Weshalb wird St Petersburg Haupstadt?

Scarlett

Mitglied
Möchte Euch mal wieder mit einer Frage quälen. ;) Und zwar wird St Petersburg 1712 Haupstadt, aber was genau ist der Grund für Zar Peter, die Haupstadt zu verlegen??
 
was genau ist der Grund für Zar Peter, die Haupstadt zu verlegen??

M.W. - *tiefimgedächtniskram* - war es schlicht die "Westorientierung" des Zaren. Scheint mir bei genauerer Überlegung allerdings zu kurz gegriffen. Vielleicht sollte es auch zusätzlich die Bedeutung des neuen Ostseehafens hervorheben.
 
Sankt Petersburg

Es hing wohl damit zusammen, dass der Zar darauf aus war, England als dominierende Seemacht abzulösen. In St. Petersburg war es möglich, einen Seehafen anzulegen, zudem die Stadt noch über einen vorzüglichen Anschluss an das binnenrussische Flusssystem verfügt.
 
Es hing wohl damit zusammen, dass der Zar darauf aus war, England als dominierende Seemacht abzulösen.
Also Seehafen: Ja. Flottenbau auch.

Aber hatte er wirklich die (m. E. völlig größenwahnsinnige) Idee, Rußland zur größten Seemacht zu machen?

Mal abgesehen von Ressourcenknappheit wäre das doch schon strategisch ein Riesenfehler gewesen.
 
...wäre das doch schon strategisch ein Riesenfehler gewesen.

Strategisch war Rußland seit dem großen Peter doch am Erwerb von Küstenzugängen und Häfen an "warmen Meeren" interessiert. Insofern ist das oben gesagte schon stimmig.
Daß jedoch explizit England "abgelöst" werden sollte, wäre mir neu. War England 1712 denn tatsächlich schon die dominierende Seemacht?
 
Zar Peter I. war der erste westlich orientierte Zar. Warum wohl reiste er inkognito (Industriespion) durch halb Europa um auf verschiedenen Werften die Hochsee-Schiffsbaukunst zu studieren (Oper "Zar und Zimmermann" - manch einer denkt, sämtliche Opern hätten keinen realen Hintergrund)? Damals war eine seetüchtige Flotte Garant für wirtschaftlichen und politischen Erfolg. Russland hatte bis dahin nur Fischerboote und Flusskapitäne.
Zudem war das Gebiet des Newadelta ein immer sehr umkämpftes fruchtbares Gebiet zwischen Schweden und Nowgorod. Die Newa hinunter in die Ostsee und darüber hinaus war ein wirtschaftlicher und kostengünstiger Wasserweg der seinesgleichen von Russland aus nach Europa vergeblich suchte. Zar Peter I. wollte mit der Verlegung der Hauptstadt die Annäherung an Europa auch auf politischem Wege forcieren. Je besser man erreichbar wird, desto besser und quantitativer die Kundschaft. Er wollte eine neue, moderne Hauptstadt. Moskau war muchtig alt und für Westeuropäer eher eine Kultur weit weg von der europäischen. Er riskierte sogar etwas, denn mit St.Petersburg als Hauptstadt und einigen vorangegangenen gewonnenen Schlachten gegen die Schweden hat er gezeigt, dass die Ostsee nicht nur den Schweden allein gehöre.
Moskau war viel zu weit von Europa weg, dass haben Napoleon und Hitler später auch feststellen müssen.
Allerdings um die Seeherrschaft über alle anderen Seemächte zu erlangen, halte ich für eine Mär, da St.Petersburg strategisch geographisch für eine Primaten-Seemachtsstellung völlig ungeeignet war und ist.
 
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Strategisch war Rußland seit dem großen Peter doch am Erwerb von Küstenzugängen und Häfen an "warmen Meeren" interessiert.
Eisfreie Häfen, maritimer Handel, eigene Kriegsflotte - das ist alles klar.
Aber die strategische Priorität muß Rußland doch trotzdem immer auf dem Land setzen.

Daß jedoch explizit England "abgelöst" werden sollte, wäre mir neu. War England 1712 denn tatsächlich schon die dominierende Seemacht?
Das ist eine gute Frage.
Mindestens seit der Abwehr der spanischen Armada 1588 spielte England wohl in der ersten Reihe mit - hatte aber "kurz vor" 1712 gegen die Holländer im dritten englisch-holländischen Krieg 1674 ziemlich schlechte ausgesehen.

