War die Sophistik ein Segen oder Fluch für das antike Griechenland?

AntikerSophist

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Hallo,
ich beschäftige mich schon seit längerem mit der Geschichte des antiken Griechenland. Besonders interessiert mich seine Geistesgeschichte und da vor allem die antike Sophistik. Würde ihr sagen, dass die Sophisten und Co. ein Fluch oder Segen für das antike Griechenland war? Was meint ihr ? Gerade wenn man sich für die Geschichte des antiken Griechenlands interessiert, scheint diese Frage früher oder später relevant zu sein, wenn man die griechische Geschichte entsprechenden geschichtlich reflektieren möchte.

Ich bin auf eure Meinung dazu gespannt.
 
Einleitend möchte ich auf dreierlei hinweisen:

  • Die "Sophisten" kamen zwar aus und wirkten in der gesamten griechischen Welt, wir wissen aber hauptsächlich über ihr Wirken in Athen (d. h. im Rahmen der dortigen politischen und sozialen Gegebenheiten) Bescheid. Man kann Athen aber nicht mit ganz Griechenland gleichsetzen.
  • Wir kennen die Sophisten vor allem aus Schriften ihrer Kritiker.
  • So etwas wie eine einheitliche sophistische "Schule" gab es nicht.
Unter Berücksichtigung dieser drei Einschränkungen ist somit nur eine grobe Annäherung an die Sophistik und ihre Bedeutung möglich.

Wichtig war die Sophistik schon einmal insofern, als Sophisten häufig als Gesprächspartner für Sokrates bzw. in den Schriften Platons herhalten mussten.

Ansonsten ist es natürlich eine Wertungsfrage, wie man ihr Wirken sieht. Es hängt von der eigenen Einstellung ab, wie man ihre Hinwendung zur Rolle und zur Entfaltung des Individuums bewertet. Sie wirkten jedenfalls befruchtend auf das Geistesleben, auf Bildung und Rhetorik, aber auch diverse Wissenschaften, was man sicherlich als positiv werten sollte. Ihr Wirken hatte aber auch Einfluss auf die Politik, indem sie einen neuen Typ Politiker, vor allem redegewandt und wesentlich unabhängiger von traditionellen Normen, heranbildete, der gerade in der Demokratie gedeihen konnte (was nicht bedeutete, dass ihre Schüler deswegen allesamt Demokraten waren). Damit berührt man aber schon die Frage, wie man die direkte Demokratie attischen Typs insgesamt bewertet.
Man sollte auch fragen: Was wäre die Alternative gewesen? Eine Erstarrung von Philosophie und Wissenschaft in der ionischen Naturphilosophie und der Politik in einem traditionell-aristokratischen Weltbild, in dem Herkunft und Besitz mehr zählen als persönliche Fähigkeiten?
Die Sophisten haben der persönlichen Bildung und dem kritischen eigenen Denken jedenfalls Auftrieb verschafft - zumindest soweit ihr Wirken reichte, denn die Masse der Griechen hatte wohl kaum Zeit und Muße (oder Geld), um die Sophisten auf sich wirken zu lassen.
 
Ja mir ist bekannt, dass die Sophisten vor allem in Athen gewirkt haben und dass sie vor allem durch Ihre Kritiker wie Platon bekannt sind, der ja Dialoge mit den Namen von Sophisten wie Gorgias und Protagoras verfasst hat. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es da eine einheitlich sophistische Schule gegeben hat, sondern eben verschiedene Sophisten. Und dass die Sophisten wert auf Rhetorik lagen und damit ein entsprechender Politikertypus geschaffen wurde, der auf Redegewandtheit wert liegt, ist - also Demokratie attischen Typs- ist mir bei meiner bisherigen Rezeption auch ersichtlich geworden. Natürlich ist es die Frage wie man so eine Demokratie bewertet, in der Sprachgewandheit im Bereich der Politik eine große Rolle spielt. Die Frage ist vor allem deshalb , wenn man diese antike Demokratie mit der jetzigen in Europa vergleicht. Ich frage mich , ob eventuell die antike Demokratie attischen Typs gewisse Vorteile gegenüber der heutigen modernen hat, gerade im Hinblick, was den Wert der persönlichen Bildung und der Redefähigkeit anbetrifft. Insofern scheint es mir naheliegend auch positiv zu sein , dass die Sophisten so den Schwerpunkt auf persönliche Bildung gelegt haben gegenüber einem aristokratischen Weltbild. Allerdings frage ich mich auch, ob man hier zwischen der Ersten Sophistik und der sog. "Zweiten Sophistik" unterscheiden sollte (wie dies Philostratos in seinem Buch "Leben der Sophisten" tut). Die zweite Sophistik betrifft ja auch noch das antike Griechenland soweit ich das sehe, allerdings ein Griechenland ,was nicht mehr souverän war, sondern zum römischen Kaiserreich gehörte. Kann man das, was über die ersten Sophisten bisher gesagt wurde, auch in gleicher Weise historisch geltend machen für die Sophisten der sogenannten Zweiten Sophistik? Oder gibt es da Unterschiede zwischen diesen ersten und den zweiten Sophisten , also zwischen diesen beiden Sophistiken? Falls ja, ist mir noch nicht ganz klar, wo diese Unterschiede qualitativ und historisch zu verorten sind.
 
