Dieser Krieg war zumindest anfangs ein konfessioneller
Warum tat Ferdinand das? War er den Einflüsterungen der Jesuiten, den Gegenreformatoren par excellence jener Zeit, erlegen, die ihn erzogen hatten? Ich neige dazu, diese Frage zu bejahen, denn wer als Kind, wie der spätere Kaiser Ferdinand II., 3 Mal am Tag gebetet und 2 Messen besucht hatte, an dem geht das nicht spurlos vorbei.
Das von dir aufgeworfene Thema involviert ein typisches Ei-oder-Henne-Dilemma: Was war zuerst da, das religiöse oder das machtpolitische Motiv? Es gibt diese und es gibt jene Meinung, und für beide werden plausible Argumente angeführt, die auf konkrete historische Kontexte fokussieren, wie du z.B. mit dem Hinweis auf intensive katholische Praktiken des Kaisers oder ganz allgemein auf konfessionelle Gegensätze und daraus resultierende Spannungen. Brissotin weist auf unterschiedliche Interpretationen hin, die je nach Kontext das konfessionelle oder machtpolitische Motiv hervorheben. Gäbe es eine ´Rotten Tomatoes´ für Ursachendiagnosen des 30-jährigen Krieges (DJK), würden sich dort wohl 60-70 Prozent für das machtpolitische Motiv aussprechen. Da über historische Wahrheit aber nicht quantitativ abgestimmt werden kann, bleibt das Dilemma, weil nicht eindeutig entscheidbar, bestehen. Das Dilemma besteht allerdings nur für konkrete Analysen im zeitgenössischen oder zeitnahen Kontext, d.h. wenn die Ursachen direkt bei den Protagonisten des Krieges gesucht werden oder - was der Ansatz von Friedrich Schiller war - bei der zeitnahen Reformation, die ein Konfliktszenario schuf, dessen Spannungen laut Schiller unausweichlich in die Kriegskatastrophe mündeten. Aber genau diese Unausweichlichkeit ist zu hinterfragen, weil gewisse "Zufälle" (präziser: Kontingenzen) bei der Verursachung des DJK fraglos eine Rolle spielten - es hätte durchaus auch anders kommen können. Die Frage bleibt also bestehen, wieso es so kam, wie es kam - was zur Unentscheidbarkeit des Dilemmas zurückführt.
Ich schlage daher einen fundamentaleren Ansatz vor, der von konkreten Kontexten zunächst abstrahiert und das Verhältnis von (theistischer) Religion und Macht generell in den Blick nimmt. Gesetzt der Fall, dass beide von Grund auf symbiotisch verbunden sind, wäre die Frage der (letztlichen) Ursache des DJK geklärt: eine "Wille zur Macht", der sich der Maske des Religiösen bedient. Soweit wir in die historische Vergangenheit zurückblicken (die Prähistorie klammere ich aus), scheinen religiöse Institutionen und Konzepte immer eng mit den Machtinstanzen einer Gemeinschaft verbunden zu sein, d.h. mit dem Häuptlings- und Königstum. Entweder agierten Priester als dienstbare Funktionäre eines Herrschers oder das Priestertum war eine Teilfunktion des Herrschers (Priesterkönigtum). Religiöse Konzepte beinhalteten in der Regel die Vorstellung, dass die oberste Gottheit in einem innigen Verhältnis zum Herrscher steht und dass dieser der Gottheit seine irdische Macht zu verdanken hat. Das älteste Dokument einer solchen Beziehung ist die sumerische Geierstele, die den Herrscher Eannatum seine Macht diversen Gottheiten, vor allem dem Stadtgott von Lagash, Ningirsu, verdanken lässt, den er als seinen Vater bezeichnet.
Man bezeichnet solche Konzepte als "religiöse Legitimation" eines Herrschers. Verbunden damit ist die Vorstellung, dass der Herrscher als irdischer Repräsentant der Gottheit agiert und seine Macht im Auftrag oder im Interesse der Gottheit ausübt. Bekanntlich gab es die gleiche Vorstellung, sogar in verschärfter Form, da hier der Herrscher selbst als göttlich galt, im Alten Ägypten. Auch in Griechenland (Alexander), Persien und Rom - um nur wenige Beispiele zu nennen - verhalf das Konzept des göttlichen Beistands für den Herrscher diesem zu einer Akzeptanz, die er andernfalls natürlich nicht gehabt hätte. Kurz: Theistische Religion ist vom Machtaspekt politischer Herrschaft nicht zu trennen, sie ist in ihrer Grundstruktur sogar ein Produkt dieser Herrschaft.
Ein gängiger Ausdruck für die Beziehung von Religion und Macht ist das "Gottesgnadentum" (lat. Dei Gratia), das, wie gezeigt, schon im alten Sumer praktiziert wurde. Diese Vorstellung bestand natürlich auch bei den christlichen Karolingern, Ottonen, Saliern, Staufern und Habsburgern (z.B. Karl der Große: "a deo coronatus imperator" = von Gott gekrönter Kaiser). Luther (1525) versuchte unter Berufung auf den Römerbrief sogar, die gegen aufständische Bauern verübte Gewalt der Fürsten durch deren Gottesgnadentum zu legitimieren. In seiner Schrift ´De servo arbitrio´ schuf Luther durch die darin vertretene Prädestinationslehre und den damit verbundenen Glauben an die Gottgewolltheit der Herrschaftsstrukturen die "religiöse" Grundlage für den späteren Absolutismus. Ironischerweise war es später der sich gleichfalls auf ein Gottesgnadentum berufende Mega-Absolutist Louis XIV., der als Feind des die Prädestination lehrende Jansenismus das Edikt von Nantes (Religionsfreiheit für Hugenotten) widerrief und das Edikt von Fontainebleau auf der Basis des Grundsatzes "Ein König, ein Glaube, ein Gesetz" proklamierte. Der katholische Louis XIV. tat sich auch dadurch hervor, dass er auch in religiösen Fragen über dem Papst zu stehen vermeinte und sich nur ´Gott´ gegenüber verantwortlich fühlte.
Um nun den Bogen zur konkreten Fragestellung von Dion zu schlagen: Der Habsburger Ferdinand II. war in der Tat, wie Dion schreibt, ein äußerst überzeugter und engagierter Katholik. Überliefert ist sein Ausspruch (Gelöbnis kurz nach seiner Krönung):
Lieber über eine Wüste herrschen, lieber Wasser und Brot genießen, mit Weib und Kind betteln gehen, seinen Leib in Stücke hauen lassen, als die Ketzer dulden.
Prima facie spräche also einiges dafür, zumindest für diesen Kaiser eine "religiöse" Motivation anzunehmen. Unter der Prämisse aber, dass die dafür in Anspruch genommene Religion (wie alle anderen theistischen Religionen auch) einen unbewussten machtpolitischen Strukturkern hat (wie ich das mal nennen möchte), neige ich doch eher zu der Auffassung, dass
Ferdinands Motivation im Kern und für ihn unbewusst eine politische ist, auch wenn sie einen religiösen Anstrich hat, wobei dieser Anstrich, wie gezeigt, vom Politischen gar nicht losgelöst gedacht werden kann.