War Rom ein Minimalstaat?

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Tazituz

Gast
(Bitte erst lesen, dann mit Tomaten werfen, bitte.)

Ich habe einmal gelesen, Rom sei ein ausgesprochener Minimalstaat gewesen: Er interessiere sich nur für das Einziehen von Steuern und das Aufstellen von Heeren und lasse sonst bestehende Strukturen (Familienclans, Armut und Reichtum der neuen Bürger, religiöse Institutionen, teilweise "Mikroverwaltung") unangetastet. Dies soll sogar so weit gegangen sein, dass in einen Gebieten des römischen Weltreiches die bestehende Rechtsordnung weiter bestand (könnte auch daran liegen, dass es keine Berufsrichter gab und die Justiz mehr durch einfachen Bürger und ihren Gerechtigkeitssinn geprägt wurde und so der Eindruck entstand) und durch Rom nicht angetastet wurde.

Ich halte diese Darstellung nach meinen bescheidenen Wissenstand für relativ realistisch: Die meisten Quellen, die wir für römische Geschichte haben, befassen sich in erster Linie mit Italien und Rom, da die Chronisten und Historiographen selbst dort lebten. Die entfernten Kolonien tauchen seltener auf und werden dort doch eher "aussen-", bzw. sicherheitspolitisch behandelt. So kommt in der römischen Geschichte das Bauenen eines Theaters in der Stadt Rom durch den Kaiser sicherlich ausführlicher vor, als wenn der lokale Dorfherr in einer entferten Provinz gleich die ganze Verwaltung komplett ändert.

Auch habe ich mal die Behauptung gehört, viele Provinzen des römischen Reiches seinen de jure weiterhin nur "Verbündete" Roms gewesen. So kam es in den Vorchristlichane Jahrhunderten zum sog. "Bundesgenossenkrieg", indem die italienischen "Verbündeten" Roms, über die de facto schon lange eine Hegomonie bestand, um die Rechte als römische Bürger kämpften, um die ihren Herren gleichgestellt zu sein. Auch in der biblischen Geschichte (Als Quelle Autsch, ich weiß) ließt man etwa von König Herodes Antipas usw., was eher den Eindruck erweckt, Rom sei wenig zentralistisch mit seinen Provinzen verfahren.

In dem Zusammenhang kann man sich fragen, welche Recht ein vom Senat bestellter Statthalter wohl wirklich gehabt haben mag, grade unter den Kaisern nach Augustus, die den Senat als Institution wohl nicht sehr schätzten. Die vom Imperator selbst bestellten Statthalter waren ja oft nicht mehr als Ober-Oberbefehlshaber für die entsprechedne Provinz, um die Grenzen dicht zu halten. Mit Ausnahme von Ägypten natürlich, das sicherheitspolitisch durch seine Kornkammerfunktion auch unersetztlich war.

Merkte ein durchschnittlicher Bewohner einer Provinz überhaupt, dass er zu Rom gehörte? Die Frage stellt sich grade bei den britischen Inseln (immerhin seit Cäsar "umkämpft" und spät eingegeliedert) oder den umstrittenen Rechtsrheinischen Besatzungen.
Ebenso ist die Christenverfolgung dagegen kein wirklicher Beweis für das Gegenteil, da die Christen (fälschlicherweise) als ernsthafte Bedrohung für das römische Reich wahrgenommen wurden.

Diese Zurückhaltung Roms änderte sich erst so richtig, als das Frühmittelalter began und z. B. Bauern gesetztlich an ihre Scholle gebunden wurden...

Deshalb lauten meine Fragen:
1. Stimmt es, das Rom ein ausgesprochener Minimalstaat war?
2. Auf welche Epochen mag sich das beziehen? (Jetzt bitte mit Tomaten werfen...)
 
Merkte ein durchschnittlicher Bewohner einer Provinz überhaupt, dass er zu Rom gehörte?

Spätestens dann, wenn er dem römischen Präfekten Steuern abliefern musste.

Ebenso ist die Christenverfolgung dagegen kein wirklicher Beweis für das Gegenteil, da die Christen (fälschlicherweise) als ernsthafte Bedrohung für das römische Reich wahrgenommen wurden.

