War das Wilhelminische Kaiserreich ein demokratischer Rechtsstaat?

Das ist meiner Meinung nach Unsinn.

Dafür, dass ich "Unsinn" schreibe, kommen sehr platte Argumente als Gegenposition.

Deine Sicht auf die USA und GB in der "Stunde Nul" ist nicht korrekt. Im "Handbook for Military Gouvernment" waren die Ziele der Transformation einer undemokratischen nationalsozialistischen Gesellschaft in eine demokratische Geselslchaft formuliert (U. Gerhardt: Soziologie der Stunde Null. 2005, S. 50).

Und dieser Prozess war sehr umfassend, wie Benz (Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschicht des Bundesrepublik ....2010) zeigt, zumal mit dem Prozess die Frage der "Schuld" des NS-Regimes und der Holocaust verbunden war. Und er war nicht nur umfassend, sondern er war für die Deutschen sehr schmerzvoll, zumal sie mit einer historischen Realität nach 1945 konfrontiert worden sind, die das bisher Vorstellbare an einer menschenverachtenden Politik gesprengt hat.

Um diesen Umgestaltungsprozess von einem totalitären Staat in eine Demokratie zu initieren, haben sich vor allem die USA sehr intensiv mit den Strukturen im 3. Reich beschäftigt (A. Söllner: Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland Bd. 1 & 2. Analysen von politischen Emigranten im amerikanischen Geheimdienst, 1982).

Und man war sich auch zu Beginn der Besetzung Deutschlands nicht sicher, ob und in welchem Umfang der Prozess zum Erfolg führen könnte (F. Taylor: Exorcising Hitler. The Occupation and Denazification of Germany, 2011)

Dennoch, vor diesem Hintergrund und unter dem Schutz der Allierten konnte dieser schwierige Umgestaltungsprozesse initiert werden und es wurde durch die USA und durch GB sicher gestellt, dass es keine NS-Renaissance in West-Deutschland gab, trotz Versuche von "Ewig Gestrigen" eine Nauauflage des NS-systems ins Leben zu rufen.

Und deshalb wirkt folgendes Urteil bzw. die Unterstellung von dubiosen Absichten für mich leicht befremdlich.

Zu dem Verdienst "dieser beider Länder" (USA und GB) kann ich nur sagen, dass sie nach dem Krieg ganz andere Ziele Deutschland betreffend hatten.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Thanepower

Danke für die differenzierte und kenntnisreiche Antwort. Mein Hauptpunkt war, dass die Deutschen nicht erst nach 1945 gelernt haben, wie Demokratie und Rechtsstaat funktioniert, sondern dass wir eine lange Tradition in dieser Sache haben, die bis in die erste Hälfte den 19. Jahrhunderts zurückgeht.

Das primäre Kriegsziel der Alliierten war von Beginn an die Ausschaltung Deutschlands als Großmacht. Das war auch schon das Ziel im Ersten Weltkrieg. Ich stelle nicht in Frage, dass die westlichen Siegermächte sich Gedanken machten, wie das besetzte Deutschland zu organisieren und zu regieren sie. Was nicht einfach war, nach der Verstrickung großer Teile der Eliten in die nationalsozialistische Herrschaft. Entscheidend für uns und gewissermaßen unser Glück war das Zerwürfnis der Siegermächte Ende der 40er Jahre. Dann brauchte man die Westdeutschen und musste mit ihnen zusammenarbeiten und ihnen den Wiederaufbau ermöglichen. Die Deutschen in der Sowjetzone hatten nicht dieses Glück, sie tauschten eine totalitäre Diktatur gegen eine andere ein und der Wiederaufbau wurde durch die Sowjetherrschaft stark behindert.
 
Das primäre Kriegsziel der Alliierten war von Beginn an die Ausschaltung Deutschlands als Großmacht.

Das ist mindestens oberflächlich, und das Ziel - würde man es so formulieren - ist nicht vom Himmel gefallen.

