(Wie) Kann ein so grosses Vielvölkerreich funktionieren?

(Wie) Kann ein so grosses Vielvölkerreich funktionieren?

  • Durch Romanisierung der Gebiete

    Stimmen: 0 0,0%

  • Umfrageteilnehmer
    1
Eine einfache Antwort gibt es darauf nicht, zumal die Herrschaftsausübung regional unterschiedlich funktionierte, aber im Wesentlichen lief es oft auf eine Mischung aus Einbindung der Unterworfenen und Repression hinaus.
In Italien und weiten Teilen der östlichen Reichshälfte etwa stützten sich die Römer bei der Herrschaftsausübung auf die Städte, denen sie ihre innere Selbstverwaltung beließen, was den drückenden Charakter der Fremdherrschaft etwas abmildern konnte. (Zumindest solange die städtische Autonomie von den Statthaltern respektiert wurde, was nicht immer der Fall war.) In anderen Regionen versuchten die Römer oft zumindest die einheimische Oberschicht für sich zu gewinnen, indem sie ihr etwa rasch das römische Bürgerrecht und sonstige Privilegien verliehen.
Die Römer beschränkten sich auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und das Eintreiben von Abgaben (wobei sie öfters mal über die Stränge schlugen), mischten sich ansonsten aber meist nicht groß ins Leben der Unterworfenen ein. Die Untertanen konnten in der Regel ihre Sprachen, Religionen und Kulturen beibehalten.

Den Römern kam aber auch zugute, dass es keine koordinierte gemeinsame Opposition der unterworfenen Völker gegen Rom gab. Aufstände gab es zwar immer wieder, aber sie blieben regionale Phänomene und konnten daher von der überlegenen römischen Militärmacht (wenn auch oft erst nach anfänglichen Rückschlägen) niedergeschlagen werden. Wirklich bedrohlich für Rom war der Bundesgenossenkrieg, als vorübergehend Roms Herrschaft über große Teile Italiens, also des Kerns des Reiches, zusammenbrach.

Die Romanisierung wird meiner Meinung nach als stabilisierender Faktor etwas überschätzt, da sie ein langwieriger Prozess war. Bis eine Gegend mehr oder weniger "romanisiert" war, vergingen meist Jahrhunderte. Als im 3. Jhdt. n. Chr. unter Kaiser Caracalla schließlich die freien Reichsbewohner das römische Bürgerrecht erhielten, standen manche erfassten Gebiete seit etwa vierhundert Jahren unter römischer Herrschaft. Wichtiger an der Romanisierung war eher die damit indirekt verbundene allmähliche Ausdehnung des Rekrutierungspools für die Armee. Die Römer konnten also immer wieder neue Regionen für die Rekrutierung von Soldaten erschließen.
 
Da du eine Umfrage gestartet hast: Ich glaube, man muss da viel mehr Punkte hinzufügen, und auch Mehrfachnennung zulassen.
Mir fiele z.B. noch gute Straßen/Kommunikationswege/Infrastruktur ein.

Gruss, muheijo
 
Nur ein(ig)e Frage(n):
Ist der Begriff "Vielvölkerreich" - mich persönlich erinnert das Wort immer sofort an das europäische 19. Jahrhundert und Folgendes - in diesem Zusammenhang eigentlich passend ? Waren nicht eigentlich alle einigermaßen größeren Staatengebilde der Antike notgedrungenermaßen "Vielvölkerreiche", weil das ursprünglich staatstragende "Volk" nur einen eng begrenzten Siedlungsraum hatte ? War "Vielvölkerstaat sein" damit nicht "Kismet" eines jeden dieser werden wollenden Imperien und damit kein Spezifikum des rümischen ? Taugt damit die Vielvölkeridee überhaupt dazu, in diesem Zusammenhang etwas zu erklären?
Sollte nicht dagegen die Frage eigentlich sein, welche Strategien diese alten Reiche generell anwandten um im Inneren zusammenzuhalten und welche besonders erfolgreichen die Römer anwandten (deren Reich ja eher zu den langlebigeren zählte) ? Und - wenn man darüber hinausgehen will - warum sie mit diesen Strategien doch nicht so erfolgreich und überlebensfähig waren, wie andere, die noch heute existieren (China) ?
 