Ein Land, in dem Mord, Diebstahl, Raub und Plünderung an der Tagesordnung sind, kann nicht wirklich gedeihen. Gedeihen kann ein Land bzw. eine Provinz nur, wenn eine Rechtsordnung vorhanden ist und wenn diese durchgesetzt wird (Justiz, Sanktionierung, Vollzug). Nicht zuletzt durch Handel wird man reich, das haben auch die Römer gewusst und Zollstationen aufgebaut (z.B. in Zürich, Schweiz). Handel gedeiht nur, wenn es gute Strassen oder Schifffahrtswege gibt. Die Römer waren in Sachen Strassenbau ziemlich aktiv, deshalb gab es ja die Römerstrassen. Handel setzt auch voraus, dass man einigermassen sicher Waren transportieren kann (womit wir wieder beim Thema Justiz wären).

Was die Christenverfolgung anbelangt: die Römer verlangten von ihren Untertanen die Unterwerfung. Zu dieser Unterwerfung gehörte auch dazu, dass man dem Kaiser ein Opfer darbrachte. Die Christen sind der Ueberzeugung gewesen (und sind es wohl noch heute), dass man niemandem anderen ein Opfer darbringen darf als dem eigenen Gott und sahen dieses Opfer als Frevel an (weigerten sich, es darzubringen). Die Römer sahen diese Weigerung als allgemeine Gehorsamsverweigerung gegen Rom an und bestraften deshalb die Christen.

Die Römer waren ansonsten sehr tolerant was andere Religionen betrifft; sie wussten sehr wohl, dass eine Bekämpfung einer anderen Religion einen Volksaufstand bewirken konnte. Ausnahme: wenn sie den Eindruck hatten, dass religiöse Bewegungen einen Aufstand gegen Rom planten (Beispiel: Druidenverbot).

Diese Zurückhaltung Roms änderte sich erst so richtig, als das Frühmittelalter began und z. B. Bauern gesetztlich an ihre Scholle gebunden wurden...

Meines Wissens war die Höhe der Steuerabgaben abhängig vom Land"besitz" (egal ob gepachtet, Lehensnehmer oder wie auch immer). Wenn also ein Bauer "verduftete", mussten andere (z.B. Familienangehörige) entsprechend mehr Steuern abliefern. Also war man de facto schon damals weitgehend gebunden.

Deshalb lauten meine Fragen:
1. Stimmt es, das Rom ein ausgesprochener Minimalstaat war?

Rom war insofern ein Minimalstaat, da man ja nicht in erster Linie in die Provinzen investieren wollten, sondern man wollt Profit daraus ziehen. Einwandfreie bestehende Strukturen hat man also nicht zerstört, sondern beibehalten. Primäres Ziel war ja den eigenen Reichtum zu vergrössern, deshalb hat man auch die Goldschätze in den Provinzen geplündert.

Eigentlich geht es um eine einfache betriebswirtschaftliche Formel: mit möglichst wenig Investitionen möglichst viel Profit erzielen.

2. Auf welche Epochen mag sich das beziehen?

Das wird wohl in der Praxis ziemlich schwankend gewesen sein:
- wenn man ein neues Gebiet erobern wollte oder es an einem andern Ort gerade einen Aufstand gab, dann hat man einenorts Truppen abgezogen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rom ist für uns heute ein Minimalstaat, für die damalige Zeit sicher nicht, vorallem als das Berufsherr eingeführt wurde.

Der Grund weil man keine Sozialen Institutionen wie wir sie heute kennen hatten lag an der Familie die diese übernahm, und der unfinanzierbarkeit.

Die meisten Römer waren arme Bauern und Handwerker wie sollte man ihnen so hoche Steuern abluchsen wie das in den modernen Staaten passiert.
 
Rom ist für uns heute ein Minimalstaat, für die damalige Zeit sicher nicht, vorallem als das Berufsheer eingeführt wurde.

Das Rom ein Berufsheer einführte, hat ganz logische Gründe: man sah ein, dass man - ganz salopp gesagt - mit einer Horde nur dürftig ausgebildeter Bauern oder so nicht gut Schlachten gewinnen kann: es war von zentraler Bedeutung, dass die Soldaten ihren Befehlsgebern gehorchten. Ansonsten liefen sie im offenen Feld direkt auf den Gegner zu anstatt sich zuerst in eine gute strategische Stellung anzueignen. Ohne Berufsarmee wäre das Römische Reich wohl kaum auf seine gigantischen Dimensionen angewachsen.