Ich habe jetzt keine Zahlen da, aber ich würde mal schätzen, daß 1712 die großen Seemächte Spanien, England, Frankreich und Holland noch ungefähr in derselben Liga einzustufen sind - und da kann es ein ehrgeiziges, aber noch realistisches Ziel des Zaren gewesen sein, in ähnliche Größenordnungen reinzuwachsen.

Die richtige Dominanz Englands kommt wohl erst später. Im 18. Jahrhundert überholt es Holland im Reichtum und Handel (teilweise weil eben beide Länder seit der Glorious Revolution vom selben Herrscher regiert werden, und viele holländische Handelshäuser nach London übersiedeln).
Noch während der US-Revolution kann Frankreichs Marine Paroli bieten (ist aber trotzdem schwächer), mit der napoleonischen Zeit und vor allem Nelsons Siegen bis Trafalgar ist England auf dem Höhepunkt seiner Seemacht.
1812 konnte Rußland nicht mal mehr von einer Einholung träumen.
 
Ich hätte vielleicht noch einfügen sollen, dass sich Russland von 1700-21 im Krieg befindet - zunächst auf die Vorherrschaft im Ostseeraum (Konkurrent Schweden) und etwa zur selben Zeit (ab 1712) in Richtung Nordsee und Norddeutschland.
Hier setzen russische Truppen übrigens das erste Mal Fuß auf deutschen Boden.. vielleicht nicht der cleverste Schritt, denn dies rief England auf den Plan, das im norddeutschen Raum eigene Interessen hatte, befand es sich doch mit Hannover in Personalunion. Ab 1714 ist ja auch König Georg I auf dem britischen Thron, ein Hannoveraner..

Wenn man es aus ZAr Peters Sicht betrachtet, gleicht er mit der geographischen Verschiebung der Haupstadt diese mit den nach Westen gerichteten Interessen an, was meint Ihr?
 
Ich hätte vielleicht noch einfügen sollen, dass sich Russland von 1700-21 im Krieg befindet - zunächst auf die Vorherrschaft im Ostseeraum (Konkurrent Schweden) und etwa zur selben Zeit (ab 1712) in Richtung Nordsee und Norddeutschland.
Hier setzen russische Truppen übrigens das erste Mal Fuß auf deutschen Boden..

Was, die Russen waren schon im frühen 18.Jahrhundert in Deutschland? Wann und wo.
 

War auch etwas erstaunt, übrigens auch, als ich las, dass Zar Peter in der Schlacht vom Pruth 1711 vernichtend von den Türken geschlagen wurde. Der Verlauf der Geschichte im Nordosten Europas hätte damit, wenn die Türken die Lage ausgenutzt hätten, eine "etwas" andere sein können. Finde ich zumindest einen spannenden Gedanken . :grübel:

P.s. Ja, ich weiß, "hätte-wäre" Szenario, aber ein erhellendes..
 
Wenn man es aus ZAr Peters Sicht betrachtet, gleicht er mit der geographischen Verschiebung der Haupstadt diese mit den nach Westen gerichteten Interessen an, was meint Ihr?

Immerhin hat er sich mit der Überlegung zur Verschiebung eine ganze Weile Zeit gelassen - bis 1703.

Strategische Überlegungen - maritime Überlegungen - Handelswege - alles sicher richtig und nachvollziehbar. Inwiefern war denn die Person ausschlaggebend, möglicherweise auch die Entscheidung gegen Moskau, was er wohl nicht allzusehr geliebt und nachteilig behandelt haben soll?
 
Peter der Große wollte immer ein Fenster zur Ostsee haben, er sah darin die Zukunft Rußlands. Diesen Zugang hat er sich auch hart erkämpft.
Zudem liebte Peter das Wasser und hat, wie schon weiter oben erwähnt, in Holland das Schiffshandwerk von der Pike auf, erlernt.

Dazu kam seine Abneigung gegen Moskau und den Kreml, die unter anderem wohl auch daher rührte, dass er einen der Aufstände der Strelitzen hautnah miterlebt hat.

Ob er England als Seemacht Konkurrenz machen wollte, glaube ich jetzt weniger, aber er war fasziniert von den Erfindungen und Forschungen in England.

