Vormacht im deutschen Reich

Eugen Rommel

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In Christopher Clarks Buch Preußen Aufstieg und Niedergang behauptet Clark, dass durch den Einmarsch Friedrichs II. in Schlesien und die darauffolgende Annexion Schlesiens Preußen eventuell einer sächsischen Invasion zuvorgekommen ist. Immerhin waren ja Sachsen, das im Westen an Schlesien grenzte in einer Personalunion mit Polen verbunden. Deshalb legt er den Verdacht nahe, dass bei einer sächsischen Annexion nicht Preußen, sondern Sachsen die dominierende Macht im Heiligem Römischen Reich deutscher Nation geworden wäre.
Wie ist eure Einschätzung dazu?
Hätten Österreich und Russland sich nicht gegen einen starken sächsisch-polnischen Staat gewehrt? Preußen konnte sich ja der ''Anti-Friedrich-Koalition unter anderem wegen der britischen Bündnishilfe und dem starkem preußischem Heer vor seiner totalen Zerstückelung retten. Aber dies ging Sachsen doch vollkommen ab.
 
Diese Einschätzung leuchtet mir nicht ein. Von einem "starken sächsisch-polnischen Staat" kann doch überhaupt keine Rede sein, und mit Preußen kann man ihn schon gar nicht vergleichen. Die Macht von August III. in Polen war arg begrenzt, auf Polen konnte er sich für eine allfällige Großmachtpolitik im eigenen Interesse nicht stützen. Im Gegenteil, durch die Personalunion mit Polen wurde Sachsen doch eher geschwächt, weil hohe Summen für die Königswahl und als Bestechungsgelder für polnische Adlige verlorengingen.
 
Finanziell war der Erwerb der polnischen Königskrone für die Wettiner ein Desaster. Auch kam damit erhebliches Konfliktpotential auf, siehe den Konflikt mit Schweden um Kurland. Aber er war mit einem enormen Renommeegewinn verbunden. Friedrich August spielte nun in der ersten Liga europäischer Politik mit, weil er König war statt nur Kurfürst. Das war damals nicht unerheblich.

Sachsen hatte natürlich Interesse an einer Landbrücke nach Polen. Ohne diese war jeder Versuch, die polnische Krone dauerhaft zu sichern, wenig erfolgversprechend. Schlesien als Ganzes war ein Maximalziel, das später auch nach unten korrigiert worden ist. Militärisch war diese Forderung jedoch nicht durchzusetzen, jedenfalls nicht im Alleingang, weshalb Sachsen sich ja auch zunächst mit Preußen verbündet hat. Allein das spricht schon gegen die Wahrscheinlichkeit der Vormachtstellung.
 
In Christopher Clarks Buch Preußen Aufstieg und Niedergang behauptet Clark, dass durch den Einmarsch Friedrichs II. in Schlesien und die darauffolgende Annexion Schlesiens Preußen eventuell einer sächsischen Invasion zuvorgekommen ist. Immerhin waren ja Sachsen, das im Westen an Schlesien grenzte in einer Personalunion mit Polen verbunden. Deshalb legt er den Verdacht nahe, dass bei einer sächsischen Annexion nicht Preußen, sondern Sachsen die dominierende Macht im Heiligem Römischen Reich deutscher Nation geworden wäre.
Wie ist eure Einschätzung dazu?
Sachsen hat zumindest am Vorabend des Siebenjährigen Krieges nichts dafür getan militärisch beeindruckend zu wirken.
Schau Dir vielleicht mal die "Stärke" der sächsischen Armee von 1756 an. http://www.geschichtsforum.de/f288/die-heere-deutscher-staaten-im-jahre-1756-a-39283/

@ Odysseus
Das Problem mit der Landbrücke von Sachsen nach Polen habe ich auch schon mehrfach gelesen.

Wenn man sich die Bedeutung der polnischen Krone für August den Starken und dann seinen Sohn vergegenwärtigen möchte, sollte man aber nicht unterschätzen, dass zumindest dem Anschein nach diese 1697 noch bedeutender war. Die polnischen Truppen unter Jan Sobieski spielten noch 1683 bei dem Entsatz Wiens eine große Rolle und es war dem Kaiser sehr wichtig, Polen für eine Allianz gegen die Türken zu gewinnen.
Kurbrandenburg war zwar schon ein scharfer Konkurrent, aber August der Starke konnte ja noch nicht damit rechnen, dass 1701 der brandenburgische Kurfürst die Erhebung zum König in Preußen und dann auch noch die Anerkennung erlangen würde.
Schon im Großen Nordischen Krieg zeigte sich aber die große Schwäche der polnischen und sächsischen Truppen in den Niederlagen gegen Karl XII. wie bei Klissow (die sächsisch-polnische Armee erlitt mehr als dreimal so hohe Verluste wie die schwedische). Nach der Rückkehr August des Starken auf den polnischen Thron musste er die polnischen Verhältnisse mit all den Einschränkungen für die Rolle des Königs anerkennen.
Man kann nur vermuten, ob aus einem absolutistisch regierten Polen mehr "herauszuholen" gewesen wäre. Jedenfalls scheint August III. dann nach seiner Thronbesteigung keine tieferen Versuche unternommen zu haben, sich damit in Polen durchzusetzen. Es war ganz offenbar so, dass es verschiedenen Königen in Polen ehedem durchaus gelang, trotz der Mitsprache des polnischen Adels einige Kräfte zu mobilisieren.