Beim vermeintlichen Erfolgsmodell "China" sollte man nicht übersehen, dass es erstens zu Beginn nur die Region am Gelben Fluss umfasste und zweitens im Laufe seiner Geschichte immer wieder - mitunter für Jahrhunderte - zerfiel, bis es - gewaltsam - wiedervereinigt wurde. (Genaugenommen gibt es nicht einmal heute ein geeintes China, sondern die "Volksrepublik China" und die "Republik China" alias Taiwan.)

Historisch betrachtet ist sicher richtig, dass die meisten großen Staaten Vielvölkerreiche waren. Gescheitert sind sie jedoch in der Regel an dynastischen Konflikten (oder sonstigen Machtkämpfen), Aufständen regionaler Potentaten oder durch Eroberung durch ein anderes Reich, aber fast nie an "national" motivierten Unabhängigkeitsbestrebungen unterworfener Völker.

Auch das römische Reich ist letztlich nicht an seiner Vielvölkernatur gescheitert, da es nicht an Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Teile bzw. Völker zerbrach. Im Gegenteil, es ging unter, als in weiten Reichsteilen eine gewisse (sprachliche, kulturelle, religiöse) Homogenisierung erreicht war. Auch die faktische Teilung in eine westliche und östliche Hälfte hatte ihren Grund nicht darin, dass der Westen großteils lateinisch und der Osten griechisch-hellenistisch geprägt war.
 
Oje!

Hatte die Klammerbeifügung "China" eigentlich schon gestrichen ( und dann nur aus Verständnisgründen - vielleicht hätt ich auch besser zumindest ein "?" dahinter gesetzt - wieder eingesetzt), um den Thread nicht zu "hijacken". Aber passiert ist passiert: Geb Ihnen - nicht nur was die Bemerkungen zu China betrifft - vollinhaltlich recht. Dennoch, was das "antike China" eigentlich so richtig gemacht hat, dass es als eine Art historisch-politisches "Stehaufmanderl" immer wieder neuentsteht, ist zumindest mir schon ein Nachsinnen wert...
 
Dennoch, was das "antike China" eigentlich so richtig gemacht hat, dass es als eine Art historisch-politisches "Stehaufmanderl" immer wieder neuentsteht, ist zumindest mir schon ein Nachsinnen wert...

Das antike China zerbrach eigentlich schon im späten 2. Jahrhundert n. Chr., endgültig 304. Von nun an stand der Norden, also das eigentliche chinesische Kerngebiert, unter der Herrschaft verschiedener, oft kurzlebiger, Dynastien mit nicht-chinesischer (türkischer, tangutischer, proto-mongolischer) Führungsschicht - in etwa vergleichbar mit der Situation des Weströmischen Reiches unter gotischer, langobardischer, fränkischer etc. Herrschaft.
Eine prominente Rolle spielten die Xianbei, die langfristig im Norden ein relativ stabiles Staatswesen etablierten. Die Oberschicht bestand aus den Mitgliedern der Xianbei-Kriegeraristokratie und einheimischen Funktionären, die untereinander versippt waren. Letztlich gelang dem Norden die "Wiedervereinigung", indem er den "nationalchinesischen" Süden überrollte.

Wäre es den späten Karolingern bzw. ihren Nachfolgern gelungen, die Risse in ihrem Reich wieder zu flicken und mit geballter Macht in Byzanz einzumarschieren, hätte Rom als "Stehaufmanderl" eventuell mit China konkurrieren können. So blieb es bei der Reichsteilung bis zum Untergang Ostroms 1453; das Heilige Römische Reich hat bis 1806 durchgehalten.
 
Auch das römische Reich ist letztlich nicht an seiner Vielvölkernatur gescheitert, da es nicht an Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Teile bzw. Völker zerbrach. Im Gegenteil, es ging unter, als in weiten Reichsteilen eine gewisse (sprachliche, kulturelle, religiöse) Homogenisierung erreicht war.
Ein interessanter Aspekt, aber die lange Existenz von Ostrom sprich dagegen.

