War die Todesstrafe für Ludwig XVI. gerechtfertigt?

msecure

Neues Mitglied
Hallo liebes Geschichtsforum! :winke:

Im Moment befasse ich mich (wieder mal) mit der Französischen Revolution. Interessant finde ich dabei vor allem die Entwicklung am Ende, also noch vor Napoleon. Eine Frage aber beschäftigt mich seit Tagen besonders:

War die Todesstrafe für Ludwig XVI gerechtfertigt?


Mögliche Argumente:

Ich lasse meinen Gedanken freien lauf und liste mal mögliche Argumente als Basis für eine lebhafte Diskussion auf. Es würde mich freuen, wenn man sich ihnen bedient bzw. Bezug zu ihnen nimmt.

Ja, gerechtfertigt, denn...

1. Ludwig hat unermesslich viel Leid zu verantworten. Seine Todesstrafe ist gerechtfertigt. Mit der Todesstrafe ist er "angemessen" zur Rechenschaft gezogen worden.
2. Nur mit seinem Tod konnte die Monarchie (wenn auch nach der Revolution nur noch konstituell) gänzlich abgeschafft werden.
3. Ludwig war nach wie vor eine Symbolfigur der Monarchie. Seine Todesstrafe war die Vorbeugung gegen die (durch seine Existenz drohende) Wiederherstellung des feudalen Systems. Es sollte allen Monarchisten zeigen, dass ein Kapitel in der Geschichte abgeschlossen wurde.
4. Ludwig vertrat nicht die Leitgedanken der Aufklärung. Er hinderte den Prozess der fortschritlichen Entwicklung hin zur Republik.
5. Die Hinrichtung der Hauptverantwortlichen der Greultaten der ehemaligen Regierung ist ein "natürlicher" Teil und ein klares Symbol jeder Revolution.
6. Über die Todesstrafe wurde mit einer - wenn auch knappen - Mehrheit in der Nationalversammloung abgestimmt. Der Prozess lief also auf demokratischer Basis ab und ist mit dem Freiheits- und Gerechtigkeitsgedanken der Aufklärung völlig legitim.

Nein, nicht gerechtfertigt, denn...

1. Eine Todesstrafe ist immer ungerechtfertigt (siehe hierzu Argumente gegen Todesstrafe von Amnesty International). Töten ist nie gerecht, auch dann nicht, wenn es staatlich angeordnet wird. Auch Mörder haben das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantierte Recht auf Leben. Töten ist schlichtweg unmoralisch. Da man damals noch eine andere Auffassung vom Wert eine Menschenleben hatte, wurde eine tödlichen Verurteilung schneller gefasst. Aus gegenwärtiger (deutscher) Sicht ist es so nicht mehr zu vertreten.
2. Der Tod Ludwigs hatte für die Entwicklung der Revolution keine Bedeutung mehr gehabt, da sie bereits abgeschlossen war. Die Hinrichtigung war damit ein ungerechtfertiges Auslöschen eines Menschenlebens.
3. Durch den Tod des Täters wird nie das (nachträgliche) Leid des Opfers beseitigt.
4. Das Abfangen der flüchtenden königlichen Familie ist fraglich. Die Flucht zeigt, dass Ludwig kein weiteren Anspruch mehr als die Achtung seines Lebensrechtes hat.
5. Im Exil hätte Ludwig keinen "schädlichen Einfluss" auf die politische Entwicklung des Landes machen können. Das zeigen Entwicklungen anderer historischer Epochen (Kaiser Willhelm im holländischen Exil, 20 Jahre friedliche Lebenszeit).
6. Das Urteil ist aus der "Gefühlswelt" entstanden. Es zeigt das damalige rationale Denken und die nicht korrekte Auffassung des Gerechtigkeitsbegriffs. Urteile fielen extrem aus: Alles wurde "weggesperrt", Versuche der Eingliederung von sozial schwierigen Menschen wurden nicht vorgenommen. Die Todesstrafe war leichter als eine fürsorgliche Behandlung. Die Justiz hat damals somit falsch geurteilt, zumindest ist es fraglich, ob der Prozess rechtmäßig nach demokratischem Vorbild verlaufen ist.
7. Das Scheitern der konstitutionellen Monarchie ist (unter anderem auch) auf die allgemeine Unfähigkeit der neuen Legislative (der Uneinigkeit des Dritten Standes) zurück zu führen. Prozess und der Verurteilung sollten beim Volk den Anschein erwecken, alle Probleme der neuen Regierung seien auf das immer noch existierende System und seinem Hauptrepräsentant, den König Ludwig, zurückzuführen.
8. Mit dem Tod wollte eine Gruppe radikaler Reformer, allen vorran Robespierre, eine politische Neuentwicklung hin zur Republik erziehlen. Das dies auf dem einfachsten Weg ein Menschenleben kostete, war den Radikalen gleichgültig angesichts der "Opfer", welche der Absolutismus gefordert hatte.


