Was haben Adelige eigentlich so gemacht?

Comtesse

Mitglied
Mir ist mal so durch den Kopf gegangen, was Adelige eigentlich so den ganzen Tag gemacht haben.

In Romanen, Verfilmungen usw. sieht man die Adeligen immer nur auf Bällen, beim Glücksspiel, auf der Jagd, vielleicht mal im Theater, oder bei Hofe in der Gegend rumstehen, aber was arbeitete denn eigentlich so ein Adeliger?

Die müssen doch auch irgendeine sinnvolle Aufgabe gehabt haben?

Nach meinem Wissen hatten die doch auch ein Lehen, also irgendwie ihr Herzogtum, ihre Grafschaft usw. das sie verwalteten. Und was machten die da genau?

Sorgten sie dafür, dass der König auch schön seine Steuern bekam? Oder gab es für so etwas nicht Verwalter oder Finanzbeamte oder sowas?

Mussten/durften sie bei Rechtsstreitigkeiten richten? Oder mussten/durften sie gar bei Strafverfahren richten?

Mir ist einfach nicht klar, was die Kerle den ganzen Tag gemacht haben. Was bedeutete es Graf/Herzog/Baron zu sein und sich um seinen Besitz zu kümmern?

Ich habe mal gehört, dass es bei Adeligen verpönt war Handel zu treiben, stimmt das?

Für meinen Roman (1770er Jahre) würde ich gerne einen Adeligen entwerfen, der durchaus Handel treibt, der an aufklärerischen Diskussionszirkeln teilnimmt und der sich auf, für damalige Verhältnisse, menschenfreundliche Weise um seine Grafschaft kümmert. Wäre das sehr weit von der damaligen Realität entfernt?

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Und überhaupt: Was war eigentlich mit den adeligen Damen? Haben die den ganzen Tag gestickt? Hatten die evtl. die Aufgabe das Dienstpersonal zu deligieren, mit der Köchin die Menuepläne für die nächste Woche durchzugehen? Oder haben die Damen evtl. die Haushaltsausgaben überwacht? Ich könnte mir vorstellen, dass das ziemlich langweilig war und kein ausgefülltes Leben...
 
Ein bisschen eingrenzen müsstest Du Deine Anfrage schon. Ein Adliger kann ein Baron oder ein König sein, an was dachtest Du denn so?

Wo soll er gelebt haben, in Polen oder in Spanien, in Japan oder Indien?
 
Ich denke Madam Comtesse spricht von Frankreich des Ancien Regimé. Übrigens, der König war kein Adeliger, er stand über den Ständen.

Im Frankreich des 17. und 18. Jahrhundert gab es keine klassischen Grafschaften und Herzogtümer mehr, in denen ein Graf oder Herzog regierte. Das letzte große Feudalterritorium in Frankreich, war das der Bourbonen, das sich aus mehreren Lehen zusammensetzte, (La Marche, Foix, Béarn, Vendôme ect.) Mit der Thronbesteigung des Bourbonen Heinrich IV. 1589 wurden diese Lehen in die königliche Domäne eingefügt. Seither war praktisch ganz Frankreich bis zur Revolution königliches Land. Die Administration, die Gerichtsbarkeit, die Polizeigewalt und die Steuererhebung wurden vom Staat, an dessen Spitze der König stand, wargenommen. Königliche Beamte waren beispielsweise die Prevotes, Seneschalle, Baillis, Generallieutenants. Adlige hatten in diesem staatlichen System nur dann etwas zu sagen, wenn sie vom König mit solchen Posten betraut wurden. Hohe Adlige wurden beispielsweise häufig zu Generallieutenants einer Provinz ernannt.
 
In Romanen, Verfilmungen usw. sieht man die Adeligen immer nur auf Bällen, beim Glücksspiel, auf der Jagd, vielleicht mal im Theater, oder bei Hofe in der Gegend rumstehen, aber was arbeitete denn eigentlich so ein Adeliger?

Die müssen doch auch irgendeine sinnvolle Aufgabe gehabt haben?

Die Arbeit der meisten Adeligen (Männer) fand
a) bei Hofe (das was Du oben geschrieben hast + ggf. Politik und / oder repräsentative Aufgaben,
b) beim Militär (Offizier sein),
c) in der Kirche
statt. Die sinnvollste Aufgabe der meisten Adeligen war es, einen standesgemäßen (& möglichst vermögenden) Ehepartner zu finden. Tscha, Sörgelchen hatten die guten...


