Vor 30 Jahren: Kommunalwahlen 1989 und der Anfang vom Ende der DDR

Solwac

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Heute vor 30 Jahren gab es etwas eigentlich ganz normales: Die Führung der DDR wollte sich ihre turnusgemäße Bestätätigung zum Weitermachen abholen, es war wieder mal Zeit für eine Kommunalwahl. Allerdings hatte die politische Führung den Lauf der Zeit total verkannt. Nach Glasnost und Perestroika fehlte der ideologische Rückhalt, die Wirtschaft fiel immer weiter hinter den Westen zurück und taumelte kurz vor der Zahlungsunfähigkeit und an verschiedenen Stellen organisierte sich der Unmut in verschiedenen Ostblockstaaten.

Es stand auch 1989 wieder nur die Liste der Nationalen Front zur Wahl, d.h. Wahl gab es eigentlich nicht. Die Wahlbestimmungen werteten fast alles als Zustimmung, maximal als ungültige Stimme. So mussten für eine akzeptierte Neinstimme alle Kandidatennamen einzeln säuberlich waagerecht durchstreichen, für eine Jastimme reichte aber das Falten des Stimmzettels (einmal gefaltet passte der Zettel durch den Schlitz in der Urne). Nachdem die vorherigen Wahlen immer Zustimmungen über 99% brachten, wurde beschlossen, dass die Wahl mit einer minimal niedriegeren Zustimmung zu erfolgen habe. So kam es dann auch, offiziell stimmten 98,85% für die Nationale Front. Aber die Führung verrechnete sich in mehreren Punkten:
  • Die undemokratische Art der Aufstellung der Liste erzeugte schon in den Monaten vor der Wahl Unmut, gab es doch keine unabhängigen Kandidaten und auch die im März beschlossene Ausdehnung des aktiven und passiven Wahlrechts auf Ausländer konnte die mangelnde demokratische Legitimierung nicht verschleiern
  • Nach den Erfahrungen der letzten Wahlen, ermutigt durch entsprechende, noch nie genutzte Paragraphen des DDR-Wahlrechts verabredeten sich mehrere Oppositionsgruppen zur umfangreichen Wahlbeobachtung. Diese Verabredungen konnten im Vorfeld von der Stasi nicht unterbunden werden
  • Die Forderung nach Umsetzung von § 37 Abs. 1 (öffentliche Stimmauszählung) konnte nicht überall unterdrückt werden, die örtlichen Wahlkommissionen waren durch die gute Abstimmung der Oppositionsbewegung offenbar überrascht worden
  • Die Diskrepanzen zwischen den offiziell verkündeten Resultaten und den im Neuen Deutschland veröffentlichten Teilergebnissen waren überdeutlich und konnten von der Propaganda nicht entkräftet werden.
Die Wahlbeobachter konnten bei allen Schikanen für viele Bezirke Wahlfälschungen nachweisen, die Zahl der registrieten Neinstimmen lag deutlich über den offiziellen Zahlen (bestes Beispiel Berlin-Weissensee), in einigen Fällen gelang auch der Nachweis einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung.
Diese Nachweise verbreiteten sich in den Tagen nach der Wahl in der ganzen DDR und führten zu sich monatlich wiederholenden Demonstrationen gegen den Wahlbetrug. Pikantes Detail: Dieser Jour-Fixe an jedem Monatssiebten fiel im Oktober genau auf den Tag der Republik und die damit verbundenen Feierlichkeiten.

Nach den im Sommer im größer werden Flüchtlingszahlen über Ungarn und in die deutsche Botschaft in Prag zerlegte sich eine immer stärker überforderte Führung unter dem nicht die Realität akzeptierenden Honecker quasi von selbst. So häuften sich die Pannen schon im Vorfeld des 40. Geburtstags der DDR und die Behandlung der Probleme im Zuge der Sitzungen des Politbüros am 10. und 11. Oktobers war absolut unzureichend. Eine Woche später löste Krenz Honecker ab und ohne je wieder die politische Initiative zu erlangen ging die politische Führung der DDR unter. Freie Wahlen in der DDR und die Wiedervereinigung 1990 waren die Folge.
 
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