Vorsichtsmaßnahmen der Restauration in Frankreich

AnDro

Aktives Mitglied
Es scheint mir naheliegend zu sein, dass man sich im Frankreich der Restauration Gedanken über die Niederschlagung möglicher, neuer Unruhen machte. Was in den Romanen von Hugo, Balzac und Dumas in der Richtung auftaucht sind Polizei und Zensur. Logisch wäre für mich auch die Aufrechterhaltung der Kontrolle über Paris als eine der wichtigsten Augaben der königlichen Garde. Mich würde eine Analyse eine Analyse des Einsatzes der entsprechenden staatlichen Werkzeuge, wie z.B. Polizei und Militär, gegen die Julirevolution 1830 interessieren. Gibt es dazu irgendwas an Literatur oder kennt sich jemand damit genauer aus?

Grüße
AnDro
 
Ob mein Beitrag eine Analyse darstellt, weiß ich nicht.

Jedenfalls kann a.m.S. von zweckmäßigem und planvollem Vorgehen nicht die Rede sein:

Bei Oncken heißt es, "Weder Marschall Marmont, dem für den Notfall der Oberbefehl zugedacht war, noch der Stellvertreter des Kriegsministers noch auch der Polizeipräfekt erfuhren etwas von dem Bevorstehenden, "bis die Verschwörung der Dummheit und der Heuchelei losbrach." Des Königs und Polignacs einzige Sorge war die Bewahrung des Geheimnisses; wie ein Blitz, die Gegner betäubend, sollte der Staatsstreich einschlagen." [1]

Am 25. Juli - also einen Tag vor Verkündung - wurden die Ordonanzen von Karl X. im Ministerrat unterzeichnet.
Durch Polignac wurde mehrfach versichert, dass alles milit. getan sei für den Fall von Zwischenfällen.
"Der Polizeipräfekt gab eine in dieser Hinsicht sehr beruhigende Erklärung ab. "Was auch immer sie tun, Paris wird sich nicht rühren, schreiten Sie kühn voran, ich bürge für Paris mit meinem Kopf." [2]

Ob man das Vorbereitung nennen kann? Sicherlich wähnten sich Karl und Polignac neben dem göttlichen Recht auch in Bezug auf die Charte im Recht, da die Ordonanzen sich auf den letzten Satz des Artikel 14: "Der König ... und erlässt die für die Durchführung der Gesetze sowie für die Staatssicherheit erforderlichen Regelungen und Ordonanzen" bezogen und erwarteten daher keinen nennenswerten Widerstand.

Am 27. Juli versammelten sich Jounalisten, Redakteure und Verleger und verfassten einen feierlichen Protest:
"Die Regierung hat heute den Charakter der Legalität verloren, die zu Gehorsam verpflichtet. Was uns betrifft, so leisten wir ihr Widerstand; es ist an Frankreich zu entscheiden, wie weit sich sein Widerstand erstrecken soll." [2]
In den Zeitungen "Le National", "Le Temps" und "Le Globe" erschienen dann Artikel, die unmissverständlich zu offenem Widerstand aufriefen.

Die Polizei reagierte mit Besetzung der Druckereien und Zerstörung der Druckerpressen, wobei es zu Zwischenfällen kam,

Verschärfend wirkte die Ernennung Marmonts, der als Verräter galt und verbreitet gehasst war, zum Kommandeur der Pariser Garnision.

Noch am 27. Juli wurden die ersten Barrikaden errichtet, Marmont ließ darauf die strategisch wichtigen Punkte der Stadt besetzen.

Der König und Polignac waren von dem Widerstand überrascht, zeigten sich aber siegessicher.

Am nächsten Tag eskalierte die Situation. Marmont schrieb an Karl: "Dies ist kein Aufruhr mehr, das ist eine Revolution ... Ich erwarte mit Ungeduld die Befehle Ihrer Maj." [2]
Karl verhängte den Belagerungszustand über Paris und stattete Marmont mit entsprechenden Vollmachten aus.

Aus Paris war dem König durch einen Vertrauten mitgeteilt worden, dass er ein wenig nachgeben solle, dann könnte die Lage wieder stabilisiert werden.
Karl lehnte empört ab: "Es passt mir nicht, mir revoltierenden Untertanen zu verhandeln. Sie sollen die Waffen niederlegen, dann werden Ihnen alle Beweise meiner Güte zuteil werden." [2]

Auch ein weiteres Angebot von Perier und Lafitte, Karl möge die Ordonanzen zurücknehmen und die Minister entlassen, dann würde wieder Ruhe einkehren, ließ Karl unbeantwortet. Stattdessen wies er Marmont an, er möge nunmehr massenhaft gegen die Aufständischen vorgehen. [2]

Der Rest ist bekannt, Marmont war überfordert, zudem Teile der Soldaten überliefen und musste sich zurückziehen.
"Als Talleyrand beobachtete, wie die fliehenden Soldaten unter den Fenstern seines Stadtpalais in der rue Saint-Florentin vorbeihasteten , soll er auf seine Uhr geblickt und gesagt haben: Um zwölf Uhr fünf hat der ältere Zweig der Bourbonen aufgehört zu regieren." [2]

In der Tat, das Einlenken Karls kam zu spät, in der Folge musste er abdanken.