Für meinen Roman (1770er Jahre) würde ich gerne einen Adeligen entwerfen, der durchaus Handel treibt, der an aufklärerischen Diskussionszirkeln teilnimmt und der sich auf, für damalige Verhältnisse, menschenfreundliche Weise um seine Grafschaft kümmert. Wäre das sehr weit von der damaligen Realität entfernt?
In den meisten Ländern Europas ist diese Dreierkombination so nicht zu erfüllen. Handel treiben ist m. W. um diese Zeit nur für den britischen Adel eine standesgemäße Beschäftigung. In Frankreich und m. W. den meisten kontinentalen Staaten ging so was gesellschaftlich gar nicht. Wenn Du einen aufklärerischen Menschenfreund suchst, kannst Du Dich z. B. an La Fayette Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette ? Wikipedia halten. Der wäre in meinen Augen ein für seine Zeit "vorbildlicher" Adliger. Wenn Du in Deinem Dreiklang den Handel durch die viel standesgemäßere militärisch maritime Beschäftigung ersetzt, wirst Du auf Typen wie Kurzbiographie Kapitän Damian Cosme de Churruca y Elorza ,
Juan Francisco de la Bodega y Quadra ? Wikipedia , Louis Antoine de Bougainville ? Wikipedia ,
usw usf. stoßen.
Das wären einige Vertreter eines "modernen" Adels in etwa der von Dir gewählten Epoche. In Polen, Ungarn, Deutschland, Österreich, Italien tat sich in der Hinsicht bestimmt auch jede Menge. Zu diesen Ländern habe ich aber gerade keine klingenden Namen in petto... (Naja, etwas später noch den hier: Alexander von Humboldt ? Wikipedia )


Lies mal z. B. Demel, Walter, Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2005.
 
Vielen herzlichen Dank für Eure Antworten.

Wenn die Adeligen also kein Lehen / Land hatten, aus dem sie Profit ziehen konnten, und auch keinen Handel trieben, wovon haben die denn gelebt?
Irgendwoher musste doch das ganze Geld kommen für Schlösser/Diener/teuere Klamotten usw.

Ich hatte immer die laienhafte Vorstellung, dass der "böse Adel" die einfachen Leute quasi ausgesaugt hat und die Bevölkerung deshalb so arm war. Da lag ich wohl völlig neben der Sache, oder?



@Neddy: Vielen Dank für die guten Tipps. La Fayette und Bougainville kommen in meinem Roman übrigens tatsächlich vor - die passen nämlich hervorragend in mein Konzept, als Zeitgenossen meiner Protagonisten ;)
 
Wenn die Adeligen also kein Lehen / Land hatten, aus dem sie Profit ziehen konnten, und auch keinen Handel trieben, wovon haben die denn gelebt?
Irgendwoher musste doch das ganze Geld kommen für Schlösser/Diener/teuere Klamotten usw.

Ich hatte immer die laienhafte Vorstellung, dass der "böse Adel" die einfachen Leute quasi ausgesaugt hat und die Bevölkerung deshalb so arm war. Da lag ich wohl völlig neben der Sache, oder?

Der Feudalismus (und damit die Lehensherrschaft) war zu Deiner Zeit in der Tat vorbei. Land hatten "die Adeligen" schon noch - mehr oder weniger und in den meisten Ländern Europas war das inzwischen ihr Eigentum (bzw. das der Familie). Prinzipiell war der Gewinn aus der Bewirtschaftung der eigenen Güter DAS standesgemäße Einkommen für einen Adeligen. Viele der Adeligen waren allerdings ganz erheblich heruntergewirtschaftet, z. T. auf Grund eigener Mißwirtschaft und/oder der hohen Kosten der Teilnahme am höfischen Leben. (Louis Quatorze von Frankreich hat seine aufwändige Hofhaltung unter anderem deswegen so exquisit betrieben, um seinen stets und ständig frondierenden Adeligen die dafür notwendigen Geldmittel zu entziehen und sie dadurch politisch zu marginalisieren.) In den meisten europäischen Ländern war jedoch nur der älteste Sohn erbberechtigt. Die nachgeborenen Brüder mussten sich dann eine andere standesgemäße Beschäftigung suchen - wie gesagt, häufig beim Militär, bei Hofe oder in der Kirche. Ihr Lebensstandard hing dann nicht in erster Linie von ihrem in der Regel mageren Salär ab, sondern von den finanziellen Zuwendungen des Herrn Papa oder Bruder.

Viele dieser Adeligen waren bis über alle drei Ohren verschuldet. Diese Zustände verursachten gerade bei militärischen Beschäftigungen einen hohe Mobilität in diesen nachgeborenen Adelskreisen. Führte der eigene Souverän gerade keinen Krieg (Offiziersstellen, die freigeschossen wurden, Heereserweiterungen und Beute), so trat man eben in die Dienste eines anderen Fürsten, der gerade Führungspersonal brauchte.