Ziel war die Ausschaltung Deutschlands als Aggressor gegen die territoriale Integrität (und hier sind keine "kleineren" Grenzkorrekturen gemeint) europäischer Staaten.

Diese Bennenung als Aggressor gegen die Völkerrechtsordnung kann man seit der Quarantäne-Rede Roosevelts 1937 ablesen. Nach München wurde klar, dass man dem totalitären Staat des Dritten Reiches nicht mit einem Appeasement und Verhandlungen beikommt.

Hat aber alles nichts mit dem Thema zu tun, und gehört in die entsprechenden Rubriken hier im Forum.
 
Das ist mindestens oberflächlich, und das Ziel - würde man es so formulieren - ist nicht vom Himmel gefallen.

Ziel war die Ausschaltung Deutschlands als Aggressor gegen die territoriale Integrität (und hier sind keine "kleineren" Grenzkorrekturen gemeint) europäischer Staaten.

Diese Bennenung als Aggressor gegen die Völkerrechtsordnung kann man seit der Quarantäne-Rede Roosevelts 1937 ablesen. Nach München wurde klar, dass man dem totalitären Staat des Dritten Reiches nicht mit einem Appeasement und Verhandlungen beikommt.

Hat aber alles nichts mit dem Thema zu tun, und gehört in die entsprechenden Rubriken hier im Forum.

Zustimmung.
 
Das ist nicht richtig und deckt sich kaum mit dem - gerne zitierten - aktuellen Forschungsstand. Der Rüstungswettlauf nach 1908 ist ein zentrales Element für die Fachhistoriker, dass als strukturelles Merkmal erst erklären hilft, wie eine kriegerische Sicht überhaupt in praktische Kriegsführung übersetzt wurde. Und wieso kleine Gruppen in den jeweiligen Hauptstädten überhaupt über Instrumente verfügten, die über ein bis dahin nicht gekanntes Zerstörungspotential verfügten.

Nur durch diese gezielte und intensivierte Rüstung im Vorfeld von 1914 waren die europäischen Nationen bereit, Krieg zu führen.

Wie man leicht, wenn man den will, bei Hermann (The Arming of Europe and the making of the First World War, 1996, S. 225), der schriebt:

" Between 1904 and 1914 a major change came about in the way European statesmen perceived military power, and that change made war a more likely outcome of the 1914 crisis than of those in the preceeding decade."

Zu ähnlichen Feststellungen kommt D. Stevenson (Armaments and the coming of War. Europe, 1904 -1914, 1996.

Allerdings war dieser Prozess der deutlichen Zunahme an Rüstung nicht so zwingend, den Ausbruch zu erklären (D. Stevenson: Was a peacefull Outcome thinkable? The European Land Armanent Race before 1914, in: Afflerbach & Stevenson: An improbable War. 2007)

Deswegen ist obige Ausage von "Rebellution" wohl eher als eine sehr subjektive Sicht zu verstehen. Und in der Regel führt eine intensivierte "Rüstung" in einen Krieg, wenn man mal vom "Sonderfall" des atomaren Wettrüstens absieht. Allerdings ist da das letzte, entscheidende Kapitel noch gar nicht geschrieben.
Darf ich das jetzt also so verstehen, dass du davon ausgehst, das Kaiserreich hatte einen Krieg fest geplant und militärische Vorbereitungen, Marke Vier-Jahres-Plan getroffen?
Ich halte überspitzte Rüstung vor 1914 (auf allen Seiten) eher für Ausdruck des militaristischen Zeitgeistes, als für einen geplanten ersten Weltkrieg.
 
Darf ich das jetzt also so verstehen, dass du davon ausgehst, das Kaiserreich hatte einen Krieg fest geplant

Nein, das darfst Du nicht so verstehen. Ohnehin hatte nicht das "Kaiserreich" geplant, sondern eine kleine Gruppe, die damit befaßt waren. Und das ist keine "Klugschießerei", sondern ein zentrales Ergebnis zur neueren hsitorischen "Kriegsursachen-Forschung". Während andere im Kaiserreich durchaus massiv gegen einen Krieg sich ausgesprochen haben.

