Was waren die Aufreger? Sammlung kontroverser Meinungen

Arnaud28

Aktives Mitglied
Ich möchte in diesem Strang einmal die kontroversen Meinungen sammeln.
Dabei sind alle Richtungen willkommen.

Ich fang mal an mit:
Heinrich Kanner - Der Schlüssel zur Kriegsschuldfrage
Kanner hatte die Möglichkeit mit Leon von Bilinski Kontakt zu halten und hatte deswegen einen Eindruck, wie
in der Führungsriege über Serbien gedacht wurde. Dabei waren Kriegsplanungen stets ein Teil der Überlegungen.

Edmund Dene Morel - Das Gift, das zerstört
Morel räumte mit diesem Buch gründlich mit der deutschen Generalschuld auf. Morel zeigte auf, welche
Interessengruppen in Rußland in Frankreich maßgebliche Stellen bestochen haben, um das Land kriegsbereit zu machen.

Frederich Bausman - Let France explain
Der amerikanische Richter analysierte 1922 das Verhalten der französischen Regierung vor dem 1 WK und kam zu keinem guten Ergebnis.

John Kenneth Turner - Shall it be again
In diesem Buch wurde gezeigt, welche Gruppen in den USA ein Interesse an einem Kriegseintritt hatten. Sogar der Kaiser lobte das Buch.
 
Ein Ausschnitt aus einer Rezension von Klaus Jürgen Bremm über Christopher Clarks Schlafwandler:

"Auch wenn der Verfasser in seinen Schlussreflexionen einer eindeutigen Schuldzuweisung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ausweicht, zeigen doch Gewichtung und Tenor seiner vorangegangenen Darstellung, dass die Mittelmächte trotz ihrer autokratischen Strukturen und ihrer Militärverliebtheit eher als Opfer denn als Täter zu betrachten sind. Dass die Reichsleitung Anfang Juli 1914 längst die Hoffnung aufgegeben hatten, noch einen Krieg gegen das rasch erstarkende Russland vermeiden zu können, kann Ihnen angesichts einer immer aggressiver auftretenden Triple-Entente kaum noch zum Vorwurf gemacht werden. Reichskanzler Bethmann-Hollwegs Kalkül, mit der Unterstützung Österreichs in der Julikrise die russische Kriegsbereitschaft lieber sofort als später zu testen, erscheint dann auch im Kontext der damaligen Kräfteverhältnisse als folgerichtiger Schritt."
 
Günter Rutke schreib auf www.sehepunkte zu Stefan Schmidts, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914 unter anderem:

"Die Bereitschaft, die belgische und luxemburgische Neutralität um eines militärischen Vorteils willen zu verletzen, war auch in Frankreich vorhanden (158). Dennoch sei die Entscheidung trotz massivsten Drucks des französischen Generalstabs gegen den Neutralitätsbruch gefallen, letztlich, weil "militärische und politische Staatsraison" (162) die britische Unterstützung für unverzichtbar gehalten hätten: Der politische Primat blieb demnach gewahrt. Dennoch habe die französische Offensivstrategie den außenpolitischen Spielraum Frankreichs erheblich eingeengt. Denn sie verlangte unverzichtbar den russischen Alliierten, der möglichst schnell durch massive Militärschläge für Entlastung sorgen musste: der drohende Zwei-Fronten-Krieg sollte Deutschlands Angriffspotential schwächen. Enorme französische Gelder flossen zu diesem Zweck in den Aufbau einer militärisch nutzbaren Infrastruktur im Westen Russlands und verschärften so die Bedrohung Deutschlands. In der eskalierenden Julikrise musste als Folge seiner Militärstrategie, so Schmidt, Frankreich den russischen Verbündeten zur schnellen Mobilmachung drängen. Das Versprechen Poincarés im Ernstfall die Bündnispflicht gegenüber Russland zu erfüllen, sei so zu erklären. Militärische Sachzwänge als Krisenbeschleuniger konstatiert Stefan Schmidt also auch in Frankreich.

