War Germanien für die Römer attraktiv?

Wenn ich mich recht erinnere, schreibt Ralf-Peter Märtin, dass die LEC I Germanica kurz nach der Varuskatastrophe durch die Zwangsrekrutierung römischer Bürger neu aufgestellt wurde. Anschließend wurde sie nach Germanien geschickt, wo sie sich - wider aller Erwartung - durch Tapferkeit auszeichnete und an Germanicus' Rachefeldzügen teilnahm.
 
Lieber Tib. Gabinius

Ich denke, Du hast Unrecht.

Die von Dir genannte Tacitus-Stelle kenne ich natürlich auch, meine jedoch, sie muss (!) anders gelesen (und verstanden) werden:

Bekanntermaßen sprach Germanicus zu den Legionen, die meuterten.

Diese Legionäre verlangten – erstens und völlig zu recht! – eine Verbesserung ihrer Lebensumstände (Sold, Dienstzeit etc.).

Die wollten – zweitens – dass Germanicus sich an Stelle des Tiberius zum Pinceps ausrufen lassen sollte.

Der „harte Knochen“ Tiberius war nämlich – auch das ist bekannt – noch nicht lange Princeps (seine Position also noch keineswegs gefestigt) und zudem auch ziemlich unbeliebt.

Auf diesen LETZTEREN Umstand bezieht sich die Ansprache des Germanicus.

Bei Amtsantritt des neuen Princeps wurden die Legionen nämlich durch Eid dem Princeps persönlich verpflichtet – und bekamen dann sozusagen offiziell ihre Feldzeichen vom neuen Princeps verliehen.

Also eine zeremonielle Wieder-Verleihung im Zuge des Regenten-Wechsels, beileibe keine Neuaufstellung.

DAS ist meiner Auffassung nach gemeint, wenn Germanicus die „von Tiberius verliehenen Feldzeichen (und nicht „Adler“, wie Du schreibst!!) “ nennt.

Als Beleg für diese Auffassung mag Dir dienen, dass Germanicus nicht nur die Männer der LEG. I sondern auch die der gleichfalls meuternden LEG. XX. in seiner Rede anspricht, die ja gleichfalls ihre Feldzeichen von Tiberius erhalten haben sollten.

Von der XX. aber wissen wir mit Bestimmtheit, dass sie bereits im pannonischen Aufstand (6 bis 9 u. Z.) kämpfte, also keineswegs nach der Varusschlacht neu aufgestellt wurde!

Mit der LEG I wird es sich nicht anders verhalten haben.


Lieber Cato:

Was der Herr Märtin dazu sagt, ist reine Mutmaßung. Ich halte dem entgegen, dass die Angehörigen der LEG's I und XX während besagter Meuterei eine kürzere Dienstzeit und insbesondere Freistellung der Vereranen vom Lagerdienst forderten, da man die Veteranen aufgrund der angespannten Lage nicht davon freigestellt hatte, worauf die ein Anrecht hatten.

(Veteranen mußten nach dieser Regelung zwar KÄMPFEN, aber weder Schanzen noch Wache stehen etc.)

Wo sollen in einer hastig aus Ungedienten zwangsrekrutierten Legion Veteranen mit 25-30 Jahren Dienstzeit herkommen?

Meinethalben als Unterführer - aber bei Tacitus ist ausdrücklich von einfachen Soldaten die Rede.

Gruß
 
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Deine Interpretation wird weder durch die Textstelle, die Sachlage noch die Handhabung römischer signa gestützt.

Zum Text:
Tac. Ann. 1,42
primane et vicesima legiones, illa signis a Tiberio acceptis, tu tot proeliorum socia, tot praemiis aucta, egregiam duci vestro gratiam refertis?

Es werden gezielt zwei Legionen, die I. und die XX. angesprochen. Nicht die meuternden Truppen, weder an den Grenzen noch im rheinischen Kontext.
Diese erhielten die Feldzeichen von Tiberius, was ein Akt der Aushebung, nicht der Vereidigung ist. Damit kommen wir auch bereits in den Sachlagenbereich.
Die bereits vorher angeführte Tacitusstelle zeigt deutlich die Praxis, in der die Legionen auf einen neuen bzw. jedes Jahr aufs neue auf den alten Kaiser vereidigt wurden, nämlich durch das sacramentum:
Tac. Ann. 1,37
primam ac vicesimam legiones Caecina legatus in civitatem Vbiorum reduxit turpi agmine cum fisci de imperatore rapti inter signa interque aquilas veherentur. Germanicus superiorem ad exercitum profectus secundam et tertiam decumam et sextam decumam legiones nihil cunctatas sacramento adigit. quartadecumani paulum dubitaverant: pecunia et missio quamvis non flagitantibus oblata est.