Es war ein Rüstungswettlauf - und ich gehe davon aus, dass ich das nicht erklären muss - den die Militärs, vor allem in der Person von Moltke (ab 1908) und der von Tirpitz (deutlich früher) mit gestaltet haben.

Über die gegenseitigen Wahrnehmungen der europäischen Mächte durch die politischen Eliten wurde schon genug geschrieben und auch, dass der letzte Anstoß für den Krieg eher aus defensiven Überlegungen heraus angestoßen worden ist.

Aber das weist Du sicherlich alles.

das Kaiserreich hatte einen Krieg fest geplant

Vermutlich zielt das nicht auf den "Kriegsrat" vom Dezember 1912 ab, sonst wäre wohl explizit darauf hingewiesen worden, aber dieses Ereignis wurde von Fischer und Röhl als Beleg gewertet für die Intentionalität des späteren WW1. Dieses wird heute in Frage gestellt und man geht eigentlich nicht mehr davon aus, dass das Ereignis die planerische Grundlage für den Ausbruch im Juli 1914 war.

Die entsprechende Literatur sollte bekannt sein und deswegen ist es überflüssig sie erneut zu zitieren.

Ichhalte überspitzte Rüstung vor 1914 (auf allen Seiten) eher für Ausdruck des militaristischen Zeitgeistes, als für einen geplanten ersten Weltkrieg.

Und woher kommt diese persönliche Einsicht? Inspiration, warst Du dabei, oder irgendwas fundiertes, wie beispielsweise das Ergebnis eines seriösen Historikers?

Ansonsten, wir kennen drei Rüstungswettläufe, die im Rahmen der "Kriegs-" (Theorie der IR) bzw. "Friedensforschung" vergleichbar sind. Den vor dem WW1, den vor dem WW2 und den im Rahmen des "Kalten Kriegs". Und für alle drei Szenarien des Wettrüstens kann man eine "bellizistische Ideologie" erkennen, da in allen drei Fällen die "Öffentliche Meinung" wichtig war, um die Rüstungsausgaben bzw. die Ziele des Krieges zu legitimieren. Nicht unbedingt in seinen Inhalten oder Zielen symmetrisch ausgeprägt, aber dennoch als "Zeitgeist" durchaus virulent.

Und der entsprechende Klassiker zu dieser "Stimmung" ist nach wie vor das Buch von Tuchmann, "Der storlze Turm".
 
Diese Aussage ist zu einseitig formuliert und würde implizieren, daß den Rüstungswettlauf, vor allem der maritime, von Deutschland begonnen wurde.

Es wurde von mir nicht gesagt, dass er durch das DR begonnen wurde und ich folge da beispielsweise Kennedy (The Rise of the Anglo-German Antagonism. 1980, S. 469), der der englischen Seite keien Schuldlosigkeit zugestehen würde.

Ansonsten könnte und wollte ich derzeit auch gar nicht differenziert dazu etwas formulieren, da ich in dem Thema im Moment nicht inhaltlich ausreichend eingearbeit bin.

Meine Formulierung ist "mit gestaltet" und darin liegt absolut keine Kausalität oder Verursachung. Und die halte ich für inhaltlich absolut korrekt.
 
Meine Formulierung ist "mit gestaltet" und darin liegt absolut keine Kausalität oder Verursachung. Und die halte ich für inhaltlich absolut korrekt.

Na gut, auf dem zweiten Blick, magst Du Recht haben, mitgestaltet haben die deutschen auch einen Rüstungswettlauf, aber an den Personen würde ich es nicht festmachen, denn wenn es nicht Moltke oder Tirpitz gegeben hätte, die Entwicklung der Rüstungsspirale wäre wohl auch ohne diese Personen zu dem geworden, was sie war.