In vielen Gesellschaften beförderte diese Not die Schließung von "Mischehen" aus mehr oder weniger armem adeligen Bräutigam und Braut aus gutbürgerlichem Hause. Dies diente beiden (männlichen) Seiten: Adeliger bekommt endlich "eigenes Geld" - nominell gehörten Mitgift und Rente der Frau Gemahlin, mit der Heirat wurde sie allerdings de facto finanziell entmündigt & enteignet, da sie die Verwaltung ihrer Mittel an ihren Göttergatten abtreten musste. Papa, bürgerlich hatte aber immerhin eine Aufwertung seiner Familie erreicht, denn in den damaligen Gesellschaften strebten immer noch alle (die meisten) Adeligen nach Grund, Boden und Renten - also arbeitsextensiven Einkünften. Währenddessen waren Angehörige des wohlhabenden Bürgertums immer für einen Adelstitel zu haben.

Zu guter Letzt: ist Dir der Fideikommiss ein Begriff?
 
Oh prima, also hatten die doch ein bisserl was zu tun, nämlich sich um ihre Güter kümmern, damit Kohle reinkam. Die Taktik von Louis war mir auch schon bekannt. Ganz schön schlau der Gute.

Also im Grunde kann man davon ausgehen, dass, bspw. ein Comte de Granville sich nicht zeitlebens nur auf Bällen und auf der Jagd aufhielt, sondern durchaus auch ernsthafte Beschäftigungen hatte, nämlich den Familienbesitz beieinanderhalten, Güter bewirtschaften,d.h. er hat sicher stets mit seinen Verwaltern kommuniziert, Anweisungen erteilt, die Bilanzen geprüft o.ä.


Damit ist mir schon erheblich weitergeholfen. Vielen Dank.




Zum zweiten Teil meiner Frage, hat da auch noch jemand eine Idee? Ich wiederhol es nochmal:

Was war eigentlich mit den adeligen Damen? Haben die den ganzen Tag gestickt? Hatten die evtl. die Aufgabe das Dienstpersonal zu deligieren, mit der Köchin die Menuepläne für die nächste Woche durchzugehen? Oder haben die Damen evtl. die Haushaltsausgaben überwacht?

Soweit ich gehört habe, haben die sich ja noch nicht mal selber großartig um die Kindererziehung gekümmert, da die Kinder erst zur Amme kamen und dann in Erziehungsanstalten (Kloster, Collège Louis-le-Grand u.ä.)

Ich könnte mir vorstellen, dass das ziemlich langweilig war und kein ausgefülltes Leben...

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@Neddy: Danke für den Hinweis. Von Fideikommiss hatte ich noch nie gehört. Dank Wikipedia (und deinem Hinweis) bin ich jetzt wieder etwas schlauer.
 
Ich hatte immer die laienhafte Vorstellung, dass der "böse Adel" die einfachen Leute quasi ausgesaugt hat und die Bevölkerung deshalb so arm war. Da lag ich wohl völlig neben der Sache, oder?

Ums kurz zu machen: Jo.

Eine Residenz bot unwahrscheinlich viele Arbeitsplätze. Selbst die Lieferanten von Handwerkern, die dann erst direkt ihre Ware an den Hof lieferten, profitierten unübersehbar von der Ansiedelung der - ich nenns jetzt mal frei - "Hoflieferanten".
Und die Leute, die die Residenz anzog, mussten schließlich auch versorgt werden. Es ist klar, dass sie keinen Gebrauch von den Diensten eines Goldschmiedes oder Juweliers in Anspruch nehmen konnten, aber wohl den von vielen anderen.

Diese Denkweise "juhu, ich blute die bis zum Gehtnichtmehr aus" war doch schon längst Geschichte. Der Adel ist doch auch nicht vom Kirschbaum gefallen. Die wurden erzogen und gebildet, gingen an Universitäten, machten ihre Kavaliersreisen - da werden die sehr wohl gewusst haben, welche Wirtschaftsmacht von ihrer Bevölkerung ausging. Und dass sie diesen Vorzug erhalten und stärken mussten, wussten die Meisten ganz genau anhand der ankommenden Einnahmen.

Die müssen doch auch irgendeine sinnvolle Aufgabe gehabt haben?

Oh die hatten sie schon. Eine wichtige war sich im gesellschaftlichen Kreise zu behaupten. Gerade am Königshof (Stichwort: Intrigen) musste man die Augen und Ohren unermüdlich offenhalten. Auch da galt schon die Maxime "Vitamin B ist (fast) alles". ;)
Ich glaube kaum, dass irgendeiner, egal ob Adel, Bürger oder Landbevölkerung, Bock drauf hatte gesellschaftlich die Fliege zu machen.