Was meint ihr?

Hat sich der König wirklich so viel zu schulden kommen lassen, dass eine tödliche Verurteilung gerechtfertigt war? Oder gibt es dafür schlichtweg kein Maß, weil die Todesstrafe in einer Demokratie unter keinen Umständen moralisch vertretbar ist?

Ich freue mich auf eure Stellungnahme. Bitte auf Basis von Fakten argumentieren, und bitte beim Thema bleiben.

Nur zur Info: Ich bin Schüler, 17 Jahre alt, Stufe 11 (Oberstufe), Geschichte GK, Deutsch- u. Sowi LK.

Vielen Danke im Vorraus!!! :winke:
 
Wow!

Wenn es die Auszeichnung "bester Schülerbeitrag" gäbe, dann hättest Du meine Stimme.

Meine persönliche Meinung: Hinter die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die zumindest implizit die Todesstrafe ausschließen, hätte man vom moralischen Standpunkt aus betrachtet nicht gehen dürfen.

Am interessantesten scheint mir Ludwigs Symbolfunktion für das europäische Mächtesystem zu sein. Hier geht es ins Kriegerische und einzelstaatliche Rechtsnormen gelten nicht mehr viel.
 
Hey, danke für deinen Beitrag.

Wow!

Wenn es die Auszeichnung "bester Schülerbeitrag" gäbe, dann hättest Du meine Stimme.

Danke für das nette Kompliment. Ich weiß diese Art der Anerkennung sehr zu schätzen. :)

Meine persönliche Meinung: Hinter die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die zumindest implizit die Todesstrafe ausschließen, hätte man vom moralischen Standpunkt aus betrachtet nicht gehen dürfen.

Das moralische Argument. Meinst du das hat damals schon existiert? Ich meine, was Moral überhaupt ist, wurde immer wieder neu verstanden. Also keine grundsätzliche "Neuinterpretation" des Begriffs, aber eine andere Auffassung bzw. ein anderes Verständnis.

Moral ist doch auch subjektiv, oder? Wenn es die damalige Justiz für vertretbar hielt, wer glaubt dann noch an die Unfehlbarkeit unser gegenwärtigen Auffassung? Amerikaner halten es schließlich bis heute mehrheitlich moralisch vertretbar und es ist im Einklang mit allen Menschen- und Bürgerrechten!

Am interessantesten scheint mir Ludwigs Symbolfunktion für das europäische Mächtesystem zu sein. Hier geht es ins Kriegerische und einzelstaatliche Rechtsnormen gelten nicht mehr viel.

In wie fern war es dem Ausland denn gelegen, dass Frankreich monarchistisch ist? Wenn doch die Rechtsnormen nicht von Bedeutung waren, sondern nur das Kriegerische (Gebietsansprüche etc.?)? Die Reaktion auf diese Tat war doch die Abschreckung. Das Blutvergießen während und nach der Revolution war Auslöser für das Abwenden vieler Menschen, die mit Hoffnung auf die Geschehnisse in Frankreich geschaut haben. Die Verurteilung hatte insofern doch einen negativen Aspekt, das Ziel andere Länder revolutionäre Gedanken zu vermitteln wurde so doch in die Ferne gerückt, nicht wahr?

Mal angenommen die Todesstrafe sei unangemessen gewesen. Wie hätte dann der Prozess verlaufen sollen? Wie sähe dann die "Bestrafung" Ludwigs aus? Etwa die Flucht ins Exil (s. oben Argumente gegen die Tötung)?

Danke noch einmal für deinen Beitrag.
 
Das moralische Argument. Meinst du das hat damals schon existiert?

Wie gesagt: Ich halte den damals universell formulierten Gedanken allgemeiner Menschenrechte für ein gewichtiges Argument - auch gegen die Todesstrafe.

In wie fern war es dem Ausland denn gelegen, dass Frankreich monarchistisch ist?