In der Auseinandersetzung mit der Sophistik hat sich die Philosophie fortentwickelt. Dies ist nicht zu unterschätzen. Und vor diesem Hintergrund kommen z.B. Sokrates, Platon und Aristoteles nicht aus dem Nichts.

Oft werden ja auch die Errungenschaften der Sophistik unterschätzt. Die Logik Aristoteles z.B. beruht nicht nur auf Platon, sondern auch auf der Sophistik, die z.B. das Logische Quadrat entwickelte. Nur wird dies in der Darstellung oft zugunsten der schicken Lehrer-Schüler-Relation Sokrates-Platon-Aristoteles beiseite gelassen.

Dann ist die Tätigkeit als Lehrer (für die Oberschicht) nicht in der Wirkung auf Politik und Gesellschaft zu unterschätzen. Die aktuellen Dialoge Platons haben zwar so nicht stattgefunden, hatten aber doch Vorbilder in der Realität.

Eine weitere Kunst, die Ihnen einiges verdankt, dürfte die Rhetorik sein. Und diese war doch bis Augustus eine sehr wichtige Kunst. Und auch danach noch spielte sie für die Gesellschaft - und auch für die Entwicklung des Rechts - eine nicht zu unterschätzende Rolle. (Und die Mnemotechnik, die in den letzten Jahren wieder einmal aus der Versenkung erscheint und in der Antike zur Rhetorik gezählt wurde, muss dazu gerechnet werden. Aristoteles soll - ich weiß, ich weiß, dass ist umstritten und der fragliche Satz schwierig zu interpretieren - daraus die Vorstellung vom wissenschaftlichen Modell entwickelt haben. Letzteres ist natürlich schon einen Thread für sich selbst wert, falls jemand darüber diskutieren möchte.)

Etwas, was bis in die heutige Zeit eine Rolle spielt ist natürlich der Gedanke, dass Wissen nicht nur zum Zeitvertreib zu verwenden.

Aber das sind nur ganz allgemeine Gesichtspunkte. Es hängt bei der Beurteilung der Sophisten auch vieles von der jeweiligen Definition ab. Je nachdem wird man einiges, was ich hier für Sophisten in Anspruch genommen habe, anderen Phänomenen zuordnen. Versteht man sie z.B. allein als Phänomen der Philosophie, wird man die Errungenschaften bezüglich der Rhetorik ablehnen.

Dennoch denke ich, dass man sagen kann, dass sie nicht nur durch die Auseinandersetzung mit ihnen fortleben, sondern auch viele wichtige Vorstellungen erarbeitet haben. Und in einem Internetforum sollte darauf hingewiesen werden: Das logische Quadrat als Grundlage der Erfindung der formalen Logik durch Aristoteles ist auch eine Vorbedingung des Geschichtsforums. Denn ohne wäre kein Computer erfunden worden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja die Philosophie ist aus der Auseinandersetzung mit der Sophistik entstanden. Und man kann sich im Grunde Platon und Co. nicht denken ohne das Wirken der Sophisten. Leider kann man ja nicht ganz nachverfolgen wie das Wirken der Sophisten in der antiken Gesellschaft war, man hat ja nur die Texte, die erhalten sind.

