Waffenstillstand und Revolution

Plantagenet

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Am 29. September 1918 verlangte die Oberste Heeresleitung von der deutschen Regierung Verhandlungen über einen Waffenstillstand mit dem US Präsidenten Wilson zu beginnen. Die Regierung Prinz Max von Baden kam diesem nach. Bald darauf gab Wilson seine Bedingungen bekannt, u.a. dass er nicht gewillt war mit den bisherigen Machthabern zu verhandeln, dass die Regierung dahingehend interpretierte, dass der Kaiser abdanken müsste. Trotz diesem Hinweis durfte eine deutsche Waffenstillstandsdelegation nach wochenlangen Verhandlungen bereits am 8.11.1918 nach Frankreich reisen, also zu einem Zeitpunkt als Kaiser Wilhelm noch im Amt war.

Die Waffenstillstandverhandlungen hätte es also anscheinend auch ohne die Abdankung des Kaisers gegeben.

Das lässt vermuten, dass die Entente gar nicht mehr darauf Wert legte, dass die Kaiserfrage vorher geklärt wird oder bekam sie einen Hinweis, dass der Monarch nicht mehr lange im Amt sein würde? Aber der Kaiser hat ja ebenfalls gewusst haben, dass die Delegation nach Frankreich ging. Wie stand er zu dem Waffenstillstand? Hoffte er etwa bis zum Schluß, dass seine Gegner bereit waren mit ihm Frieden zu schließen?

Daher ist mir die Revolution von 1918 völlig unklar. War sie denn überhaupt nötig? Und ging es den Aufständischen wirklich nur um den Frieden? Wenn ja, warum wartete man dann nicht einfach auf das Ergebnis der Verhandlungen?

Bekannt ist mir, dass die Reichsregierung und die oberste Heeresleitung bereits seit Oktober 1918 den Kaiser aufforderten abzudanken, dieser aber sich weigerte. Beschloß man daher für dessen Kopf hinweg Fakten zu schaffen?

Aber warum mussten dann auch die anderen Fürsten abdanken? Oder war allen Beteiligten von vornherein klar, dass auch diese geopfert werden mussten?

Kann man dann wirklich noch von einer spontanen Streikbewegung sprechen oder wurde nicht vielmehr bewusst von den Parteien, in Abstimmung mit der Obersten Heeresleitung, Stimmung gegen die Monarchie betrieben? Man gewinnt den Eindruck, dass keiner mehr Lust hatte die Monarchie noch zu verteidigen. Was war der Grund dafür?
 
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Daher ist mir die Revolution von 1918 völlig unklar. War sie denn überhaupt nötig? Und ging es den Aufständischen wirklich nur um den Frieden? Wenn ja, warum wartete man dann nicht einfach auf das Ergebnis der Verhandlungen?
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Deine Antwort auf die letzte Frage kannst Du dir selbst beantworten, da zur Zeit des Ausbruchs der Revolution bzw. der Stein dafür von der Marine angestoßen wurde, keiner der Revoltierenden absehen konnte, wie sich die Ereignisse überschlagen werden.

(Kleines anders Beispiel in der deutschen Geschichte, es wären sicher nicht so viele Menschen aus der DDR im Sommer geflüchtet, wenn Sie gewusst hätten, daß sich der DDR quasi nach dem Mauerfall auflösen wird.)

Und ob die Revolution 1918 nötig war? Ja, die Kluft zwischen den Ständen und der monarchischen Gesellschaft, sowie die Klassenteilung im Krieg, leisen keinen anderen Ausweg für den größten Teil der Gesellschaft, wie sich vor ihre Herren zu stellen und zu sagen; Bis hier hin und nicht weiter! Gerade in der Marine hatte sich die Klassengesellschaft über Jahre etabliert und extreme Formen angenommen, so daß es schon im Sommer 1917 zur ersten Meuterei kam.
Was dann letztlich aus der Revolte oder Meuterei der Flotte Okt 1918 wurde, konnte wohl nicht abgeschätzt werden, aber ja, der Frieden stand ganz oben auf der Agenda der Matrosen und Arbeiter.
 
Deine Antwort auf die letzte Frage kannst Du dir selbst beantworten, da zur Zeit des Ausbruchs der Revolution bzw. der Stein dafür von der Marine angestoßen wurde, keiner der Revoltierenden absehen konnte, wie sich die Ereignisse überschlagen werden.

