Weiß man, wie die Städte Europas vor dem 2. WK aussahen?

G

Gregor23

Gast
Hallo,

wurde oder wird der Versuch unternommen, das vormalige Aussehen der im 2. WK ganz oder teilweise zerstörten Städte Europas möglichst lückenlos zu rekonstruieren und wenigstens auf Bildern festzuhalten? Noch besser wäre natürlich eine 3D-Computersimulation.

Natürlich habe ich schon viele Bilder von einzelnen Objekten oder Straßenzügen gesehen, aber ich meine eine systematische Darstellung mit dem Anspruch auf Vollständigkeit darüber, was alles zerstört wurde und wie es vorher aussah.

Zum Beispiel hier gibt es eine private Webseite für die Stadt Freiburg im Breisgau. Aber gibt nur solche privaten Projekte oder wird auch von öffentlichen Einrichtungen nach dem Vorkriegsaussehen geforscht? Und als man nach dem Krieg an den Wiederaufbau ging, hat man da im Einzelnen festgehalten, welche Gebäude zerstört wurden und wie die Straßenzüge umgelegt wurden, so daß man das heute noch in den Archiven findet?
 
Im Großen und Ganzen weiß man, wie die Städte aussahen. Neben privaten Erinnerungen und privaten Fotos, Gemälden etc. gab und gibt es natürlich noch die Katasterämter, deren Material (Baupläne) i.d.R. von den Archiven, auf die du richtigerweise verweist, aufgenommen werden. Und auch bei den zerstörten Städten sind i.d.R. immer noch Gebäudereste, mindestens aber die Grundmauern erhalten. Es kann natürlich im Einzelfall sein, dass die Dokumente alle mit der Stadt zerstört wurden, beim Wiederaufbau gab es auch andere Prioritäten als die zerstörten Innenstädte (gar archäologisch) zu dokumentieren. Es gab aber durchaus Personen, die beauftragt waren, die Bombenschäden zu dokumentieren (wohingegen dasselbe Privatleuten verboten war). Die Formen dieser Dokumentation waren i.d.R. ebenfalls Fotographien oder auch Filmaufnahmen, seltener, wie im Falle eines Bremer Künstlers, der dafür die Sondergenehmigung des Innensenators hatte, die Skizze.
 
Na man kann auf privaten fotos,Postkarten und auch zeichnungen einiges von Städten und Gemeinden heranziehen wie es ausgesehen haben könnte.Auch Zeitzeugen,die naturgemäß weniger werden,können helfen.Aber wie auch immer zu 100% dürfte es kaum möglich sein.
In Stadtarchiven liegen sicher noch Baupläne von Häusern oder Betrieben so das man vielleicht ein Teil einer Straße rekonstruieren kann.
 
Danke für die Antworten. Ich habe noch ein paar Nachfragen:

Wenn man auf Fotos oder Filme von einzelnen Privatleuten angewiesen ist, dann wäre es doch dringend notwendig, so viel wie möglich davon zu sammeln, denn sonst gehen die irgendwann verloren bzw. vieles müßte wohl schon verloren gegangen sein. Haben die Personen, die beauftragt waren, die Bombenschäden zu dokumentieren, nur den Zustand "nachher" dokumentiert oder auch den Zustand "vorher"? Wurde dies für jede betroffene Stadt gemacht oder nur für einige?

Wenn ich die Dokumentation(en) für eine bestimmte Stadt einsehen will, an wen sollte ich mich da wenden?

Kann man aus den Bauplänen denn schließen, wie das Gebäude von außen aussah, also z.B. inkl. der Verzierungen an der Fassade?

Warum war es Privatleuten verboten, die Bombenschäden zu dokumentieren? Ich nehme an, das war ein Verbot aus der Besatzungszeit?
 
Wenn man auf Fotos oder Filme von einzelnen Privatleuten angewiesen ist, dann wäre es doch dringend notwendig, so viel wie möglich davon zu sammeln, denn sonst gehen die irgendwann verloren bzw. vieles müßte wohl schon verloren gegangen sein.

Bestimmt ist da vieles schon verloren gegangen. Es gibt aber durchaus Versuche solche Dinge zu sammeln. Archive tun das zum Teil oder Forschungseinrichtungen. Man kann aber Privatleute nun mal nicht zwingen ihre Fotos abzugeben und viele wissen vielleicht auch nicht um deren Wert (abgesehen davon, dass es natürlich fraglich ist, ob überhaupt ein Interesse daran besteht, jeden Straßenzug einer jeden Stadt rekonstruieren zu können).

Haben die Personen, die beauftragt waren, die Bombenschäden zu dokumentieren, nur den Zustand "nachher" dokumentiert oder auch den Zustand "vorher"?
Da man davon ausgehen durfte, dass der vorherige Zustand bekannt war (die Baupläne lagen ja in den Katasterämtern oder schon in den Archiven, gerade Baupläne und Grundstücksgrenzen sind sehr wichtig und werden lange aufbewahrt, damit Besitzverhältnisse zurückverfolgt werden können), hat man natürlich nur das Nachher dokumentiert. Das Vorher zu dokumentieren wäre auch ein Eingeständnis gewesen, dass man die Sicherheit der Bevölkerung nicht garantieren könne und Reichsluftfahrtminister Göring wollte doch Meyer heißen, wenn nur eine Bombe auf Berlin fiele.

Wurde dies für jede betroffene Stadt gemacht oder nur für einige?
Das weiß ich leider nicht.

Wenn ich die Dokumentation(en) für eine bestimmte Stadt einsehen will, an wen sollte ich mich da wenden?
Am besten an die zuständigen Archive. Wenn es gibt, Kommunalarchive, die gibt es aber leider nicht in allen Bundesländern.