Insofern, dass das "Ausland" auch monarchistisch war. Eine erfolgreiche Republik hätte Nachahmer auf den Plan rufen können.

Das Blutvergießen während und nach der Revolution war Auslöser für das Abwenden vieler Menschen, die mit Hoffnung auf die Geschehnisse in Frankreich geschaut haben. Die Verurteilung hatte insofern doch einen negativen Aspekt, das Ziel andere Länder revolutionäre Gedanken zu vermitteln wurde so doch in die Ferne gerückt, nicht wahr?

Einerseits würde ich zustimmen. Für viele Menschen waren die Geschehnisse sicher abschreckend. Andererseits hatte die Revolution schon auch Einfluss auf die Herrschenden. Vielleicht übertreibe ich, aber der Versuch, so etwas wie einen "aufgeklärten Absolutismus" einzuführen, ist sicher maßgeblich der Revolution in Frankreich zu verdanken.
 
Wie gesagt: Ich halte den damals universell formulierten Gedanken allgemeiner Menschenrechte für ein gewichtiges Argument - auch gegen die Todesstrafe.

Ich weiß, das Recht auf Leben. Aber ist es nicht mit der Todesstrafe in so fern vereinbar, als das es beim Strafrecht bei schwerern Vergehen erlischt?


Insofern, dass das "Ausland" auch monarchistisch war. Eine erfolgreiche Republik hätte Nachahmer auf den Plan rufen können.

Anfänglich schien es doch zu funktionieren. Bewegungen und Reformen in Deutschland bsp. gab es dennoch keine bzw. erst viel später?

Einerseits würde ich zustimmen. Für viele Menschen waren die Geschehnisse sicher abschreckend. Andererseits hatte die Revolution schon auch Einfluss auf die Herrschenden. Vielleicht übertreibe ich, aber der Versuch, so etwas wie einen "aufgeklärten Absolutismus" einzuführen, ist sicher maßgeblich der Revolution in Frankreich zu verdanken.

Oh nein, das ist bestímmt nicht übertrieben. Ich bin überzeugt davon, dass Friedrich der Große...
 
Wow!

Wenn es die Auszeichnung "bester Schülerbeitrag" gäbe, dann hättest Du meine Stimme.
Hebt sich jedenfalls wohltuend von "Hilfe, ihr müsst mir ganz schnell meine Hausaufgaben machen" ab.

Ihr solltet euch vielleicht mal die Lebenszeit von Fritz in Erinnerung rufen
Friedrich II. (Preußen) ? Wikipedia

Was die Sympathisanten der Revolution abschreckte, war wohl weniger die Hinrichtung Ludwigs, als der Terreur, in dem sich die Revolutionäre schließlich gegenseitig hinrichteten.

"Bestrafung" steht zumindest einmal zu Recht in "" "", weil die Hinrichtung weniger eine Strafe als ein revolutionärer Akt war, durch den ein Gegner der Revolution "unschädlich" gemacht werden sollte. Der Vergleich mit Wilhelm II. geht mMn fehl, weil es nach dessen Abdankung keine nennenswerten ausländischen Bestrebungen gab, ihn und die Monarchie wieder zu installieren - eher im Gegenteil
Leipziger Prozesse ? Wikipedia
Die Monarchen um das revolutionäre Frankreich hatten aber sowohl aus monarchistischem Prinzip wie aus dynastischer Verbindung ein großes Interesse an der Restauration des bourbonischen ancien regime, die nach der Niederlage Napoelons ja auch erfolgte.

Und damit kein Missverständnis aufkommt, ich bin entschieden geegen die Todesstrafe.
 
Ja, gerechtfertigt, denn...

1. Ludwig hat unermesslich viel Leid zu verantworten. Seine Todesstrafe ist gerechtfertigt. Mit der Todesstrafe ist er "angemessen" zur Rechenschaft gezogen worden.
2. Nur mit seinem Tod konnte die Monarchie (wenn auch nach der Revolution nur noch konstituell) gänzlich abgeschafft werden.
3. Ludwig war nach wie vor eine Symbolfigur der Monarchie. Seine Todesstrafe war die Vorbeugung gegen die (durch seine Existenz drohende) Wiederherstellung des feudalen Systems. Es sollte allen Monarchisten zeigen, dass ein Kapitel in der Geschichte abgeschlossen wurde.
4. Ludwig vertrat nicht die Leitgedanken der Aufklärung. Er hinderte den Prozess der fortschritlichen Entwicklung hin zur Republik.