Das die Rhetorik für die Entwicklung einiger kultureller Aspekte verantwortlich ist, ist mir gut ersichtlich jedenfalls. Das die Rhetorik und ihre Mnemotechnik auch für heutige Kultur eine gewisse Bedeutung hat , ist natürlich interessant. Die Frage ist aber in der Hinsicht, ob sie eine ähnliche Bedeutung wie sie in der antiken Gesellschaft auch in der modernen Gesellschaft mir ihrer Bildung haben kann. Ich habe nicht unbedingt den Eindruck, dass die Rhetorik dieselbe Bedeutung hat wie sie das in der antiken Kultur hatte oder irre ich mich da? Leider ist es meist so , wenn man die Sophistik als Phänomen der Philosophie versteht, dass sie deshalb oft von deren Seite bezüglich ihrer Rhetorik abgelehnt wird und die Trennung zwischen Philosophie und Sophistik noch nachwirkt, wie sie Platon im Grunde bewirkt hat. Diese Aspekt gilt es eben entsprechend historisch zu reflektieren, um diese Entwicklung besser verstehen zu können.
 
Würde ihr sagen, dass die Sophisten und Co. ein Fluch oder Segen für das antike Griechenland war?

Unterm Strich natürlich ein Segen, gar keine Frage. Im folgenden zitiere ich aus einem älteren (hier schon bekannten) eigenen Text eine Passage zum Thema ´Protagoras und Nomos´:

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Haben die Metaphysiker und Mythenerzähler vom Nomos als göttlichem Gesetz gesprochen, so leugnen die Sophisten rundweg, dass Gesetz und Recht eine Verankerung in der Absolutheit des Kosmos haben. Gesetze sind von Menschen gemacht, sie sind nicht Abbild oder Projektion einer kosmischen Naturordnung in die Sphäre irdischer Gesellschaften. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, lässt Protagoras, der prominenteste und ernstzunehmendste Vertreter der Sophistik, verlauten. Was in einem Staat als schön oder gerecht oder moralisch hochstehend gilt, ist dies nicht von Natur aus, sondern weil es menschliche Setzung ist: „Das Schöne und Schlechte, das Gerechte und Ungerechte, das Fromme und Frevelhafte, was in diesen Dingen ein Staat für eine Meinung fasst und dann als gesetzmäßig feststellt, das ist es nun auch für jeden in Wahrheit; und in diesen Dingen ist nicht der eine weiser als der andere und nicht dieser Staat klüger als jener … was gemeinsam vorgestellt werde, das werde immer dann wahr, wenn es dafür gehalten wird, und solange wie es dafür gehalten wird.“

Zwei Umstände sind für die Motivation des großen Sophisten von Bedeutung: Protagoras ist ausgesprochen demokratiefreundlich und nicht minder mythenkritisch. Diese Mischung begegnet schon in Ansätzen bei Solon, der den attischen Bürgern riet, das Wohl und Wehe der Polis nicht einfach in die Hände der Götter zu legen, sondern selbstverantwortlich in die eigenen zu nehmen. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung ‘politische Mündigkeit’. Zwar vermeidet der Sophist, die Existenz von Göttern rundweg in Abrede zu stellen, vermeidet aber ebenso das Gegenteil: weder das Sein noch das Nichtsein der Götter kann Gegenstand menschlichen Wissens sein, aus dem naheliegenden Grund, weil von Göttern schlichtweg nichts zu sehen ist, und weil, darüber hinaus, das Menschenleben zu früh endet, als dass die Frage ihrer Existenz hinreichend gründlich erforscht werden könnte.

Er weiß auch nichts vom Alleinheitsgott des Xenophanes, des Gründers der eleatischen Philosophenschule, der noch vehementer als Protagoras die anthropomorphistischen Götterkulte ablehnt, wohl deshalb, weil er noch deutlicher als der Sophist sieht, welchem Irrtum die naiv Göttergläubigen aufsitzen.

Ein dezidierter Atheist ist Protagoras also nicht, im Unterschied zu seinem jüngeren Zeitgenossen Diagoras, der nach der Quellenlage als der erste eine konsequent atheistische Position vertretende Denker des Abendlandes gelten kann.