Kann man aus den Bauplänen denn schließen, wie das Gebäude von außen aussah, also z.B. inkl. der Verzierungen an der Fassade?
Auch die Fassaden gehören i.d.R. zum Bauplan dazu.

Warum war es Privatleuten verboten, die Bombenschäden zu dokumentieren? Ich nehme an, das war ein Verbot aus der Besatzungszeit?
Nein, das Verbot wurde 1941 ausgesprochen. Es war ein hilfloser Versuch des Naziregimes, den Eindruck zu erhalten, man sei Herr der Lage.
 
Und als man nach dem Krieg an den Wiederaufbau ging, hat man da im Einzelnen festgehalten, welche Gebäude zerstört wurden und wie die Straßenzüge umgelegt wurden, so daß man das heute noch in den Archiven findet?

Aus meiner Verwandtschaft weiß ich, dass es kurz nach dem Krieg so kaum jemanden interessierte, wie es vorher aussah. Erst einmal wollte und musste man nach dem großen Verrecken überleben. Außerdem wusste kaum jemand, wie es weitergehen würde.
In industriellen Großstädten, die eigentlich nur noch eine Fläche mit Schutthaufen darstellten, dachte man, es würde hundert Jahre dauern, das wieder aufzubauen.
Mir fällt jetzt als Vergleich ein: Man ist mit dem Auto gegen einen Baum gesemmelt und so einigermaßen davongekommen. Erst einmal ist man traumatisiert ... An das Auto zu denken, kommt man erst, wenn es schon längst verschrottet wurde. Glücklich, wer da gerne fotografiert.
Ich meine damit, man muss viel auf Privatinitiative zurückgreifen ... alte Fotos usw.
 
Immerhin gibt es für Interessenten einige große Bildarchive: Berlin, Dresden, Marburg. Da sind Unmengen historischer Fotografien zu finden.
 
Nun ja neben den Detailaufnahmen von Strassenzügen oder einzelnen Häusern und historischen Stadtplänen gibt es auch die Luftbilder,die mit der aufkommenden Luftfahrt gefertigt wurden.
In Deutschland galt bis 1990 eine Genehmigungspflicht für Luftbildaufnahmen.Die Fotos wurden in Luftbildarchiven der Länder gesammelt ,teilweise verfügen auch die Landesdenkmalschutzämter über die Bestände
Eine andere Quelle sind historische Postkarten- die sowohl Detail- als auch Übersichtsaufnahmen von Städten zeigen
 
Welche möglichst vollständigen Darstellungen über das Aussehen einer europäischen Stadt vor dem Krieg im Vergleich zu heute kennt Ihr? Gibt es da vielleicht gute (bebilderte) Bücher, die das Thema mehr als nur streiflichtartig behandeln? Oder Filmdokumentation?
 
interessant ist hier auch Google Earth: man kann sich (dort vorhandene) historisch Luftaufnahmen anschauen - z.B. sind dort Aufnahmen von Warschau aus dem 1. Weltkrieg zu sehen, ebenfalls Luftbilder auf den 40er Jahren -- und da kann man gravierende Unterschiede feststellen, man kann auch manche abgegangenen historischen Gebäude finden (in Warschau z.B. das Fort Belany, welches heute nur noch aus Wallresten besteht)

natürlich gibt es nicht von allen Städten komplette oder gar sehr alte (Anfang 20. Jh.) luftaufnahmen, aber was vorhanden ist, ist eine hilfreiche Ergänzung

eine weitere, übrigens bzgl. der Vermessung sehr exakte Quelle, sind die militärischen Pläne, insbesondere Festungspläne. Da einige der großen Städte im 18. und 19. Jh. Festungen waren, sind sie sehr exakt kartiert worden (die russ. Festungspläne des 19. Jh. von Warschau stimmen mit den Luftaufnahmen überein!!) -- bei uns z.B. Köln
 
...
wurde oder wird der Versuch unternommen, das vormalige Aussehen der im 2. WK ganz oder teilweise zerstörten Städte Europas möglichst lückenlos zu rekonstruieren und wenigstens auf Bildern festzuhalten? ...

Ob der Versuch unternommen wurde resp. wird, weiß ich nicht, allerdings ist Dein Anspruch sehr groß, denn Du schriebst "Städte". Die Findstellen wurden von meinen Mitdiskutanten schon benannt:

- Stadtarchive
- Katasterämter
- historische Luftbildaufnahmen
- Baupläne

In Ergänzung:

- Stadtmuseen
- Reprints bzw. alte "Stadtführer" resp. Bildbände von Städten
- Architekturzeitschriften
- Lokale Zeitungen aus der Zeit vor dem II. WK
- Postkarten
- alte Stadtpläne
- Nachlässe von Photogeschäften der einzelnen Städte
- Grundbücher

Das ist ein Puzzle, und zwar für jede einzelne Stadt.

M.
 
Manchen Stadtoberen mag es gar nicht so unrecht sein, wenn der Vorkriegszustand nicht allzu minutiös dokumentiert wurde, weil ein Teil der Eingriffe in die Bausubstanz gar nicht während, sondern nach dem Krieg erfolgte durch das Ziel der "autogerechten Stadt".
Autogerechte Stadt ? Wikipedia

Davon abgesehen erinnert Gregors Unterfangen etwas an Prousts Suche nach der verlorenen Zeit. Selbst die oben schon angeführte Firma hat ja nur ausgewählte große Städte festegehalten. Und was davon in enigen Jahrzehnten noch verfügbar ist, bleibt wohl auch abzuwarten.
 
Zurück
Oben