6. Über die Todesstrafe wurde mit einer - wenn auch knappen - Mehrheit in der Nationalversammloung abgestimmt. Der Prozess lief also auf demokratischer Basis ab und ist mit dem Freiheits- und Gerechtigkeitsgedanken der Aufklärung völlig legitim.
Ich habe dazu nur ein paar Fragen, ohne Dich verunsichern zu wollen.

1. Welches "unermesslich viel Leid" soll das denn gewesen sein?

2. + 3. Dagegen kann man ins Feld führen, dass mit ihm die Monarchie nicht erlosch. Wie bei Charles I., welcher der Revolution in England zum Opfer fiel, stand zumindest 1793 nach dem Tod des Königs nach ihm gleich sein Sohn, der Dauphin, der dann ja auch sogleich zur Identifikationsfigur der Royalisten wurde. Nach dessen Tod übernahm der Comte de Provence diese Rolle.

4. Republik und Aufklärung würde ich nicht vermischen (vielen Aufklärern schwebte eher eine aufgeklärte Monarchie vor, einigen war zur Verwirklichung ihrer Ziele sogar ein absolutistischer Herrscher der beste Garant). Richtig ist, dass er sicherlich eine Ausrufung der Republik verhinderte, bzw. dazu auch zum Teil genutzt wurde. Denke mal an die Ereignisse vom Juli 1791, als La Fayette den Sturz der Monarchie verhinderte, denke an das Marsfeldmassaker! Zu diesem Zeitpunkt war es vielleicht nicht Louis XVI selbst, welcher die Ereignisse lenkte. Die Feuillants ( Feuillants ? Wikipedia ) brauchten ihn dann aber doch, um die konstitutionelle Monarchie zu bewahren, wofür sie auch einstanden.

6. Ob das legitim war, war selbst den Zeitgenossen nicht ganz klar. Also ein unabhängiges Gericht, sah bestimmt anders aus.:S (Wobei es damals durchaus usus war, dass die Legislative und Judikative in einer Hand lag. Der König von Frankreich war ja auch im Ancien Régime der oberste Richter.)
 
@msecure

Ich erlaube mir nicht auf jedes Deiner in #1 angeführten Argumente einzugehen, sondern formuliere einfach ein paar Gedanken, durchaus auch provozierend gemeint.

Zuersteinmal, Du vermengst in Deinem Argumentarium bei der Abwägung des "Für und Wider" der Todesstrafe gegen L. XVI. Argumente des überpositiven Rechtes (Naturrecht) mit denen des positiven Rechtes. Das kann man tuen, führt aber aber am Ende des Tages immer zu Kant => "kategorischer Imperativ" inkl. Nachfolgern.
Kategorischer Imperativ ? Wikipedia

Geschichtsphilosophisch kollidiert das meist mit, in der Zuspitzung liegt die Auffassung, mit Leopold von Ranke => "Jede Epoche ist direkt zu Gott"
http://de.wikipedia.org/wiki/Historismus_(Geschichtswissenschaft)

Damit hätten wir den geschichtsphilosophischen Spagat einer ex post Betrachtung des Ereignisses.

Cui bono? Eine Restauration der bourbonischen Monarchie war immer latent, so lange es Thronprädenten gab und die gab es wie wir wissen und, nicht zu unterschätzen, sie eine legitimatorische Basis in der französischen Gesellschaft hatten.

Nicht umsonst ermordeten die russischen Kommunisten die gesamte Familie Romanow.
Haus Romanow-Holstein-Gottorp ? Wikipedia

Die französische Revolution war, aus Sicht der Protagonisten, gleichsam unumkehrbar nach dem "Königsmord".

"Tyrannenmord" => "Königsmord" => "Vatermord"

Unterschätze dabei nicht, daß was wir heute als "dynastische" Bindung beschreiben, eine Bündelung von relegiösen, perönlichen, tradierten usw. gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu dem jeweiligen Herrscher.

M.

P.S.: Schau Dir mal die Bilder von David an, die "Herrschaftssymbolik" eines Napoleon greift auf eine vormoderne Symbolsprache zurück.
 
@ kein neues Thema, aber schön, dass sich ein 17jähriger für Geschichte interessiert, was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist! Und dass dann soviele Gedanken dabei herumkommen, Kompliment!