Habe meinen Beitrag wieder rausgenommen, nur zur Info.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Gegensatz, zu Demokratien wurde Ungehorsam in der Armee mit einer Tracht Prügel bestraft,
In Preußen wurde die Prügelstrafe für Soldaten durch die Heeresreform (Scharnhorst) 1807 abgeschafft.
Gesinde durfte im Deutschen Reich vom Dienstherrn allerdings bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 gezüchtigt werden.
 
Aus der frühen Bundesrepublik:

"Eltern, die ihre 16jährige sittlich verdorbene Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestrafen, überschreiten nicht das elterliche Züchtigungsrecht.:

Die Ansicht, die Entziehung von zwei einander folgenden Hauptmahlzeiten berge bei einem in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen, wie die zur Zeit der Tat im 16. Lebensjahr stehende I. war, eine ernstliche Gefährdung der Gesundheit in sich, widerspricht so offenkundig aller Lebenserfahrung, daß hierzu keine weiteren Ausführungen notwendig sind. Entziehung der Nahrung ist denn auch ein gelegentlich angewendetes Erziehungsmittel gegenüber Kindern, ja sogar häufig ein Zuchtmittel gegenüber Erwachsenen, die kraft Gesetzes einer Erziehung unterworfen sind. Das Festbinden und das Kurzschneiden der Haare kann nicht als eine quälerische, Behandlung angesehen werden. Unter Quälen ist das Verursachen länger fortdauernder oder sich wiederholender Schmerzen und Leiden zu verstehen. Auch das Zufügen seelischen Leidens mit erheblichen Folgen gehört hierher. So beschaffen waren die Maßnahmen der Angekl. aber nicht. Zuchtmittel, die einem ungehorsamen Kinde gegenüber angewendet werden, bestehen ihrem Wesen und ihrem Zwecke nach in der Zufügung körperlichen oder seelischen Schmerzes. Dadurch soll auf die Gesinnung und den Willen des Kindes eingewirkt werden. Bei älteren Kindern wird der Erziehungsberechtigte solchen Maßnahmen den Vorzug geben, die in stärkerem Maße das Ehrgefühl ansprechen. Art und Maß der Züchtigung muß sich nach der körperlichen Beschaffenheit des Kindes, nach seinem Alter, nach der Größe seiner Verfehlung und nach seiner allgemeinen sittlichen Verdorbenheit richten. Rechtfertigen diese Umstände die Anwendung solcher Züchtigungsmittel, die eine nachhaltige und schmerzhafte Wirkung hervorrufen, so wird regelmäßig anzunehmen sein, daß damit die Grenzen einer vernünftigen Züchtigung nicht überschritten sind"
Bundesgerichtshof, 25.9.1952.

Edit: das Zutat soll nur ein Schlaglicht werfen auf die Anschauungen. Der BGH hat sicher keine Radikalisierung gegenüber dem Kaiserreich durchgemacht.:D
 
Zuletzt bearbeitet:
Kein so richtiges Indiz für eine Diktatur.
Eben deshalb hatte ich das Beispiel gebracht. Der Umgang damit hängt von gesellschaftlichen Anschauungen ab, die sich (glücklicherweise) geändert haben.

Der zweite Hinweis war darauf gerichtet, dass Rechtslagen nichts mit Rechtswirklichkeit zu tun haben müssen, bzw. Beides auseinanderklafft. Beispiel: "Züchtigung von Ehegatten" auch nach gesetzlichen Änderungen.

Daneben sind die Fragen von Straftatbeständen oder Privatrecht wenig geeignet, Aufschluss über Rechtstaatlichkeit zu geben. Diese wird jedenfalls von Rechtshistoriker materiell primär an dem Verhältnis von Bürgern zum Staat, also zB am Verwaltungsrecht oder etwa an prozessualen Vorschriften, gemessen.
 
Nein, das darfst Du nicht so verstehen. Ohnehin hatte nicht das "Kaiserreich" geplant, sondern eine kleine Gruppe, die damit befaßt waren. Und das ist keine "Klugschießerei", sondern ein zentrales Ergebnis zur neueren hsitorischen "Kriegsursachen-Forschung". Während andere im Kaiserreich durchaus massiv gegen einen Krieg sich ausgesprochen haben.

