Wer dachte sich die polnischen Ortsnamen aus?

saxo

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Eine Frage, die mich schon länger interessiert: ab 1945 mußten doch zehntausende von deutschen Orts- und Flunamen eingepolnischt werden. Das ganze scheint in nur wenigen Monaten passiert zu sein. Aber wie ist das passiert? Gabs da ein zentrales Büro, daß sich alle Namen ausdachte und austauschte, oder wurde das dezentral geregelt? Oder wurde das schon zu Zeiten der Exilregierung begonnen? Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor, denn es durfte ja auch keine Dopplungen vorkommen. Hatte es irgendwo nicht geklappt und mußten manche Namen noch einmal geändert werden? Haben sich deutsche Namen noch einige Zeit irgendwo halten können, speziell, wo es noch lange viele Deutsche gab, z. B. Schlesien?
 
Ich denke mal, da es in diesen Gebieten immer einen polnischen Bevölkerungsanteil gab, hatten sie - wie so viele andere Städte in von zwei o. mehreren Völkern besiedelten Räumen auch - einen polnischen und einen deutschen Namen, ob nun eingedeutscht oder eingepolnischt tut nichts zur Sache. Die Regierung Polens nutzte eben nur noch die polnischen.
 
In Schlesien lebten eigentlich gar keine Polen, ausser im umstrittenen Oberschlesien. Meist wurden die ursprünglichen Namen so gut es ging 1 zu 1 einfach übersetzt. Oder man glich die Namen den überlieferten alten Namen phonetisch an. Das Dorf meiner Grossmutter hiess Kamnig heute es Kameniece und aus der Kreisstadt Grottkau wurder Grottkow. Aus Grünberg wurde Zielena Gora ( Grüner Berg)
 
Naja, manche Orte waren aber eben auch 1000 Jahre zuvor polnisch, unter König Miesko zum Beispiel. Die hatten eben auch noch alte polnische Namen.
Andere Namen wurden einfach phonetisch angepasst, wie Marienburg - Marlborg.
 
manche Orte waren aber eben auch 1000 Jahre zuvor polnisch, unter König Miesko zum Beispiel. Die hatten eben auch noch alte polnische Namen.
Du glaubst wirklich, so früh wären polnische Namen in Texten vorhanden gewesen, die man jahrhundertelang verfolgen konnte? Also wenn ich da an Brandenburg denke; da kommt man auf kein Dutzend tausendjährige Ortsnamen. Meist fängt die schriftliche Überlieferung erst so um 1300 an. Und je weiter man nach Osten kommt, um so später rechne ich eigentlich auch mit flächendeckender schriftlicher Überlieferung.

Klar gibt es einfache Übersetzungen. Und wenn aus Misdroy Międzyzdroje macht, ist das für die polnische Zunge sicher ok, aber aus Heidebrink Międzywodzie? :S Übersetzungen setzen auch voraus, daß da deutschkundige am Werk waren. Bleibt immer noch die Frage: wer war das?
 
Nuja, im preußischen Staat lebten viele Polen. Und natürlich gibt es auch Dokumente Mieszkos, die polnische Ortsnamen nennen, die später deutsch wurden. Mieszkos Hauptstadt war z.B. Gnesen. Kaiser Otto III. gründete dann hier ein Erzbistum.
Ich denke, nach fünf Jahren deutscher Besetzung Polens wird es ausreichend Personen gegeben haben, die deutsch konnten. Und wer sagt denn, dass jeder Name übersetzt oder phonetisch angepasst wurde?
 
Klar gibt es einfache Übersetzungen. Und wenn aus Misdroy Międzyzdroje macht, ist das für die polnische Zunge sicher ok, aber aus Heidebrink Międzywodzie? :S

Dies ist nach Aussage meiner LG zumindest keine Direktübersetzung. Könnte "Zwischen den Gewässern" bedeuten. Nun ist Heide ja häufig sandig bis sumpfig, also wässrig ... :pfeif:
 
Dies ist nach Aussage meiner LG zumindest keine Direktübersetzung. Könnte "Zwischen den Gewässern" bedeuten. Nun ist Heide ja häufig sandig bis sumpfig, also wässrig ... :pfeif:
Könntest recht haben. Im Tschechischen würde das so ähnlich heißen (polnisch ist nicht so doll bei mir). Der Ort liegt ja auch zwischen der Ostsee und einem (bzw. mehreren) Binnensee. War also kein so gutes Beispiel. Nehmen wir Schneidemühl und Piła? :red: Man müßte mal einen polnischen Muttersprachler fragen, wie er die Namen der Orte so findet. Ein Deutscher würde sich ja auch über Häufungen von z. B. Walddorf, Uferdorf, Seedorf, Bergdorf usw. zumindest wundern.
 
Zwischenbemerkung:

als ich dieses Thema gelesen habe, sind mir 2 Gedanken gekommen:

1. ja, es war verflixt schwierig, heraus zu finden, wie der Geburtsort(liegt im ehemaligen Ostpreußen) meines Vaters auf deutsch hieß
2. dachte ich an meinen letzten Urlaub in der Republik Irland: da gibt es ja die Ortswegweiser in gälisch und in (für mich verständlicher) englisch. Es braucht auch sehr viel Vorstellungsvermögen, im gälischen die englische Version zu erkennen.


Aber ich denke schon, daß in Polen nach der erneuten Umbenennung die früheren Bezeichnung wieder verwendet worden sind.
 
