Was ist der Mensch? - Geschichte der Seins-Frage (Philosophie)

Mono

Neues Mitglied
Hallo!
Ich benötige Hilfe von den Philosophie-Kennern unter euch: Seit wann fragt die Philosophie nach dem Wesen der Dinge?
(Eine grobe Einordnung würde mir reichen, am besten mit Quellenangabe, damit ich es nachlesen kann)

Ich meine mich zu erinnern, dass diese Wende mit Sokrates bzw. Platons Überlieferungen verbunden wird, weiß aber die Quelle nicht mehr.

Es interessiert mich vor allem die Frage nach dem Wesen des Menschen - sicherlich ist diese Frage ähnlich alt wie das reflexive Denken selbst (?).

"Was ist der Mensch?" taucht in Kants Anthropologie als letzte der vier Fragen wieder auf, die im Prinzip die vorherigen drei beinhaltet (-> Mensch als Kulturwesen) und wird später von Ernst Cassirer (Neukantianer) wieder aufgegriffen und mit dem Übergang zur Kulturphilosophie beantwortet (Symbolische Formen).
An dieser Stelle ist mir nicht klar, warum die Kulturphilosophische Wende nicht schon bei Kant stattfindet, wenn er den Menschen als Kulturwesen kennzeichnet?
Wenn ich es richtig rekonstruiere, wird im Zuge der Aufklärung der "Sündenfall" (die Vertreibung aus dem Paradies) neu interpretiert (Kant, Schiller) als der Beginn der Kultur - und damit auch als Ablösung von den Instinkten. Der Mensch wird selbst zum "Schöpfer" (was wiederum schon Motiv in der Renaissance ist): Der Mensch ist nicht mehr "Abbild" Gottes, sondern wird "gottähnlich".

Interessieren würde mich die Geschichte vor Kant zur Frage "Was ist der Mensch?" und ihre historischen Wandlungen, vor allem ab dem 15. Jh.

Danke im Voraus!
 
@El Quijote

Gilt nicht Parmenides als der erste Ontologe?

Meines Wissens nicht ganz. Parmenides versuchte Heraklits Panta Rhei in dem Punkt zu widerlegen, dass er [Parmenides] etwas Festes suchte, was sich der Veränderung Heraklits entzog. Parmenides Ansatz wurde dann von Aristoteles übernommen und überaus populär ("Das Werden gibts nicht") - Steady State...

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@Mono

Hallo!
Ich benötige Hilfe von den Philosophie-Kennern unter euch: Seit wann fragt die Philosophie nach dem Wesen der Dinge?
(Eine grobe Einordnung würde mir reichen, am besten mit Quellenangabe, damit ich es nachlesen kann)

Ich meine mich zu erinnern, dass diese Wende mit Sokrates bzw. Platons Überlieferungen verbunden wird, weiß aber die Quelle nicht mehr.

Hi :winke:

Thales von Milet ist der erste (überlieferte) Philosoph, der sich über das Wesen der Dinge geäußert hat (wobei 585 v.Chr. als Startpunkt genommen wird). Die Frage: Woraus besteht die Welt? beantwortete er mit der Behauptung, dass alles aus nur einem Element bestehe - dem Wasser.

Thales begründete somit die Elementenlehre (danach Anaximenes mit seiner Luft...etc.)

Der pfiffige Anaximander (Schüler von Thales) hantierte dann schon mit dem Begriff des Unendlichen herum (Apeiron - das nicht Bestimmte). Sein Apeiron ist nicht materieller Natur: "Ursprung und Urgrund der seienden Dinge... ist das Grenzenlos-Unbestimmbare... Woraus aber das Werden ist den seienden Dingen,..., in das hinein geschiet auch ihr Vergehen, nach der Schuldigkeit; denn sie zahlen einander gerechte Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Zeit Anordnung."

Anfang und Ende sind also nach Anaximander dasselbe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nachtrag

@Mono

"Was ist der Mensch?" taucht in Kants Anthropologie als letzte der vier Fragen wieder auf, die im Prinzip die vorherigen drei beinhaltet (-> Mensch als Kulturwesen) und wird später von Ernst Cassirer (Neukantianer) wieder aufgegriffen und mit dem Übergang zur Kulturphilosophie beantwortet (Symbolische Formen).

