spätantiken Foederaten, die problematische "Integration" der gotischen Gruppen ins zerfallende weströmische Reich (es ließe sich nochmehr aufzählen) - warum sollte da der Begriff Integration (auch wenn sie scheiterte) nicht verwendet werden?
die von mir erwähnten Historiker tun das - irren die?
 
die spätantiken Foederaten, die problematische "Integration" der gotischen Gruppen ins zerfallende weströmische Reich (es ließe sich nochmehr aufzählen) - warum sollte da der Begriff Integration (auch wenn sie scheiterte) nicht verwendet werden?
die von mir erwähnten Historiker tun das - irren die?

Natürlich kam es zur Integration.

Die Germanen der Völkerwanderungsreiche lösten sich schließlich nicht in Luft auf, sondern verschmolzen - meist ohne große Spuren zu hinterlassen - mit der altansässigen autochthonen Bevölkerung.

Dieser Prozess erfolgte bei den Langobarden in Norditalien ebenso wie bei den Burgundern im Frankenreich oder den Westgoten in Spanien. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten fiel das Heiratsverbot von Germanen und Einheimischen, es erfolgte ein meist schleichender Übergang vom Arianimus zum Katholizismus, die germanischen Sprachen wurden aufgegeben und irgendwann war die Verschmelzung von Germanen und Einheimischen vollzogen - und die Integration perfekt.
 
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