Protagoras ist ausgesprochen agnostisch, er leugnet, dass eine allgemeinverbindliche Wahrheit erkennbar ist, gesteht aber allen Menschen die prinzipielle Urteilsfähigkeit in politischen Fragen zu: „Wenn sie [die Athener] zur Beratung über Politisches gehen, wo alles auf Gerechtigkeit und Besonnenheit ankommt, so dulden sie mit Recht einen jeden, weil es jedem gebührt, an dieser Tugend Anteil zu haben …“ Nur ist eben a priori nicht ausgemacht, welches politische Urteil in der Vielfalt der Meinungen absolut wahr ist und welches nicht.

Deshalb kann es für den entschiedenen Demokraten Protagoras in der Philosophie nicht darum gehen, höchste Wahrheiten zu lehren, die nur noch der Einsicht durch die Subjekte harren, sondern ausschließlich um die didaktische Vermittlung der Fähigkeit, ein Publikum von der Richtigkeit einer Auffassung zu überzeugen. Mit einem modernen Ausdruck: der Sophist vermittelt die Kompetenz zum rationalen Diskurs. Die Bedeutung dieser Position ist immens, denn sie wirkt als mächtiger Motor der demokratischen Idee noch bis in die Gegenwart, und doch bleibt ein Rest von Leere, von Inhaltslosigkeit, der den Wert jener Einsicht aufzuheben droht, wenn nicht wichtige Ergänzungen und Relativierungen der protagoreischen These hinzutreten.

Im Grunde entspringt das sophistische Dilemma, so wie es sich auf dem Niveau des Protagoras stellt, des bedeutendsten unter den Sophisten, einer Kategorienverwechslung. Unter seinen Prämissen stellt sich die Situation so dar: Die athenische Demokratie ist eine Verfahrensweise, die losgelöst von verbindlichen Orientierungsmarken ermöglicht, politische Entscheidungen so durchzuführen, dass alle davon Betroffenen (mit der hinlänglich bekannten Ausnahme der Kategorien von Nicht-Vollbürgern) Zugang und Anteil an der Entscheidung offen steht. Wer bei der Stimmenabgabe zur unterlegenen Minderheit gehört, kann sich eben damit trösten, dass er immerhin die Chance hatte, die Entscheidung herbeizuführen, und dass er bei weiteren Entscheidungen eine neue Chance haben wird. Seine Würde als mündiger Vollbürger bleibt gewahrt. Da niemand das Privileg auf absolute Einsicht hat und erfahrungsgemäß die Ansichten und Einzelentscheidungen divergieren, ist das demokratische System die optimale Weise, die Koinzidenz von Allgemeinheit der Urteilsfähigkeit (die Protagoras indes nicht ganz ohne Einschränkungen postuliert) und Unmöglichkeit eines absoluten Wissens im Prozess politischer Entscheidungsfindung zu institutionalisieren.

Allerdings hängt diese Situation im luftleeren Raum, berücksichtigt man nicht ihre Geschichte. Gerade hier hätte der Sophist, der von der Menschengemachtheit der Gesetze so viel weiß, erkennen müssen, dass auch die Verfassungsordnung, eben die Demokratie, Menschenwerk ist, freilich kein aus demokratischen Entscheidungen hervorgehendes, sondern aus einem individuellen Willen, dem des Solon, und, in seiner Nachfolge, des Kleisthenes. Als überzeugter Demokrat müsste Protagoras eingestehen, dass absolut richtige, also unzweifelhaft wahre Entscheidungen gefallen waren, die eine gesellschaftlich fundamentale Bedeutung haben. Es wäre z.B. widersinnig, über die Richtigkeit der demokratischen Idee demokratisch abstimmen zu lassen und im Falle des Sieges ihrer Gegner das System abzuschaffen. Auch die demokratische Einführung einer Demokratie ist logisch unmöglich, es muss ihr ein Willensprozess vorausliegen, der nicht-demokratisch ist, aber dennoch, aus demokratischer Sicht, auf einer wahren Einsicht beruht. Von daher liegt der demokratische Gedanke kategorial oberhalb der Ebene demokratischer Praxis, auf welche Protagoras seine relativistischen Thesen bezieht.

