Was haben Adelige eigentlich so gemacht?

Selbst in England, wo kaufmännische Betätigung nie einen Titel gefährdete und der eine oder andere Lord einen jüngeren Bruder hatte, der in einer Londoner Handelsfirma tätig war, war das kommerzielle Engagement der höheren Kreise nicht überwältigend. Zudem stiegen nach 1750 die Pachtzinsen steil an und legten somit den Erwerb risikoärmeren Grundeigentums nahe.
Natürlich gab es Lords, die mehr oder weniger stille Teilhaber auch von Banken waren, und bei der späteren Child-Bank war die Teilhaberschaft derer von Child bzw. Child-Villiers kein Geheimnis, aber das besagte noch lange nicht, dass man die Söhne in Banken und Handelsfirmen "arbeiten" liess.

Auch hier hielt man die Fäden eher im Hintergrund in der Hand und liess andere am Schalter sitzen und arbeiten. Im Grunde ging es hier doch um Investitionen, Beteiligungen und Zinsen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im eigenen Kramerladen zu stehen und Waren zu verkaufen oder ein Handwerk auszuüben, galt ebenfalls als unstandesgemäß.
Das wundert mich nicht, dass es unstandesgemäß war.

Ich stelle mir nebenher bspw. einen Unternehmer vor. Wenn sein "Laden" nicht gerade der Kleinste ist, wird er ja wohl kaum sich mit an die Maschinen stellen und seine Leute unterstützen, sondern 3 Etagen höher am Schreibtisch sitzen.
Oder vielleicht noch ein wenig überspitzter?:
Ich stelle mir nebenher einen Optiker vor, dem von anderen hinter vorgehaltener Hand vorgeworfen und übelgenommen wird, dass er den Elektrikern beim Verlegen der Kabel für sein neues Geschäft nicht unter die Arme greift.

Ich kann daher den Vorwurf - ich sehe ihn zumindest als solchen bisher an -, dass Adlige *** und *** :)D) waren, weil sie keiner "Arbeit zum Broterwerb" nachgingen nicht so recht akzeptieren.
 
wow, so viele ausführliche Antworten, einfach Klasse! Danke dafür.


Wenn ich mir das alles so zu Gemüte führe, dann entwerfe ich wohl realistischerweise einen Baron - Landadel - mäßig reich - aufklärerische Ideen - freundlich und durchaus hilfsbereit auch zum einfachen Volke (aber ohne Kumpelei).

Er heiratet die Tochter eines Barons - wegen der Mitgift - und lebt dann neben ihr her - außer den gelegentlichen Treffen, bei denen man -rein geschäftlich- versucht einen Erben zu zeugen. Als er mitbekommt, dass sie einen Liebhaber hat, ist er einigermaßen sauer, da er ja sicher sein will, dass sein Erbe auch von ihm stammt. (Später hätte er aber kein Problem mit ihrer Untreue)

Er selbst könnte ruhig eine Mätresse haben, da hat seine Frau nichts mitzureden.

Er überprüft stets was sein Verwalter mit seinen ländlichen Gütern so anstellt (da er in der Normandie lebt, vorwiegend Cidre/Calvados), hat ein paar Einlagen in diverse Firmen/Banken und geht ansonsten gerne auf die Jagd und in seinen Debattierclub. Außerdem hat er sich der Pferdezucht verschrieben (Hobby) und macht auch guten Reibach mit dem Verkauf der Pferde.
Da er nicht zum Hofadel gehört, muss er nicht bei Hofe leben, sondern darf in seinem kleinen Schlösschen wohnen.

Weil er der zweitälteste Sohn ist, hat er zunächst eine militärische Ausbildung genossen, im 7-jährigen Krieg als Offizier gedient(Offiziersstelle gekauft) und ist seit dem Tod seines älteren Bruders selber der Baron von und zu. (ich nehme mal an, dass der Titel durchaus auch an den nächstälteren Bruder vererbt wurde, wenn kein Sohn hinterlassen wurde, oder?)
 
