Voynich-Manuskript

Ist mit der protoromanischen Sprache die "vaskonische" Sprache gemeint oder gab es wirklich eine einheitliche Sprache Südeuropas.
 
Ich hab das so verstanden, dass er damit ein Stadium meint, in dem sich aus der lateinischen Sprache die einzelnen heutigen romanischen Sprachen entwickelten. Ob man das als "eine Sprache" auffassen kann müssen Linguisten beantworten (bzw sich darüber uneinig sein...), aber sicher werden die sich noch mehr geähnelt haben als die heutigen Nationalsprachen.

Meine persönliche Vermutung zu dem Text ist ja, dass hier jemand probiert hat, sardisch oder rätoromanisch oder so mit den Schreibregeln des Gälischen auszudrücken... (Nein, nicht ernst nehmen. ;) )
 
#1 und #3 aus dem Strang Entdeckungen ausgegliedert, da Dion hierzu bereits Thema eröffnet hat.
 
Ach ,so meinte der Author das mit protoromanisch.

Die Kommentare und Erläuterungen des Manuskripts und deren geometrische Formen ähneln stark den maurischen Schriften.
 
Ist mit der protoromanischen Sprache die "vaskonische" Sprache gemeint oder gab es wirklich eine einheitliche Sprache Südeuropas.

Nein,

Laut laut dem von @Solwac verlinkten Artikel im Spiegel:

in sogenanntem Protoromanisch. Dabei handele es sich um einen Vorläufer der heutigen romanischen Sprachen wie Portugiesisch, Spanisch, Französische oder Italienisch.

aber es wundert mich schon ein wenig, denn eigentlich müsste man ja erkennen können, ob ein Text in einem mittelalterlichen französischen, italienischen, spanischen oder portugiesischen Dialekt geschrieben ist.

Aber ich habe noch nicht den Originalartikel, den Silesia verlinkt hat, gelesen.
 
Ich habe nur kurz reingeschaut.
Bei der "entdeckten" Sprache handelt es sich offensichtlich um ein Kauderwelsch, das in dieser Form sicher nirgends und zu keiner Zeit gesprochen worden ist.
Es werden andauernd Vergleichswörter aus modernen Sprachen zitiert, ohne dass versucht wird, deren Herkunft und frühere Formen zu ermitteln:
Z. B. "Figure 32 shows a diagrammatic representation of a miscarriage or abortion, as a baby swaddled in bandages and a mass of blood exiting a tube, accompanied by the words ‘omor néna’ (killed/dead baby). The word ‘omor’ survives in Romanian, where it means ‘to murder’. The word ‘néna’ survives in Spanish, where it now means ‘female baby’ [‘néne’ is male baby]."

Das Wort 'omor' ist im Rumänischen kein Erbwort. Es stammt nicht aus einer protoromanischen Sprache, sondern aus dem Slawischen, vgl. russisch umortit = bulgarisch umǎrtya = rumänisch omorî 'töten'; slowenisch umor = 'Mord' = rumänisch omor ...
 
Die Kommentare und Erläuterungen des Manuskripts und deren geometrische Formen ähneln stark den maurischen Schriften.
Eigentlich nicht. Die maġribinisch-andalusische Schrift ähnelt doch sehr dem Nas·ḫī-Duktus (den Punkt in Nas·ḫī habe ich eingefügt). Auf den ersten Blick sieht die Voynich-Schrift wie eine lateinische Schrift aus - was sie de facto ja nicht ist.