Das Ringen um die Vorherrschaft in Dtl. scheint mir seit der 2. Hälfte des 17.Jh. auf den Dualismus zwischen Österreich und Brandenburg-Preußen hinausgelaufen zu sein. Schon Prinz Eugen soll ja vor der Erhebung Friedrich I. zum König gewarnt haben, da eben schon damals Brandenburg-Preußen nach Österreich das größte militärische Potenzial hatte.
Die Ablösung Kursachsens durch Kurbrandenburg als militärisch zweitmächtigster Reichsstand nach Österreich vollzog sich zur Zeit des Großen Kurfürsten. Dessen Vater hatte noch so ziemlich machtlos dem Einmarsch der Schweden 1630/31 zusehen müssen und konnte im 30-jährigen Krieg wegen der militärischen Schwäche keine relevante Rolle spielen. Außerdem nahm Sachsen im Obersächsischen Kreis eine führende Position ein.
Schon im Nordischen Krieg brachte es die preußische Armee auf 50.000 Mann nach Aufstockungen beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelm I. 1713. Zum Vergleich: Kursachsen vermochte es am Ende der Herrschaft August des Starken seine Armee nach einer Reform und Reorganisation auf etwas mehr als 30.000 Mann zu bringen.
Dennoch kann man schon m.E. von einem sächsisch-preußischen Ringen um die Vorherrschaft in Norddeutschland sprechen. Ich habe dazu mal was vor Jahren verzapft: http://www.geschichtsforum.de/f288/...flikt-im-zeitalter-august-ii-von-polen-13078/
 
@Brissotin:
Die Schwäche der sächsischen Truppen ist unbestritten. Jedoch zählte schon damals nicht nur die Größe, sondern auch die Qualität der Armee, deren Führung und das Kriegsglück. Erst bei einer zwei- oder dreifachen Übermacht konnte man halbwegs sicher sein, dass man der gegnerischen Armee überlegen war. Vorher war die direkte Konfrontation für beide riskant. Wichtiger waren der diplomatische Einfluss, um sich Verbündete zu organisieren, und die Wirtschaftskraft, um einen längeren Krieg überhaupt durchstehen zu können. Da war Sachsen den Preußen doch deutlich überlegen. Sachsen war ja durch Bergbau, Porzellan und andere Manufakturen sehr reich und konnte sich die barocke höfische Kultur leisten, während Preußen stets als "Armee mit einem Land" galt. Den Siebenjährigen Krieg konnte sich Preußen ja nur durch die schonungslose Ausplünderung Sachsens leisten. Preußen hätte ja auch nie das Geld aufbringen können, um die polnische Krone "kaufen" zu können. Das war allerdings auch nicht nötig, da die preußische Krone wesentlich billiger war.

Übrigens war gerade diese Standeserhöhung damals sehr beliebt: Georg Ludwig von Hannover wurde 1714 König von Großbritannien, der Brandenburger König in Preußen, und die böhmische und ungarische Königskrone waren fest in habsburgischer Hand. Der Kurfürst von Sachsen wäre also ohne Königskrone ungeachtet der tatsächlichen Macht nur an Position 4 im Reich gewesen. Für den Erzmarschall und Reichsverweser und darüber hinaus (nominellen) Führer der protestantischen Reichsstände wäre das ein erheblicher Prestigeverlust gewesen. Der Prestigewert einer solchen Krone sank natürlich durch den inflationären Anstieg ihrer Zahl.

Zusammenfassend: Der auf das Prestige bezogene Vorsprung, den Kursachsen durch den Erhalt der polnischen Königskrone erhielt, war 1733 kleiner als 1697. Gleichzeitig war jedoch auch der Verlust durch einen Verzicht größer.
 
Für den Erzmarschall und Reichsverweser und darüber hinaus (nominellen) Führer der protestantischen Reichsstände wäre das ein erheblicher Prestigeverlust gewesen. Der Prestigewert einer solchen Krone sank natürlich durch den inflationären Anstieg ihrer Zahl.
In einer Biographie über Friedrich I. in Preußen wurde neben dem Prestigegewinn allerdings auch die verbesserte Verhandlungsposition bspw. auf Friedenskongressen angeführt. Das wäre dann freilich eine politische Komponente.
 
In einer Biographie über Friedrich I. in Preußen wurde neben dem Prestigegewinn allerdings auch die verbesserte Verhandlungsposition bspw. auf Friedenskongressen angeführt. Das wäre dann freilich eine politische Komponente.

Das kann schon sein, auch wenn ich nicht weiß, wie sehr da ein Königstitel die Verhandlungsposition verändert.
Auf jeden Fall dürfte er im Hofzeremoniell von Bedeutung sein, und das war ja damals nicht unwichtig.
 
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