Innerhalb des demokratischen Verfassungsrahmens mag der Relativismus gelten, den der Sophist behauptet, doch die Verfassung selbst, die Bedingung der Möglichkeit von politischer Relativität, ist absolut, los-gelöst von jedem innerdemokratischen Relativismus, diesem aber notwendig immanent als Bedingung seiner Möglichkeit. Wir sehen hier das scheinbare Paradoxon, dass es die Ausnahme ist, welche die Regel konstitutiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja die Philosophie ist aus der Auseinandersetzung mit der Sophistik entstanden. Und man kann sich im Grunde Platon und Co. nicht denken ohne das Wirken der Sophisten. Leider kann man ja nicht ganz nachverfolgen wie das Wirken der Sophisten in der antiken Gesellschaft war, man hat ja nur die Texte, die erhalten sind.

Das die Rhetorik für die Entwicklung einiger kultureller Aspekte verantwortlich ist, ist mir gut ersichtlich jedenfalls. Das die Rhetorik und ihre Mnemotechnik auch für heutige Kultur eine gewisse Bedeutung hat , ist natürlich interessant. Die Frage ist aber in der Hinsicht, ob sie eine ähnliche Bedeutung wie sie in der antiken Gesellschaft auch in der modernen Gesellschaft mir ihrer Bildung haben kann. Ich habe nicht unbedingt den Eindruck, dass die Rhetorik dieselbe Bedeutung hat wie sie das in der antiken Kultur hatte oder irre ich mich da? Leider ist es meist so , wenn man die Sophistik als Phänomen der Philosophie versteht, dass sie deshalb oft von deren Seite bezüglich ihrer Rhetorik abgelehnt wird und die Trennung zwischen Philosophie und Sophistik noch nachwirkt, wie sie Platon im Grunde bewirkt hat. Diese Aspekt gilt es eben entsprechend historisch zu reflektieren, um diese Entwicklung besser verstehen zu können.

Natürlich ist die heutige Rhetorik eine andere. Einen Eindruck bekommt man schon durch die Einleitung der Übersetzung von Ciceros De oratore duch Harald Merklin (Reclam, zweisprachige Ausgabe). Ich will nicht leugnen, dass viel in unserer heutigen Kommunikation auf antike Vorbilder zurückgeht. Ich bezog mich aber wohlweislich nur auf die antike Tradition bis zur Römischen Kaiserzeit.

Und auch die Mnemotechnik hat sich, teils bis zur Unkenntlichkeit, weiterentwickelt. Jenseits von Gedächtnissport und Unterhaltungssendungen kann man das in Ulrich Voigt, Esels Welt - Mnemotechnik zwischen Simonides und Harry Lorayne, Hamburg 2001 nachlesen. Da alles in den historischen Zusammenhang gestellt ist, bekommt man gleich einen Überblick über die historische Entwicklung. Allerdings sollte man die Lektüre wissenschaftlicher Texte beherrschen. (Einfacher, aber weitgehend ohne historische Bezüge und kaum systematisch: Ulrich Bien, Einfach.Alles.Merken., Hannover 2011.) Heute führt die Mnemotechnik, m.E. zu unrecht, ein Nischendasein. Man muss es ja nicht übertreiben, aber es kann doch vieles erleichtern, sich ein paar 'Werkzeuge' herauszusuchen. Es gibt also wenig Bezüge, das Thema schwand seit dem 17. Jh. aus dem Mainstream. Doch wenn man das wissenschaftliche Modell als eine Mnemotechnik versteht, kann man ihren Einfluss auf die heutige Welt kaum zu hoch ansetzen. Und die Katholische Kirche benutzt mnemotechnische Bilder bis heute. In so ziemlich jeder Messe läuft man ihnen über den Weg, Exerzitien sind mit ihnen gepflastert und auch zum Unterricht werden sie genutzt. Und auch zu politischer Propaganda wird sie genutzt.

