Weg zur Reichsgründung

Benjaminus

Neues Mitglied
Was haltet ihr von Bismarcks Innen - und Außenpolitik in der Zeit vom Ende des Deutschen Bundes, über den Norddeutschen Bund bis zur Reichsgründung 1871? Was waren eurer Meinung nach die entscheidenden Etappen auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat?
 
Eine längere Geschichte.
Entscheidend dürfte aber die überaus "überlegte und ausgewogene" Auslösung des 66er Krieges gewesen sein.
Und der anschließende sehr rücksichtsvolle Umgang mit Österreich.
 
eigene meinung

Lies dich doch erstmal hier ein
:scheinheilig:

ich glaube, ich bin ganz gut "eingelesen". mich interessieren auch nicht vordergründig die "historischen fakten", sondern wie ihr die situation persönlich bewerten würdet!

also, ich denke, um auf die erste antwort einzugehen: der deutsch-deutsche krieg war sicherlich ein erster schritt, um die gründung eines deutschen nationalstaates voranzutreiben, da österreich als mitkonkurrent um die hegemonialstellung im deutschen bund ausgeschieden war. auch die sanfte behandlung durch bismarck hat dem zukünftigen verhältnis zu österreich, aber insbesondere die chance zum anschluss der süddeutschen partikularstaaten, deutlich verbessert.

aber nach dem krieg war der weg zum nationalstaat ja erst "geebnet" und noch lange nicht abgeschlossen. gerade in bezug auf die innen-, deutschland-, und außenpolitik würde mich interessieren, welche etappen bis zur reichsgründung ihr am bedeutendsten bewerten würdet!?
 
Ich finde die Behauptung der deutsch-deutsche Krieg hätte die Bildung des deutschen Nationalstaats erst ermöglicht, sehr zynisch... Meiner Meinung nach, hat er ihn (zumindest aus der Perspektive der Zeit heraus) unmöglich gemacht. Österreich war immerhin ein wesentlicher Bestandteil Deutschlands.
Da könnte man ja genauso gut die Gründung der BRD unter Abspaltung Ostdeutschlands zur deutschen Nationalstaatsgründung stilisieren.
 
Wieso? Österreich war nur mit seinen nichtdeutschen Besitzungen zu haben, als Doppelmonarchie mit seinem ungarischen Teil und als multinationaler Staat (das war Preußen mit seinen Polen, Kaschuben etc.) natürlich auch.
 
Da bin ich auch anderer Meinung als @MacX.
Österreich hatte lange genug bewiesen, daß es zu einer staatlichen Einigung Deutschlands nicht fähig oder auch nicht willens war. Genau die war aber notwendig, wenn sich Deutschland wirtschftlich entwickeln wollte. Da Österreich aber nun mal den Vorsitz im Deutschen Bund hatte, mußte es zu einem Krieg kommen, wenn das aufstrebende Preußen die Führungsrolle in einem geeinten Deutschland übernehmen wollte. Das wird Bismarck auch ganz genau so gesehen haben - es sollte ja ein deutscher Nationalstaat werden. Österreich war jedoch ein Vielvölkerstaat, der schon im 19. Jh. Mühe hatte, die vielen Völkerschaften im Zuge des aufkommenden Nationalbewußtseins (und z. T. leider auch Nationalismus) zusammen zu halten.
 
Nun ja. Wie Quijote ja schon erwähnte, war Preußen auch ein "Vielvölkerstaat". Inwiefern die Frage nach einer "ethnischen" Einheit des Reiches allerdings tatsächlich bei der Debatte um die groß- oder kleindeutsche Lösung eine Rolle gespielt hat, vermag ich leider nicht zu sagen. Vielleicht weiß jemand mehr?
 
Preußen war kein Vielvölkerstaat. Preußen hatte nichtdeutsche Minderheiten. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Österreich hat zeitweilig die Gründung eines "Superdeutschlands" mit ganz Ö.-U. erwogen, aber sich durch seine ungeschickte Politik gegenüber Russland dann quasi selber aus dem Rennen geworfen. Immerhin konnte es die deutsche Nationalstaatsbildung noch blockieren - wenn die andern deutschen Fürsten mitzogen - und hat das auch versucht.
 