Militärische Sachzwänge, Offensivkult, politische und militärische Fehleinschätzungen sowie ein übersteigertes Großmachtprestige kennzeichnen Frankreichs Weg in den Großen Krieg. Auch wenn die französischen militärischen Planungen durchaus offensiv gewesen seien, auch wenn Frankreich den russischen Verbündeten nicht zurückgehalten sondern eher angetrieben habe, dennoch erkennt Stefan Schmidt keine Anzeichen für einen Angriffs- oder Präventivkrieg Frankreichs - aber eben auch keine Zwangsläufigkeit der politischen Lage, die unvermeidbar in den Großen Krieg münden musste. Seine Forschung belegt, dass Frankreichs Anteil am Kriegsausbruch größer war als man einem "minor player" zugestehen würde."
 
Dann würde ich mich zunächst mal damit auseindersetzen, dass die Narrative von zentralen politischen Ereignissen, wie auch dem Auslöser für den WW1 massiv einer politischen Deutung unterlegen ist.

Und die Narrative waren aus allen Seiten subjektiv, allerdings ist nicht jeder "neue" Narrativ automatisch objektiver oder neutraler.

Deswegen kann man wirklich jedem, der sich ernsthaft mit dem Thema der politischen Aneignung von Narrativen beschäftigen möchte, dringend empfehlen, sich die Beiträge in Wilson anzusehen. Vielleicht hilft das, einen etwas weniger getrübten Blick auf Ereignisse zu haben.

Die Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann, würde ich im Moment eindeutig mit "Nein" beantworten.

Wilson, Keith M. (1996): Forging the collective memory. Government and international historians through two World Wars. Providence: Berghahn Books.
 
...hat sich das Buch, ausgestattet mit Lob von dieser Provenienz, nun mit Ruhm bekleckert? ;)

Interessante Frage. hier gehts es mir in erster Linie, welche Werke Staub aufgewirbelt haben und damit das Denken anderer beeinflusst haben. Die Auseinandersetzung mit jedem Werk würde hier den Rahmen vollständig sprengen.
 
Fritz Fischer seine beiden Werke "Griff nach Weltmacht" und Krieg der Illusionen " mündeten in die jahrlange sogenannte Fischer Kontroverse, will heißen, eine kontroverse Diskussion über politische Absichten und Strategien des Deutschen Kaiserreichs.
 
Nicht zu vergessen:
Es gab keinen Schliefenplan:
Terence Zuber: Inventing the Schlieffen Plan. German War Planning 1871–1914.

Der Oberbefehlshaber des italienischen Heeres Polio wurde ermordet und durch den deutschenfeindlichen Luigi Cadorna ersetzt:
Giovanni d'Angelo - La strana morte del Tenente Generale Alberto Pollio"
 
Fritz Fischer seine beiden Werke "Griff nach Weltmacht" und Krieg der Illusionen " mündeten in die jahrlange sogenannte Fischer Kontroverse,
Es war das letztgenannte Buch, wenn ich es recht verstehe.
Der "Griff nach der Weltmacht" bleibt im Wesentlichen unumstritten und als Standardwerk anerkannt.
 
Es wurde viel, auch in diesem Forum, über Fischer und seine Arbeit diskutiert. Eine wirkliche Auseinandersetzung, die die Komplexität seiner Argumentation betrifft, wurde allerdings nicht vorgenommen.

Und so wurde Fischer aus die "Kriegsschuldthese" reduziert. Dass Fischer Aussagen über die Machtkonstellationen im Kaiserreich gemacht hat, die erst erklären können, welche gesellschaftlichen Kreise die Politik von KW II. getragen haben, wird dabei übersehen.