Grüße
excideuil

[1] Oncken, Wilhelm (Hrsg.): „Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen: 4.Hauptabt. 2.Teil: Das Zeitalter der Restauration und Revolution 1815-1851, von Theodor Flathe, G.Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1883
[2] Malettke, Klaus: Die Bourbonen, Bd. III: Von Ludwig XVIII. bis zu Louis Philippe 1814 – 1848, W. Kohlhammer, Stuttgart, 2009
 
Danke excideuil, das liest sich in der Tat als sehr konfuse Reaktion. ''Die Bourbonen III' habe ich ebenfalls gerade vor mir liegen. Aufschlussreich ist eventuell der Annuaire militaire de France:
Annuaire officiel de l'armee francaise - France. Ministère de la guerre - Google Books
In den Militäretats des Ancien Regime sind zumindest immer viele für den Historiker interessante Informationen. Beim Annuaire militaire scheinen die Namenslisten in den Vordergrund gerückt zu sein.

Maison Militaire du Roi
Gardes du Corps (4 Kompanien)
Compagnie des Gardes a Pied ordinaires du Roi
Gardes du Corps de Monsieur
Garde royale
Infanterie der Garde Royale
1er Regiment in Paris
2me in Rouen
3me in Valenciennes
4me in Paris
5me in Versailles
6me in Lille
7me Schweizerregiment in Paris
8me Schweizerregiment in Orléans
Kavallerie der Garde Royale
1er Régiment des Grenadiers à Cheval in Versailles
2me Régiment des Grenadiers à Cheval in Versailles
1er Régiment des Cuirassiers in Paris
2me Régiment des Cuirassiers in Meaux
Regiment de Dragons in Melun
Régiment de Chasseurs à Cheval in Paris
Régiment des Lanciers in Beauvais
Régiment des Hussars in Compiègne
Artillerie der Garde Royale
Artillerie à Pied in Paris und in Vincennes
Artillerie à Cheval in Paris und Vincennes
Artillerietrain in Paris und Vincennes
Gendarmerie royale de la ville de Paris
 
Zwei Hinweise habe ich noch bei Tulard gefunden:

"Polizeipräfekt Mangin stellte fest, dass in großem Stil Arbeitskräfte eingestellt wurden und die Löhne spürbar anzogen, so dass also von seiten der Arbeiter nichts zu befürchten war. Die Versorgung der Hauptstadt gab zu keiner Beunruhigung Anlass."

"Die 12000 Soldaten, die innerhalb von Paris stationiert waren, mussten für die Aufrechterhaltung der Ordnung ausreichen. Mangin machte deutlich, dass keinerlei Aufstand zu befürchten sei."

Entsprechend beruhigt ging Karl X. dann zur Jagd nach Rambouillet ...

Mehr gibt meine Literatur zur mil. Lage nicht her, sorry.

Grüße
excideuil

Tulard, Jean: Geschichte Frankreichs Band 4: Frankreich im Zeitalter der Revolutionen 1789-1851, DVA, Stuttgart, 1989
 
Vllt. doch noch ein paar Anmerkungen, die auch mit einem Gang zur städt. Bibliothek zusammenhängen. Wie heißt es doch immer so schön: "keine Kosten und Mühen gescheut ..." ;)

Als eine - wenn auch halbe - Vorsorgemaßnahme kann die Auflösung der Nationalgarde bezeichnet werden.
Die Maßnahme erfolgte im Zuge einer Revue der Nationalgarde am 29. April 1827:
"Anfangs ließ sich alles gut an, denn die Liberalen hatten die Parole ausgegeben, es müsse jeder Vorwand für eine Reaktion vermieden werden; bald jedoch mischten sich in die Hochs auf den König andere dem Ministerium feindselige Rufe. Ein Gardist hatte sogar die Dreistigkeit, aus dem Gliede zu treten und sie dicht vor dem König zu wiederholen. "Ich bin hierher gekommen, um Huldigungen, nicht um Belehrungen anzunehmen," entgegnete Karl X.
Villéle bewog den König, nicht etwa die beiden schuldigen Legionen, sondern die ganze Nationalgarde von Paris aufzulösen. Das war der Bruch zwischen Karl X. und der hauptstädtischen Bourgeoisie." [1]

Halbe Maßnahme deshalb, weil die Nationalgarde zwar aufgelöst aber nicht entwaffnet wurde!