Die meisten Römer waren arme Bauern und Handwerker wie sollte man ihnen so hoche Steuern abluchsen wie das in den modernen Staaten passiert.

Da gab es aber kein Pardon: man musste seinen Anteil abliefern, auch wenn man noch so bettelarm war. Das Prinzip war das Motto (frei nach): "viel Kleinvieh macht - zusammen gerechnet - auch viel Mist".
 
Die Römische Milizarmee war kein Haufen unausgebildeter Bauern sondern ein wirklich schlagkräftiges Bürgerheer. Der Grund für die Einführung für das Berufsarmee war die größe des Reiches und die damit verbundene Distanz.

Obwohl wohl ein sehr großer Teil Steuern zahlen musste war das wohl eher wenig. Die Steuerlast Prozentuall war bis zu den Absolutistischen Staaten Recht moderat.
 
Auch habe ich mal die Behauptung gehört, viele Provinzen des römischen Reiches seinen de jure weiterhin nur "Verbündete" Roms gewesen. So kam es in den Vorchristlichane Jahrhunderten zum sog. "Bundesgenossenkrieg", indem die italienischen "Verbündeten" Roms, über die de facto schon lange eine Hegomonie bestand, um die Rechte als römische Bürger kämpften, um die ihren Herren gleichgestellt zu sein. Auch in der biblischen Geschichte (Als Quelle Autsch, ich weiß) ließt man etwa von König Herodes Antipas usw., was eher den Eindruck erweckt, Rom sei wenig zentralistisch mit seinen Provinzen verfahren.
Herodes Antipas war nicht König, sondern nur Tetrarch, und als solcher war er Herrscher eines Klientelreiches, also eines Vasallenstaates. Klientelreiche hatte Rom einige, von denen die meisten früher oder später in Provinzen umgewandelt wurden, aber dennoch war ein Klientelreich noch keine Provinz, sondern zumindest autonom.
Italien galt überhaupt nicht als Provinz, erst in der Spätantike wurde es wie der Rest des Reiches auch behandelt.

könnte auch daran liegen, dass es keine Berufsrichter gab und die Justiz mehr durch einfachen Bürger und ihren Gerechtigkeitssinn geprägt wurde und so der Eindruck entstand
Das stimmt so nicht. Das römische Gerichtssystem war recht kompliziert, aber für allem für Zivilrechtsfälle gab es sehr wohl Berufsrichter.

Die entfernten Kolonien tauchen seltener auf und werden dort doch eher "aussen-", bzw. sicherheitspolitisch behandelt. So kommt in der römischen Geschichte das Bauenen eines Theaters in der Stadt Rom durch den Kaiser sicherlich ausführlicher vor, als wenn der lokale Dorfherr in einer entferten Provinz gleich die ganze Verwaltung komplett ändert.
Das ist heute auch noch so. Lies' einmal eine in einer Hauptstadt erscheinende Zeitung. Da glaubt man auch, der Staat würde nur aus der Hauptstadt bestehen mit ein paar Dörfern voller Dorftrotteln herum.

Die vom Imperator selbst bestellten Statthalter waren ja oft nicht mehr als Ober-Oberbefehlshaber für die entsprechedne Provinz, um die Grenzen dicht zu halten.
Die Statthalter waren im Gegenteil faktisch unumschränkte Herrscher in ihrer Provinz. Beschränkt wurde ihre Macht eigentlich nur durch die Privilegien mancher Städte, z. B. der Municipia mit ihrer Selbstverwaltung.
 
Das römische Reich war wie alle Staaten vor der Neuzeit ein Minimalstaat. Es fehlten so gut wie alle Mittel und großenteils auch der Wille, die notwendigen Informationen für staatliche Maßnahmen zu erhalten, und es fehlten die Mittel (außerhalb des militärischen) und der Wille, umfangreiche zentrale staatliche Maßnahmen zu veranlassen und durchzusetzen. Das gilt nicht nur für das Prinzipat, sondern auch das spätere Dominat.

