Weil in Rom vieles Neues möglich war.
Ähnliche Erfolgsrezepte verfolgten die Vereinigten Staaten bzw. die Stadt Zürich. Indem "normale" Leute den Aufstieg in höhere Klassen ermöglicht bekamen, wurde Wohlstand und Unternehmertum in die Stadt gespült - die Senatoren erscheinen zwar als abgeriegelte Klasse, aber das waren sie nicht immer und das blieben sie nicht dauernd. Dann kommen die Zehntafelgesetze dazu - Rom wurde zum Ort verlässlichen Handelns und einer Rechtssicherheit, die sich deutlich ausnahm von den anderen Städten, in denen entweder das Volk alles nach Laune entschied oder ein König herrschte. Und nicht zuletzt, Ackerbauerntum und territoriales Denken: Reichtum bedeutete Landreichtum, diesen zu erzielen wurde einfach alles annektiert. M. E. sind das ein paar sehr gesunde Grundlagen für eine spätere Großmacht.
Ich frage mich allerdings, ob sich da Rom wirklich so sehr von anderen Städten unterschied. Leider wissen wir über die inneren Zustände der anderen Städte Latiums und Etruriens kaum etwas. Aber kodifizierte Gesetzessammlungen gab es zumindest in vielen griechischen Städten auch. Mit Verlässlichkeit und Rechtssicherheit war es wegen der langen Ständekämpfe außerdem so weit vermutlich auch wieder nicht her.
Der Aufstieg in die höheren Klassen wurde auch in Rom erst im Laufe der Jahrhunderte möglich, wenn man der Überlieferung folgt, erst in der 2. Hälfte des 5. und der 1. des 4. Jhdts. v. Chr., wobei wir wiederum nicht wissen, ob es in den anderen Städten der Umgebung permanent unüberwindbare Standesschranken gab.
Ich bin auch skeptisch, ob die römische Verfassung wirklich so ein Vorteil war.
Zum einen wissen wir zwar, dass zumindest viele etruskische Städte lange Zeit von Königen regiert wurden, nicht aber, wie unumschränkt ihre Macht eigentlich war. Wenn man Livius Glauben schenken will, gab es jedenfalls auch bei den Etruskern einen einflussreichen Adel und Versammlungen. Später wurde diese Monarchie zumindest in vielen Städten ohnehin durch ein Wahlkönigtum oder gewählte Magistrate ersetzt. Bei den Latinern dürfte es nicht anders gewesen sein. Z. B. gab es in Lanuvium anscheinend einen jährlich gewählten "Dictator".
Zum anderen würde ich die römische Verfassung durchaus auch als Hemmschuh sehen. Zum einen provozierte sie laufend innere Konflikte, zum anderen kam es auch des öfteren vor, dass von den Volkstribunen Truppenaushebungen blockiert wurden. Dass die Einsatzgebiete der Praetoren immer und die der Konsuln oft unter den Amtsinhabern verlost wurden, war auch nicht unbedingt vorteilhaft. Eine konsequente Außenpolitik war in der römischen Republik mit den unterschiedlichen Interessengruppen im Senat, jährlich wechselnden Magistraten und blockierenden Volkstribunen jedenfalls nicht möglich.
Dieses territorialstaatliche Denken muss den Römern von Anfang an am Herzen gelegen haben. Warum sonst greift eine kleine Stadt immer weiter ins Umland aus, auch wenn das engere Territorium längst gesichert ist? Das kostet schließlich Leben und Kraft!
Eine römische Spezialität war das aber nicht. Die Etrusker expandierten nach Korsika und in die Poebene und wollten nach Kampanien, die Samniten expandierten nach Kampanien, die Bergvölker in der Nachbarschaft Roms wie die Äquer und die Sabiner wollten in die Ebene expandieren, wo Rom lag etc. Auch in Griechenland betrieben keineswegs nur Athen und Sparta eine expansionistische Außenpolitik, sondern auch die kleineren Städte. Ich würde eher sagen, es ist ein natürlicher Trieb, sich nicht mit dem Erreichten zufriedenzugeben, sondern mehr erreichen zu wollen und sich ergebende Chancen zu nutzen.
Es gab andere Staaten, die sich durchaus mit dem Erreichten zufrieden gaben und keine weitere Expansion anstrebten. Bei Rom war das anders.
Mit dem Erreichten gaben sich am ehesten Städte zufrieden, die stark auf den Handel ausgerichtet waren und in denen reiche Händler das Sagen hatten, weil Krieg für sie nur teuer und kontraproduktiv gewesen wäre. Aber auch da gibt es genügend Gegenbeispiele wie z. B. im Mittelalter Venedig und Genua.
These: Der (Bürger)-soldat schlägt sich besser, wenn Ruhm, Ehre und Beute (und vielleicht doch der ein odere andere gesellschaftliche Aufstieg - wählt den Kriegshelden!) auch bei ihm ankommen und nicht nur beim Zaren/Despoten/König. Vielleicht war die römische Verfassung einfach insofern der Expansion zuträglicher, weil die römischen Bürger relativ mehr von eigener Expansion hatten als die Gegenseite davon, diesen Expansionisten mit letzter Konsequenz entgegenzutreten?
Die Frage ist, inwieweit das wirklich auf Rom zutraf. In der Frühzeit profitierten vor allem die Patrizier von den Kriegen, über die sie entschieden. Dem kleinen Mann blieb nur die Beute, aber mangels Solds (der wurde der Überlieferung nach erst während der Belagerung von Veii eingeführt) drohte ihm durch seine wochenlange Abwesenheit von zuhause stets der wirtschaftliche Ruin und somit lange Zeit auch Schuldknechtschaft. Profitieren konnte er allenfalls durch die Gründung von Kolonien, wobei aber die frühen Kolonien Latinerkolonien waren, die Ansiedler also ihr Bürgerrecht verloren. Der Überlieferung nach leisteten so manche Kolonisten auch durchaus Widerstand dagegen, in eine Kolonie übersiedeln zu müssen, bzw. wurden gerne "unruhige Elemente" dorthin abgeschoben.
Der Aufstieg in höhere Ämter war in der Frühzeit der Überlieferung nach auch für Kriegshelden rechtlich unmöglich, aber auch später gab es nur selten Aufsteiger aus der Unterschicht. Berühmte Kriegshelden der Überlieferung, die es dank militärischer Ruhmestaten zum politischen Erfolg gebracht haben sollen, wie Torquatus oder Valerius Corvus, entstammten ohnehin der Oberschicht, andere hingegen wie Coriolanus oder Manlius Capitolinus sollen trotz oder gerade wegen (weil die Popularität sie der Oberschicht verdächtig machte) Kriegsruhms gescheitert sein.