(Kleines anders Beispiel in der deutschen Geschichte, es wären sicher nicht so viele Menschen aus der DDR im Sommer geflüchtet, wenn Sie gewusst hätten, daß sich der DDR quasi nach dem Mauerfall auflösen wird.)

Und ob die Revolution 1918 nötig war? Ja, die Kluft zwischen den Ständen und der monarchischen Gesellschaft, sowie die Klassenteilung im Krieg, leisen keinen anderen Ausweg für den größten Teil der Gesellschaft, wie sich vor ihre Herren zu stellen und zu sagen; Bis hier hin und nicht weiter! Gerade in der Marine hatte sich die Klassengesellschaft über Jahre etabliert und extreme Formen angenommen, so daß es schon im Sommer 1917 zur ersten Meuterei kam.
Was dann letztlich aus der Revolte oder Meuterei der Flotte Okt 1918 wurde, konnte wohl nicht abgeschätzt werden, aber ja, der Frieden stand ganz oben auf der Agenda der Matrosen und Arbeiter.

Es ist eben die Frage wie weit das Volk und die Armee über Einzelheiten der Waffenstillstandsverhandlungen informiert war? Berichteten die Zeitungen hierüber?

Und mit der Frage ob die Revolution nötig war, meinte ich dies in Verbindung mit dem Waffenstillstand. Wollte die Entente definitiv nur mit einer republikanischen Regierung verhandeln? War Wilsons Note im Einverständnis mit Briten und Franzosen verfasst worden?

Völlig unklar bleibt die Rolle der obersten Heeresleitung bei der Absetzung des Kaisers. Hat sie in Absprache mit den Mehrheitssozialisten die Abdankung des Kaisers geplant? Immerhin hatten Hindenburg und Groener bereits die Flucht nach den Niederlanden vorher organisiert. Gab es vielleicht auch in dieser Frage einen Ebert-Groener Pakt?

Seltsam ist doch zumindest, dass die Heeresleitung den Kaiser regelrecht zur Flucht gedrängt hat und dem Heer dann erzählte wurde, dass der Kaiser geflüchtet ist. Denn erst mit der Flucht Wilhelm II. wandte sich auch der Teil vom Heer ab, der bisher loyal zur Monarchie gestanden hatte. Ich finde diese Frage sehr wichtig, da ja dieser Umstand der Flucht gerade dazu führte, dass ehemalige Monarchisten später in der Weimarer Republik Parteigänger Hitlers wurden, weil sie den Kaiser für einen Deserteur hielten.
 
Es ist eben die Frage wie weit das Volk und die Armee über Einzelheiten der Waffenstillstandsverhandlungen informiert war? Berichteten die Zeitungen hierüber?

Und mit der Frage ob die Revolution nötig war, meinte ich dies in Verbindung mit dem Waffenstillstand. [...]

Anscheinend konnte sich niemand vorstellen, daß der Krieg bald zu Ende sein wird, ansonsten hätten sich die Befehlsverweigerungen und die Meuterei im Bezug auf den Operationsbefehl Nr. 19 der kaiserlichen Marine so nicht zugetragen. Wobei hier sicherlich auch die politische Agitation der USPD ein gewisses Bild bei den Matrosen und Werftarbeitern geschaffen hatte. Und all daß geschah schon im Oktober 1918.

Glaskugel hatten die wohl damals auch noch nicht ... :grübel:
 
Anscheinend konnte sich niemand vorstellen, daß der Krieg bald zu Ende sein wird, ansonsten hätten sich die Befehlsverweigerungen und die Meuterei im Bezug auf den Operationsbefehl Nr. 19 der kaiserlichen Marine so nicht zugetragen. Wobei hier sicherlich auch die politische Agitation der USPD ein gewisses Bild bei den Matrosen und Werftarbeitern geschaffen hatte. Und all daß geschah schon im Oktober 1918.

Glaskugel hatten die wohl damals auch noch nicht ... :grübel:

Die politische Agitation der USPD wird freilich eine große Rolle gespielt haben. Man kann also sagen, dass der Waffenstillstand für die Monarchie einen Monat zu spät kam.

Doch welche Rolle spielte die oberste Heeresleitung bei der Revolution? Ich habe den Eindruck, dass sie auf Kosten der Fürsten einen Deal mit den Mehrheitssozialisten geschlossen hatten. Ähnliches kann man auch in Österreich-Ungarn und bei der ersten russischen Revolution im März 1917 gegen den Zaren beobachten. Auch hier wandte sich das Militär von den Monarchen ab.
 
