Vom Antijudaismus zum Antisemitismus

L

Lars_01

Gast
Hallo,

Vielleicht könnt ihr mir ja helfen.
Ich möchte mich mit der Veränderung vom religiösen Antijudaismus zum Antisemitismus beschäftigen, weiß aber noch nicht so genau, wo anzusetzen.
Man stößt immer wieder auf "Schlagwörter" wie Luther, Limpeza de sangue in Spanien, Eisenmengers "Entdecktes judentum" und Fichte. Es scheint also eine längere Transformation gewesen zu sein, und kein recht plötzliches Ereignis. Das macht es für mich aber schwieriger anzusetzen.
Wenn ich mich auf die Ideengeschichte und auf den deutschen Raum konzentrieren möchte, wo wäre es denn am idealsten? gibt es vllt sogar einen Text, der so beispielhaft die modernen Elemente des antisemitismus trägt, dass man ihn als Schlüsseltextes des Übergangs bezeichnen kann und man an ihm gut die Züge des Übergangs erkennen kann?
(Wenn es darüberhinaus gute darstellende Texte gibt, die vllt auch hinweise auf interessante Quellen bieten, freue ich mich auch hier über hinweise!)

viele Grüße
Lars
 
Wie kommst du denn überhaupt drauf, dass es eine ideengeschichtliche Transformation vom Antijudaismus zum Antisemitismus gegeben hätte? Vielmehr ist es doch eher so, dass der Antisemitismus Aspekte des Antijudaismus aufgreift, selbst allerdings in seiner Entwicklung aus vielen wissenschaftlichen Teildisziplinen beeinflusst wurde und eben nicht originär aus dem Antijudaismus entstand. Oder geht es dir um eine allgemeine gesellschaftliche Transformation der Geisteshaltung weg vom überwiegenden Antijudaismus hin zum Antisemitismus?
 
Lili:
Oder geht es dir um eine allgemeine gesellschaftliche Transformation der Geisteshaltung weg vom überwiegenden Antijudaismus hin zum Antisemitismus?
Ich glaube, er meint das. So haben wir das letztes Semester auch behandelt. Irgendwo triffts der Begriff "ideengeschichtliche Transformation" mMn schon (ganz entfernt), einfach wenn man betrachtet, dass der Antijuadismus irgendwann einfach kein Thema mehr war, der Antisemitismus dagegen gesellschaftsfähig wurde.
Trotzdem stimme ich dir zu.

Lars:
Hey, dieses Buch sollte dir eigentlich weiterhelfen:


W. Benz/W. Bergmann: Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus.

Außerdem ist es sicher immer hilfreich sich mit den "Klassikern" des Antisemitismus zu beschäftigen (zb. Huston Stewart Chamberlain).

Evtl. auch ein Ansatz im deutschen Kaiserreich:
Schau dir mal die Wiki-Artikel an zu:
-Adolf Stoecker
-Christlich-soziale Partei
-Deutsche Reformpartei
-Deutschsoziale Partei

Cheers,

Nex.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oder geht es dir um eine allgemeine gesellschaftliche Transformation der Geisteshaltung weg vom überwiegenden Antijudaismus hin zum Antisemitismus?

So hätte ich es wohl formulieren sollen, ja.
Mir geht es in erster Linie um Texte, in denen der moderne Antisemitismus erstmals auftritt.


@iamNex:
Danke für den Hinweis, das wird mir weiterhelfen!
Hast du vllt zusätzlich noch eine monographische Darstellung parat?

Wo/Wie ist es denn am sinnvollsten bei Fichte anzusetzen?
 
Mir geht es in erster Linie um Texte, in denen der moderne Antisemitismus erstmals auftritt.
Das betrifft, falls ich ich richtig verstehe, vorwiegend das 19. Jh. bzw. die 2. Hälfte des 19. Jhs.. Es gibt hier einen Faden, der sich mit dem dt. Kaiserreich befasst - verschiedene Aspekte werden da angesprochen, Du findest auch Literaturhinweise: http://www.geschichtsforum.de/f58/diskriminierung-von-juden-kurorten-im-19-jh-38800/
Interessant ist eine Dissertation über Stuttgart, findest Du in diesem Faden.
 
Vielen Dank euch allen!

Was halltet ihr den Postones Antisemitismusthesen?
 