Guten Morgen,

[Weil er der zweitälteste Sohn ist, hat er zunächst eine militärische Ausbildung genossen, im 7-jährigen Krieg als Offizier gedient(Offiziersstelle gekauft) und ist seit dem Tod seines älteren Bruders selber der Baron von und zu. (ich nehme mal an, dass der Titel durchaus auch an den nächstälteren Bruder vererbt wurde, wenn kein Sohn hinterlassen wurde, oder?)
Titel liessen sich uebrigens auch uebertragen: Charles-Daniel de Talleyrand-Perigord etwa enterbte seinen aeltesten Sohn Charles-Maurice, als der etwa 14, 15 Jahre alt war - als klar wurde, dass der Junge wirklich "zu behindert" war, um jemals eine Laufbahn beim Militaer antreten zu koennen (er hatte einen Klumpfuss und konnte nur sehr schlecht gehen, ausserdem war der Vater ein Militarist, der koerperliche Schwaeche verachtete, weshalb es schon deshalb fuer ihn nicht in Frage kam, dass der behinderte Sohn die Titel weiter fuehrte). Die Talleyrands gehoerten zwar zu uraltem Hochadel, hatten aber ueberhaupt kein Geld, sie haetten ihrem Sohn niemals einen Posten irgendwo in irgend einer Verwaltung kaufen koennen, und sie haetten ihn niemals einfach so durchfuettern koennen. Also musste anders fuer den Jungen gesorgt werden - naemlich durch eine Laufbahn in der Kirche (auch, wenn der Sohn sich sehr dagegen straeubte).

Alle Titel (Comte de Grignols, Prince de Chalais, Marquis d'Excideuil, Marquis de Talleyrand-Périgord) uebertrug sein Vater an seinen juengeren Bruder Archambaud, der zwar kein grosses Kirchenlicht war, aber gesund. Der Vater hat das seinem Sohn (angeblich) auf sehr feinfuehlige Weise beigebracht. Anscheinend erwaehnte er eher beilaeufig, er habe jetzt alle Titel auf Archambaud uebertragen. Daraufhin fragte Charles-Maurice, warum Archambaud, warum nicht ich? Die Antwort des Vaters war: Weil Archambaud kein Krueppel ist.

Nun ja, langer Rede kurzer Sinn: Titel sind nicht nur vererbar, sondern auch uebertragbar. (Uebrigens war Charles-Maurice auch gar nicht das erste, sondern das zweite Kind. Er hatte einen ein Jahr aelteren Bruder, der allerdings im Alter von 5 Jahren an den Pocken gestorben ist. Erst danach wurde
Charles-Maurice zum aeltesten Sohn.)

Viele Gruesse,
Gnlwth
 
@ gnlwth
Das hängt wohl davon ab, ob es Hausgesetze gibt.
Zumindest in Dtl. und England waren offenbar immer wieder die Adeligen an solche gebunden. Diese zu umgehen mochte zwar zu Lebzeiten der Eltern möglich gewesen sein, ließ sich dann aber nach deren Tod leicht wieder von den Hintangesetzten anfechten und das, im wahrsten Sinne des Wortes, zu Recht. Ich denke dabei im großen Maßstab an Friedrich I. in Preußen, der von seinem Vater ja auch quasi zum guten Teil um sein Erbe gebracht werden sollte. Ein Grund war auch, dass er schwer gehbehindert war und daher der Große Kurfürst lange seinem vormaligen Erben Karl Emil nachtrauerte, der aber schon 19-jährig zu Straßburg verstarb. Dann versuchte es Kurfürst Friedrich Wilhelm mit einer Erbteilung, welche dann aber nach seinem Tode aufgrund der Hausgesetze von Friedrich vollständig kassiert wurde.

Kennt jemand ähnlich mächtige Hausgesetze auch aus Frankreich?
 
Kennt jemand ähnlich mächtige Hausgesetze auch aus Frankreich?