Also im Grunde kann man davon ausgehen, dass, bspw. ein Comte de Granville sich nicht zeitlebens nur auf Bällen und auf der Jagd aufhielt, sondern durchaus auch ernsthafte Beschäftigungen hatte, nämlich den Familienbesitz beieinanderhalten, Güter bewirtschaften,d.h. er hat sicher stets mit seinen Verwaltern kommuniziert, Anweisungen erteilt, die Bilanzen geprüft o.ä.

Was glaubst du hätte vielleicht der Verwalter, der nicht adlig sein musste, gemacht, wenn er genau gewusst hätte, dass der Graf nicht hinter den Zahlen steht?
Es liegt nahe, dass er geschickt seinen eigenen Nutzen maximiert hätte.

Für meinen Roman (1770er Jahre) würde ich gerne einen Adeligen entwerfen, der durchaus Handel treibt, der an aufklärerischen Diskussionszirkeln teilnimmt und der sich auf, für damalige Verhältnisse, menschenfreundliche Weise um seine Grafschaft kümmert. Wäre das sehr weit von der damaligen Realität entfernt?

Mir ist schon öfters vorgekommen, dass Adlige stille Teilhaber an Manufakturen und Ähnlichem waren.
Ist ja heute auch nicht anders, wer posaunt schon rum, welche Einnahmen er hat?

Das Bild, dass du entwirfst, ist keineswegs weit von der Realität entfernt.

Die sinnvollste Aufgabe der meisten Adeligen war es, einen standesgemäßen (& möglichst vermögenden) Ehepartner zu finden. Tscha, Sörgelchen hatten die guten...

Papa, bürgerlich hatte aber immerhin eine Aufwertung seiner Familie erreicht, denn in den damaligen Gesellschaften strebten immer noch alle (die meisten) Adeligen nach Grund, Boden und Renten - also arbeitsextensiven Einkünften. Währenddessen waren Angehörige des wohlhabenden Bürgertums immer für einen Adelstitel zu haben.

Tja irgendwie müssen die Bürgerlichen hier die selben Sörgelchen wie die Adligen, nach deinen eigenen Worten, gehabt haben. :fs:


Was war eigentlich mit den adeligen Damen?

Viele saßen nicht mehr am warmen Ofen und haben den lieben langen Tag gestickt. Literaturzirkel und -salons für Frauen gab es in dieser Zeit natürlich auch. Einige schrieben selbst, viele bildeten sich gern, andere malten, andere komponierten, wieder andere verpflichteten sich der Botanik,...
Daneben erfüllten viele Frauen den Part der Wohltätigkeit. Sie spendeten aus ihrer Privatschatulle für Familien, die bspw. ihr Haus durch einen Brand verloren hatten.
Natürlich werden sie das Personal da und dort hin geschickt und ihnen Aufgaben erteilt haben und sie werden auch einen nicht unerheblichen Teil im gesellschaftlichen Leben eingenommen haben. Es war ja um Gottes Willen nicht so, dass sie an Bällen, Jagden, Opern- und Theaterbesuchen nicht teilnehmen durften.
Einige von ihnen gönnten sich dazu einen Liebhaber.

Ich könnte mir vorstellen, dass das ziemlich langweilig war und kein ausgefülltes Leben...

Was stellst du dir denn unter einem ausgefüllten Leben überhaupt genau vor?
 
Da haben die Frauen ja doch das eine oder andere zu tun gehabt, wenngleich sich das immer noch nach einem recht geruhsamen Leben anhört.

Zu einem ausgefüllten Leben würde meiner Meinung nach sicher noch das Eine oder Andere gehören, z.B. seine Kinder höchstpersönlich zu erziehen und zu betreuen, aber das oben Erwähnte klingt eigentlich auch schon ganz gut.

Dass einige Damen sich einen Liebhaber gönnten.... hm, sind die Ehemänner dann nicht ausgeflippt? Die hatten doch damals noch ganz andere Ehrbegriffe als man das heute kennt. Wenn das öffentlich wurde, hatte man als Frau doch sicher strenge Strafen zu erwarten, oder?
 
Dass einige Damen sich einen Liebhaber gönnten.... hm, sind die Ehemänner dann nicht ausgeflippt? Die hatten doch damals noch ganz andere Ehrbegriffe als man das heute kennt. Wenn das öffentlich wurde, hatte man als Frau doch sicher strenge Strafen zu erwarten, oder?

Wo sagte ich denn, dass diese Frauen verheiratet waren? ... ;)

Das Verheiratetsein war wohl die schlechteste Konstellation, das Nichtverheiratetsein die Einfachste.
Im ersten Fall kam es wohl am Häufigsten dazu, dass der Gatte sie zwang den Kontakt abzubrechen - fertig. Er konnte sie ja wohl kaum ins Zuchthaus schicken und schuften lassen.
Aber wenn der werte Gemahl eh nur auf die Mitgift aus war und das Verhältnis zu seiner Frau eh distanziert und fremd im Raum stand, war es manchem vielleicht auch herzlich egal.
 