Ich will mich nur einem Punkt widmen:

5. Im Exil hätte Ludwig keinen "schädlichen Einfluss" auf die politische Entwicklung des Landes machen können. Das zeigen Entwicklungen anderer historischer Epochen (Kaiser Willhelm im holländischen Exil, 20 Jahre friedliche Lebenszeit).

Ich bin wie @Brissotin der Meinung, dass das Leid der damaligen Zeit nicht auf Ludwigs XVI. Rücken gehört.

Er hatte lediglich "auszubaden", was seine Vorgänger ihm hinterließen, auch wenn dies durch seine Schwäche begünstigt wurde.

Keinen schädlichen Einfluss? Vielleicht nicht Ludwig XVI. - wobei das nicht bewiesen werden kann - aber es bedurfte seiner gar nicht: er hatte schließlich zwei Brüder: Monsieur, den späteren Ludwig XVIII. und Artois, den späteren Karl X.

Artois war schon am 17. Juli 1789 kurz nach dem Sturm auf die Bastille ins Exil geflohen, Monsieur folgte ihm später. Beide konspirierten in Koblenz gegen die Revolution. Der Prinz von Condé (auch ein Bourbone) stellte eine Emigrantenarmee auf. (24000 Mann)
Es gab eine Exilregierung (unter Calonne), die zwar von den Mächten nicht anerkannt wurde, dennoch an den Höfen präsent war und bourbonische Politik vertrat.

Wenn ich sage bourbonische Politik, dann heißt dies nicht, dass damit Ludwig XVI. gemeint war: "Gegenüber Ludwig XVI., der auch trotz der Deklaration von Pillnitz, dem eigenen Land und seiner Verfassung treu bleiben wollte, gingen die Brüder in Koblenz auf Distanz. Das machten sie in einem offenen Brief vom September 1791 deutlich, in dem sie nicht nur an traditionellen Vorstellungen von monarchistischer Herrschaft und ihrer Legitimation, sondern auch am intransigenten (unbeugsam, unnachgiebig, exci) Kurs, ungeachtet des persönlichen Schicksals der königlichen Familie, festhielten. Sie meinten, einzig im Interesse der französischen Monarchie zu handeln und dies stellvertretend für den königlichen Bruder, der ihr Vorgehen billigen würde, wäre er nur frei." [1a]

Aber nicht nur die machtpolitischen Bestrebungen der Prinzen gefährdeten den König:
"Als die Legislative am 6. Dezember 1791 Provence unter Berufung auf die einschlägigen Bestimmungen der neuen Verfassung aufgefordert hatte, nach Frankreich zurückzukehren, wenn er nicht riskieren wollte, sein Recht auf eine gegebenfalls erforderliche Regentschaft zu verlieren, antwortete er nicht nur ablehnend, sondern bediente sich auch einer ironischen und verächtlich machenden Sprache, die die politischen Akteure in Paris aufbrachte und die Lage für die königliche Familie weiter zuspitzte. In diesem Schreiben war zu lesen: "Leute der französischen Versammlung, die sich Nationalversammlung nennt, die gesunde Vernunft verlangt von Euch gemäß der Abteilug I, Sektion I, Artikel I, der unverjährbaren Gesetze des gesunden Menschenverstandes, innerhalb von zwei Monaten wieder zu Euch zurückzufinden (also wieder zur Vernunft zu kommen). Widrigenfalls wird man Euch als solche behandeln, die ihr Recht aufgegeben haben, wie vernünftige Wesen behandelt zu werden. Ihr werdet fortan wie außer sich geratene Verrückte betrachtet werden, die in eine Irrenanstalt gehören.""[1b]

Nach dieser Rhetorik kann es nicht verwundern, dass Marie Antoinette den biblischen Bruderkonflikt bemüht haben soll: ""Kain, Kain! Ein Bruder! Monsieur liefert uns aus, er ermordet uns! Welch' eine Seele aus Eisen!"" [1b] Ludwig XVI. kommentierte: ""Ich sehe, dass Sie mehr an sich denken als an mich."" [1b]

Der Rhetorik Monsieurs ist nichts hinzuzufügen, unversöhnlicher kann eine Einstellung nicht sein. Sie ist auch nachvollziehbar, Monsieur (noch mehr Artois) sind die Vertreter des Absolutismus.
Es kann daher nicht wundern, dass das Wirken der Prinzen aus dem Ausland! den Tod des Königs befördert hat.

