Warum Osmanen am Europäischen Kontinent?

Lawrence

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Schönen guten Tag,

als grundsätzlich geschichtsinteressierte Person die gerne die spannende Entwicklung der türkischen Reiche verfolgte, stellt sich mir nur eine Frage,deren Antwort man leider nicht in der gemeinen Literatur findet:
Warum haben die christlichen Europäer nicht alles dran gesetzt, die Osmanen vom restlichen Stück am europäischen Kontinent zu verjagen? Mit vereinten Kräften wäre es doch sicher möglich gewesen? Wer war interessiert daran, die Osmanen in Europa zu dulden?
 
Ein altes Problem ist die Durchfahrt ins Schwarze Meer. Im 19. Jahrhundert wurde zeitweise befürchtet, dass Russland Bosporus und Dardanellen unter seine Kontrolle bringt. Die Türkei konnte verpflichtet werden, dies neutral nach einem Regelwerk zu handhaben. Und das wird heute noch danach gehandhabt, auch wenn es ab und an, etwa mit Griechenland, Auslegungsprobleme gibt.
 
Warum haben die christlichen Europäer nicht alles dran gesetzt, die Osmanen vom restlichen Stück am europäischen Kontinent zu verjagen?

Warum hätten sie ein Interesse daran haben sollen?

Wer war interessiert daran, die Osmanen in Europa zu dulden?
Jeder der Russland nicht als uneingeschränkte Vormacht des Balkans sehen wollte, mit anderen Worten je nach Episode alle europäischen Großmächte, die nicht "Russland" hießen.
 
Byzanz hatte an verschiedenen europäischen Höfen um Militärhilfe gebeten - diese diplomatische Mission hatte allerdings eher wenig Erfolg.
Das ist noch zu nett gesagt: Europa als Identität gab es nicht, wie Zoki55 es ganz richtig sagte, es gab nur (zerstrittene) lateinische Reiche auf der einen Seite, und den bzw. die orthodoxe(n) auf der anderen Seite.

Die beide geistigen Führer, der Papst im Rom und der Patriarch von Konstantinopel, waren sich spinnefeind, wollten den Untergang des jeweils anders sehen. Mehr noch: Als der (lateinische) Kreuzfahrerheer 1204 Konstantinopel einnahm und plünderte, war das eine Schwächung des byzantinischen Reiches, von der er sich nicht wieder erholte: Von da an war byzantinisches Reich kein Reich von Bedeutung mehr, dass er trotzdem noch mehr als 2 Jahrhunderte weiter existierte, war nur den starken Mauern der Stadt zu verdanken, die jedoch 1453 vor neuartigen Kanonen – gebaut von einem Christen! – der Osmanen kapitulieren mussten.

Kurz vor der endgültigen Niederlage erklärte sich der Papst bereit, den bedrohten Glaubensbrüdern zu helfen – zum Preis einer Kirchenunion –, aber die Hilfe kam dann zu spät.
 
Auch wenn das nur Lawrence klären kann: Es scheint mir doch falsch, die Frage im SpätMA (Papst/Patriarch, Kreuzzüge) bzw. der FNZ (Lepanto) zu verorten. Am wahrscheinlichsten ist doch die Zeit in der Folge des 1. Weltkrieges.

1. Man schaue auf den Benutzernamen. Lawrence - 'Awarins, wie die Araber sag(t)en.
2. Man lese, was er gefragt hat:

Warum haben die christlichen Europäer nicht alles dran gesetzt, die Osmanen vom restlichen Stück am europäischen Kontinent zu verjagen? Mit vereinten Kräften wäre es doch sicher möglich gewesen? Wer war interessiert daran, die Osmanen in Europa zu dulden?

Daraus kann sich fast nur die Zeit zwischen dem ersten Balkankrieg 1912 und 1924 gemeint sein.
 
Kompliment an El Quijote - genau das frage ich mich in etwa zeitlich gesehen. Dass früher keine "Christliche Europäische Identität" vorhanden war sah man vor allem, wie es erwähnt wurde, an den Osmanen freundlichen Franzosen. Aber die Frage habe ich mir glaube ich selber beantwortet, da ich mehr ins Detail der Balkankriege ging und man erkennt, dass diejenigen die die Osmanen vereint im ersten Balkankrieg vertrieben haben dann im zweiten Balkankrieg sich selbst gegenseitig vertrieben haben....hätte es eine Übereinstimmung über die Aufteilung der befreiten Gebiete gegeben, hätte man sich noch einmal gemeinsam formiert und dann die Osmanen in einem zweiten Anlauf komplett aus Europe vertrieben.
 
In der Schlacht von Gallipoli 1915/1916 versuchten französische, britische und kolonial-britische Truppen den kleinen europäischen Restteil des Osmanischen Reiches und damit die strategisch wichtige Meerenge zu erobern. Die europäische Entente scheiterten am Widerstand der Osmanischen Truppen.