:scheinheilig:

ich glaube, ich bin ganz gut "eingelesen". mich interessieren auch nicht vordergründig die "historischen fakten", sondern wie ihr die situation persönlich bewerten würdet!

also, ich denke, um auf die erste antwort einzugehen: der deutsch-deutsche krieg war sicherlich ein erster schritt, um die gründung eines deutschen nationalstaates voranzutreiben, da österreich als mitkonkurrent um die hegemonialstellung im deutschen bund ausgeschieden war. auch die sanfte behandlung durch bismarck hat dem zukünftigen verhältnis zu österreich, aber insbesondere die chance zum anschluss der süddeutschen partikularstaaten, deutlich verbessert.

aber nach dem krieg war der weg zum nationalstaat ja erst "geebnet" und noch lange nicht abgeschlossen. gerade in bezug auf die innen-, deutschland-, und außenpolitik würde mich interessieren, welche etappen bis zur reichsgründung ihr am bedeutendsten bewerten würdet!?


Ein weiterer wichtiger Punkt ist die "Luxemburg Krise" in deren Gefolge die Bündnisverträge mit den Südd. bekannt gegeben wurden. Als zB der Stuttgarter "Beobachter" (polit. Zeitung sehr partikularistisch eingestellt) der nach der Tauberbischofsheimer Niederlage noch von einem Guerilla-Krieg nach spanischem Muster philosophiert hatte, massiv den Krieg gegen Frankreich propagierte. Die Südd. rüsteten nach der "Luxemburg-Krise" auch stark auf, Zündnadelgewehre wurden eingeführt, die Mobilisierung der Truppen wurde vernünftig organisiert (1859 hatte die Mobilisierung noch 3 Monate gedauert) usw.

Zu 1866 gehören noch die Verhandlungen mit Italien in diesen Kontext. Bismarck hatte für einen preußisch/ital. Sieg den Italienern Venezien zugesagt, die Österreicher für einen österr. Sieg Venezien den Franzosen zur Übergabe an Italien. (OT: was 1914-15 vielleicht verständlicher werden lässt)

Überhaupt ist die Lösung der "Deutschen Frage" 1864-71 ohne die Nachbarstaaten-Staaten undenkbar.
Hervorzuheben das gute Verhältnis zu Rußland seit dem Krimkrieg, ausgebaut und bestätigt in den "Polen-Krisen".
 
:scheinheilig:

ich glaube, ich bin ganz gut "eingelesen". mich interessieren auch nicht vordergründig die "historischen fakten", sondern wie ihr die situation persönlich bewerten würdet!
Warum sagst du das denn nicht gleich? Die Frage hätte auch von nem Schüler sein können, der keine Lust hat seine Hausaufgaben selbst zu machen ;)

Innenpolitisch wäre für mich noch der Verfassungskrise erwähnenswert. Zum einen weil sie Bismarck fast den Kopf gekostet hätte und zum anderen, weil Österreich diese Schwächung Bismarcks auszunutzen versuchte um sich selbst Vorteile innerhalb des deutschen Bundes zu verschaffen.
 
luxemburg-krise

danke für die rege beteiligung zu meiner frage:)!!

die erwähnung der luxemburg-krise finde ich gut. man hat dort gesehen, dass die deutsche nationalbewegung auf keinen fall damit einverstanden wäre, gebietsabtretungen zu akzeptieren (bzw. die aufgabe der neutralität luxemburgs), nur um einen ausgleich oder eine annäherung mit den franzosen zu erreichen. auf der anderen seite stellt sich dann für mich die frage, warum die deutsche nationalbewegung so vehement auf die französische gebietsabtretung von elsaß-lothringen nach dem deutsch-französischen krieg bestanden hat. aber zurück zur luxemburg-krise: ich glaube bismarck hat gerade hier einen entscheidenen beitrag auf dem weg zum nationalstaat gemacht: anstatt die bitte des niederländischen königs, dem verkauf elsaß-lothringens lediglich zuzustimmen können. bismarck "musste" die frage ja nicht zwingend im reichstag zur abstimmung stellen. doch durch sein vorgehen hat er zwei fliegen mit einer klappe geschlagen, weil er zum einen zeigte, dass bereit war, mit dem reichstag zu kooperieren, und zum anderen erreichte er genau das, was er wollte, nämlich einen außenpolitischen erfolg gegenüber frankreich.

sieht vielleicht jemand auch ein problem in bismarcks verhalten gegenüber den franzosen?
 
danke für die rege beteiligung zu meiner frage:)!!

auf der anderen seite stellt sich dann für mich die frage, warum die deutsche nationalbewegung so vehement auf die französische gebietsabtretung von elsaß-lothringen nach dem deutsch-französischen krieg bestanden hat. den franzosen?


Die Süddeutschen wollten ein Vorfeld gegen Frankreich. Nichts anderes als der franz. Zaunpfahl hat Baden+Württ.+Bayern an die Seite Preussen gebracht.

Auch die franz. Politik vor Napoleon III hat ja seit 1830 mehrfach Gelüste nach der "Rheingrenze" geäußert.
Die Hysterik am "Franzosensonntag" im März 1848 zeigt deutlich die Stimmung und Ängste die in Süddeutschland herrschten.
 