Wann ist eigentlich das Wort "Antisemitismus" erstmals aufgetaucht, doch wohl nicht erst in der Neuzeit oder? Und weshalb bezieht sich die Anti-Haltung nur auf das Volk der Juden und nicht auch die anderen semitischen Völker?
 
Und weshalb bezieht sich die Anti-Haltung nur auf das Volk der Juden und nicht auch die anderen semitischen Völker?

Hängt wohl mit der Diaspora zusammen.

Der Antisemitismus lässt sich ohne den Antijudaismus mMn nicht erklären.
Ohne die jahrhunderte lange Vorarbeit des Antijudaismus, hätte sich ein rassisch geprägter Antisemitismus so nicht ausprägen können.

Ich glaube übrigens, dass bereits im Spätmittelalter / in der frühen Neuzeit die Grenzen zu verschwimmen begannen. Siehe zb. Antijudaismus bei Luther.
Gibt aber Leute hier, die sich da besser auskennen, wäre also cool wenn, falls ich hier falsch liege, mich jemand berichtigen könnte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hängt wohl mit der Diaspora zusammen.
Nicht nur das. Als vermeintliche "Hostienschänder" und "Christusmörder" waren sie vor allem für den niedrigen Klerus und das einfache Volk ein beliebtes Feindbild. Dazu kommt, dass Juden kein Handwerk ausüben und keinen Grund und Boden besitzen dürften. Es blieb ihnen also nur Gelehrter, Arzt, Händler oder Bankier zu werden. Viele Christen, sogar Adlige standen daher bei ihnen in der Kreide. Die kurzsichtige Versuchung, sich der Gläubiger einfach durch Vertreibung oder Schlimmeres zu entledigen, tauchte daher immer wieder mal auf. Ich glaube, der Unterschied zwischen Antijudaismus und Antisemitismus war teilweise fliessend.
 
Hängt wohl mit der Diaspora zusammen.

Yo, aber hab das mehr so vermutet, dass wenn unter Muslimen oder anderen Glaubensrichtungen einst eine ähnliche Diaspora stattgefunden hätte, ähnliche Ausgrenzungsmechanismen entstanden wären.
Aber das ist wohl zu spekulativ..
 
Ich glaube, der Unterschied zwischen Antijudaismus und Antisemitismus war teilweise fliessend.

Als Antijudaismus bezeichnet man die religiös geprägte Judenfeindschaft. Diese Wurzeln liegen in der vorchristlichen antiken Judenfeindschaft und in der Konkurrenz der christlichen Religion zu ihrer Mutterreligion dem Judentum.

Mit der Renaissance und der Aufklärung, als man ein säkulares Menschenbild entwarf, entwickelte sich auch die moderne Rassenkunde und damit die Basis für den modernen Antisemitismus.

Der Antisemitismus ist rassistisch geprägt und war eine Reaktion auf die Assimilation und den Eintritt der Juden ins bürgerliche Leben in Europa.

Die als "Rasse" definierten "Semiten" wurden zur Antithese der "Arier" stilisiert. Man kam weg von der religiös geprägten Judenfreindschaft, diese spielt natürlich eine Rolle im Antisemitismus.
 
Wenn ich mir das entsprechende Kapitel bei Goldhagen vornehme, dann war der "Rassebegriff" vielen vermeintlichen "Antisemiten" im 19. Jahrhundert noch egal, da auch der Darwinismus, auf den man sich später berief gern berief, besonders für gläubige Katholiken Teufelszeug darstellte. Das meinte ich mit dem fliessenden Übergang.
 
Wenn ich mir das entsprechende Kapitel bei Goldhagen vornehme, dann war der "Rassebegriff" vielen vermeintlichen "Antisemiten" im 19. Jahrhundert noch egal, da auch der Darwinismus, auf den man sich später berief gern berief, besonders für gläubige Katholiken Teufelszeug darstellte. Das meinte ich mit dem fliessenden Übergang.

Du weisst aber schon das Goldhagens Thesen sehr umstritten sind oder?
 
Du weisst aber schon das Goldhagens Thesen sehr umstritten sind oder?
Natürlich weiss ich das. Es geht ja auch nicht um alle Aussagen in seinem Buch und ich habe oben nicht mal die Deutschen als Antisemiten explizit erwähnt. Gelesen sollte man es trotzdem haben, allein schon wegen der öffentlichen Diskusssion, die seinerzeit deshalb lief.
 