Der Kant bezog sich hier vermutlich auf die Stoa (welche sich selbst von Aristoteles bediente), denn einiges lässt sich daraus ableiten. Bsp: Mensch = Terminus (Grammatische Fragestellung) = Begriff (eine Art von Form und Seele), was man dialektisch und logisch betrachtet.

An dieser Stelle ist mir nicht klar, warum die Kulturphilosophische Wende nicht schon bei Kant stattfindet, wenn er den Menschen als Kulturwesen kennzeichnet?

Ich habe mal gelesen, dass der Kant am Anfang gar nicht so bekannt war. Interessant ist die Verbindung Schiller-Kant (Homo ludens; Über die ästhetische Erziehung des Menschen; Transzendentale Ästhetik)

Wenn ich es richtig rekonstruiere, wird im Zuge der Aufklärung der "Sündenfall" (die Vertreibung aus dem Paradies) neu interpretiert (Kant, Schiller) als der Beginn der Kultur - und damit auch als Ablösung von den Instinkten. Der Mensch wird selbst zum "Schöpfer" (was wiederum schon Motiv in der Renaissance ist): Der Mensch ist nicht mehr "Abbild" Gottes, sondern wird "gottähnlich".

Dieser Gedankengang klingt schon bei Nicolaus Cusanus durch - "Götter aus zweiter Hand" (der Mensch als Schöpfer von Begriffen, Kunst etc.).
 
Also kann man sagen die Seinsfrage hat eine rund 2500jährige (überlieferte) Tradition?

Worin liegt denn der Unterschied zwischen Ontologie und Metaphysik?

Bsp: Mensch = Terminus (Grammatische Fragestellung) = Begriff (eine Art von Form und Seele), was man dialektisch und logisch betrachtet.
Wie ist das zu verstehen? Man gelangt zum Begriff "Mensch" was ihn als Objekt der Frage (nach sich selbst) zulässt? :confused:

Danke für den Hinweis auf Cusanus! Bisher kannte ich ihn nur aus der technikphilosophischen Diskussion und in Bezug auf die Aufwertung der alltäglichen Tätigkeiten im Gegensatz zu den rein geistigen - deshalb wundert mich, dass hier Begriffe und Intellekt im Vordergrund stehen.

Interessieren würden mich weitere Anmerkungen zum Wandel des Menschenbildes, vor allem im Zuge der Aufklärung und dem Aufkommen der modernen Wissenschaft. Die zahlreichen Defitionsversuche zeigen dies ja bereits an: zoon politikon, animal rationale, animal symbolicum, homo faber, homo ludens...
 
Es interessiert mich vor allem die Frage nach dem Wesen des Menschen - sicherlich ist diese Frage ähnlich alt wie das reflexive Denken selbst (?).

Zur klassischen Philosophie wurde ja schon einiges gesagt. Die Frage nach dem Wesen und der Herkunft von Mensch, Welt und Kosmos ist mE uralt; ob man da jetzt bei der Reflexion, der komplexen Sprache oder an anderen Punkten ansetzt.

Die Legenden und Mythen, die den Ursprung der Welt erklären, sind Legion; nichts spricht in meinen Augen dagegen, dass dies vor sagen wir 30.000 Jahren anders war. Der älteste schriftlich überlieferte Epos der Weltgeschichte, der Gilgamesch-Epos, stellt mWn ebenfalls die Frage nach der Herkunft des Menschen, seinem Platz in der Welt und dem Wesen des Todes in den Mittelpunkt.
 
@Mono

Also kann man sagen die Seinsfrage hat eine rund 2500jährige (überlieferte) Tradition?

Aus philosophischer (überlieferter) Sicht: ja!

Worin liegt denn der Unterschied zwischen Ontologie und Metaphysik?

Die Metaphysik ist zu unterteilen in (kurz gefasst):

- den allgemeinen Teil (Bereich der Ontologie)
- den speziellen Teil (Theologie)

Die Ontologie ist also ein Teil der Metaphysik und somit ihr als Unterkategorie zugehörig. Diese Unterteilung entstand in der Neuzeit.