Es war ein Rüstungswettlauf - und ich gehe davon aus, dass ich das nicht erklären muss - den die Militärs, vor allem in der Person von Moltke (ab 1908) und der von Tirpitz (deutlich früher) mit gestaltet haben.

Über die gegenseitigen Wahrnehmungen der europäischen Mächte durch die politischen Eliten wurde schon genug geschrieben und auch, dass der letzte Anstoß für den Krieg eher aus defensiven Überlegungen heraus angestoßen worden ist.

Aber das weist Du sicherlich alles.



Vermutlich zielt das nicht auf den "Kriegsrat" vom Dezember 1912 ab, sonst wäre wohl explizit darauf hingewiesen worden, aber dieses Ereignis wurde von Fischer und Röhl als Beleg gewertet für die Intentionalität des späteren WW1. Dieses wird heute in Frage gestellt und man geht eigentlich nicht mehr davon aus, dass das Ereignis die planerische Grundlage für den Ausbruch im Juli 1914 war.

Die entsprechende Literatur sollte bekannt sein und deswegen ist es überflüssig sie erneut zu zitieren.



Und woher kommt diese persönliche Einsicht? Inspiration, warst Du dabei, oder irgendwas fundiertes, wie beispielsweise das Ergebnis eines seriösen Historikers?

Ansonsten, wir kennen drei Rüstungswettläufe, die im Rahmen der "Kriegs-" (Theorie der IR) bzw. "Friedensforschung" vergleichbar sind. Den vor dem WW1, den vor dem WW2 und den im Rahmen des "Kalten Kriegs". Und für alle drei Szenarien des Wettrüstens kann man eine "bellizistische Ideologie" erkennen, da in allen drei Fällen die "Öffentliche Meinung" wichtig war, um die Rüstungsausgaben bzw. die Ziele des Krieges zu legitimieren. Nicht unbedingt in seinen Inhalten oder Zielen symmetrisch ausgeprägt, aber dennoch als "Zeitgeist" durchaus virulent.

Und der entsprechende Klassiker zu dieser "Stimmung" ist nach wie vor das Buch von Tuchmann, "Der storlze Turm".

Ohnehin hatte nicht das "Kaiserreich" geplant, sondern eine kleine Gruppe, die damit befaßt waren.
Ich dachte, dass sei selbstverständlich..

Und woher kommt diese persönliche Einsicht? Inspiration, warst Du dabei, oder irgendwas fundiertes, wie beispielsweise das Ergebnis eines seriösen Historikers?

Also erst einmal ist dieses Forum in erster Linie ein Hobby von mir, weshalb ich weder zeitliche noch nervliche Kapazitäten habe, mir jetzt eine Zitatschlacht mit dir zu liefern, aber:
Es ist durchgehend wissenschaftliche Meinung, dass man im Kaiserreich militaristisch bis zum geht-nicht-mehr war, besonders unter Wilhelm II. Ich weise hier zum Beispiel nur auf Kaisermanöver und diverse militärromantische Kitsch-Postkarten und Reservisten-Krüge und - Pfeifen hin. Ansonsten kannst du in jeden beliebigen Antiquitätenhandel gehen, dort wirst du noch mehr von dem Kram finden, der mir gerade nicht einfällt.
Das ist eigentlich Allgemeinbildung, weshalb ich dachte, dass ich mir Textbelege dazu wohl sparen kann.
Das Flottenaufrüsten ab 1900 von Seiten Deutschlands war nationales Prestigeobjekt. Ich verweise nur auf die berühmt-berüchtigten Matrosenanzüge bereits für Knaben im Kleinkindalter, Spielzeug im Flottenstil und die diversen, medienwirksamen Ablichtungen des Kaisers auf einem der Kriegsschiffe mit Untertiteln wie "Des Kaisers liebstes Spielzeug", oder ähnlichem. Man war stolz auf seine Flotte, durchaus auch im Volk.
Und so war es eben auf allen Seiten vor dem ersten Weltkrieg. Man mochte sein Militär und strukturierte zunehmend auch die Zivilgesellschaft nach militärischen Vorbildern, ohne sich dabei der Kriegsgefahr bewusst zu sein, oder bewusst sein zu wollen.
Zu so einer Gesellschaft passt nun einmal auch Rüstung, ohne direkte Kriegsvorbereitung. Sozusagen "Rüstung als Selbstzweck", nicht aus böswilligen Überlegungen heraus. Auch der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. hob seine berühmten "langen Kerls" nicht aus, weil er Krieg führen wollte (dafür war er viel zu geizig) sondern nur, weil er sich an ihnen erfreute.
 