Das ist ja interessant - Talleyrand haette die Entscheidung seines Vaters also theoretisch anfechten koennen?! Allerdings nur theoretisch, denn sein Vater starb im Dezember 1788, und danach war es sicher wenig opportun, vor Gericht (tat man das dann vor Gericht? Oder entschied das der Koenig?) um irgendwelche Titel zu streiten. Und dann, kurze Zeit spaeter, ja sowieso obsolet. Und die Mutter starb sowieso erst 1809, aber die Mutter ist in diesem Fall wohl ohnehin bedeutungslos, oder?

Viele Gruesse,
Gnlwth
 
Das ist ja interessant - Talleyrand haette die Entscheidung seines Vaters also theoretisch anfechten koennen?! Allerdings nur theoretisch, denn sein Vater starb im Dezember 1788, und danach war es sicher wenig opportun, vor Gericht (tat man das dann vor Gericht? Oder entschied das der Koenig?) um irgendwelche Titel zu streiten. Und dann, kurze Zeit spaeter, ja sowieso obsolet. Und die Mutter starb sowieso erst 1809, aber die Mutter ist in diesem Fall wohl ohnehin bedeutungslos, oder?
Ich kenne ja nicht deren Gesetze.

Also ich sehe zumindest eine Enterbung durch den Vater aus einem m.E. keineswegs trifftigen Grund als anfechtbar. Die Frage wäre, ob Charles-Maurice de Talleyrand dem hatte irgendwie zustimmen müssen oder ob der Vater nach Gutdünken über sein Vermögen und die Bestimmung des Erben entscheiden durfte.

Ich verstehe nicht ganz, was die Unmöglichkeit eine Laufbahn im Militär antreten zu können mit dem Erbe zu tun haben soll.
Zwar war man als Adeliger pro forma zur Heerfolge verpflichtet bzw. es war obligatorisch, dass man dafür zur Verfügung stand. Andererseits waren gerade viele Vertreter des Hochadels nicht mehr so scharf darauf, Ränge im Militär inne zu haben.
Wie verbreitet es im 18.Jh. für eine französische Adelsfamilie war, ihren Sohn zum Offiziersdienst zu schicken, war regional enorm unterschiedlich. Der nationale Durchschnitt an Familien, welche wenigstens einen Spross zum Militär schickten lag bei um die 50 %, während in Gegenden mit einer alten militärischen Tradition wie der Osten Frankreichs oder die Gascogne der Prozentsatz viel höher liegen konnte. So waren unter Louis XIV aus der Gascogne aus 90 % der Adelsfamilien mit Titel mind. 1 Familienmitglied bei der Armee, während beim niederen Adel zumindest bei 2 Drittel dies zu verzeichnen war.*
Es lässt sich verzeichnen, dass einige Regimenter quasi über Jahrzehnte, wenn nicht gar im ganzen 17. und 18.Jh. von wenigen Familien kontrolliert wurden und dass immer wieder Sprösslinge aus diesen Familien aufeinander in den Rängen folgten.
Es gab aber auch andererseits Familien, garnichtmal unbedingt aus der Noblesse de Robe, welche kaum ihre Söhne zum Militär schickten, was durch die obigen Zahlen wohl auch untermauert wird (eben die übrigen 50 Prozent, die keine Familienmitglieder im Militär unterbrachten).

* Ronald G. Asch:
"Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit" Böhlau, Köln-Weimar-Wien, 2008
hier: "6. Wirkungsfelder des Adels" - "Die stehenden Heere des Ancien Régime und der Adel" S. 208-209
 
Die Frage wäre, ob Charles-Maurice de Talleyrand dem hatte irgendwie zustimmen müssen oder ob der Vater nach Gutdünken über sein Vermögen und die Bestimmung des Erben entscheiden durfte.

Na ja, Charles-Maurice de Talleyrand war 14 oder allerhoechstens 15, als sein Vater ihn enterbte (entweder 1768 oder '69). Ich glaube nicht, dass er da irgend etwas mitzureden gehabt haette, weder vor dem Gesetz, noch vor seiner uebermaechtigen Familie.

Ich verstehe nicht ganz, was die Unmöglichkeit eine Laufbahn im Militär antreten zu können mit dem Erbe zu tun haben soll.