Der Begriff Metaphysik wandelte sich allerdings im Lauf der Philosophiegeschichte, so meinte Aristoteles noch grundlegende Fragestellungen, die weit über das Sichtbare hinaus und sich der Ergründung der Erstursachen und Grundprinzipien beschäftigten, seien metaphysischer Natur.

Später wurde Metaphysik zur elementaren Philosophie-Disziplin, die sich mit dem "Sein als solchem" beschäftigte.

Wie ist das zu verstehen? Man gelangt zum Begriff "Mensch" was ihn als Objekt der Frage (nach sich selbst) zulässt?

Hier wird es für mich auch ein wenig schwammig: Die Stoiker trennten (im Gegensatz zu Aristoteles) nicht mehr Formalismus und Materialismus (Inhalt und Form sieht die Stoa zusammen).

Dies führt dann auch zur monistischen Weltsicht, dass alles aus einer Wurzel "entspringt". Somit lässt sich der Begriff "Mensch" mit der Substanz des Menschen und dem Terminus gleichsetzen, da alles den einen Ursprung besitzt.

Danke für den Hinweis auf Cusanus! Bisher kannte ich ihn nur aus der technikphilosophischen Diskussion und in Bezug auf die Aufwertung der alltäglichen Tätigkeiten im Gegensatz zu den rein geistigen - deshalb wundert mich, dass hier Begriffe und Intellekt im Vordergrund stehen.

Cusanus wurde lange Zeit (quasi) ignoriert oder nur teilzitiert - das Schicksal toter Denker...

Interessieren würden mich weitere Anmerkungen zum Wandel des Menschenbildes, vor allem im Zuge der Aufklärung und dem Aufkommen der modernen Wissenschaft. Die zahlreichen Defitionsversuche zeigen dies ja bereits an: zoon politikon, animal rationale, animal symbolicum, homo faber, homo ludens...

Da stellt sich mir die Frage, wo man dort anfangen sollte? Descartes? - Möglicherweise ist Descartes ein guter Startpunkt... da bräuchte ich aber ein bissl Zeit zum nachlesen, denn das kann man nicht alles im Kopf haben - bis später... :winke:
 
Nachtrag

Rene Descartes - Spaltung des Menschen

- res extensa (ausgedehnte Substanz)
- res cogitans (denkende Substanz)

Descartes meinte, dass das "ICH", das Denken und Gott schließlich in der Welt das einzig Wahre sind - wobei diese drei Prinzipien untrennbar zusammengehören. Er mißtraute zwar der "res extensa" doch veröffentlichte er 1664 eine Abhandlung über den Menschen, die als sehr materialistisch gilt (menschlicher Körper = Maschine).


Thomas Hobbes - res extensa über alles

Hobbes strich die "res Cogitans" als eigenständige Substanz und gliederte sie teilweise der ausgedehnten Substanz unter. Hobbes war somit Materialist. Er mißtraute auch in gewisser Weise den freien Menschen und der Freiheit insgesamt (homo homini lupus). Sein Menschbild stellt sich insgesamt sehr negativ dar. Der Mensch braucht einen Staat und Regeln (= Sicherheit). Stichwort: Leviathan


John Locke - tabula rasa

Lockes Erkenntnistheorie beruht auf der Vorstellung (Idea), welche die Grundlagen und den Ursprung der (menschlichen) Erkenntnis und deren Grenzen aufzeigt. Nach Locke ist der Verstand bei unserer Geburt gleich einem leeren Blatt und jede hinzukommende Erkenntnis und Vorstellung einzig der Erfahrung geschuldet (Empirismus). Zwei Quellen nähren dann die "Ideas":

- äußere Sinneswahrnehmung (sensations)
- innere Selbstwahrnehmung (reflections): Denkvorgänge wie: Meinungen etc.

Lockes praktische Philosophie geht von drei moralischen Gesetzes-Arten aus:

- göttliche Gesetze
- bürgerliche Gesetze (vom Staat bestimmt)
- Gesetz der öffentlichen Meinung (Maßstab für gutes und schlechtes Handeln)

Lockes Naturrecht kennt die Gleichheit und die körperliche Unversehrtheit sowie eine Art Gesellschaftsvertrag der Menschen untereinander. Auch findet sich bei ihm (im Gegensatz zu Hobbes) das Prinzip der Gewaltenteilung. Dem Volk ist es gegeben seinen Souverän in einer Revolution zu stürzen. Privateigentum gilt als Notwendikeit der Wertschöpfung.