Die bedeutenden französischen Adligen des ancien regime mussten mWn am Hofe präsent sein, wenn sie nicht wichtige Aufgaben wahrnahmen. Waren sie das nicht waren sie die längste Zeit bedeutend gewesen. Eine Folge davon war, dass die Güter zwangsläufig von anderen verwaltet werden mussten; der Besitzer lebte in Paris bzw Versailles von der Rendite.

Nun waren aber nicht alle Adligen bedeutend, insbesonders die zahlreichen jüngeren Söhne und Töchter. Für Söhne galt da mWn meist die Wahl zwischen Uniform und Soutane, also Militär oder Kirche als Auffangbecken. Dabei ist insbesonders im militärischen Bereich zwischen Hof- und Feldoffizieren zu unterscheiden: Den ersteren gehörten die Regimenter, weil sie oder ihre Eltern sie gekauft hatten, sie hatten aber wenig mit der militärischen Führung zu tun; die zweitere (meist besagte jüngere Söhne) waren altgediente Militärs, die sich am Hofe nichts zu suchen hatten, aber wussten, was Krieg ist...

Außerdem gab es eine nicht zu kleine Zahl Adlige, denen nicht geblieben war als der Titel und evtl ein eigenes kleines Stück land, dass sie dann beacktern wie jeder andere Bauer, Winzer oder sonstige Landwirt auch.

EDIT & P.S.: Und die patriarchalische Gesellschaft, in der Liebschaften verheirateter Frauen völlig unmöglich sind, ist mE noch nicht erfunden, es sei denn, Harems sind weit effektiver, als ich vermute; und da wir immerhin von Frankreich reden... :love::devil:
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu den Herren:
Ob sie ihren eigenen Besitz verwaltet haben oder nicht, hängt ganz stark von ihrem Vermögen ab.
Der Hofadel, ich denke wir sprechen jetzt vom Französischen, lebte entweder in Versailles oder aber in Paris und ging eher selten auf die Landgüter.
Die ärmeren Adeligen mussten sich schon eher um ihre Besitzungen kümmern, wobei wir in Frankreich kaum Gutsherrschaft sondern v.a. Grundherrschaft haben. D.h. der Adelige stand nicht einer eigenen Landwirtschaft vor, sondern lebte nur von den Erträgen seiner Bauern, die ihre "eigene" Landwirtschaft hatten und schon eher zu eine Art Pächter wurden.

Dann gab es in Frankreich seit dem 17.Jh. vertärkt den Handel, worin sich auch der Adel betätigte (tut mir leid, dass ich da Neddy unbedingt widersprechen muss). Vgl.: http://www.geschichtsforum.de/232055-post9.html

Das vorangige Feld adeliger Betätigung war aber wohl das Militär. Für viele tausend Livres kauften sich v.a. die Söhne besserer Familien die Offiziersstellen v.a. in den Garderegimentern oder auch in den renommiertesten, alten Regimentern, da damit die militärische Karriere viel besser geebnet war, als wenn man sich aus einem unbedeutenden Infanterieregiment hätte hochdienen müssen.

Daneben gab es noch einen Teil, der sich als Beamte und Richter oder überhaupt als Funktionsträger etablierte. Diese Adeligen entstammten oftmals der Noblesse de Robe, einem Teil des Adels, welcher für die Taten im Staatsdienst geadelt wurde. Über Posten an den Parlamenten, den lokalen Gerichtshöfen, ließ sich zum einen ein großer Einfluss ausüben, zum anderen aber auch viel Geld über die weitverbreitete Bestechlichkeit machen.


Zum zweiten Teil meiner Frage, hat da auch noch jemand eine Idee? Ich wiederhol es nochmal:

1.
Was war eigentlich mit den adeligen Damen? Haben die den ganzen Tag gestickt? Hatten die evtl. die Aufgabe das Dienstpersonal zu deligieren, mit der Köchin die Menuepläne für die nächste Woche durchzugehen? Oder haben die Damen evtl. die Haushaltsausgaben überwacht?

2.
Soweit ich gehört habe, haben die sich ja noch nicht mal selber großartig um die Kindererziehung gekümmert, da die Kinder erst zur Amme kamen und dann in Erziehungsanstalten (Kloster, Collège Louis-le-Grand u.ä.)
1.
Da kommt es auf die Erziehung der adeligen Damen an. Hatten sie eine sehr gute Erziehung genossen, so betätigten sich viele Damen neben den obligatorischen Handarbeiten (Sticken, Knötchenmachen etc.) mit den Künsten. Viele musizierten, Zeichnen war beliebt, einige traten im privaten Kreis in kleinen Theaterinszenierungen auf...