Es gab die speziele Kommision im Polen (1946 - 1951), die diese tausenden Ortsnamen ubersetzen musten. Der Vorsitzende war Prof. Stanisław Rospond, der bekannte polnischen Slavist (zuerst Univ. Lvov und dann Univ. Wrocław). In 1951 hat er sein Worterbuch der Ortsnamen publiziert.
Aber schon fruher, im AK-Stab, waren schon die Plane der polnischen Administrations-Struktur in Slesien und Pommern vorberatet.
 
AK = Armija Krajowa?
Ja, Armia Krajowa. Seit 1943 waren z.B. die AK-Agenten sehr aktiv in heutiger Lubuskie Voievodenschaft, weil AK-Stab vorausgesehen hat, dass Deutschland in ein paar Jahren den Krieg verlieren wird. Die Exilregierung in London mochtete nach dem Krieg vor allem folgende Kreise : Opeln, Złotów, Lębork (Lauenburg) anektieren. Solche deutsch-polnische Grenze wuerde mehr gunstig fur dem Polen auf dem rein militarischen Grunt. Naturlich niemand wusste, dass in der Zukunft die polnischen "Kresy" dem Sovjet Union gehoren werden. Alle andere ehemalige deutsche Lander, die heute polnisch sind - das war einfach das Geschenk aus Russland. Was war gut von unsere Perspektive - die ganze Bevolkerung aus einer Stadt wurde in die konkrete andere ex-deutsche Stadt vertrieben. Also nach Wrocław (Breslau) sind Leute aus Lvov angekommen. Nach Zielona Góra (Grunberg) sind die Polen aus Baranowicze gekommen. Nach Złotoryja (deutsch ? :S ) aus Chmielnicki etc etc etc...
 
Was war gut von unsere Perspektive - die ganze Bevolkerung aus einer Stadt wurde in die konkrete andere ex-deutsche Stadt vertrieben. Also nach Wrocław (Breslau) sind Leute aus Lvov angekommen. Nach Zielona Góra (Grunberg) sind die Polen aus Baranowicze gekommen. Nach Złotoryja (deutsch ? :S ) aus Chmielnicki etc etc etc...

Złotoryja hat, wie meine erste Vermutung war, was mit Gold zu tun (Wir alle kennen doch Złoty:scheinheilig: ;) , oder). Dabei handelt es sich nämlich um Goldberg.

Do widzenia!
 
Nur zur Ergänzung:

Die Umwandlung deutscher Ortsnamen war nicht zum ersten Mal erfolgt. Erst wenige Jahre zuvor ( noch vor dem 1. WK ) hatte der berühmt-berüchtigte Ettore Tolomei die südtiroler Orts-, Fluss- und Bergnamen ins Italienische übersetzt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ettore_Tolomei


Man sieht wieder mal, dass sich Geschichte doch ab und zu wiederholt...


Jacobum
 
Danke bartek, das ist eine Antwort, die ich mir in dieser Klarheit gewünscht hatte. Vor allem davon
die ganze Bevolkerung aus einer Stadt wurde in die konkrete andere ex-deutsche Stadt vertrieben.
hatte ich noch nie gehört. Erscheint natürlich sinnvoll.

Frage: Wurde die Umsiedlung von polnischen oder sowjetischen Behörden organisiert und durchgeführt? Am Zielort von polnischen, das ist klar. Aber am Aussiedlungsort?
 
Naturlich Saxo. Polen und Sovjeten in 1946 (?- bin nicht sicher) haben die spezielle "Repatriazions"-Trakt untergeschrieben. Die Vertriebungen der Polen aus Sovjet Union wurden im Polen von den Kommunisten die "Repatriazion" gennant, also "Ruckkehr nach Vaterland".
In Wrocław also wurden alle Polen aus Lvov geschickt. Das war sehr wichtig speziell fur das intelektuelle und kulturelle Leben. Jan Kazimierz-Universitat zB. wurde auch mit den Arbeiter "vertrieben". Es war also moglich, um das wieder, an neuem Ort zu reaktivieren. Die alten Leute in Wrocław sprechen mit rein Lvover Akzent. Es war ein Witz. Ein alter Pole fragt den anderen: "Woraus stammen Sie?" Die antwort : "aus Wroclaw". Auf polnisch: "z Wrocławia", aber "ł" wurde wie "l" gesagt und "a" drei mal langer als normal, was war typisch fur den Lvover.
Die ganze Akzion war aber nichts neues zwiechen Polen und Sovjeten. 1942/3 hat doch Stallin die thausenden Polen aus seinen Lagern gelassen. Diese Leute (60% waren Frauen und Kinder ) sind dann nach Irakund Palestine gewandern, wo gen. Sikorski seinen II Korps geschaft hat.
Also schon fruher waren die Prozeduren und Mechanismus bei den Sovjeten vorbereitet. Die Vertriebungen in den ihren eigenen Grenzen waren aber auch normal bei anderen Volker. Das beste Beispiel sind die Tataren aus Krimm, die seit 10 Jahren wieder auf dem Halfinsel leben versuchen.
pozdrawiam
PS "Złotoryja" bedeutet wortlich "Goldgrube". Meine Eltern wohnen in Złotoryjsko bei Posen, was bevor 1918 wurde auch Goldgrube genannt. Das Dorf wurde aber in 1655 von Hollander, nicht den Deutschen gebaut. Viele Ortsnamen in Polen aus XVI-XVIII Jhdt., die germanisch klingeln, sind genau niderlandisch, besonders in Grosspolen und Weichselmudung, wo die Mennoniten und Katholiken aus Nederlanden gekommen sind.
pozdrawiam :)
bartek
 
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