Voynich.jpg
naskhi.jpg
magribi.jpg

Voynich _______________ Nasḫī _______________________ Maġribiyya
 
Ich habe mich vor Jahren, im Studium, im Rahmen einer Hausarbeit mit einem Manuskript (dem Cancionero de (E)Stúñiga) beschäftigt, welches am Hof Alfonsos V. (also in Neapel) geschaffen wurde, heute aber in Madrid liegt. (Waren ja auch hauptsächlich Spanier, deren Gedichte in dieser Gedichtanthologie verewigt wurden. Alfonso war König von Aragón, Sizilien und Neapel, verbrachte aber den Großteil seiner Regierungszeit in Italien, wohingegen seine Frau in Aragón und Katalonien die Statthalterschaft ausübte. Es also auch überhaupt fraglich, dass Alfonsos Frau jemals auf Ischia war und dort in den heißen Quellen badete, wie denn von Cheshire behauptet, geschweige denn 1444 irgendeine Rettungsaktion leitete.
Der Cancionero de (E)Stúñiga sieht ganz anders (viel kunstvoller) aus, als das Voynich-Manuskript; es sind zwar nur wenige Seiten graphisch illustriert, aber die in einer Kunstfertigkeit, gegen die kann das Voynich-Manuskript nicht anstinken.

Was nun die Sprache anbelangt: im 15. Jhdt. ein Protoromanisch? Sepiola hat ja schon einiges zur Thematik der dispersen Wortherkünfte gesagt. Und dann will der in zwei Wochen ein Manuskript entschlüsselt haben, über dem andere seit Jahrzehnten gebrütet haben? Mein Problem sind dabei vor allem die zwei Wochen und dass das ganze auch noch en passant seiner Dissertation passiert sein soll.
 
Vor dem Relaunch hatten wir einen Thread zum Voynich-Manuskript, aber der ist mit den übrigen Pressenachichten solange verschütt, bis Daniel eine Möglichkeit findet, die alten Pressenachrichten wieder ins Forum zu re-implantieren (ohne viele hundert Threads händisch zu kopieren).
 
Bei der "entdeckten" Sprache handelt es sich offensichtlich um ein Kauderwelsch, das in dieser Form sicher nirgends und zu keiner Zeit gesprochen worden ist.

so ähnlich sieht das auch eine andere Expertin:

His "translations" from what is essentially gibberish, an amalgam of multiple languages, are themselves aspirational rather than being actual translations.

Fagin Davis
No, someone hasn’t cracked the code of the mysterious Voynich manuscript



 
Dr. Gerard Cheshire war studentische Hilfskraft bei Innes Cuthill, am neurobiologischen Institut, Cuthill selbst ist Verhaltensbiologe. Cheshire selbst ist also weder Linguist noch Historiker - was vielleicht ein Grund ist, warum er ein protoromanisches Manuskript im SpätMA sehen will. Nicht, dass ich missverstanden werde: Es gibt geniale Menschen, die nicht nur dort brillieren, wo sie ihre formale Ausbildung genossen haben, sondern auch in Gebieten in denen sie (im positivsten Sinne gemeint) dilettieren. Bei Cheshire ist das offenbar nicht der Fall. Er hat ganz offensichtlich zu den Bildern des Vonyichmanuskripts eine Geschichte geschrieben, darein sicher auch viel Fleiß und Phantasie gesteckt, aber dann an entscheidenen Stellen (Chronologie, Etymologie, Historiolinguistik, Anwesenheit Marías in Italien!) Fehler begangen und zwar Fehler, die Linguisten sicher nicht entgehen können (siehe Beitrag von Sepiola).
 
Es also auch überhaupt fraglich, dass Alfonsos Frau jemals auf Ischia war und dort in den heißen Quellen badete, wie denn von Cheshire behauptet, geschweige denn 1444 irgendeine Rettungsaktion leitete.
Am 29. Januar 1444 war María jedenfalls ins Valencia. Dort ist nämlich einer ihrer Briefe datiert. Keine Woche später, am 4. Februar, soll sie nach Cheshire eine Rettungsmission in Italien geleitet haben. Very unlikely. Aber es kommt noch besser: Am 13. Februar schreibt sie gleich zwei Briefe, wieder aus Valencia.
Sie müsste also - im Winter! - innerhalb von zwei Wochen zwischen Italien und Spanien hin und her gereist sein und zwischenzeitlich noch eine Rettungsmission zwischen Ischia und Lipari geleitet haben.
 