Dass die Bourbonen (im Exil!) nicht zu vernachlässigen waren, zeigt sich auch am duc d'Enghien, den Bonaparte erschießen ließ, um den Machtanspruch des Könighauses zu "verscheuchen".

Grüße
excideuil

[1] Malottke, Klaus: Die Bourbonen, Bd 3, Stuttgart, 2009, a) Seite 14, b) Seite 15
 
Eine kleine Ironie der Geschichte war für mich, als ich angefangen habe, mich mit der Revolution über den Gechichtsunterricht hinaus zu beschäftigen, dass sich Robespierre anfänglich gegen die Todesstrafe an sich eingesetzt hatte (damit stand er allerdings unter den Juristen nicht ganz allein).
 
Beinhaltete den die Erklärung der Menschenrechte von 1789 die Abschaffung der Todesstrafe? Die gab es doch noch über ein Jahrhundert lang in Frankreich, egal ob in der Restauration, Empire oder Republik. Amnasty International gab es damals übrigens noch nicht.

Was das Für und Wider anbelangt, so war das wie in jedem Abschnitt der Geschichte eine Frage des Standpunktes. Für Royalisten waren dies natürlich ein Sakrileg, Anhänger des Prinzips der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz sahen das wiederum anders. Und demnach konnte jeder Mensch für seine Taten entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden, egal ob König oder Bauer.

Was nun Ludwig XVI. anbelangt, so sollte man sich die gegen ihn Erhobene Anklage und die Urteilsbegründung einmal anschauen. Da war doch auch etwas von Hochverrat (Flucht von Varennes) dabei. Mag sein das er an sich ein lieber netter Mann gewesen war, doch dummerweise war er zur falschen Zeit (Revolution) am falschen Ort (Thron). Er war eben König und stand damit ganz am Anfang der Befehlskette und hatte damit zuletzt die Verantwortung zu tragen, egal ob die Misstände in erster Linie auf die Unfähigkeit seiner Minister beruhten. Die Revolutionäre haben eben den Spies umgedreht und die Sch***e nach oben fallen lassen, wo sie am Ende bei Louis landete, was ihm Thron und Kopf kostete.
 
Ich bin wie @Brissotin der Meinung, dass das Leid der damaligen Zeit nicht auf Ludwigs XVI. Rücken gehört.

Er hatte lediglich "auszubaden", was seine Vorgänger ihm hinterließen, auch wenn dies durch seine Schwäche begünstigt wurde.

Rein analytisch werden jetzt aber erklärungsbedürftige Konstrukte eingeführt.

Ein absolutistischer Monarch, der aus unterschiedlichen Gründen wohl nicht mehr die Machtvollkommenheit hatte wie seine Vorgänger und der vielleicht auch in Teilen der Bevölkerung vielleicht auch beliebt war (das alles aber nur von Hörensagen), wird plötzlich in seiner persönlichen Zuordnung zu politischen Prozessen analysiert und nicht mehr als Institution.

Vielleicht hätte er ja manches anders machen wollen. Als Person und Privatman betrachtet war eine Hinrichtung vielleicht nicht angemessen, unter strafrechtlichen Gesichtspunkten.

Aber er ist nicht als "Bürger" gestorben, sondern als die sterbliche Hülle des Systems, das er verkörpert hat. Es ist die zentrale Institution des Ancien Regime gerichtet worden.

Dass dieses Regime nicht nur aufgrund der antiquierten Wirtschaftsstruktur und des "feudalen" Steuersystems eine massive soziale Ungleichheit zu verantworten hatte, soll doch betont werden.

In diesem Sinne hat Ludwig XVI und sein Herrschaftssystem einem großen Teil seiner Untertanen (mehr als 80 Prozent) die Chance genommen, sich entsprechend ihrer eigentlich vorhandenen Möglichkeiten zu entwickeln. Und dieses würden wir aus der heutigen Sicht als ein "Gewalt-Verhältnis" diagnostizieren, das durch die unterschiedlichen Arten von "Macht" durchgesetzt wurde.

Und deshalb setzten die Bestrebungen der Aufklärung respektive der FR genau an dieser Herrschaftsstruktur an, die hierarchisch bedingte Reduzierung von Chancen, aufzuheben. Und die nicht unerheblichen Privilegien des Adels und die damit verbundene Möglichkeit zur Bereicherung deutlich zu beschränken.