Das deutsche Kaiserrreich war ein Rechtsstaat, wenn auch kein demokratischer, so doch ein Rechtsstaat.

Ich möchte hier beispielsweise einmal auf die Schaffung des umfassenden Zivilrechts in Forme des BGB hinweisen.

Es gab ein Strafgesetzbuch, in dem liberal-bürgerliche Auffassungen Eingang gefunden haben. Das war nämlich das Rechtsstaatprinzip nullum crimen, nulla poena sine lege.

Die Justiz war formal unabhängig. Richter waren unversetzbar und nicht absetzbar. Feudale und ständische Gerichtsbarkeit waren aufgehoben worden.
 
Das deutsche Kaiserrreich war ein Rechtsstaat, wenn auch kein demokratischer, so doch ein Rechtsstaat.

Hinsichtlich der Frage der Bewertung der "Demokratie" im Deutschen Reich liegen mittlerweile sehr konträre und sehr interessante Studien vor.

So argumentiert M. Anderson (immerhin eine Amerikanerin!) in "Lehrjahre der Demokratie" (2000), dass es im DR ein durchaus veritables politisches Leben gab, das entscheidend das Herausbilden von demokratischen Strukturen befördert hat. Unahbhängig der vorhandenen strukturellen Defizite beispielsweise in der Verantwortung der Exekutive auf der Ebene des Reichs.

Kritischer steht Kühne (Dreiklasenwahlrecht in Preussen 1867 - 1914, 1994) die Verfassung der Demokratie und er (immerhin ein Deutscher!) betont den eher anti-demokratischen Charakter der politischen Strukturen. Auch und gerade wegen der relativen Eigenständigkeit auch der jeweiligen Palamente der einzelnen "Länder".

In dieser Polarität, die für sich durchaus korrekte Phänomene beschreiben, bewegte sich die politische Kultur im Deutschen Reich.

Und vor allem die Arbeit von Anderson hinterfragt in ihrem positiven Ergebnis doch sehr deutlich, ob die These richtig sein kann, dass die Weimarer Republik eine Demokratie ohne Demokraten gewesen wäre. Folgt man ihr, dann war nicht die Weimarer Republik die "Lehranstalt" für die deutsche Demokratie, sondern sie wurde bereits - im wesentlichen auf regionaler Ebene - erfolgreich im Deutschen Reich gelebt und gelernt.

Insgesamt löst sich die Wahrnehmung des DR von einer schwarz / weiss - Betrachtung und kommt zu einer differenzierteren Bewertung (vgl. z.B. G. Martel: Modern Germany Reconsidered, 1992 und da vor allem die Beiträge von Eley: Bismarckian Germany und Retallack:Wilhelmine Germany)
 
Was mir gerade untergekommen ist: Modern war das Kaiserreich auch, stand der Moderne jedenfalls nicht im Wege.

duerkopp-1905.jpg

Eine Frau im Kaiserreich musste sich nicht wie die Britin, Emily Davison, vor ein Pferd werfen. Sie bestieg mit Hose ein Bike. Der Gedanke war jedenfalls nicht so fremd, dass er nicht in einer Werbeanzeige wiedergegeben werden konnte.
Auch wagte die erste Überlandfahrt mit einem Auto eine Frau im Kaiserreich, Bertha Benz.
 