Das war keine Frage politischer Agitation, sondern katastrophaler Zustände der hungernden Bevölkerung im Reich, in dem immensen Ausmaß direkte Folge der Kriegswirtschaft, und des Zusammenbruchs der zivilen Versorgung der Städte.

Zur Armee: spätestens nach Reims war klar, dass im Westen kein Blumentopf mehr zu gewinnen und die Armee am Ende war, zT bereits den Führungen entglitten. Die zivile Reichsführung wandte sich ab, und die Annahme Wilhelms über die Unterstützung letztlich noch der Armee geriet zum Offenbarungseid:

"To establish whether the troops really would be prepared to take up arms against the revolutionaries at home the Supreme Army Command summoned the commanders of the divisions in the vicinity to Headquarters at Spa. On the morning of 9 November 1918 they were confronted with two questions: first, ‘What is the attitude of the troops to the Kaiser? Will it be possible for the Kaiser marching at the head of the troops to reconquer the homeland by force of arms?’, and secondly: ‘What is the attitude of the troops to Bolshevism? Will the troops engage in armed conflict against the Bolsheviks in their own homeland?’ The answers to both questions were sobering in the extreme:

Only one of the commanders answered the first question with 'Yes’, fifteen judged the attitude of their soldiers to be uncertain and twenty-three answered with a resounding ‘No’. Similar doubts about the reliability of the troops were expressed when it came to the question of their willingness to put down the revolution. Colonel Wilhelm Heye who conducted the survey summed up the results in the words: ‘In general what emerged was that the troops felt no particular dislike for the Kaiser, that they were in fact quite indifferent to him, that they only had the one wish to return home as soon as possible to peace and quiet . . . The troops are completely exhausted and battle-weary, all they want is to go home and live in peace there; the soldier at the front will take up arms against his fellow countryman at home only if and when his own hearth and home, his wife and child are threatened by the Bolsheviks.’ With that the Kaiser’s plans to re-take Germany at the head of his army fell to the ground."

Röhl, Wilhelm II. 1900-1941.

Hier müsste nicht mehr agitiert werden, die Reaktionen liefen aufgrund der "Zustände" forciert ab. Köbis hat auf die sich rasend schnell über das Land ausbreitetende Revolutionsstimmung hingewiesen.
 
Die politische Agitation der USPD wird freilich eine große Rolle gespielt haben.Man kann also sagen, dass der Waffenstillstand für die Monarchie einen Monat zu spät kam. [...]

Achtung, nicht das hier ein falscher Eindruck entsteht, ich habe nicht geschrieben, der politische Einfluss der USPD habe ein große Rolle gespielt!

Die Problematik hat das kaiserliche Gesellschaftsgefüge verursacht und der Krieg hat es beschleunigt. Die Kanalisierung der politischen Ansicht der USPD und Übertragung auf die Arbeiter und Soldaten/Matrosen im Krieg, war nicht der Auslöser für die Revolution und diese kam mit Blick auf einen kausalen Zusammenhang mit anderen Ereignissen weder zu spät noch zu früh.
 
Seltsam ist doch zumindest, dass die Heeresleitung den Kaiser regelrecht zur Flucht gedrängt hat und dem Heer dann erzählte wurde, dass der Kaiser geflüchtet ist. Denn erst mit der Flucht Wilhelm II. wandte sich auch der Teil vom Heer ab, der bisher loyal zur Monarchie gestanden hatte. Ich finde diese Frage sehr wichtig, da ja dieser Umstand der Flucht gerade dazu führte, dass ehemalige Monarchisten später in der Weimarer Republik Parteigänger Hitlers wurden, weil sie den Kaiser für einen Deserteur hielten.

Die treibende Kraft war Hindenburg. Ihm war nämlich klar, das der Thron Wilhelms nicht zu retten war und es war besser abzudanken, als abgesetzt zu werden. Hindenburg hat darunter auch den Rest seines Lebens darunter gelitten und aber auch, durchaus erfolgreich, seine maßgebliche Rolle bei der angeblichen Flucht Wihelms in Exil zu verschleiern. Wilhelm jedenfalls wurde suggeriert, dass das Militär für seine persönliche Sicherheit in Spa nicht mehr garantieren werden könne.
 