Boah genug für heute....:schlafen:
 
@Reinecke: Es ist natürlich eine spekulative Sache, weil sich "Denken" eben schlecht überliefert, erst mit schriftlicher Möglichkeit. Aber ich würde dir zustimmen: Sobald man sich vor allem mit dem Tod - aber auch der Geburt - auseinandersetzt, künstlerisch und in Riten, ist es plausibel, dass Fragen wie "woher?" "wohin?" auftauchen. Dass also in einem der ältesten schriftlichen Überlieferungen (Gilgamesch-Epos) derlei Fragen vorkommen, lässt vermuten, dass sie schon sehr viel länger existieren. Kunst als "Beweis" würde für mind. 40.000 Jahre sprechen. Ich habe mal einen Beitrag gesehen, in dem behauptet wurde, dass die Neandertaler sozial und kulturell womöglich weiter entwickelt waren, als der homo sapiens auf sie traf. Beim Neandertaler geht man von ritueller Bestattung aus - Indiz für die Beschäftigung mit Tod und Nachleben.

@Thristan: vielen Dank!

Besonders interessant ist die Auseinandersetzung von Idealismus und Materialismus. Vielleicht kann man die drei von dir aufgezählten Gelehrten sogar als "Abfolge" verstehen (im Sinne von Nietzsches/Foucaults Genealogie), die das Phänomen "Geist" immer stärker auf die materielle Umwelt und die Auseinandersetzung damit beziehen, auch wenn es immer noch um das mit seinen Sinnen (und nicht Händen!) erkennende Subjekt geht?
Dagegen sprechen würde der später verstärkt aufkommende Idealismus und man müsste fragen woher er resultiert.
Es wäre eigentlich ein neues Thema wert: Wie Verhält sich Idealismus zu Materialismus bzw. später Rationalismus zu Empirismus?
Und kumulieren sie nicht letztlich beide in der modernen Wissenschaft?
 
@Mono

Besonders interessant ist die Auseinandersetzung von Idealismus und Materialismus.

Auf den ersten Blick könnte man annehmen, beide seien Wege, das religiös-mythische Denken zu überwinden. Schließlich entstanden in der Antike beide Denkformen genau zu diesem Zweck. Aus der Sicht jeweils einer von ihnen aber ist die andere gleichfalls mythisch, da sie sich gegenseitig für ein gedankliches Konstrukt halten.

Beide sind prinzipiell monistisch, legen dem Sein also eine einzige Substanz zugrunde - der Idealismus eine geistige, der Materialismus eine körperliche. Da der Materialismus schon durch den Verweis auf die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik widerlegt werden kann (deren bekannteste Vertreter übrigens idealistische Anschauungen hatten), beschränke ich mich auf die idealistische Sicht auf den Materialismus.

Parmenides erklärt alles Vergängliche für irreal. Damit meint er natürlich die materiellen Formen. Damit steht er der Auffassung des (viel späteren) indischen Vedanta sehr nahe, wenngleich in einer eher archaischen Form.

Platon betrachtet das Materielle als uneigentliches Sein und stellt ihm die geistige Wirklichkeit der Ideen gegenüber. Die Ideen entspringen der höchsten Wirklichkeitsebene, nämlich dem Einen (= Idee des Guten). Im Unterschied zu Parmenides hält Platon die dinglichen Erscheinungen aber nicht für völlig unwirklich, sondern gesteht ihn einen minderen Seinsmodus zu.