Ein gutes Beispiel ist die Christenverfolgung. Hier war die Zentrale immer auf die Mitwirkung der Kommunen angewiesen. Mehr als Apelle gegen die Verfolgung oder für eine Verfolgung (je nach Zeitgeist) waren nicht drin. Weigerte sich eine Kommune, entsprechend des zentralen Willens zu handeln, war man so gut wie machtlos.

Sonderlich überraschend ist das Ganze nicht, wenn man sich die Größe des Reiches und die vorhandenen Möglichkeiten der Kommunikation ansieht. Auch im Dominat, wo sich der Beamtenapparat stark vergrößerte, reichte die Verwaltungsorganisation bei weitem nicht an das Maß heran, daß europäische Staaten ab dem 16. Jhd. entwickelten.

Dazu kam in der gesamten Antike eine wirtschaftliche Minimalentwicklung, für die der Begriff "Wirtschaftswachstum" eine schamlose Übertreibung wäre. Der Nahezu-Stillstand plus eine verfehlte Steuerpolitik waren mit Ursachen staatlicher Hilflosigkeit, allerdings führten die beschränkten staatlichen Einflußmöglichkeiten wiederum auch dazu, daß kaum geplante wohlstandssteigernde staatliche Eingriffe anwandt werden konnten. Nach der Baupolitikphase des 1. und 2. Jhds. flachte die wirtschaftliche Entwicklung stark ab, es gab keine Innovationen und staatlichen Impulse, die der Wirtschaft helfen konnten.
 
Eigentlich wird anders herum ein Schuh draus: wenn man den Spruch "Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun kannst" zugrunde legt, war Rom (Republik) so ziemlich der maximalste Staat den man sich vorstellen kann (wenn auch nicht nach modernen staatspolitischen Termini). Alle waren Staat. Es war nicht die Pflicht des römischen Bürgers, Soldat zu sein, er war Soldat. Es war nicht erstrebenswert für einen Mann der gehobenen Gesellschaft, Senator oder Magistrat zu werden, es war der einzig vorstellbare Lebensweg.

Das Stiften öffentlicher Gebäude und Anlagen, das Austeilen von Spenden und Geben von Spielen war so dermaßen internalisiert, dass die Ablehnung keine Option war; in diesem Spannungsfeld von Geben/Nehmen des Individuums und Geben/Nehmen der Gesellschaft (z. B. wenn es um das ehrenvolle Andenken durch Statuen etc. ging) definierte sich die Res Publica als eine moralische, gesetzliche, religiöse Gemeinschaft wie keine andere.

Durch die Zentralisierung der Macht auf den Kaiser und seinen Apparat wurde viel Spielraum frei, in dem sich Rom auch kulturell und wirtschaftlich weiterentwickeln konnte, während vorher tatsächlich viel durch "das System" und seine restriktiven Schematismen eingeschränkt wurde. In der späten Kaiserzeit mussten dann Magistrate zu ihren Ehrenämtern gezwungen werden, weil es ausser Ausgaben und Verpflichtungen keine Vorteile für sie barg – weder ideell noch wirtschaftlich.
 
Du hast da einen wichtigen Punkt angesprochen: Vor allem die Städte mit Selbstverwaltung, vor allem in den hellenistisch geprägten Teilen der östlichen Reichshälfte, lebten maßgeblich vom Engagement ihrer wohlhabenden Mitbürger. Das war eben eine andere Denkweise als heutzutage, wo jeder nur noch vom Staat umsorgt sein will, aber niemand sich engagieren.

@ Luziv: So machtlos war die Zentralgewalt nun auch wieder nicht. Immerhin gab es Statthalter, die in den kaiserlichen Provinzen direkt dem Kaiser unterstellt und von seinem Wohlwollen abhängig waren. Zu den Christenverfolgungen ist auch zu sagen, dass nur die unter Decius und die unter Diokletian reichsweit angelegt waren. Bei Nero z. B. war sie eine hauptstädtische Angelegenheit. Unter Decius hingegen scheint sie sehr wohl reichsweit durchgeführt worden zu sein. Unter Diokletian verhielt sich der Reichsteil des Caesar Constantius Chlorus sehr zurückhaltend, aber das war nicht die Schuld der Kommunen, sondern des Caesars.
 
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