2.
Mit der Rolle als Haushaltsvorstand beschäftigte sich die adelige Frau m.W. kaum noch. Das war vor 1700 stärker vertreten. Zusehends gab es sozusagen Dienstränge unter den Dienstboten, wo der Umfang des Haushaltes es notwendig machte, welche den übrigen Dienstboten vorstanden und sich mit der Organisation des Arbeitsablaufes und der Speisen beschäftigten. In Frankreich gab es verschiedene "officiers" für dergleichen (z.B. einen für die Verwaltung des Silbers).
 
1.
Zu einem ausgefüllten Leben würde meiner Meinung nach sicher noch das Eine oder Andere gehören, z.B. seine Kinder höchstpersönlich zu erziehen und zu betreuen, aber das oben Erwähnte klingt eigentlich auch schon ganz gut.
2.
Dass einige Damen sich einen Liebhaber gönnten.... hm, sind die Ehemänner dann nicht ausgeflippt? Die hatten doch damals noch ganz andere Ehrbegriffe als man das heute kennt. Wenn das öffentlich wurde, hatte man als Frau doch sicher strenge Strafen zu erwarten, oder?
1.
Die Kindererziehung wandelte sich ein wenig mit der Aufklärung. Es gab manche Vertreter aus hohen Kreisen, welche begannen ihre Kinder selber zu erziehen. (Aus Deutschland habe ich schon vom Fürsten von Anhalt-Dessau gelesen, dass der seinen Sohn selbst erzogen hätte.)
Auch in der Kunst fand das seinen Niederschlag:
Marguerite Gérard griff mehrfach das Thema der ersten Schritte auf. Z.B. hier: http://media.kunst-fuer-alle.de/img/41/m/41_00089492.jpg
Es gibt auch in einer Stichereihe von Moreau le Jeune Abbildungen von adeligen Eltern, welche sich nicht nur auf ihren Nachwuchs freuen, sondern sich auch mit diesem beschäftigen.

2.
Das darf man sicherlich nicht verallgemeinern, was ich gleich schreibe, aber ich mach das einfach mal: Mein Eindruck ist, dass sich die Ehegatten mit den Liebhabern ihrer Frauen arrangierten. Man darf sich das aber auch eben nicht zu sehr wie heute mit dem Zusammenleben der Ehepartner vorstellen.
Ich gehe jetzt mal von einer wohlhabenden adeligen Familie in Paris, die dort ihr Hôtel hatten, ein Landgut irgendwo in der Provinz und bei Hofe zugelassen waren. Die Hôtels in Paris waren quasi Residenzschlösser im Kleinen. Es gab wie bei den großen Schlössern der Könige einen Cour d'Honneur (Ehrenhof), worum sich die Gebäude gruppierten. Zur Straße hin lag das Gebäude des Pförtners oder der Schweizer, so man sich solche leisten konnte (eine Art Bodyguards oder Wachschutz von damals in schmucken Uniformen), dann gab es noch die Wirtschaftsgebäude evtl.. Auf der anderen Seite des Hofes lag das eigentliche Hôtel. Darin wohnte Herr und Dame voneinander getrennt jeweils auf einer Seite des Gebäudes mit eigenem Schlafzimmer, Kabinetten etc..
Außer zu bestimmten familiären Anlässen sahen sich die Eheleute oftmals kaum. In ihren Trakten der Hôtels empfingen sie ihre Freunde.
Von daher muss es der Gemahl nicht unbedingt mitbekommen haben, wenn die Gattin einen Liebhaber hatte. Und selbst wenn, stand man dem oftmals eher emotionslos gegenüber. Viele hatten kaum aus Neigung, sondern primär aus Interesse des Hauses (also der Familie im umfangreicheren Sinne) sich mit dem Ehepartner vermählt. Duelle zwischen Liebhabern und Ehemännern sind mir jedenfalls eher selten untergekommen (mal abgesehen von den "Abenteuern des Chevalier de Faublas" =) ).
 
In Ergänzung der Postings meiner Mitdiskutanten noch folgendes:

Bei den adeligen Herren kam noch als Beruf die Tätigkeit in der Kirche hinzu, meist für zweit- und drittgeborene Söhne, als Bischhof, Äbte/Priore von Klöstern etc.

Bei den adeligen Damen ebenfalls der Eintritt in ein Kloster.

Ein gutes zeitgenössisches Sittenbild des Hochadels bei Hofe gibt der Herzog von St. Simon, allerdings etwas vor Deiner Untersuchungszeit:

Louis de Rouvroy, duc de Saint-Simon ? Wikipedia

"Füchse im Weinberg" von Feuchtwanger wirst Du ja bei Deinem Thema kennen.


M.
 