Plotin verbindet auf seine Weise Parmenides und Platon (und sicher auch brahmanistische Einflüsse). Aus dem Hen (dem Einen) strömen die Ideen des Nous (Geist), aus diesen die Seele (Weltseele, die sich aber auch individuell in den Subjekten manifestiert. Die Seele vermittelt zwischen den Ideen und der Materie. Die Materie ist für Plotin das Nichts in dem Sinne, dass sie durch die Ideen geformt werden kann, ohne diese Ideen aber nicht-seiend ist. Das Hen hat kein Sein, sondern ist "weder seiend noch nichtseiend". Das erste und höchste Sein ist der Nous. Die Seele ist bereits defizitär, und die Materie auf Nullstatus. Der ganze Emanationsprozess (das Strömen) ist zeitlos bzw. immerwährend, es gibt also keine zeitliche lineare Schöpfung.

Hegel ist ein spezieller Fall des Idealismus, da er - es gibt diese These, und ich halte dafür - den Weltgeist, anders als Parmenides, Platon und Plotin, für eine in sich gespaltene Substanz hält. Anders gesagt: Substanz = Subjekt. Soll heißen: Die Subjekt-Objekt-Spaltung aufgrund der Entäußerung des Geistes (die "Weltschöpfung"). Im Prinzip läuft das so:

Das Subjekt A setzt das Objekt Nicht-A. Im An-sich stehen sich also Selbstbewusstsein und das Andere (Objekt) gegenüber. Das ist die erste Negation: Das Objekt ist die Negation des Selbstbewusstseins, das sich selbst nur erkennt, insoweit es in Differenz zum Objekt steht.

In der zweiten Negation wird das Objekt vom Selbstbewusstsein in seiner Bezogenheit auf das Bewusstsein durchschaut - das Subjekt erkennt die Objektwelt als das Außersichsein seiner selbst. Es negiert die Andersheit des Anderen, indem es dieses als Moment einer für das Selbstbewusstsein konstitutiven Relation begreift. Es ist zwar das Andere, weil sonst kein Selbstbewusstsein möglich wäre, ist aber auch Teil des Bewusstseins, es wird also in dieses hineingenommen. So wird das Subjekt über das Objekt mit sich selbst vermittelt. Das ist das Fürsichsein.

Mit "Synthese" hat das nichts zu tun, denn dieser Begriff zielt auf Vereinigung und Einheit. Die Negation des Anderen (zweite Negation) hat aber nichts von dieser Art an sich: Der Widerspruch zwischen Subjekt und Andersheit bleibt bestehen, und das Subjekt weiß das. Dieser Sachverhalt ist ihm durch die zweite Negation einfach nur bewusst geworden. Die zweite Negation verdeutlicht also nur, was auf der Ebene des ersten Negation (Ansich) schon gegeben ist.

Dass Hegel eine statische Ganzheit als Zielpunkt des dialektischen Werdens im Auge hatte, ist ein weit verbreiteter Mythos. Im letzten Abschnitt der PhdG heißt es:

In seinem Insichgehen ist er (der Geist, Anm. Chan) in der
Nacht seines Selbstbewußtseins versunken, sein verschwun-
denes Dasein aber ist in ihr aufbewahrt; und dies aufge-
hobene Dasein, — das vorige, aber aus dem Wissen neu-
geborne, — ist das neue Dasein, eine neue Welt und Geistes-
gestalt. In ihr hat er ebenso unbefangen von vorn bei ihrer
Unmittelbarkeit anzufangen und sich von ihr auf wieder
groß zu ziehen, als ob alles Vorhergehende für ihn verloren
wäre und er aus der Erfahrung der früheren Geister
nichts gelernt hätte. Aber die Er-Innerung hat sie auf-
bewahrt und ist das Innere und die in der Tat höhere Form
der Substanz. Wenn also dieser Geist seine Bildung, von
sich nur auszugehen scheinend, wieder von vorn anfängt,
so ist es zugleich auf einer höheren Stufe, daß er anfängt.

Der Widerspruch, der dem Geist innewohnt, ist also unauflösbar. Das ´Ganze´ ist keinesfalls statisch und vollkommen, sondern unaufhebbar gespalten in Subjekt und Objekt. Das absolute Wissen ist einfach nur das Erkennen dieses Sachverhalts in seinem vollen Umfang. Hegel sagt: Das Subjekt ist identisch mit der Substanz. Das Subjekt ist aber auch seine eigene Setzung seines Widerspruchs, der Setzung des Objekts. Das Wahre - das Wesen der Substanz - kann also nur im Widerspruch bestehen. Es negiert sich selbst und schafft so das Objekt, negiert dann das Objekt und schafft so sich selbst.