Ich möchte hier beispielsweise einmal auf die Schaffung des umfassenden Zivilrechts in Forme des BGB hinweisen.
Es gab ein Strafgesetzbuch, in dem liberal-bürgerliche Auffassungen Eingang gefunden haben.
Die Justiz war formal unabhängig. Richter waren unversetzbar und nicht absetzbar. Feudale und ständische Gerichtsbarkeit waren aufgehoben worden.

Richtig, im Kaiserreich wurden diese Entwicklungen möglich, bzw. nicht erschwert. Insofern ist das zweifelsohne eine Errungenschaft, innerhalb dieses Systems.

Erwähnen möchte ich dazu aber auch den Kontext, in dem sich diese fortschrittlichen Tendenzen "von unten" entwickeln konnten.

Nimmt man das Straf(prozeß-/verfahrens)recht, so ist das Vordringen der Berufsjuristen mit bürgerlicher Herkunft (darunter übrigens viele jüdischen Glaubens), die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik durch Feuerbach, beeinflusst von Kant, die Grundlegung des Gesetzlichkeitsprinzips in den liberalen Tendenzen des 19. Jahrhunderts ausschlaggebend gewesen. Die Theorien Hegels und Bindings brachten den absoluten Strafrechtstheorien den Durchbruch, mit Wurzeln zu Beginn des 19. Jahrhunderts und langen Entwicklungen zurückgehend auf Kirchenrecht. Die Reformbewegungen gab es europaweit, durch Franz von Liszt angestoßen und maßgeblich beeinflusst, den Zweckgedanken in das Strafrecht einzufügen.

Die Juristenschicht war durchaus gespalten. Neben den liberalen Tendenzen gab es auch Richter wie Adelbert Düringer, (Wirth: Düringer - Jurist zwischen Kaiserreich und Republik), glühende Anhänger der Monarchie und des Obrigkeitsstaates, Gegenstimme bei der Verabschiedung der Weimarer Verfassung, äußerster antisemitischer Flügel bis später in die DNVP hinein (nach dem Rathenau-Mord ausgetreten, weil ihm diese Verrohung "zu weit ging"), die "Systemverbrecher" und "Erfüllungspolitiker" scharf bekämpfend, schlicht ultra-konservativ.

Der Mann war zugleich Chef-Kommentator des HGB (der "Düringer-Hachenburg"), wo er sich auf ökonomischen Gebiet "liberal" austobte. Also "Licht und Schatten".

Ein anderes Schlaglicht auf die Rechtstaatlichkeit: In der Verfassung 1871 war mit Art. 3 die Keimzelle der staatsbürgerlichen Freizügigkeit verankert, obwohl man auf die Formulierung von Grundrechten bewusst verzichtete. In der Handhabung damit war man sowohl im Kirchenkampf als auch gegen Minderheiten wenig "zimperlich". ZB das „gegen polonisierende Bestrebungen“ erlassene, in der Sache jedoch gegen die Verfestigung polnischer Siedelungsräume gerichtete preußische Ansiedlungsgesetz von 1904 – also ein bloßes Landesgesetz – wurde durch das Reichsgericht mit äußerst zweifelhafter Begründung (um es nicht Beugung der Verfassung zu nennen) nicht als Verstoß gegen das Freizügigkeitsgesetz des Reiches angesehen. Gerade dieser Vorgang verdeutlichte die relative Schwäche des im Kaiserreich gewährten Grundrechtsschutzes.

Oder Tendenzen in Bezug auf die Arbeiterbewegung. Die relativen Erfolge der Tarifverträge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es seitens der Reichsregierung auch nach 1890 immer wieder Anläufe zur Beschränkung des Koalitionsrechts und zum Abbau anderer Rechte der Arbeiterbewegung gab. Den Höhepunkt bildete die sog. Zuchthausvorlage von 1899, die von Wilhelm II. mit den Worten angekündigt wurde: "Das Gesetz naht sich seiner Vollendung und wird den Volksvertretern in diesem Jahr zugehen, worin jeder, er möge sein, wer er will, er möge heißen wie er will, der einen deutschen Arbeiter, der willig wäre, seine Arbeit zu vollführen, daran zu hindern versucht oder gar zu einem Streike anreizt, mit Zuchthaus bestraft werden soll."