Auch die faktische Teilung in eine westliche und östliche Hälfte hatte ihren Grund nicht darin, dass der Westen großteils lateinisch und der Osten griechisch-hellenistisch geprägt war.
Die Teilung des Reiches halte ich für einen wesentlichen Grund, weil erstens die einheitliche Sprache im administrativen und militärischen Bereich enorm wichtig für das Funktionieren eines Staates ist, und zweitens die einheitliche Religion als gesellschaftlichen Kitt zwischen den Völkern.

Erst als das Ostrom in seinem Bereich – ohne Rücksicht auf Rom und aufgrund der einheitlichen Sprache (griechisch) und Religion (orthodox) – tun und lassen konnte, was es wollte, konnte es weitere 1000 Jahre bestehen. Und es hätte wahrscheinlich noch weiter bestanden, wenn das lateinischer Westen ihm 1204 nicht in den Rücken gefallen und entscheidend geschwächt hätte; nach diesem Datum war das byzantinische Reich nur noch ein Schatten seiner selbst und konnte nur dank der Schwäche seiner Gegner und der Stärke seiner Mauern weitere 2 ½ Jahrhunderte überleben, wobei im letzten Jahrhundert seines Bestehens von einem Reich nichts mehr zu sehen war: Es glich einem Stadtstaat.
 
Auch das römische Reich ist letztlich nicht an seiner Vielvölkernatur gescheitert, da es nicht an Unabhängigkeitsbestrebungen seiner Teile bzw. Völker zerbrach. Im Gegenteil, es ging unter, als in weiten Reichsteilen eine gewisse (sprachliche, kulturelle, religiöse) Homogenisierung erreicht war.
Ein interessanter Aspekt, aber die lange Existenz von Ostrom sprich dagegen.
Inwiefern? Das müsstest du erklären. Ich sehe da jedenfalls noch keinen Zusammenhang.

Auch die faktische Teilung in eine westliche und östliche Hälfte hatte ihren Grund nicht darin, dass der Westen großteils lateinisch und der Osten griechisch-hellenistisch geprägt war.
Die Teilung des Reiches halte ich für einen wesentlichen Grund, weil erstens die einheitliche Sprache im administrativen und militärischen Bereich enorm wichtig für das Funktionieren eines Staates ist, und zweitens die einheitliche Religion als gesellschaftlichen Kitt zwischen den Völkern.

Erst als das Ostrom in seinem Bereich – ohne Rücksicht auf Rom und aufgrund der einheitlichen Sprache (griechisch) und Religion (orthodox) – tun und lassen konnte, was es wollte, konnte es weitere 1000 Jahre bestehen.

Ich sehe hierin zwei erhebliche Denkfehler.
1. Das römische Reich hatte für ein halbes Jahrtausend wenige Probleme, seinen Bestand zu halten, die sprachliche Zweiteilung in einen lateinischen und einen griechischen Teil (die so auch nur die halbe Wahrheit ist, selbst nach 476 wurde Latein auch im Osten teilweise noch administrativ gebraucht, andere Sprachen wurden nebenbei von Bürgern oder Untertanen benutzt: Punisch, Keltisch, Aramäisch, Armenisch). Bei einer Reichsdauer von einem halben Jahrtausend eine Instabilität aufgrund einer sprachlichen Zweiteilung zu unterstellen, scheint mir ein wenig seltsam. Im Übrigen wurde nach der byzantinischen Reconquista in den westlichen Reichsteilen Latein wiederum als Verwaltungssprache benutzt, wenn wir die offiziellen Inschriften aus dieser Zeit zugrundelegen.