Das war Familienduenkel, glaube ich. Der oberste Talleyrand war eben seit 900 A.D. ein Militaer, und der Vater konnte sich wohl einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass jemand, der fuer den Militaerdienst untauglich war, irgendwie als Familienoberhaupt fungieren konnte. Geld zu erben gab's sowieso nicht, nur Titel - und die hatte ein Krueppel in den Augen von Charles-Daniel de Talleyrand eben nicht verdient. Ruhm und Ehre konnte sich ein Talleyrand nur in der Schlacht verdienen, und wenn er noch nicht einmal in der Lage war, besonders lange zu stehen, geschweige denn zu laufen oder zu fechten (oder einigermassen gut zu reiten) oder sonst irgend etwas "Sportliches" zu tun, dann gab es eben kein Ruhm und keine Ehre - und darauf zu verzichten kam natuerlich gar nicht in Frage.

Viele Gruesse,
Gnlwth
 
Das war Familienduenkel, glaube ich. Der oberste Talleyrand war eben seit 900 A.D. ein Militaer, und der Vater konnte sich wohl einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass jemand, der fuer den Militaerdienst untauglich war, irgendwie als Familienoberhaupt fungieren konnte.
Gut, als lieutenant général war Charles-Daniel de Talleyrand-Périgord schon ein hohes Tier in der Armee des Königs. Und eine ähnliche Karriere erwünschte er sich wohl für seinen Stammhalter.

Interessant wäre es, wie es in anderen Familien mit solchen Erbfragen aussah(?).

Wenn ich mich recht entsinne, habe ich den Eindruck, dass die endlosen Prozesse, welche die Adeligen "gern" vor den Parlamenten ausfochten doch recht oft um Erbstreitigkeiten gingen.
 
Wenn ich mich recht entsinne, habe ich den Eindruck, dass die endlosen Prozesse, welche die Adeligen "gern" vor den Parlamenten ausfochten doch recht oft um Erbstreitigkeiten gingen.
Ja, vor allem in Fällen, wo die Erbfolge nicht "astrein" war. Fernere Familienmitglieder der männlichen Linie prozessierten auch sehr gern, wenn z.B. Großneffen des weiblichen Zweiges adoptiert wurden, um sie in die Erbfolge zu bringen, was zumindest in England möglich war. Anscheinend war die Erbfolge in diesen Fällen dann doch nicht eindeutig ...? :grübel:
 
Die Frage stellt sich ja sowieso nur immer dort, wo es die primogene Erbfolge gab oder wo es um Fideikommisse ging. Normalerweise konnte da nicht einfach so entschieden werden, wie man wollte. Nicht der Erblasser selbst konnten einfach festlegen, dass die Erbfolge z.B. bei den Titeln verändert wurde, da er gar nicht die Hoheit über die Vergabe adeliger Titel hatte, sondern es war Sache der Krone, dieses Ansinnen auf Änderung auch zu bestätigen oder es gab bezüglich des dinglichen Erbes oder Ausschlusses des Erbes Festlegungen im Hausgesetz. In der Praxis konnte natürlich auch in vielfältiger Weise "nachgeholfen" werden. Es musste aber durchaus überzeugende Gründe geben, wenn der Erstgeborene nicht zu seinem Recht kommen sollte. Eine Anfechtung dürfte dann allerdings nach Bestätigung in den meisten Fällen erstmal zwecklos gewesen sein, sofern sich die Bedingungen, die dazu geführt hatten, nicht veränderten.

Viele Grüße
Hina
 
Ich komme nochmal darauf zurück.

Wo sagte ich denn, dass diese Frauen verheiratet waren? ...

Das Verheiratetsein war wohl die schlechteste Konstellation, das Nichtverheiratetsein die Einfachste.
Im ersten Fall kam es wohl am Häufigsten dazu, dass der Gatte sie zwang den Kontakt abzubrechen - fertig. Er konnte sie ja wohl kaum ins Zuchthaus schicken und schuften lassen.
Aber wenn der werte Gemahl eh nur auf die Mitgift aus war und das Verhältnis zu seiner Frau eh distanziert und fremd im Raum stand, war es manchem vielleicht auch herzlich egal.
Gibt es zu der Thematik erhellende Publikationen?