Die Logik, die ich ansprach, lässt Du aus. Wohl hat das 19. Jh. auch hier einen Neuanfang gestartet, aber die aristotelische Logik ist immer noch gültig. Später wurde da einiges verschlimmbessert, aber sie ist der Ursprung der formalen Logik und baut sowohl auf Platon, als auch auf die Sophisten auf. (Die Argumentationen der Stoa bauen später darauf auf. Neben der Wirkung als 'spanische Stiefel', wie Goethe es nannte, war das wohl ihr großer Einfluss in der Antike. Im Mittelalter huldigte man dem Organon des Aristoteles mehr. Das ist natürlich etwas übertrieben, aber dafür kurz formuliert.)

Also ja, alle drei Gebiete haben gemeinsam, dass sie in der Antike von großer Wichtigkeit waren, während man heute nach ihrem Einfluss suchen muss. Aber die Ursprungsfrage bezog sich ja auf die Antike.
 
Unterm Strich natürlich ein Segen, gar keine Frage. Im folgenden zitiere ich aus einem älteren (hier schon bekannten) eigenen Text eine Passage zum Thema ´Protagoras und Nomos´:

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@ Chan: Ich danke dir für den ausführlichen Beitrag, den ich sehr erkenntnisbringend fand. ich denke man muss zwischen den einzelnen Sophisten unterscheiden , da es zwischen diesen eben Differenzen gibt. Protagoras ist gewiss ein wichtiges Mitglied der Sophisten, ob er aber wichtiger als Gorgias ist, dass ist die Frage. Ich halte beide Sophisten für gleich wichtig, denn auch Gorgias hat ja gewirkt im antiken Griechenland. Ich bin daher nicht sicher, ob man so einfach sagen, dass Protagoras der wichtigste von allen Sophisten war. Philostratos z.B. in seinem "Leben der Sophisten" gilt ja Gorgias als der Vater der sophistischen Bewegung. Zwar wird auch Protagoras von ihm erwähnt, aber mir scheint, dass für Philostratos Gorgias eben der wichtigste Sophist ist und an erster Stelle steht. Zudem unterscheidet er ja auch zwischen einer ersten und einer "zweiten" Sophistik, und man kann sich ja fragen, wie weit man die Wirkung der sog. Zweiten Sophistik auf die antike Kultur von der Wirkung der ersten unterscheiden sollte. Ich glaube es gibt da Unterschiede in der gesellschaftlichen Wirkung zwischen erster und zweiter Sophistik. Hat denn die zweite Sophistik geschichtlich betrachtet das gleiche kulturelle Niveau wie die erste? Oder muss man da unterscheiden? Ich bin da noch nicht ganz sicher.
 
Natürlich ist die heutige Rhetorik eine andere. Einen Eindruck bekommt man schon durch die Einleitung der Übersetzung von Ciceros De oratore duch Harald Merklin (Reclam, zweisprachige Ausgabe). Ich will nicht leugnen, dass viel in unserer heutigen Kommunikation auf antike Vorbilder zurückgeht. Ich bezog mich aber wohlweislich nur auf die antike Tradition bis zur Römischen Kaiserzeit.

@ Riothamus : Ja , ich habe jedenfalls auch den Eindruck, dass die heutige Rhetorik -die sog. "moderne" Rhetorik- sich doch schon unterscheidet von ihrer antiken Form. Es gibt da Differenzen zwischen beiden Rhetoriken, gerade im Bezug auf die antike Tradition. Danke übrigens für die Literaturhinweise dazu, also was die Frage der Mnemotechnik anbetrifft. Meiner Meinung nach, hat die auch nicht denselben Stellenwert in der heutigen Kultur wie das "früher" mal war. Ich kann allerdings auf diesen Punkt nicht differenzierter eingehen, da ich in solchen Dingen eher kein Experte bin, was die Frage der Mnemotechnik anbetrifft.

@Riothamus II: Ja, dass ich Logik nicht thematisierte, das kann sein, dass ich das einfach übersehen hatte als Aspekt bzw. überflogen hatte wie auch immer. Mit dem Hinweis auf die Logik und besonders deren neuere Geschichte im 19. Jahrhundert sei dir gedankt. Allerdings bin ich offen gesagt kein großer Fan der Logik und schätze persönlich den Wert der Rhetorik gegenüber der "trockenen" Logik höher ein. Aber vielelicht ist einfach nur mein persönlicher Geschmack. Das die (aristotelisch-formale) Logik nicht nur auf Platon und Co., sondern zum Teil auch auf den Sophisten beruht, ist mir nicht ganz unbekannt. Es gibt ja soweit ich weiß sowas wie eine sophistische Dialektik/Logik und nicht nur eine platonisch-aristotelische. Ich habe jedenfalls den Eindruck das geschichtlich gesehen in der Vergangenheit die Logik mehr gegenüber der Rhetorik begünstigt wurde und das scheint mir ja auch dein Hinweis auf das Mittelalter zu bestätigen (mit der Bevorzugung des Organon des Aristoteles).