2. das oströmische Reich war mit der Ausbreitung des Islam im 7. und frühen 8. Jhdt. im Prinzip auf die heutige Türkei, Griechenland und den Balkan beschränkt, wurde von Germanen, Slawen, Ungarn bedrängt und atomisierte spätestens unter dem seldschukischen und venezianischem Druck (letztere tw. Im Bündnis mit Kreuzfahrern) zu mehreren konkurrierenden Kaiserreichen. Und hier liegt Denkfehler Nr. 2, der implizit unterstellt, dass das oströmische Reich zwischen 476 und 1453 einigermaßen stabil gewesen sei. Nach Malazgirt 1071 war Konstantinopel im Prinzip nur noch eine verblasste Erinnerung, die es schaffte mit vergangenem Ruhm und dem Status als Kaiserreich noch ein wenig an alte Zeiten zu gemahnen.

Und es hätte wahrscheinlich noch weiter bestanden, wenn das lateinischer Westen ihm 1204 nicht in den Rücken gefallen und entscheidend geschwächt hätte; nach diesem Datum war das byzantinische Reich nur noch ein Schatten seiner selbst und konnte nur dank der Schwäche seiner Gegner und der Stärke seiner Mauern weitere 2 ½ Jahrhunderte überleben, wobei im letzten Jahrhundert seines Bestehens von einem Reich nichts mehr zu sehen war: Es glich einem Stadtstaat.
Du verwechselst hier Auslöser und Symptom. Und vom „lateinischen Westen“ als monolithischen Block zu sprechen, ist angesichts der divergierenden Interessen auch nicht wirklich angemessen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sollte nicht dagegen die Frage eigentlich sein, welche Strategien diese alten Reiche generell anwandten um im Inneren zusammenzuhalten und welche besonders erfolgreichen die Römer anwandten (deren Reich ja eher zu den langlebigeren zählte) ?

Eine richtige - komparative - Sichtweise. Und zentrale Ergebnisse u.a. bei:

Eisenstadt, Shmuel N. (1993): The political systems of empires. New Brunswick: Transaction Publishers.
Trigger, Bruce G. (2007): Understanding early civilizations. A comparative study. Cambridge, New York: Cambridge University Press.
 
Bei einer Reichsdauer von einem halben Jahrtausend eine Instabilität aufgrund einer sprachlichen Zweiteilung zu unterstellen, scheint mir ein wenig seltsam.
Welches halbe Jahrtausend meinst du?

Die Reichsteilung war 395 und in weniger als 100 Jahren danach war der Westrom Geschichte. Eigentlich gab es Rom im eigentlichen Sinne seit Kaiser Konstantin nicht mehr: Im Jahr 330 verlegte er seinen Hauptsitz nach Byzanz, dem neuen Rom und späteren Konstantinopel, und regierte von dort aus. Nach 395 gab es zwar de jure noch Reichseinheit, aber de facto regierten die Kaiser nur in ihren Hälften: Die östlichen Kaiser residierten in Konstantinopel und die westlichen mal in Rom, Mailand oder Ravenna.

Was natürlich nicht ausschließt, dass manche Gesetze in beiden Reichshälften galten, vorausgesetzt, man hat sie der jeweils anderen mitgeteilt bzw. ins Griechische/Lateinische übersetzt. :D

Die Wikipedia sagt dazu – Zitat: „Nicht wenige Althistoriker sind zudem der Ansicht, dass sich bereits im Verlauf des 4. Jahrhunderts eine stärkere kulturelle, religiöse und vor allem ökonomische Auseinanderentwicklung des griechisch geprägten Ostens und des lateinischen Westens abgezeichnet habe.“

Es gab also eine stärkere kulturelle, religiöse Auseinanderentwicklung der beiden Reichshälften, weil die nicht immer die gleiche Sprache sprachen und sich auch auf dem religiösen Gebiet eher bekämpften als zusammenarbeiteten (dies vor allem, weil das Primat des römischen Bischofs für die gesamte Kirche, also auch für die im Osten (Nova Roma!), schon damals umstritten war und es bis heute ist).

Auch die Truppen von z.B. Syrien an die Donau oder umkehrt zu verlegen, ging, wenn überhaupt, nicht mehr so einfach wie früher, weil jeder Kaiser eher auf die Sicherung der eigenen Hälfte bedacht war.

Wer meint, Solches kann ein Reich schadlos überstehen, irrt.