Ehe oder Ehelosigkeit scheint für mich kein Hinderungsgrund für Affären gewesen zu sein.
Aufsehenerregendes rüdes Vorgehen gegen angeblich oder wirklich ehebrecherische Gattinnen kenne ich nur aus Preußen und England: Sophie Dorothea von Braunschweig-Celle, Königin von England(1666-1726) mit ihrer berühmten Königsmarck-Affäre und Elisabeth Christine Ulrike von Braunschweig-Wolfenbüttel, Kronprinzessin von Preußen (1746-1840) mit ihrer geplanten Flucht und der Rolle als Staatsgefangene nach der Scheidung 1769.

Mir scheinen z.B. die Beziehungen der Mme. de Stael oder Comtesse de Flahaut während ihrer Ehen reale Beispiele zu sein, dass dies wohl nicht so schwierig war.
Wäre aber interessant wie häufig Duelle zwischen Ehemännern und Liebhabern vorkamen. Oder hätten sich Ehemänner mit sowas eher lächerlich gemacht, weil es in der franz. Aristokratie zu sehr usus war, dass es Affären gab?
 
Gibt es zu der Thematik erhellende Publikationen?

Ich könnte mir vorstellen, dass die Thematik eher in guten Biografien abgehandelt wird. :grübel: Vielleicht gibt es aber auch spezielle Literatur; das muss man sehen.

Ehe oder Ehelosigkeit scheint für mich kein Hinderungsgrund für Affären gewesen zu sein.

Ich glaube, dass ich mit dem "Einfachsten und Schwierigsten" nicht die Möglichkeit in Frage gestellt habe, sondern damit meinte, welche Gedanken zum Umgang mit der Affäre davor, während, danach, lange danach, wieder, ... aufkommen konnten.
Wenn sie verheiratet war, könnte sie sich eher Fragen gestellt haben - was auch nicht sein muss - wie ihr Mann darauf reagiert. Was sie selbst vielleicht auch ganz schön beschäftigt haben könnte.
Wenn sie nicht verheiratet war, waren diese ganzen Überlegungen nicht nötig und alles war eben "einfacher". :)
 
Wenn sie nicht verheiratet war, waren diese ganzen Überlegungen nicht nötig und alles war eben "einfacher".
Da habe ich mir auch schon gedacht, ob es nicht für Unverheiratete schwerer war, weil dann die Eltern/Familie auf eine Ehe mit dem Liebhaber drängen konnte, was evtl. weder im Sinne der einen noch der anderen Seite der Beziehung war.

In einer Zeit, als der Ruf noch wichtig war, mag auch die Jungfernschaft noch ein Gut gewesen sein. Nach dem Eheschluss konnte man diesbezüglich bei vollzogener Ehe ganz beruhigt sein, dass dann auf einem bestimmten Wege es zumindest nicht mehr auffliegen konnte.:pfeif:
 
Nicht unbedingt. Wenn das aufflog, war die junge Dame für eine standesgemäße Ehe "unvermittelbar".
Warst schneller. Stimmt aber.

Wobei beim Hochadel oder Hofadel eh recht jung geheiratet wurde. Ich will jetzt nicht das Wort "Ladenhüter" missbrauchen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädel, wenn nicht allzu große Hinderungsgründe (Krankheit, finanzielle fehlende Attraktivität etc.) dagegen sprachen, mit über 26 noch unverheiratet rumrannte war nicht so groß.
Ausnahmen bestätigen auch da freilich die Regel.
 