Die treibende Kraft war Hindenburg. Ihm war nämlich klar, das der Thron Wilhelms nicht zu retten war und es war besser abzudanken, als abgesetzt zu werden. Hindenburg hat darunter auch den Rest seines Lebens darunter gelitten und aber auch, durchaus erfolgreich, seine maßgebliche Rolle bei der angeblichen Flucht Wihelms in Exil zu verschleiern. Wilhelm jedenfalls wurde suggeriert, dass das Militär für seine persönliche Sicherheit in Spa nicht mehr garantieren werden könne.

So wie ich es verstehe, war es auch so, dass KWII die Hoffnung aufgeben musste, das Militär aussichtsreich gegen das revolutionierte Reich führen zu können. Es wäre ihm die Gefolgschaft verweigert worden.
 
Verstehe. Vermutlich war die Monarchie bereits im Oktober 1918 nicht mehr zu retten gewesen, nachdem man wusste, dass der Krieg verloren war. Es ging im November dann nur noch um die Frage wie weit die Gesellschaft verändert werden sollte. Während die MSPD in Übereinstimmung mit der obersten Heeresleitung die soziale Revolution vermeiden, ja die Monarchie noch retten wollte, steuerte die USPD und Spartakus darauf hin diese abzuschaffen und eine Sowjetrepublik zu gründen. Es war ein Wettlauf um die Zeit ob die Arbeiter-und Soldatenräte mehr unter dem Einfluss der MSPD oder der USPD gerieten. Zunächst schien die USPD erfolgreich zu sein. Männer wie Eisner gelang es die Fürsten zum Thronverzicht zu bewegen, für die keiner mehr bereit war zu kämpfen. Als Scheidemann am 9. November merkte, dass die Abdankung des Kaisers bei den Arbeiter und Soldaten nicht reichte, verkündete er die Republik, obgleich mit Ebert abgesprochen war über die Staatsform abstimmen zu lassen. Ob die Monarchien allerdings bei dieser Absrtimmung erhalten geblieiben wären, ist fraglich. Vielleicht hätten einige populäre Herrscher wie die Könige von Würtemberg und Sachsen auf ihrem Thron bleiben können, aber die meisten Fürsten hätten dann wohl trotzdem abdanken müssen. Eine Abstimmung hätte dann nur zu der Schwierigkeit geführt, dass einige Bundesstaaten vielleicht monarchich und andere republikanisch regiert worden wären.

Vielleicht aber hätte die Monarchie doch eine Chance gehabt wenn Prinz Max von Baden Eberts Angebot Reichsverweser zu werden angenommen hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
War sie denn überhaupt nötig? Und ging es den Aufständischen wirklich nur um den Frieden? Wenn ja, warum wartete man dann nicht einfach auf das Ergebnis der Verhandlungen?
Im Oktober 1918 wurde in ganz Deutschland bekannt, dass Waffenstillstandsverhandlungen eingeleitet worden waren. Die deutsche Seekriegsführung bereitete aber in Wilhelmshaven noch einen großen Angriff auf England vor. Als der Befehl zum Auslaufen kam, verweigerten Matrosen und Heizer am Abend des 29. Oktobers den Gehorsam. Auf mehreren Großkampfschiffen löschten sie die Feuer unter den Kesseln und machten die Geschütze unbrauchbar. Die beginnende Meuterei wurde aber niedergeschlagen. Viele Matrosen wurden verhaftet, der Angriff abgesagt und Teil der Flotte nach Kiel verlegt.

Die Mannschaften auf den Kriegsschiffen in Kiel solidarisierten sich aber mit ihren verhafteten Kameraden, für die sie Todesurteile befürchteten. So flammte der Aufstand am 3. November von neuem auf. Soldaten, Matrosen und Arbeiter der Kieler Werften übernahmen die Gewalt in der Stadt und bildeten einen Arbeiter- und Soldatenrat.

Ihre Hauptforderungen waren: Die Freilassung aller politischen Gefangenen, straffreie Rückkehr der Matrosen auf die Schiffe sowie die Rede- und Pressefreiheit.

Auch in Berlin hatte sich ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Er forderte die Abdankung des Kaisers, Schaffung einer sozialen Republik und Übergabe der Regierungsgewalt an die Arbeiter- und Soldatenräte. Tausende von Menschen zogen am Morgen des 9. November auf das Regierungsviertel Berlins zu, um diese Forderungen durchzusetzen.
 
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