@macx

Ich finde die Behauptung der deutsch-deutsche Krieg hätte die Bildung des deutschen Nationalstaats erst ermöglicht, sehr zynisch... Meiner Meinung nach, hat er ihn (zumindest aus der Perspektive der Zeit heraus) unmöglich gemacht. Österreich war immerhin ein wesentlicher Bestandteil Deutschlands.
Da könnte man ja genauso gut die Gründung der BRD unter Abspaltung Ostdeutschlands zur deutschen Nationalstaatsgründung stilisieren.

was meinst du mit: "Österreich war immerhin ein wesentlicher Bestandteil Deutschlands."? du meinst wahrscheinlich, dass österreich ein wesentlicher bestandteil vom deutschen bund war? das stimmt zwar, aber der deutsche bund war ja alles andere als ein deutscher nationalstaat. allen teilnehmenden staaten und königreichen wurde ja ihre volle souveränität gewährt, sodass ein großdeutscher gesamtstaat gar nicht mögich war. nur in militärischen fragen bildeten die staaten eine allianz und die war auch nur defensiv gedacht. der deutsch-deutsche krieg von 1866 war deswhalb nötig, um österreich aus dem deutschen bund "herauszuwerfen". erst danach konnte bismarck, auch wenn er das vielleicht gar nicht vorhatte, die gründung eines nationalstaates vorrantreiben. sein motiv war dabei, preußens macht auszuweiten und im "deutschen raum" militärisch eine hegemonialstellung zu erreichen.

und wieso glaubst du, dass der deutsch-deutsche krieg die gründung eines deutschen nationalstaates unmöglich gemacht hat? direkt danach wurde doch der norddeutsche bund gegründet, was, zumindest politisch gesehen, die vorstufe zu einem deutschen gesamtstaat war.
 
@repo

Die Süddeutschen wollten ein Vorfeld gegen Frankreich. Nichts anderes als der franz. Zaunpfahl hat Baden+Württ.+Bayern an die Seite Preussen gebracht.

Auch die franz. Politik vor Napoleon III hat ja seit 1830 mehrfach Gelüste nach der "Rheingrenze" geäußert.
Die Hysterik am "Franzosensonntag" im März 1848 zeigt deutlich die Stimmung und Ängste die in Süddeutschland herrschten.

also zumindest baden war schon vor dem deutsch-französischen krieg für eine angliederung an den norddeutschen bund. bismarck hat die angliederung badens nur abgelehnt, weil eine seiner maxime auf dem weg zur einheit die angliederung aller süddeutschen staaten zusammen war.

und ich glaube der hauptgrund, warum die süddeutschen staaten einer eingliederung in den norddeutschen bund letztenendes zustimmten, war der deutsch-französische krieg, wo der "franzosenhass" noch einmal verstärkt wurde und die deutsche nationalbewegung südlich und nördlich der mainlinie vereint wurde.

ich gebe dir recht, wenn du sagst, dass die süddeutschen staaten ein vorfeld gegen frankreich forderten. aber glaubst du wirklich, dass die süddeutschen staaten ohne die gebietsabtretung elsaß-lothringens sich nicht dem deutschen kaiserreich angegliedert hätten?
 
also zumindest baden war schon vor dem deutsch-französischen krieg für eine angliederung an den norddeutschen bund. bismarck hat die angliederung badens nur abgelehnt, weil eine seiner maxime auf dem weg zur einheit die angliederung aller süddeutschen staaten zusammen war.
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Das konnte Bismarck wg dem III. Bonny nicht machen. Die Zeit war noch nicht reif.
Abgesehen davon, war das ein Wunsch von Fürst und bad. Regierung, wie das badische Volk reagiert hätte, ist eine nicht mehr zu entscheidende Frage. Der König Karl in Stgt. zB hat Tränen vergossen, als der franz. Gesandte seinen Pass bei ihm abholte.


ich gebe dir recht, wenn du sagst, dass die süddeutschen staaten ein vorfeld gegen frankreich forderten. aber glaubst du wirklich, dass die süddeutschen staaten ohne die gebietsabtretung elsaß-lothringens sich nicht dem deutschen kaiserreich angegliedert hätten?

natürlich hätten sie sich angeschlossen, ich habe nur den Grund genannt, warum die Annektion insbesondere in Südd. gefordert wurde.


OT: Eine Bitte, benutz doch die Groß-/Kleinschreibung, Deine Beiträge sind schwer zu lesen.
 