Zur Polizei bin ich bei Münchhausen - nein, nicht der berühmte Baron - fündig geworden:

"Zu den Feinden der "Priesterpartei" gehörten die abgedankten Offiziere des Kaisers. 12000 waren es im ganzen Land, die Hälfte davon lebte in Paris. Auf halben Sold gesetzt, standen sie verbittert abseits, verkehrten in bestimmten Cafés, tauschten Erinnerungen ... Duelle mit wenig waffengeübten Offizieren der könglichen Garde waren unvermeidlich. Dem Kult des Kaisers ergeben schmiedeten manche Komplotte zum Sturz der Bourbonen. 1816 führte die "Verschwörung der Patrioten" zu zwei Dutzend Anklagen und drei Todesurteilen. 4 Jahre später versuchte das "Bazar-Komplott", so genannt nach dem Restaurant "Bazar Français", Meutereien unter den Garnisionen in Paris und der Provinz anzuzetteln." [2]

"Die Polizei behielt diese (und andere) Umtriebe stets im Blick. Sie überwachte politische Gegner, öffnete Briefe, bestach Dienstboten, ihre Herrschaft zu bespitzeln, kaufte Zeitungsschreiber und Zeitungen. Wie unter Napoléon florierten die "Paralleldienste", allein vier für die Tuilerien, ein fünfter für den Militärbefehlshaber der Region Paris." [2]

Teilweise waren manche Verschwörungen von der Polizei provoziert und führten zu Unruhe und auch Toten. Diese Polizeimethoden wurden von der Opposition heftig angegriffen.
"Der Polizeipräfekt Debelleyme (1828-1829) suchte den schlechten Eindruck entgegenzuwirken, als er 1829 neben den Beamten und Agenten in Zivil die Truppe der "Sergeants de ville" schuf, kenntlich an ihrer blauen Uniform mit Metallknöpfen, Zweispitz und Stock mit Metallknauf." [2]

"In Paris haftete selbst dem Polizeidienst, der auf die gewöhnliche Verbrechungsbekämpfung angesetzt war, Verdächtiges an. Die Sonderbrigade Sûreté stand zwischen 1817 und 1827 unter dem Befehl des freigelassenen Kettensträflings Eugène-François Vidocq (1775-1857). Nach seiner Verabschiedung veröffentlichte Vidocq stark ausgeschmückte Erinnerungen, die Balzac und Hugo inspirierten." [2]

Beim Namen Vidocq klingelte es bei mir, da war doch noch etwas:
Vidocqs Leben schon vor seinem Seitenwechsel bietet Stoff für mehrere Romane. Kein Wunder, dass Balzac inspiriert und fasziniert war und mit der Figur des Vautrin eine der kraftvollsten Gestalten der "La Comédie Humaine" schuf.

""Eine repressive Polizei, die niemals präventiv ist, ist eine Ungeheuerlichkeit", erklärte Vidocq. Diese präventive Polizei schuf und organisierte er, so wie sich der 1816 verbannte Fouché seine Staatspolizei aufgebaut hatte."[3]

Noch eine Anmerkung zu Karl X. und seiner Regierung:
"Der König hatte sich zu diesem Zeitpunkt (28. Juli) schon weitgehend selbst aus dem Spiel katapultiert. Nach der Devise, dass nicht sein darf, was nicht sein soll, schirmte er sich in seinem Refugium Saint-Cloud völlig ab. Wichtige Entscheidungen und Meldungen wurden verzögert, da der König aus Gründen der Etikette nicht zu häufig belästigt werden durfte. Als Graf Broglie eindringlich die Brisanz der Lage schilderte, erwiderte Karl X. nur: "Sie sind doch ein gläubiger Mensch, haben Sie Vertrauen! Jules (Polignac) hat noch in der letzten Nacht die Heilige Jungfrau gesehen. Sie hat ihm befohlen, auszuharren, und ihm ein glückliches Ende verheißen." Selbst ein Graf Broglie, der als bigott galt, war sprachlos." [4]
Ich bin es auch!

Grüße
excideuil

[1] Oncken, Wilhelm (Hrsg.): „Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen: 4.Hauptabt. 2.Teil: Das Zeitalter der Restauration und Revolution 1815-1851, von Theodor Flathe, G.Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1883
[2] Münchhausen, Thankmar von: Paris, Geschichte einer Stadt. Von 1800 bis heute, DVA, München, 2007
[3] Wittkop-Ménardeau, Gabrielle: Der ehrbare Sträfling – Die ungewöhnliche Karriere des François Vidocq, in Damals 1/1988, Seiten 18 - 37
[4] Dobat, Klaus-Peter: 1830: Paris baut Barrikaden – Julirevolution und Bürgerkönigtum, in damals 7/1984, Seiten 554 - 573
 
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