Cheshire:

The Arabic influence on the Romance languages is often neglected due to the Eurocentric historic view of linguistics.
Völliger Blödsinn. Auch wenn das zufälligerweise mein historiolinguistisches und etymologisches Kerninteressengebiet berührt und ich daher vielleicht die Relevanz des Themas des arabischen Einflusses auf die romanischen Sprachen höher einschätzen mag, als das andere Romanisten tun: Wer meint, dass der arabische Einfluss auf die romanischen Sprachen vernachlässigt würde, hat sich offenbar niemals mit romanischer Sprachgeschichte befasst. Und so jemand will dann ein Protoromanisch identifizieren, klasse!
 
Wenn ich mir das alles so anschaue, macht es Cheshire uns fast zu einfach, ihn als Scharlatan zu entlarven. Da er als Verhaltensbiologe arbeitet: Ist seine Voynich-Arbeit vielleicht ein Köder und die Weltpresse sein Versuchsobjekt?
 
Ist mit der protoromanischen Sprache die "vaskonische" Sprache gemeint oder gab es wirklich eine einheitliche Sprache Südeuropas.
2x Nein.
Es ist nicht das "Vaskonische" gemeint und Protoromanisch war auch keine einheitliche Sprache, wie Cheshire suggeriert. Zumal der Zeitpunkt (15. Jhdt.) einen völligen Anachronismus darstellt.

Das eigentliche Protoromanisch ist das Vulgärlateinische. Vulgärlatein ist im Grunde genommen das Alltagslatein der Bewohner des römischen Reiches. Die redeten eben nicht so wie Cicero und Vergil schrieben, sondern in einer sehr viel reduzierteren Grammatik. Über die Jahrhunderte hatte sich die Sprache Latiums auf ein Gebiet ausgebreitet, welches grob gesagt vom Rhein bis zur Sahara und von Gibraltar bis nach Griechenland (dieses exklusiv) reichte. In diesem Gebiet hat das Lateinische, vor allem das gesprochene Lateinische, regionale Entwicklungen vorgenommen, die anderswo nicht vorkamen. Spätestens mit Zusammenbruch einer gemeinsamen Verwaltung fiel dann das italische oder latische Latein als einigendes Korrektiv weg und die Ausdifferenzierung der Sprachen nahm ihren Lauf und irgendwann bekamen die Menschen dann mit, dass es schwierig wurde, die Leute aus einem anderen Gebiet zu verstehen. Dann wurde differenziert, der eine sprach hispanisches Romance, der nächste fränkisches Romance, der übernächste dalmatisches Romance. Aus den Adjektiven wurden mit weiterem Sprachausbau dann Substantive. Sprich Spanisch, Französisch, Dalmatisch. Das ist ein Vorgang der zwischen dem 5. und 9. Jhdt. liegt, wobei man mindestens seit dem 8. Jhdt. die regionalen Eigenheiten leicht erkennen kann. Sprich: Wer meint, dass im SpätMA eine protoromanische Sprache gesprochen wurde, hat nen Schuss oder ist ein Scharlatan.
 
Wer meint, dass im SpätMA eine protoromanische Sprache gesprochen wurde, hat nen Schuss oder ist ein Scharlatan.
Jetzt abgesehen davon, ob Cheshire ein Scharlatan ist oder nicht, oder ob Alfonsos Frau zu den genannten Zeiten in Ischia und Lipari war oder nicht, oder ob die Cheshires Schlußfolgerungen richtig sind oder falsch, finde ich die obige Aussage etwas zu bestimmt. Der Grund: Die ältesten schriftlichen Zeugnisse der ladinischen Sprache gibt es erst seit dem 17. Jahrhundert, warum also sollte es im 15. Jahrhundert nicht eine gesprochene Sprache gegeben haben, die in diesem Dokument verschriftet wurde von jemand, der keiner anderen Schrift bzw. Sprache richtig mächtig war?
 
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