Hallo,

ich mag mich irren, aber ich meine, in der Germaine de Stael-Biographie von Christopher Herold wird erlaeutert, dass eine Dame nur dann Affairen haben konnte, wenn sie verheiratet war - wenn eine Unverheiratete Affairen hatte, galt sie gewissermassen als leichtes Maedchen und katapultierte sich damit aus der Riege der Heiratsfaehigen. Allerdings war ja ganz klar, dass Ehen in den allerseltensten Faellen auf Liebeshochzeiten gruendeten - eine Ehe wurde im Allgemeinen aus Vernunft geschlossen (finanzielle Versorgung, Mehrung des Grundbesitzes, politische Gruende, etc) - wenn sich die beiden Verheirateten dann noch leiden konnten (oder gar zu lieben lernten), dann hatten sie eben Glueck. Weil es aber keineswegs der Fall sein musste, dass sich beide auch nur annaehernd leiden konnten, wurde es auch viel eher akzeptiert, wenn einer der beiden Partner fremdging - wenn sich beide vom ersten Tag an auf den Tod nicht ausstehen koennen und das allgemein bekannt ist, wird niemand etwas sagen, wenn sie sich anderweitig vergnuegen. Dabei sind Maenner natuerlich etwas freier, aber eine Dame - sobald sie einmal im sicheren Hafen der Ehe angelangt und damit versorgt war, durfte durchaus auch ihren Spass haben.


Mir scheinen z.B. die Beziehungen der Mme. de Stael oder Comtesse de Flahaut während ihrer Ehen reale Beispiele zu sein, dass dies wohl nicht so schwierig war.
Bei beiden trifft zu, was ich oben ausgefuehrt habe: Beide waren mit Maennern verheiratet, die entweder erheblich aelter waren als sie selbst, und/oder todlangweilig.

Charles-Francois de Flahaut de La Billarderie war geschlagene 36 Jahre aelter als seine Frau; als er sie heiratete, war er 54 Jahre alt, sie 18 - man kann sich wohl vorstellen, dass sie verhaeltnismaessig wenig begeistert war. Glaubt man ihr, wurde diese Ehe nie vollzogen. Er heiratete sie, weil er sich nochmal mit einem huebschen jungen Maedchen schmuecken wollte, sie ihn, weil ihre aeltere Schwester sie durch die Hochzeit mit einem halbwegs reichen Mann versorgt sehen wollte. Wundert es jetzt jemanden, dass sie etwas mit dem charmanten jungen Priester anfing, der sie zu umgarnen begann, direkt nachdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte? Der Abbe de Perigord ging schon bald bei ihr ein und aus, als wohnte er da, sass und ass an ihrem Tisch und fuehlte sich auch sonst ganz wie zu Hause - etwa 10 Jahre lang. Und waehrend sie sich mit dem sinnenfrohen Abbe vergnuegte, lag ihr Ehemann nebenan mit Rheuma im Bett - und goennte ihr das Vergnuegen aus tiefster Seele, denn er wusste sehr gut, dass er fuer sie ein schlechtes Match war. So erkannte er auch die Vaterschaft des Kindes an, das sie mit dem Abbe zusammen hatte - sie nannten es Charles, so dass alle Welt raetseln durfte, ob der alte, kranke Charles-Francois de Flahaut, oder der junge Charles-Maurice de Talleyrand-Perigord (dem das Kind unuebersehbar aehnlich sah) der Vater war... Niemand sagte etwas, niemand machte ihr Vorwuerfe, alle sahen ein, dass sie quasi gar nicht anders konnte, als eine Liaison mit jemand anderem einzugehen. (Dass ihr erster Liebhaber ein Priester war, von dem sie dann auch noch ein Kind bekam, macht die Sache zwar etwas pikant, aber auch das sah man ihr nach (ihm weniger, uebrigens - dass er ein Kind hatte, verzoegerte seine Ernennung zum Bischof erheblich). Spaeter hatte sie dann noch eine Affaire mit dem amerikanischen Gouverneur Morris (der Abbe war sehr eifersuechtig, hatte zu diesem Zeitpunkt aber selbst schon wieder mehrere Affairen anderweitig am laufen). So, und jetzt wird es spannend, denn was jetzt passiert, zeigt, dass man einen Ehemann haben muss, um Affairen haben zu koennen: Als ihr Ehemann dann tot war (er wurde 1794 guillotiniert), haette sie sich ja freuen koennen, den alten Mann los und endlich frei zu sein - jedoch versuchte sie geradezu verzweifelt, wieder jemanden zu finden, der sie heiratete: erst versuchte sie es bei William Wyndham, dem aber sein Vater von einer Hochzeit mit ihr abriet, dann beim Marquis da Souza - der sie schliesslich heiratete, aber das dauerte ewig, vor allem, weil sich der zu diesem Zeitpunkt bereits exkommunizierte Ex-Bischof von Autun und Ex-Abbe de Perigord wieder einschaltete und die Hochzeit durch sein blosses Auftauchen in einem Gasthof in Hamburg verhinderte (was sie sich aber bis zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben hatte). Jahre spaeter heiratete sie dann endlich doch da Souza, denn ohne Mann schien es nicht zu gehen.