Wer verhinderte diese Tendenzen? Auch das wurde "von unten" abgetrotzt: Gewerkschaften und der SPD gelang die Organsisation eines so breiten Massenprotestes gegen diesen Gesetzentwurf, dass es die Reichstagsmehrheit vorzog, die Vorlage sang- und klanglos scheitern zu lassen. Allein in Berlin hatten zB am 7. Juni 1899 neunzehn Protestversammlungen mit insgesamt 70.000 Teilnehmern stattgefunden.

Dass also Aspekte des Kaiserreichs fortschrittlich-liberal erschienen, ist diesem System abgerungen worden. Das soll natürlich nicht das Ergebnis in Frage stellen, dass sich dieses System die Fortschritte ohne Bürgerkrieg abtrotzen ließ. Es soll lediglich darauf hinweisen, aus welcher Ecke der Fortschritt stammte, den das System tolerierte (soweit nicht exponierte Personen wie Düringer solchen liberalen Tendenzen oder fortschrittlicher Rechtstaatlichkeit in der (praktischen) Rechtswirklichkeit und vor Gericht entgegen wirkten).
 
Dass also Aspekte des Kaiserreichs fortschrittlich-liberal erschienen, ist diesem System abgerungen worden. Das soll natürlich nicht das Ergebnis in Frage stellen, dass sich dieses System die Fortschritte ohne Bürgerkrieg abtrotzen ließ.
Von unten abtrotzen. Das gibt es aber auch in der (modernen) Demokratie. Und die kann sogar noch unbeweglicher sein. So z.B. bei der Antikriegsbewegung in den USA gegen den Vietnamkrieg. Ca. 50.000 Kriegsdienstverweigerer mussten in das Nachbarland Kanada fliehen.
 
Dass also Aspekte des Kaiserreichs fortschrittlich-liberal erschienen, ist diesem System abgerungen worden. Das soll natürlich nicht das Ergebnis in Frage stellen, dass sich dieses System die Fortschritte ohne Bürgerkrieg abtrotzen ließ.
Damit haben wir aber doch den Kern!

Es dürfte doch ausgesprochen selten in einem Staat sein, dass Regierung, Parlament und oberste Verwaltung in allen Punkten einer Meinung mit "der Bevölkerung" sind. Es gibt jetzt die Möglichkeiten der Beharrung (wird schnell zu einer Unterdrückung der Bevölkerung), des Wandels im Sinne der "Obrigkeit" und des Wandels im Sinne der Bevölkerungsmehrheit. Beharrung war im Kaiserreich in einigen Punkten natürlich vorhanden, so wie in den Nachbarländern auch. Aber es gab eben sowohl die Fälle wo sich das Volk durchsetzte (ohne Bürgerkrieg oder sonstigen fundamentalen Aufruhr) wie auch eine erfolgreich vermittelte Politik, d.h. der Widerstand in der Bevölkerung konnte überwunden (und nicht nur abgeblockt) werden.

Die hohe Rechtssicherheit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ist definitiv ein großer Pluspunkt, das Wahlrecht und die durchgesetzte Politik gegen Katholiken, Polen und Arbeitervertreter stehen dem gegenüber.

Die von Dir angeführte Spaltung der Juristen (und anderer Schichten) ist für mich kein so gutes Argument, denn zum einen entwickelte sich das Kaiserreich ja in den gut 40 Jahren (ohne grundsätzliche Änderung der Struktur) und zum anderen gab es für viele Bereiche noch große Unsicherheit über den richtigen Weg. Viele Meinungen klafften weiter auseinander als heute, wo die gemeinsame Basis der Überzeugungen viel größer ist.
 
Zurück
Oben