In den meisten Ländern Europas ist diese Dreierkombination so nicht zu erfüllen. Handel treiben ist m. W. um diese Zeit nur für den britischen Adel eine standesgemäße Beschäftigung. In Frankreich und m. W. den meisten kontinentalen Staaten ging so was gesellschaftlich gar nicht.
Nein, auch in England war das Handel treiben offiziell verpönt, auch wenn die standesgemässen Zinsen, von denen ein Gentleman zu leben hatte, ja doch immer aus diversen Geschäften kamen, und wenn es Bankgeschäfte waren. Das verhielt sich bei den Lordschaften nicht anders, als bei einem Gentleman der Gentry.

@Comtesse
Ein Gutsbesitzer verwaltete seinen Besitz meist nicht selbst, sondern beschäftigte dafür einen Verwalter. Wichtig war nur, ob er von der Pacht standesgemäß leben konnte.

Das von dir beschriebene erfüllte Leben, in dem adlige Damen in der Erziehung ihrer Kinder aufgehen, gab es einfach nicht. Brissotin erwähnte zwar die Aufklärung, man begann sich mit der "Seele" der Kinder auseinanderzusetzen, jedoch führte dies nicht dazu, dass man mit der Erziehung der Kinder sein Dasein füllte.

Ich denke, du musst dich auch von der Vorstellung verabschieden einen Charakter für deinen Roman zu entwerfen, der in Adelskreisen beheimatet und dennoch ein aufgeklärter und herzensguter Mensch ist, dem die Pächter aus freien Stücken zujubeln.

Um eins weiter zu gehen: das Bild des perfekten und unfehlbaren nicht nur Aristokraten, sondern Menschen.
Das wird dir nicht gelingen, denn einen solchen gibt es nicht. Menschen sind fehlbar, und davon leben und erzählen Romane.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei den adeligen Herren kam noch als Beruf die Tätigkeit in der Kirche hinzu, meist für zweit- und drittgeborene Söhne, als Bischhof, Äbte/Priore von Klöstern etc.

Bei den adeligen Damen ebenfalls der Eintritt in ein Kloster.
Ich musste auch an das Kloster denken, als geschichtsfan07 die unverheirateten Damen erwähnte.

Natürlich war für Damen die Karrierechance in der Kirchenlaufbahn nicht so arg gewiss, aber man war da wohl in einigen Klöstern zumindest unter sich. D.h. es gab durchaus einige adelige Damen für welche die Familie sich im Kloster einkaufte.
Ich denke zwar nicht, dass die Nonnen und Mönche wirklich durchweg so verworfen waren, wie es uns Mirabeau (in "Meine Bekehrung"), Gervaise LaTouche ("Der Kartäuserpförtner") oder d'Argens/vielleicht auch wer anders ("Thérèse philosophe") nahelegen, aber wir haben doch auch glaubhafte Hinweise auf eine gewisse Freizügigkeit in moralischen Dingen. Man denke an die Passage über die zwei Nonnen (erschienen als Buch Casanova: "Die zwei Nonnen" - Eine Erotische Geschichte im Diogenesverlag) aus Casanovas Memoiren. Ich weiß jetzt nicht wie gut belegt dieser Teil der Memoiren ist, aber grundsätzlich hält man heute in Fachkreisen die Memoiren für die Erzählung wahrer Erlebnisse. Der Abschnitt über die beiden Nonnen spielt aber leider in Venedig.
 
Das von dir beschriebene erfüllte Leben, in dem adlige Damen in der Erziehung ihrer Kinder aufgehen, gab es einfach nicht. Brissotin erwähnte zwar die Aufklärung, man begann sich mit der "Seele" der Kinder auseinanderzusetzen, jedoch führte dies nicht dazu, dass man mit der Erziehung der Kinder sein Dasein füllte.
Beispielsweise Necker (wenngleich kein franz. Adeliger, aber immerhin ein Mann der Gesellschaft) wurde für die Erziehung seiner Tochter, der späteren Madame de de Staël, recht berühmt und von ihr dafür auch späterhin sehr verehrt. Aber er war sicherlich eine extreme Ausnahme.
 
Für meinen Roman (1770er Jahre) würde ich gerne einen Adeligen entwerfen, der durchaus Handel treibt, der an aufklärerischen Diskussionszirkeln teilnimmt und der sich auf, für damalige Verhältnisse, menschenfreundliche Weise um seine Grafschaft kümmert. Wäre das sehr weit von der damaligen Realität entfernt?
Das klingt für mich schon realistisch.

Viele Adelige waren in Frankreich bei ihren Bauern sehr beliebt, bzw. ihre Vorbilder, was sich dann auch darin niederschlug, dass man bspw. sich 1793 in Westfrankreich an sie als die Führer der royalistischen Erhebung wendete.