Die Osmanen behielten die Kontrolle über den kleinen europäischen Landstreifen und die Meerenge und natürlich über Anatolien. Es hätte Frankreich und Großbritannien sicherlich gefallen auch aus Gallipoli eine europäische Kolonie zu machen, aber es kam bekanntlich anders. Das Osmanische Reich konnte in den ungefähren Grenzen der heutigen Türkei also vorerst weiter bestehe, während Syrien, Libanon, Irak usw. nach dem 1. Weltkrieg als französische und britische Mandatsgebiete kolonisiert wurden.

Frankreich und Großbritannien haben nicht alle Kräfte auf das Osmanische Reich konzentriert, obwohl zehntausende Soldaten in Gallopoli landeten. Das war nur ein Nebenschauplatz des 1. Weltkrieges, denn das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn waren die Hauptgegner im 1. Weltkrieg.
 
Dass früher keine "Christliche Europäische Identität" vorhanden war sah man vor allem, wie es erwähnt wurde, an den Osmanen freundlichen Franzosen.

Das von Seiten Frankreichs her eine nororisch freundliche Politik gegenüber den Osmanischen Reich betrieben worden wäre, stimmt so im Übrigen auch nicht.
Die Politik der französischen Monarchen war episodisch freundlich gegenüber dem Osmanischen Reich, wenn das ein geeignetes Mittel dazu war, den Habsburger Rivalen eins auszuwischen.

Im Falle der Auseinandersetzung des Osmanischen Reiches mit Venedig 1645-1669 wurde von französischer Seite z.B. durchaus ein (wenn auch überschaubares) Truppenkontingent gestellt um das belagerte Candia (Iraklion) zu entsetzen und zu verteidigen.
Ein anderes Konfliktfeld gab es sicherlich auch im Hinblick auf die Osmanischen Herrschaften im Maghreb und die von dort aus operierenden Korsaren.
 
Kompliment an El Quijote - genau das frage ich mich in etwa zeitlich gesehen. Dass früher keine "Christliche Europäische Identität" vorhanden war sah man vor allem, wie es erwähnt wurde, an den Osmanen freundlichen Franzosen. Aber die Frage habe ich mir glaube ich selber beantwortet, da ich mehr ins Detail der Balkankriege ging und man erkennt, dass diejenigen die die Osmanen vereint im ersten Balkankrieg vertrieben haben dann im zweiten Balkankrieg sich selbst gegenseitig vertrieben haben....hätte es eine Übereinstimmung über die Aufteilung der befreiten Gebiete gegeben, hätte man sich noch einmal gemeinsam formiert und dann die Osmanen in einem zweiten Anlauf komplett aus Europe vertrieben.

Und was stellst dir vor die Serben, Bulgaren, Griechen marschieren gemeinsam in Istanbul ein.

Es ist ein sehr kleiner Teil übriggeblieben.

Die Grenzen von Europa sind sowieso sehr willkürlich, da gibt es geographisch eindeutig keine klare Grenze.
 
Die Osmanen behielten die Kontrolle über den kleinen europäischen Landstreifen und die Meerenge und natürlich über Anatolien. Es hätte Frankreich und Großbritannien sicherlich gefallen auch aus Gallipoli eine europäische Kolonie zu machen, aber es kam bekanntlich anders. Das Osmanische Reich konnte in den ungefähren Grenzen der heutigen Türkei also vorerst weiter bestehe, während Syrien, Libanon, Irak usw. nach dem 1. Weltkrieg als französische und britische Mandatsgebiete kolonisiert wurden.

Der Vertrag von Sèvres 1920 sah vor, dass Ostthrakien (und nach Abstimmung evtl. auch Izmir/Smyrna in Kleinasien) an Griechenland fallen sollte. Der kleine europäische Zipfel um Istanbul inklusive die Küste der Meerengen auf asiatischer Seite sollte formell türkisch bleiben aber unter internationaler Kontrolle stehen. Als Folge des Türkischen Befreiungskrieges wurde vieles davon im Vertrag von Lausanne 1923 zugunsten der Türkei rückgängig gemacht. Insofern wurde 1920-23 versucht die Türkei aus fast ganz Europa zu verdrängen.

Die Grenzen von Europa sind sowieso sehr willkürlich, da gibt es geographisch eindeutig keine klare Grenze.
Beim Mittelmeer und an Bosporus und Dardanellen sind die geografischen Grenzen Europas doch recht eindeutig.

Dass früher keine "Christliche Europäische Identität" vorhanden war
offtopic: Ob es jemals eine "Christliche Europäische Identität" gab bzw. heute gibt, bezweifele ich.
 
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