Hier wird deutlich, dass die Feldzeichen nicht nur nicht in Frage gestellt wurden, sondern dass der ganze Anlaß zur Meuterei ja genau jenes sacramentum, jene Vereidigung ist, die jene Stelle einnimmt, die du gerne einer "Neuerverleihung" der Adler und signa geben würdest.
Die symbolische Bedeutung der Treue zum Kaiser haben im übrigen nicht die Adler sondern die imagines, die Abbilder der Kaiser und ihrer Angehörigen, welche die Legionen mit sich führten (eines welches mutmaßlich Tiberius zeigt hat sich sogar erhalten). Dementsprechend müßten die "Bilder" hier angesprochen werden, wie sie es denn dann auch in späteren Aufständen tun.
Hier ist aber von signa der Fall gewesen.

Man könnte nun noch auf den Hintergrund des Besitztes der Adler verweisen, die zwischen Existenz und Auflösung entscheiden.
Fakt ist aber, die Interpretation der Neuvereidigung und des Hinweises durch Germanicus darauf verbietet sich wegen
1. der Praxis der jährlichen Neuvereidigigung auf den Kaiser OHNE neue Feldzeichen
2. der Grundlage des verweigerten sacramentums als Ursache des Ganzen Aufstandes und somit eines klaren Hinweises auf den Vorgang der "Neuvereidigung".
3. der Annahme eines unbekannten und unüblichen Umganges mit den aquila.
4. der eindeutigen Ansprache bestimmter, meuternder Legionen

Übrigens ist es nicht allein "meine" Annahme, sondern sie stammt bereits aus der Feder Mommsens und wurde von Ritterling, dem Verfasser der Legionsgeschichten in der RE noch einmal untersucht. Erst der Neue Pauly nimmt die neuere, die Textstelle des Tacitus stark ignorierende Gründungszeit an.
Die m.E. berechtigte Kritik wäre die Germanicusrede per se in Frage zu stellen, wobei im allgemeinen die meisten Details im Aufstandskontext als zutreffend betrachtet werden.

Wenn wir also über Bekanntes sprechen, dann ist das oben genannte sämtlich "Altbekanntes".
 
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Nachtrag auf ein paar von mir übergangene Argumente:
1. was die XX. angeht, so muß keineswegs eine Neuverleihung oder Neuaushebung hier angenommen werden, immerhin spricht Tacitus durch Germanicus die eine als Empfängerin der Feldzeichen an, die andere als verdiente Schlachtbegleiterin.
Eine zugegeben alte aber wie ich finde schöne Übersetzung z.B. nimmt besagte Passage so vor:
"Ihr aber, die 1. und 20. Legion, jene durch von Tiberius empfangene Feldzeichen, du, seine Gefährtin in so vielen Schlachten, durch so viele Belohnungen geehrt (...)."
Hierin wird also unterschieden.

2.
DAS ist meiner Auffassung nach gemeint, wenn Germanicus die „von Tiberius verliehenen Feldzeichen (und nicht „Adler“, wie Du schreibst!!) “ nennt.
i.d.R. geht man bei der Formulierung des Verleihens von Feldzeichen von der Ausgabe der neuen Feldzeichen für die neuen Truppen aus. Belohnt man eine Einheit, schenkt man ihnen Dekor, i.d.R. phalerae oder anderen Schmuck. Ein Austausch der von den Truppen hoch angesehenen Feldzeichen hätte eher eine gegenteilige Wirkung.
Und da wir hier von einer Legion sprechen, nahm ich verallgemeinernd und stellvertretend den aquila heraus. Ich nahm an, das dieser Schritt im Bekannten nachzuvollziehen war.
Übrigens reicht ein Ausrufungszeichen vollkommen. Sollte es um Darstellung meiner Position (insbesondere als falsch) gehen, würde zitieren sich besser eignen.
 
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