Ob England zu der Zeit noch (oder schon wieder) Seemacht war, kann ich im Moment nicht sagen. Ich meine, England war zu Zeiten von Elisabeth I. und den Seefahrern Drake und Raleigh Seemacht und das war doch ein Jahrhundert vorher. Elisabeth I. starb 1601 und dann kamen die Stuart-Könige und Cromwell und da hatte England andere Probleme.
Seemacht wurde England dann erst wieder mit Königin Victoria....

schönen Abend noch ....
 
1711 ziehen russische Verbände durch Pommern (Brandenburg), 1712 erfolgt die Belagerung von Wismar und Stralsund, damit befanden sie sich auf deutschem Gebiet.

Aha. Pommern war ab 1648 schwedisch. Bis 1679 teilte man sich Pommern mit den Brandenburgern. Von 1679-1720 schwedisch ohne den Teil östlich der Oder. Ab 1720-1806 schwedisch nur noch (Vor-) Pommern und Rügen.
Wismar und Stralsund waren zu der Zeit wie das heutige Gebiet mit Namen (Vor-)Pommern stockschwedisch.
Was du mit deutschem Gebiet meinst könnte Preussen (heute Nordpolen) gewesen sein, dass damals noch eine Provinz Brandenburgs war. Da bin ich mir aber nicht sicher. Oder aber der kleine Korridor östlich der Oder und Stettin mit Linie Kamien-Pomorski, Gryfino und Banie.

Hintergrund der "russischen Invasion" Pommerns war der Große Nordische Krieg.
 
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Aber die strategische Priorität muß Rußland doch trotzdem immer auf dem Land setzen.
(...)
Ich habe jetzt keine Zahlen da, aber ich würde mal schätzen, daß 1712 die großen Seemächte Spanien, England, Frankreich und Holland noch ungefähr in derselben Liga einzustufen sind - und da kann es ein ehrgeiziges, aber noch realistisches Ziel des Zaren gewesen sein, in ähnliche Größenordnungen reinzuwachsen.
Ich teile deine Einschätzung. Daß Rußland seine "strategische Priorität" an Land setzte und in der Liga der Seefahrer mitspielen wollte, schließt sich ja auch nicht aus.
England "ablösen" wäre aber dann doch etwas anderes, das wollte ich nur festgestellt haben.

Pommern war ab 1648 schwedisch. (...) Wismar und Stralsund waren zu der Zeit wie das heutige Gebiet mit Namen (Vor-)Pommern stockschwedisch.
Schwedisch ja, aber eben auch Teil des Reiches.
 
England "ablösen" wäre aber dann doch etwas anderes, das wollte ich nur festgestellt haben.

Ich glaube auch kaum, das solches von der Ostsee aus möglich war, abgeschlossen (Dänemark am Ausgang) und im Winter eisgefährdet bzw. zugefroren.
 
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Die Ostsee war sicherlich für Peter den Großen sehr wichtig. Früher wurde Westeuropa ganz entscheidend von den Getreidelieferungen aus dem Baltikraum versorgt, weshalb die Beherrschung des Sunds zwischen Dänemark und Norwegen/Schweden immer von hoher Bedeutung war. Allerdings nahm die Bedeutung der Ostsee zusehends während des 18.Jh. ab, was Peter nicht vorraus sehen konnte. Dennoch stellte die Ostsee eine wichtige Verbindung für Güter vieler Art nach Westeuropa dar.

Außerdem wollte Peter der Große ja mit alten russischen Traditionen brechen, um das Land vorran zu bringen, also kann man die Errichtung einer Hauptstadt am Meer als ein solches deutliches Merkmal ansehen. In gewisser Weise handelte er kaum anders als viele Landesfürsten auch in Mitteleuropa und Westeuropa, welche ihre neuen Hauptstädte wenigstens deutlich abgetrennt von den alten neu anlegten oder vorhanden Orte, die noch kleiner und unbedeutender waren, ausbauten. So entkam der pfälzische Kurfürst den gewachsenen (u.a. religiösen) Strukturen, indem er den Hof nach Mannheim verlegte, so verließen die Markgrafen von Baden-Durlach Durlach, um in Karlsruhe neu zu bauen. So verlegte Markgraf Ludwig Wilhelm seine Residenz von Baden-Baden nach Rastatt, das kurz zuvor von den Franzosen schwer zerstört worden war.
 
Man sollte nicht die Abhängigkeit der Seemacht England von Russland aus dem Aigen verlieren. Die Briten bekamen von Russland einiges an Material für ihren Schiffbau, besonders natürlich zur Zeit der napoleonischen Kriege und der Kontinentalsperre.
 
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