Und hier liegt Denkfehler Nr. 2, der implizit unterstellt, dass das oströmische Reich zwischen 476 und 1453 einigermaßen stabil gewesen sei.
Das habe ich weder behauptet noch gemeint.

Und vom „lateinischen Westen“ als monolithischen Block zu sprechen, ist angesichts der divergierenden Interessen auch nicht wirklich angemessen.
Stimmt, das war ein wenig flapsig formuliert. Ich wollte damit sagen, dass es die Pilger aus dem lateinischen Westen waren, die 1204 Konstantinopel eroberten, plünderten und zerstörten, so dass noch 50 Jahre später diese Zerstörungen nicht behoben waren. Und wäre der „lateinische Westen“ daran unschuldig, müsste sich der Papst 2001 nicht dafür entschuldigen – Zitat: Besonders bedauere er die Plünderung des damals orthodoxen Konstantinopels durch abendländische Kreuzfahrer im Jahr 1204.

„Abendländisch“ klingt nicht wirklich besser als der „lateinische Westen“, oder?
 
Welches halbe Jahrtausend meinst du?

Die Reichsteilung war 395 und in weniger als 100 Jahren danach war der Westrom Geschichte.
Deine Argumentation belief sich auf Sprache und einheitliche Religion (das Schisma im Prinzip schon vorwegnehmend). Du schriebst zweimal von einheitlicher Sprache. Und dann „Erst als...“ das impliziert, dass es vorher nicht so war. Und somit rechnete ich nicht ab der Reichsteilung, sondern ab der Inkorporation der Diadochenreiche und ihrer Nachfolgestaaten in das römische Abhängigkeitsverhältnis also bis 476 ein knappes halbes Jahrtausend.

Und wäre der „lateinische Westen“ daran unschuldig, müsste sich der Papst 2001 nicht dafür entschuldigen – Zitat: Besonders bedauere er die Plünderung des damals orthodoxen Konstantinopels durch abendländische Kreuzfahrer im Jahr 1204.
JP II. hat sich für so ziemlich alles entschuldigt, was irgendein Katholik im Rahmen eines größeren historischen Sachverhalts mal vermeintlich im Namen seiner Konfession verbrochen hat. Ob das für die Bewertung des historischen Sachverhalts sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Solche Entschuldigungen dienen der Gegenwart und haben für die eigentliche historische Bewertung keine Relevanz (allenfalls für die Bewertung der Lebensleistung von JP II.). Das ist ungefähr so, als würde jemand von der ALDE, dem europäischen Pendant der FDP sich für den Terror der Jakobinerherrschaft entschuldigen, weil beide auf dem Gedankengut der Aufklärung basieren.

„Abendländisch“ klingt nicht wirklich besser als der „lateinische Westen“, oder?
Nein. Ist ja inhaltlich im Wesentlichen auch kein Unterschied. Alter Wein in neuen Schläuchen.
 
2. das oströmische Reich war mit der Ausbreitung des Islam im 7. und frühen 8. Jhdt. im Prinzip auf die heutige Türkei, Griechenland und den Balkan beschränkt, wurde von Germanen, Slawen, Ungarn bedrängt und atomisierte spätestens unter dem seldschukischen und venezianischem Druck (letztere tw. Im Bündnis mit Kreuzfahrern) zu mehreren konkurrierenden Kaiserreichen. Und hier liegt Denkfehler Nr. 2, der implizit unterstellt, dass das oströmische Reich zwischen 476 und 1453 einigermaßen stabil gewesen sei. Nach Malazgirt 1071 war Konstantinopel im Prinzip nur noch eine verblasste Erinnerung, die es schaffte mit vergangenem Ruhm und dem Status als Kaiserreich noch ein wenig an alte Zeiten zu gemahnen.
Das sehe ich nicht so. Stabil war das oströmische Reich zwischen 476 und 1453 zwar nicht, aber seine größte Krise vor dem 4. Kreuzzug durchlebte es im 8. Jhdt., als es innenpolitisch wegen des Bilderstreits zerrissen war und außenpolitisch unter massivem Druck der Bulgaren und Araber stand. Die Besitzungen am Balkan waren damals fast komplett verloren.