Natürlich weiss ich das. Es geht ja auch nicht um alle Aussagen in seinem Buch und ich habe oben nicht mal die Deutschen als Antisemiten explizit erwähnt. Gelesen sollte man es trotzdem haben, allein schon wegen der öffentlichen Diskusssion, die seinerzeit deshalb lief.

Vielleicht kannst du ja mal die Zitate reinstellen, auf die du dich beziehst.


Bei Goldhagen geht es um den eliminatorischen Antisemitismus. Nur so nebenbei.

Goldhagen macht aus Antijudaismus Antisemitismus. Er nimmt den Begriff und stülpt ihn einfach über die gesamte Geschichte. Er schreibt zum Beispiel auf Seite 58 *

2. Der Antisemitismus gehörte, zumindest seit Beginn der Kreuzzüge und bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, zu den Grundzügen der christlichen Kultur.

Hier wird die religiöse motivierten Judenfreindlichkeit der Kreuzzüge vermischt mit dem modernen Begriff des Antisemitismus. Das zieht sich durch das gesamte Buch durch. In der Holocaustforschung wird hier ganz klar unterschieden.


* Daniel Goldhagen. Hitlers willige Vollstrecker. Siedler Verlag.
 
Zuletzt bearbeitet:
Goldhagen macht aus Antijudaismus Antisemitismus. Er nimmt den Begriff und stülpt ihn einfach über die gesamte Geschichte. Er schreibt zum Beispiel auf Seite 58 *

2. Der Antisemitismus gehröte, zumindest seit Beginn der Kreuzzüge und bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, zu den Grundzügen der christlichen Kultur.

Wobei wir heute in einem Seminar besprochen haben, dass in Deutschland und Spanien im späten Mittelalter (bzw. frühe NZ) sehr wohl so etwas wie ein "Blutreinheitsgebot" bestanden hat. In gewissen Regionen bestand eine latente Feindlichkeit, auch gegen zum Christentum konvertierte Juden (und auch Mauren!). Für bestimmte Ämter hat man eine Art Nachweis der Reinheit des Blutes erbringen müssen.

Haben das leider ohne jegliche Literatur besprochen, von daher kann ich mein Argument nicht festigen...
 
Wobei wir heute in einem Seminar besprochen haben, dass in Deutschland und Spanien im späten Mittelalter (bzw. frühe NZ) sehr wohl so etwas wie ein "Blutreinheitsgebot" bestanden hat. In gewissen Regionen bestand eine latente Feindlichkeit, auch gegen zum Christentum konvertierte Juden (und auch Mauren!). Für bestimmte Ämter hat man eine Art Nachweis der Reinheit des Blutes erbringen müssen.

Haben das leider ohne jegliche Literatur besprochen, von daher kann ich mein Argument nicht festigen...

Das ist mir bekannt. Nur war das schon rassitischer moderner Antisemitismus wie wir ihn ab dem Mitte des 19. Jahrhunderts kennen?

Vor dem 19. Jahrhundert gab es diesen Begriff überhaupt nicht. Wie schon gesagt, der Begriff als solches entstand 1879. Wilhelm Marr verwendete diesen Begriff mit dem erklärten Ziel, die Juden als "Rasse" zu bekämpfen. Der Ursprung dazu liegt im Rassenbegriff und in der naturwissenschaftlich-biologischen Betrachtungsweise. Mit dem Unterscheidungsmerkmal der "Rasse" konnte der rassitsische Antisemitismus als Instrument der Ausgrenzung benutzt werden. Und diese Unterscheidung wurde im Mittelalter und bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gemacht. Sondern da war es in erstelinie die Religion und nicht die "Rasse".

Auch der Antijudaismus hat sich von der Antike bis zur Neuzeit verändert. Den Antijudaismus gibt es heute noch, der ist nicht durch Antisemitismus ersetzt worden.

Ich kann das Buch von Johannes Heil wirklich wärmstens empfehlen, da geht es um die Wurzlen der Judenfeindlichkeit.

Hier noch einmal:

Gottesfeinde-Menschenfeinde
Die Vorstellung von jüdischer Weltverschwöhrung
13. bis 16. Jahrhundert.
Antisemitismus: Geschichte und Strukturen
Band 3
 
Zuletzt bearbeitet:
Da Fichtes Werk sehr unübersichtlich gerade für Laien ist:
Könntet ihr mir verraten, auf welche Schriften sich die Anschuldigungen des Antisemitismus beziehen?

Das würde mir SEHR helfen!

danke
 
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