Dem Subjekt aka Substanz ist die Spaltung, der Widerspruch, also unaufhebbar eingebaut.
Dagegen hilft auch kein "absolutes Wissen":

Im absoluten Wissen fallen Subjekt und Objekt zusammen. Nicht so, dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem Bewusstsein und dem Gegenstand des Bewusstseins mehr gäbe, sondern, dass die Bewegung der Selbstvermittlung vollständig zu Bewusstsein tritt und sich der Geist dadurch als die Substanz oder den Grund ebendieser Vermittlung erkennt.
 
@Mono

Besonders interessant ist die Auseinandersetzung von Idealismus und Materialismus. Vielleicht kann man die drei von dir aufgezählten Gelehrten sogar als "Abfolge" verstehen (im Sinne von Nietzsches/Foucaults Genealogie), die das Phänomen "Geist" immer stärker auf die materielle Umwelt und die Auseinandersetzung damit beziehen, auch wenn es immer noch um das mit seinen Sinnen (und nicht Händen!) erkennende Subjekt geht?

Je mehr wir uns der heutigen Zeit nähern, umso engmaschiger werden die Verknüpfungen, Verbindungen und Beeinflussungen. Mir fällt es manchmal sehr schwer eine existierende Abfolge als solche auch zu verstehen, weil oftmals auch gewisse Philosphen einen völligen Rückgriff auf die Griechen unternehmen oder die Werke anderer "Leidensgenossen" nur aus zweiter Hand bzw. teilweise kennen.

Dagegen sprechen würde der später verstärkt aufkommende Idealismus und man müsste fragen woher er resultiert.

Hier muss man geografische Unterschiede machen, denn ich meine du beziehst dich eventuell auf den "Deutschen Idealismus" (Fichte, Hegel, Schelling). Wie lässt sich das erklären? Naja, der Kant hatte das Feld erst einmal ziemlich abgeräumt mit seinen Schriften. Natürlich kam dann der Widerspruch von Fichte (im Zuge seiner Emanzipation von Kant) bezüglich des "Dings-an-sich".

Lustigerweise verstehe ich den "Deutschen Idealismus" immer als eine Art verbitterte Reaktion auf Kant (auch wenn ich damit vielleicht Unrecht habe). Hegel ist dann auch der Punkt an dem sich alles bricht und Philosophie durch Marx (ein von Hegel beeinflusster Kopf) konkret aber auch blutig wird.
 
Ja, mir sind die Pferde etwas durchgegangen :) Den Hegel-Teil (älterer Text von mir) habe ich übrigens einfach reinkopiert.

Lustigerweise verstehe ich den "Deutschen Idealismus" immer als eine Art verbitterte Reaktion auf Kant (auch wenn ich damit vielleicht Unrecht habe).

Mit dieser Bewertung wird man dem Deutschen Idealismus sicher nicht gerecht. Die Quellen, aus denen er sich speist, lassen sich durch Kants Kritik am Rationalismus nicht zustopfen. Kant war überdies alles andere als ein trockener Empirist, siehe seine "Träume eines Geistersehers":

Die Seele ist ein immaterielles Geistwesen mit Bewusstsein und Verstand, das mit anderen Seelen kommunizieren und auch ohne materiellen Körper als reiner Geist existieren kann. Wir sind eine Seele, wir haben, zeitweilig, einen Körper

Die Ungleichartigkeit der geistigen Vorstellungen und derer, die zum leiblichen Leben des Menschen gehören darf nicht als ein so großes Hindernis angesehen werden, daß sie alle Möglichkeit aufhebe, sich bisweilen der Einflüsse von Seiten der Geisterwelt sogar in diesem Leben bewußt zu werden. Dies kann sich gleichwohl nur bei Personen ereignen, deren Organe eine ungewöhnlich hohe Reizbarkeit haben.

Wir sehen, daß das Leben der Seele schon vor dem materiellen Leben gedauert habe, und also sein Dasein von einer höheren Bestimmung abhänge. Das tierisch-materielle Leben ist zufällig, aber nicht das geistige.
 
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