@repa

Na gut, ich werde mich dann in Zukunft den Konventionen der deutschen Rechtschreibung fügen:D

Nochmal zu Elsaß-Lothringen und Bismarcks Außenpolitik: Ich finde, dass Bismarck insgesamt großes geleistet hat. Gerade die Bewältigung der Luxemburg-Krise und seine Politik im Zusammenspiel mit den europäischen Großmächten waren vorausschauend und führten schlussendlich zur Gründung des Deutschen Reiches 1871. Dennoch glaube ich, dass Bismarck nach dem Deutsch-Französischen Krieg behutsamer mit den Franzosen behutsamer umgegangen sein müsste. Durch die geforderte Gebietsabtretung Elsaß-Lothringens und insbesondere die Kaiserproklamation im Versailler Spiegelsaal hat Bismarck die Franzosen national gedemütigt. Seine Politik, zumindest in diesen beiden Punkten, lief auf verschlechterte das deutsch-französische Verhältnis für die kommenden Jahrzehnte und musste langfristig gesehen zu einem weiteren Krieg führen (siehe 1. und 2. Weltkrieg). Man bedenke, dass Deutschland und Frankreich erst 1963 durch de Gaulles und Adenauer einen Friedensvertrag unterzeichneten. Nehmen wir mal an, dass Bismarck sich dazu gedrungen sah, die Gebietsabtretung von Elsaß-Lothringen zu fordern, warum musste denn der deutsche Kaiser in Frankreich ausgerufen werden?
 
Nochmal zu Elsaß-Lothringen und Bismarcks Außenpolitik: Ich finde, dass Bismarck insgesamt großes geleistet hat. Gerade die Bewältigung der Luxemburg-Krise und seine Politik im Zusammenspiel mit den europäischen Großmächten waren vorausschauend und führten schlussendlich zur Gründung des Deutschen Reiches 1871. Dennoch glaube ich, dass Bismarck nach dem Deutsch-Französischen Krieg behutsamer mit den Franzosen behutsamer umgegangen sein müsste. Durch die geforderte Gebietsabtretung Elsaß-Lothringens und insbesondere die Kaiserproklamation im Versailler Spiegelsaal hat Bismarck die Franzosen national gedemütigt. Seine Politik, zumindest in diesen beiden Punkten, lief auf verschlechterte das deutsch-französische Verhältnis für die kommenden Jahrzehnte und musste langfristig gesehen zu einem weiteren Krieg führen (siehe 1. und 2. Weltkrieg). Man bedenke, dass Deutschland und Frankreich erst 1963 durch de Gaulles und Adenauer einen Friedensvertrag unterzeichneten. Nehmen wir mal an, dass Bismarck sich dazu gedrungen sah, die Gebietsabtretung von Elsaß-Lothringen zu fordern, warum musste denn der deutsche Kaiser in Frankreich ausgerufen werden?

Stimmt, sehe ich auch so.
Er bemühte sich dann auch sein ganzes "Berufsleben" lang mit Erfolg Frankreich isoliert zu halten. (was seine Nachfolger nun leider so gar nicht verstanden)

Gründe dafür, mMn für die Annexionen nicht zuletzt die Süddeutschen, wie schon öfter angeführt.
Dann natürlich auch die preußischen Erfahrungen mit Frankreich 1807, Wilhelm hat dies ja als Jugendlicher sehr nahe miterlebt. 2/3 des Landes futsch. 150.000 Mann Besatzungstruppen die zu verhalten waren. Unbezahlbar hohe Reparationen.

Frankreich hatte 1813/14/15 ja durchaus Glück, dass sei es nicht mit den Preussen allein zu tun hatten. Dass Blücher Napoleon hätte füsilieren lassen, so er ihn erwischt hätte, ist gar nicht so weit hergeholt.


OT: Ich heiße Repo, und bin die Reinkarnation eines Steinzeithäuptlings.
 
sorry repo:winke:

noch eine andere Frage: Glaubst du, dass Bimarck überhaupt die Gründung eines Nationalstaates beabsichtigt hatte? Oder ist er sozusagen durch den "Strom der Zeit" ohne es zu wissen auf den Nationalstaat zugesteuert? Gerade im Hinblick auf die Innenpolitik wäre diese Frage meiner Meinung nach interessant.
 
... noch eine andere Frage: Glaubst du, dass Bimarck überhaupt die Gründung eines Nationalstaates beabsichtigt hatte?

Da bin ich ziemlich sicher, denn im übrigen Europa hatten sich die Nationalstaaten längst etabliert und in Italien war Garibaldi gerade dabei, ihn mit Hilfe des Hauses Savoyen zu errichten.

Allerdings schwebte Bismarck ein konservativer deutscher Nationalstaat unter Preußens Führung und unter Ausgrenzung des Volkswillens vor, was ihm dann bekanntlich auch gelang.
 
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