Bei Germaine de Stael liegt die Sache vielleicht ein kleines bisschen anders: Zwar war der Baron de Stael-Holstein auch 17 Jahre aelter als sie, aber das war wohl weniger das Problem, als dass er schlicht todlangweilig war. Und sie nahm sich eben, was sie wollte - zeitweilig (1792/93) hatte sie vermutlich ein Verhaeltnis mit Louis de Narbonne-Lara, Talleyrand und Mathieu de Montmorency gleichzeitig (was deshalb pikant war, weil Narbonne (angeblich ein unehelicher Sohn von Louis XV und dessen Schwester!) gleichzeitig auch ein Verhaeltnis mit Montmorencys Mutter hatte und ein guter Freund von Talleyrand war, der zu dieser Zeit noch immer mehr oder weniger mit Adelaide de Flahaut liiert war (allerdings kleinere Techtelmechtel mit einigen anderen Damen auch nicht ausliess), die zu dieser Zeit eine Affaire mit William Wyndham hatte, von dem Talleyrand sich wiederum eine Verlaengerung seines Exils in England erhoffte (weshalb er die Affaire seiner Freundin durchaus befuerwortete) - da ging wohl einiges hippieesk durcheinander, und die gegenseitige Eifersucht schien sich in Grenzen gehalten zu haben. Von wem Madame de Staels vier Kinder waren, ist da auch nicht ganz klar - mit ihrem Ehemann hat sie ja angeblich nicht viele Naechte verbracht. Auch bei ihr wurde es weitgehend akzeptiert, dass sie fremdging - vielleicht, weil man sie verstand, wenn man ihren Mann kannte, vielleicht auch, dass man ihr als Kuenstlerin da mehr Freiheiten einraeumte. Das jedenfalls hat ihrem Ruf nicht so richtig geschadet, glaube ich.


Wenn man da so liest, wer mit wem wann irgendwas hatte, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Art der freien (galanten) Liebe in bestimmten Kreisen ziemlich normal war - es war halt so, und Sex scheint mir da machmal einfach wie eine erweiterte Form der Kommunikation: Man kann eine prickelnde kleine Konversation fuehren, und wenn man sich gut versteht und gerne mag, dann landet man eben im Bett und fuehrt sie dort nonverbal weiter, was dann aber eben unter Umstaenden gar nicht mehr bedeutet, als dass man sich gut unterhalten hat. Ausserdem: Die Chance, dass man jemand anderen mehr mochte, als den Ehepartner, der einem aus Familien- oder Staatsraison zugedacht war, war doch recht gross...

Viele Gruesse,
Gnlwth
 
Zuletzt bearbeitet:
Nicht unbedingt. Wenn das aufflog, war die junge Dame für eine standesgemäße Ehe "unvermittelbar".

Dass ich bei "unverheiratet" komischerweise an Witwen gedacht habe, hätte ich ja auch mal irgendwo anbringen können. :autsch:
Ansonsten volle Zustimmung!

Ich hatte mal aufgeschnappt, dass Witwen mit die größten Freiheiten in Sachen Männerwahl hatten, aber dass scheint auch nicht auf jede und auf jede Zeit zuzutreffen, wie der Beitrag von gnlwth zeigt.
 
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