Und es ist durchaus keine Ironie der Geschichte, wie Brissotin mein, sondern die Radikalisierung im Rahmen einer Revolution, die die Haltung der unterschiedlichen Fraktionen dynamisiert hat. Und auch die Protagonisten der Konterrevolution sind nicht gerade zimperlich im Umgang mit anders Denkenden gewesen.

Man kommt wohl nicht um den Fakt umhin, dass im Rahmen von Bürgerkriegen im Vendee und externen Kriegen zuerst die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin wie @Brissotin der Meinung, dass das Leid der damaligen Zeit nicht auf Ludwigs XVI. Rücken gehört.

Er hatte lediglich "auszubaden", was seine Vorgänger ihm hinterließen, auch wenn dies durch seine Schwäche begünstigt wurde.
Hm, eigentlich wollte ich damit nicht sagen, dass er nicht schuldig war. Ich frage mich nur danach, in welchen Fällen ihm denn tatsächlich die Schuld zuzuweisen ist. Ich selber finde die Einordnung schwierig.

Wenn wir das Ganze aus der Sicht der Radikalen unter den Revolutionären (und heutigen Apologeten) ist die Schuldfrage eindeutig. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass natürlich die Radikalen vieles m.E. dramatisierten bzw. überspitzten - bewusst oder "unbewusst", also ob nun nur als Mittel zum Zweck oder im guten Glauben und mit bestem Gewissen, wird sich heute eh nicht mehr klären lassen.
 
Und es ist durchaus keine Ironie der Geschichte, wie Brissotin mein, sondern die Radikalisierung im Rahmen einer Revolution, die die Haltung der unterschiedlichen Fraktionen dynamisiert hat. Und auch die Protagonisten der Konterrevolution sind nicht gerade zimperlich im Umgang mit anders Denkenden gewesen.
Hm, ich weiß nicht. Warum soll darin nicht eine bestimmte Ironie der Geschichte liegen?
Mir ist schon klar, dass sich die Revolutionäre radikalisierten. Aber man darf meines Erachtens durchaus einfach die Haltung von Robespierre von 1791 und die von 1793 miteinander vergleichen. Wer nur die eine sieht, hätte ja denken können, dass er später leichterdings als einer der Indulgenten hätte enden können, wenn er konsequent weiterhin gegen die Todesstrafe gewesen wäre.

Was würdest Du denn als "Ironie der Geschichte" bezeichnen? Bring mal Beispiele! Ich denke, dass vieles als Ergebnis der Wandlung einer Gesellschaft oder einer bestimmten Person relativiert werden kann.:winke:
 
Von mir aus kann es eine Ironie der Geschichte sein, dass derjenige, der für den Tod von Ludwig XVI durch die Guillotine mit verantwortlich war, auch durch dieses Instrument zu Tode kam.

Das ist für mich persönlich ein untergeordneter Aspekt vor dem Hintergrund der komplexen Interaktion und Dynamisierung von Paris, seinem französischen Umfeld und den umgebenden Monarchien.
 
@Thane

Was L XVI. gemacht hat, das wäre auch heute noch Hoch- und Landesverrat, als konstitutioneller Monarch hätte er niemals flüchten dürfen. Ich bin kein Jurist, darüber sollten Rechtshistoriker schreiben.


"...Aber er ist nicht als "Bürger" gestorben, sondern als die sterbliche Hülle des Systems, das er verkörpert hat. Es ist die zentrale Institution des Ancien Regime gerichtet worden. ..."

Hervorhebung durch mich.

Ich will Dich jetzt mit Absicht mißverstehen. Damit wären wir dicht am Terrorismus, diesen Satz hätte auch Ulrike Meinhof oder Gudrun Ensslin schreiben können.

Ich weiß, eine unfaire Beweisführung, aber einer der Du Dich stellen mußt.

Revolution muß nicht zwangsläufig in eine Radikalisierung beider Seiten führen, allerdings in der FR führte sie dazu - korrekt.


M.
 
Ein absolutistischer Monarch, der aus unterschiedlichen Gründen wohl nicht mehr die Machtvollkommenheit hatte wie seine Vorgänger und der vielleicht auch in Teilen der Bevölkerung vielleicht auch beliebt war (das alles aber nur von Hörensagen), wird plötzlich in seiner persönlichen Zuordnung zu politischen Prozessen analysiert und nicht mehr als Institution.

