Teilweise. Im Prinzip wird für das DR festgestellt, dass es eine starke sozio-ökonomische Polariserung gab, wie Beispielsweise im "sozial-moralischem" Milieu-Modell von Lepsius, die sich auf die politische Repräsentanz auswirkte. Zudem, folgt man Dahrendorf, ergab sich eine starke schichtensprezifische Reproduktion für das DR und in der Folge auch für die WR (7, S. 248)
Soziales Milieu ? Wikipedia
Das ergab, neben allen politischen und sozialen Brüchen, zunächst eine relativ hohe Konstanz zwischen Wählern und Gewählten.
Bei Retallack (4) findet sich der Hinweis auf das "Lernen" von politischen Mechanismen und Werte und gibt diesem real vorhanden Prozess der Politisierung im DR die Beurteilung mit, dass sie "avant la lettre" erfolgte und somit die Übernahme demokratische Spielregeln ansatzweise äußerlich blieb und die politische Kultur des autoritären Staates sich durch diesen Prozess nicht veränderte(8)
Diesen Aspekt habe ich beim Zitieren von Retallack aufgegriffen und als problematisch Konstanz im Selbstverständnis vom DR in die WR auf der Ebene der parlamentarischen Praxis zwischen Legislative und Exekutive thematisiert.
Wie Retallack, in Anlehnung an die Diss on Fairbain (The German Elections of 1898 an 1903) feststellt, gab es lediglich eine geringe Bereitschaft der politischen Eliten ihre Konflikte zu lösen oder zeitlich zu beschränken (3, S. 224)
Für die Übergangsphase vom Kaiserreiche zur WR (1918-1919) sind es zwei Faktoren, die bei Wehler auch als „strukturelle Belastungen“ thematisiert werden und die politische Kultur von Weimar prägen sollten.
1.Der Zusammenbruch des wilhelminischen politischen Systems ohne eine umfassende Veränderung des politischen Systems. Und mit der Konsequenz, das die politische Machtbasis der ostelbischen, nicht selten aristokratischen, Großagrarier weitgehend intakt geblieben ist und vor allem das reaktionäre politische Selbstverständis des preußischen "Drei-Klassen-Wahlrechts" in die WR übernommen worden ist.
2.Der verlorene Krieg und seine vertragliche Festschreibung des Schuldeingeständnisses im VV inklusive der Formulierung der Dolchstoßlegende eines angeblich unbesiegten Heeres im Felde. Und der Möglichkeit zur innen- und außenpolitischen Instrumentalisierung. Und das Potential barg, die monarchischen oder zunehmende nationalsozialistische Traditionen in den Vordergrund zu stellen.
In jedem Fall aber im Kern deutliche anti-demokratische Strömungen aus dem DR in die WR übernommen worden sind und im Kern systemüberwindende, diktatorische Zielrichtungen hatten.
Für die Gründungsphase der WR (1918-1923)sind es zusätzlich zwei normative Aspekte, die über ihren unmittelbaren zeitlichen Bezug für die WR Geltung gewinnen sollten und sich destabilisierend in der Schlussphase auswirken sollten.
3. Mit der Verfassung der WR wurde einem „jakobinischen, Parlamentarismus" der Riegel vorgeschoben, der die Legislative und die sie tragenden Parteien gegenüber anderen Organen der Verfassung schwächte. Verstärkt durch das tradierte wilhelmische Verhaltensmuster, das auf eine relativ starke Distanz zwischen den jeweiligen Vertretern der Parteien in der Regierung und ihren eigenen Parteien hinauslief (1, S. 500).
Dieses strukturelle Missverständnis des Parlamentarismus lief auf eine vertikale Trennung zwischen Exekutive und Legislative hinaus, anstatt die horizontale Trennung nach Regierungsparteien und Oppositionsparteien zu betonen, wie bereits im DR (6). Die Konsequenz für die WR war, dass es die Formulierung eines übergreifenden, die Parteien bzw. ihre Vertreter im Reichstag bindenden Konsens deutlich erschwerte.
Und stattdessen fast alle Parteien im Reichstag in enger Anbindung an die Interessenstrukturen Ihrer Klientel agierten, auf der Ebene des Reichstags dennoch integriert durch ein mehr oder minder ausgeprägtes nationales Pathos und nicht unerheblich durch eine anti-sozialistische Sammlungsbewegung der konservativen Kräft(6).
1.Büttner, U. Weimar. Die überforderte Republik 1918 – 1933, 2008
2.Wehler, H-U: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914 – 1949, 2008
3. J. Retallack: Liberals, Conservatives and the Modernization State. in: G. Eley (ed): Society, Culture and the State in Germany 1870-1930, 1997, S. 221f
4. J. Retallack: The Authoritarian State and the Political Mass Market, in: Müller & Torp: Imperial Germany Revisited, 2011, S. 83 ff
5. M. Hewitson: Wilhelmine Germany: in J. Retallack: Imperial Germany 1871-1918, 2008
6. T. Kühne: Political Culture and democratization: in J. Retallack: Imperial Germany 1871-1918, 2008
7. R. Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, 1965
8. T. Kühne: Die Jahrhundertwende, die lange Bismarckzeit und die Demokratisierung der politischen Kultur, in: L. Gall: (ed) Otto von Bismarck und Wilhelm II. Repräsentaten eines Epochenwechsels, 2000, S. 85 ff