Mit dem "lustigen" Ergebnis, dass die meisten seiner Thesen, vgl. u.a die Arbeiten im Umfeld von Pogge von Strandmann etc., die nicht unmittelbar die "Kriegsschuld" betreffen, als problematisch bzw. als "zurückgewiesen" angesehen werden können. Und damit Teile der Arbeiten von Fischer als "überholt" gelten können.

Andererseits: Es war ein Clark, der nebenbei keinen "Anti-Fischer geschrieben hatte, der in 2014 im Rahmen der "legendären" "Dreierrunde" der Historiker im TV - vielleicht erinnert sich der eine oder die andere - konstatierte, dass man die dokumentenbasierte Evidenz der Argumentation von Fischer erst einmal entkräften muss in Bezug auf die Rolle des DR beim Entfesseln des WW1.

Und so bleibt, dass mit der Arbeit von Fischer und auch Geiss die Rolle des DR gut bechrieben wurde und - so meine Einschätzung - bei den meisten Historikern als angemessener Narrativ gelten kann. Mit der Ergänzung, dass die nachfolgenden Forschungsergebnisse zur Rolle von GB (vgl. Steiner) und zu Frankreich (vgl. Keiger) verdeutlich haben, dass auch diese Länder im Rahmen der "langen und kurzen Wege" (vgl. Becker, Förster und Kronenbitte) ihren Anteil an der - schlafwandlerischen - Eskalierung (vgl. Clark) des WW1 hatten.

Und damit die politisch so umstrittene These von der "Alleinschuld" des DR einer differenzierten Betrachtung gewichen ist.
 
Und so wurde Fischer aus die "Kriegsschuldthese" reduziert. Dass Fischer Aussagen über die Machtkonstellationen im Kaiserreich gemacht hat, die erst erklären können, welche gesellschaftlichen Kreise die Politik von KW II. getragen haben, wird dabei übersehen.

Das dürfte sicher daran liegen, das Fischer in seinem Buch "Griff nach Weltmacht" eben die These aufstellte, dass das kaiserliche Deutschland den Weltkrieg verschuldet hatte. Genau diese Behauptung hatte für die ungeheuerliche Aufregung, nicht nur in der akademischen, historischen Welt, gesorgt. Als Fischer Werk publiziert worden war, gab es noch genügend ehemaliger Teilnehmer des Ersten Weltkrieges wie beispielsweise Egmont Zechlin; Fischers Kollege an der Hamburger Uni. Heute wissen wir, das Fischer mit seinen Arbeiten bemerkenswertes geleistet hat, aber die Forschung ist nicht stehen geblieben und seit Christopher Clark stellen sich die Vorgänge des Juli 1914, Clark hatte eben auch die Ereignisse, Vorgänge und Motive in London, Paris und Petersburg untersucht und sich nicht so auf Berlin fokussiert, doch etwas anders da.
 
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Und so bleibt, dass mit der Arbeit von Fischer und auch Geiss die Rolle des DR gut bechrieben wurde und - so meine Einschätzung - bei den meisten Historikern als angemessener Narrativ gelten kann.

Immanuel Geiss hat mit seinem zweibändigen Standardwerk "Julikrise und Kriegsausbruch" ebenfalls ein bedeutendes Werk vorgelegt. Aber auch dieses Werk hat seine Schwächen.
 
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Ich finde gelegentlich immer die Information, Geiss hätte bei einem Vortrag in den 90er Jahren erzählt, er würde heute sein Werk anders beurteilen und Rußlands Anteil deutlich höher gewichtigen. Gibt es hierfür eine Quelle?
Wo hat er das gesagt?
 
Arthur Ponsonby, die Lüge in Kriegszeiten.
Wie man die Propaganda gegen Deutschland genutzt hat.
[Mod/ link gelöscht]
 
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Ponsonby war ja Mitglied der damals regierenden Liberalen Partei und saß auch im Unterhaus. Ist das Buch eine Abrechnung mit der "Informationspolitik" der britischen Regierung?
 
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