Excideuil hatte sehr anschaulich ein Beispiel beschrieben, was sehr schön deutlich macht, warum durchaus einige Adelige bei ihren Bauern sehr beliebt waren: http://www.geschichtsforum.de/538725-post74.html

Man darf es sich auf keinen Fall so vorstellen, dass die Bauern sich beständig fragten, warum sie denn die oder jene Pacht zahlen mussten. Für die meisten war es noch lange, ja bis in die Revolution hinein, eine gottgegebene Ordnung, in welcher sie einfach ein Glied waren und in welche sie sich, nicht zuletzt als fromme Christen, zu fügen hatten.

Vielleicht ist die Bezeichnung "Beliebtheit" auch fehl am Platz. Sie beschreibt wahrscheinlich nicht ganz richtig das Verhältnis aus Respekt, Loyalität und Verbundenheit von Bauern zu ihren Adeligen.
Beliebt ist heute meinetwegen ein Fußballspieler oder vielleicht auch ein Politiker.
Aber das lässt sich so einfach nicht auf damals übertragen. Ob man sie mochte oder nicht, die Adeligen waren einfach da - einige Familien sogar schon seit vielen Jahrhunderten. Man hatte über die Zeit eine Form des Zusammenlebens gefunden. Man lebte zwar räumlich getrennt (der Adelige in seinem Schloss oder Haus - der Bauer auf seinem Hof, der Kleinbauer in seiner Kate), aber es gab auch Ereignisse, wenn man sich sah und, mit der entsprechenden Distanz, doch zusammen kam wie in der Kirche.

Man darf die Libertins, also die moralisch eher lockeren und bisweilen unreligiösen Adeligen auch nicht verallgemeinern. Es gab daneben natürlich auch weiterhin eine Gruppe von religiöser und moralisch versierter Adeliger, v.a. auf dem Land, welche ihren Bauern durchaus als (gutes (?)) Beispiel voran gehen konnten.

Auf dem Lande einen Philosoph oder zumindest aufklärerisch interessierten Adeligen kann ich mir schon vorstellen. Gerade viele Adelige, so sie denn die Bildung v.a. in der Jugend genossen haben, waren den aufklärerischen Ideen gegenüber teilw. offen, vor allem im Bezug auf Aspekte, welche die Stellung des Adels als solchen nicht angriffen.

Du darfst jedenfalls in meinen Ausführungen keinen Widerspruch sehen, wenn ich von Libertins und Religiösen schreibe, von den protzigen Großstädtern und den Adeligen in der Provinz. Es gab alles mögliche nebeneinander. :fs:
 
Bezüglich der däm:nono: - damenhaften Betätigungen ist vielleich das hier interessant:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/4727/pdf/Paletschek_Adelige_und_buergerliche_Frauen.pdf

Zur Vereinbarkeit von Adel und bürgerlichem Broterwerb ein paar Passagen aus Demel, Walter, Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005:
S. 72:
Körperliche Arbeit [...] war für den Adel verpönt; [...] Im eigenen Kramerladen zu stehen und Waren zu verkaufen oder ein Handwerk auszuüben, galt ebenfalls als unstandesgemäß. Nur bestimmte Gewerbe standen dem Adel offen, vor allem solche, die mit seinem Grundeigentum in Beziehung standen: Glasproduktion (wofür viel Holz benötigt wurde), der Betrieb von Brauereien und Brennereien (zur Verarbeitung des eigenen Getreides) oder von Berg- und Hüttenwerken [...], vielleicht noch von Textilmanufakturen, sofern dort Leinen oder Seide verarbeitet wurden, die von Flachsfeldern beziehungsweise den Maulbeerbäumen stammten, die dem Herrn gehörten. Dass der Herzog Louis-Philippe von Orléans am Ende des Ancien Régime der führende Textilunternehmer Frankreichs war, belegt, dass einzelne Hochadelige, die zu vornehm waren, um sich um ihren Ruf sorgen zu müssen, sich durchaus nicht auf den Erwerb neuer Ländereien (etwa auch in der Karibik) beschränkten. [Hervorhebung von mir] Auch manch andere Adelige standen den wirtschaftlichen Modernisierungstendenzen nahe, nicht nur im England der Industrialisierung. [S. 71] Doch ist selbst hier im Allgemeinen eine gewisse Zurückhaltung nicht zu verkennen. [...]
Selbst in England, wo kaufmännische Betätigung nie einen Titel gefährdete und der eine oder andere Lord einen jüngeren Bruder hatte, der in einer Londoner Handelsfirma tätig war, war das kommerzielle Engagement der höheren Kreise nicht überwältigend. Zudem stiegen nach 1750 die Pachtzinsen steil an und legten somit den Erwerb risikoärmeren Grundeigentums nahe.
 
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