Also ja, alle drei Gebiete haben gemeinsam, dass sie in der Antike von großer Wichtigkeit waren, während man heute nach ihrem Einfluss suchen muss. Aber die Ursprungsfrage bezog sich ja auf die Antike.

Ja meine Ursprungsfrage bezog sich auf die Antike, aber es ist natürlich interessant wenn man Antike und Gegenwart in der Hinsicht miteinander vergleicht und Differenzen/Gemeinsamkeiten sieht.
 
Würde ihr sagen, dass die Sophisten und Co. ein Fluch oder Segen für das antike Griechenland war?
1. für das antike Griechenland?
so weit mir bekannt, spielte keiner der überlieferten Sophisten eine politische Rolle, insofern ist keiner der Sophisten historisch ein Fluch oder Segen für das antike Griechenland gewesen.
2. in Sachen Rhetorik und Philosophie?
hier spielen die Sophisten trotz Platon (der sie ein wenig runterzumachen versuchte) eine relevante Rolle.
 
@dekumatland:

zu 1. ja ich meinte das in Bezug auf die politisch-kulturelle Geschichte des antiken Griechenland. Soweit ich aber weiß, waren Politiker wie Perikles von den Sophisten beeinflusst. Insofern hatten die Sophisten einen gewissen Einfluss auf die Politik, hinsichtlich der Frage der Rhetorik. Eine sollen aber auch politische Ämter gehabt haben in der Polis, vergleich damit, dass z.B. Sophokles auf Grund seiner literarischen Erfolge ein politisches Amt, nämlich das des Strategen in der Polis zugebilligt wurde. Ich bin allerdings da kein Experte.

zu 2. ja das ist natürlich wahr und die geistesgeschichtliche wirkung der sophisten lässt sich kaum anzweifeln . Man könnte ja auch von einem Segen der Sophisten in Bezug auf die Geistesgeschichte sprechen, wenn man so will.
 
Wenn es keine keine aufzeigbare politische Wirkmacht gibt,

sondern nach dem Stand der Dinge nur mögliche, "gewisse" oder sonst unbestimmte Einflüsse, vage Vorstellungen und rudimentäre biographische Kenntnisse,

dann ist das Fragezeichen hinter dem Threadtitel sicher berechtigt (sofern das nicht nur auf die Alternativenwahl bezogen war, sondern ergebnisoffen).

Wenn man nun die Frage der Wirkmacht (bei der man sozioökonomische, politische Kontexte weiter klären müsste) außen vor lässt: sollte man "geistesgeschichtlich" nicht besser auf Lob und Tadel verzichten, zugunsten von Erklärungsansätzen etc. etc. ?

Das soll natürlich den zugebilligten Wert nicht schmälern, sondern zum Hinterfragen anregen.
 
Wenn es keine keine aufzeigbare politische Wirkmacht gibt,

sondern nach dem Stand der Dinge nur mögliche, "gewisse" oder sonst unbestimmte Einflüsse, vage Vorstellungen und rudimentäre biographische Kenntnisse,

dann ist das Fragezeichen hinter dem Threadtitel sicher berechtigt (sofern das nicht nur auf die Alternativenwahl bezogen war, sondern ergebnisoffen).

Wenn man nun die Frage der Wirkmacht (bei der man sozioökonomische, politische Kontexte weiter klären müsste) außen vor lässt: sollte man "geistesgeschichtlich" nicht besser auf Lob und Tadel verzichten, zugunsten von Erklärungsansätzen etc. etc. ?

Das soll natürlich den zugebilligten Wert nicht schmälern, sondern zum Hinterfragen anregen.

Ja ich danke dir für den Hinweis. Ich bin mir allerdings darüber noch nicht so im Klaren, wie man das genau einschätzen kann.
 
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