Vielleicht hätte er ja manches anders machen wollen. Als Person und Privatman betrachtet war eine Hinrichtung vielleicht nicht angemessen, unter strafrechtlichen Gesichtspunkten.

Aber er ist nicht als "Bürger" gestorben, sondern als die sterbliche Hülle des Systems, das er verkörpert hat. Es ist die zentrale Institution des Ancien Regime gerichtet worden.

Der Sturm auf die Bastille wird heute als Beginn der FR gesehen und war gegen das Symbol der Tyrannei des ancien régime gerichtet.
Ebenso geht in Ordnung, Ludwig XVI. als Institution, als Symbol des ancien régime zu sehen und es gäbe wohl keine Frage von Schuld oder Unschuld, wenn er am Beginn der Revolution als dieses Symbol hingerichtet worden wäre.

Ist er aber nicht. Und damit fangen die Fragen an.

Meines Wissens gab es wenige, - ohne das weiter zu vertiefen - die sich eine Welt ohne König vorstellen konnten - selbst nicht unter den Revolutionären.
Es wurden die Vorrechte des Adels beseitigt, die Macht der Kirche gebrochen, die Menschenrechte proklammiert ... und der König lebte, wirkte jetzt als konstitutioneller Monarch. Und der wollte, wie ich weiter oben ausführte: "dem eigenen Land und seiner Verfassung treu bleiben".
Die Ziele der Revolution waren doch erreicht.

Sicherlich sorgten die Vetos Ludwigs für Ärger aber sie beruhten auf der Grundlage der gültigen Verfassung!

Das ancien régime, als dessen Symbol Ludwig gilt, war zu dem Zeitpunkt als Ludwig starb, Geschichte! Sein Tod kann diesen Symbolcharakter also nicht mehr beanspruchen.
Wenn wir eine Rechtfertigung für seinen Tod suchen, dann woanders: äußere Bedrohung, innere Machtkämpfe zwischen den revolutionären Gruppierungen und konterrevolutionäre Bewegungen fallen mir da ein.

Grüße
excideuil
 
Ich will Dich jetzt mit Absicht mißverstehen. Damit wären wir dicht am Terrorismus, diesen Satz hätte auch Ulrike Meinhof oder Gudrun Ensslin schreiben können.

Du kannst mich gerne mißverstehen, aber die Parallele trifft nicht zu.

Im Fall der Revolution gab es eine Form von Legalität und auch eine der Legitimität für das Handeln der Institutionen der Revolution.

Diese Voruassetzungen waren für die RAF nicht erfüllt, auch wenn die Mitglieder es in einer tragischen Verblendung subjektiv anders sahen.

Unabhängig davon stellt sich beispielsweise für Kuba / Castro bzw. Vietnam / Ho (und andere Befreiungsbewegungen) grundsätzlich die Frage der Legitimation im Falle von Aktionen gegen ein Regime, das sich formal auf die Legalität seines Handelsn berufen kann und nicht selten pseudo legitime Begründungen für die Rechtmäßigkeit seines Handelns nachliefert.

Es läßt sich aber auch, aus der Sicht der Aufklärung völlig gerechtfertigt, die Frage nach der Legitimation der Herrschaft des Ancien Regime stellen, vor dem Hintergrund der philosophischen Annahmen der Aufklärung. Und somit Herrschaft vor dem Hintergrund universeller Menschenrechte thematisieren.

Somit kommen wir wohl kaum umhin, vor ddem Hintergrund dieser Polarität das Vorhandensein von modernen Menschenrechten als formale Anforderung zu definieren, die eine Legalität und Legitimität von Herrschaft begründet. Und im Umkehrschluß zu schlußfolgern, dass sofern sie nicht vorliegen, die Herrschaft nicht legitim sei.

Sofern Legitimation nicht vorhanden ist, besteht somit die legitime Forderung, sie einzuklagen. Sofern sich ein Herrschaftsregime nicht auf diese Forderungen einläßt, besteht aus meiner Sicht die Legitimation, sich diese Grundrechte zu erkämpfen, wie beispiels weise unter anderem im Fall der amerikanischen Unabhängigskeitsbewegung.

Und das im Fall der RAF diese Situation eines entscheidenden Legitimationsdefizits nicht gegeben war, an diesem Punkt werden wir uns wohl sehr schnell einigen können.
 
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