Die Schlacht von Mantzikert führte zwar in der Folge zum Verlust des Großteils Kleinasiens, aber die von den Makedonenkaisern wiederhergestellte Herrschaft am Balkan (mitsamt Unterwerfung Bulgariens) blieb noch ca. ein Jahrhundert lang weitgehend stabil, und unter den ersten drei Komnenenkaisern konnten (wenn auch nur mit Schützenhilfe der Kreuzritter) auch größere Teile Kleinasiens wiedergewonnen werden. Auch innenpolitisch war das Reich unter den ersten drei Komnenen einigermaßen stabil. Erst nach dem Tod von Kaiser Manuel I. 1180 ging es bergab: Thronkonflikte im Inneren, außerdem erlangte Bulgarien seine Unabhängigkeit wieder (und wurde damit erneut zur Bedrohung).

Du verwechselst hier Auslöser und Symptom. Und vom „lateinischen Westen“ als monolithischen Block zu sprechen, ist angesichts der divergierenden Interessen auch nicht wirklich angemessen.
Auch das sehe ich nicht so. Zwar ging es bereits vor dem 4. Kreuzzug unter den Angeloi-Kaisern bergab, aber die Eroberung Konstantinopels war dennoch ein Schlüsselereignis, zumal als Folge große Teile des Reiches unter „lateinische“ Herrschaft fielen und sich im Rest rivalisierende Dynastien (in Nikaia, Thessalonike, Epeiros, Trapezunt) etablierten. Davon erholte sich das Reich nie mehr wirklich. Ohne diese Katastrophe würde ich nicht so schwarz sehen; die Zeit nach dem Tod Manuels I. wäre vielleicht eine vorübergehende Schwächephase geblieben, wie sie das Reich schon früher durchlebt hatte. Insofern sehe ich den 4. Kreuzzug schon als den hauptsächlichen Auslöser für den endgültigen Niedergang.

Wer meint, Solches kann ein Reich schadlos überstehen, irrt.
Dennoch war die (faktische, nicht rechtliche) Reichsteilung vermutlich unvermeidbar. Anders war es kaum möglich, die Bedrohungen an den verschiedenen Fronten von außen (Rhein- und Donaugrenze, Orient, zum Teil auch Afrika und Britannien) sowie von innen (Usurpatoren) im Griff zu behalten. Ein Kaiser allein konnte nicht überall sein, und mächtige Feldherren waren ein permanentes Risiko als potentielle Rivalen. Faktisch etablierte sich eine administrative Reichsteilung bereits ab Mitte des 3. Jhdts. (Valerianus und Gallienus) und wurde in verschiedenen Ausgestaltungen danach meist beibehalten, indem ein Kaiser Familienmitgliedern oder sonstigen halbwegs vertrauenswürdigen Personen als Augusti oder Caesares Reichsteile übertrug.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du schriebst zweimal von einheitlicher Sprache. Und dann „Erst als...“ das impliziert, dass es vorher nicht so war. Und somit rechnete ich nicht ab der Reichsteilung, sondern ab der Inkorporation der Diadochenreiche und ihrer Nachfolgestaaten in das römische Abhängigkeitsverhältnis also bis 476 ein knappes halbes Jahrtausend.
Verstehe. Allerdings sprach ich von der Notwendigkeit einer einheitlichen Sprache nur für die Administration. Unter Administration des Reiches verstehen ich alles, was in den kaiserlichen Kanzleien geschrieben in die Provinzen geschickt wurde und von dort zurückkam. Das geschah bis zur Teilung des Reiches in Latein.

Nach der Übersiedlung des kaiserliches Hofes unter Konstantin nach Byzanz wurde diese Praxis zunächst beibehalten. Aber schon bald wurde in den dortigen Kanzleien griechisch geschrieben, einfach weil man die Beamten nicht mehr in Rom rekrutierte, sondern vor Ort, wo man griechisch sprach. Klar, jene Dokumente, die nach Rom gingen, wurden ins Lateinische übersetzt, aber jene, die in die oströmischen Provinzen gingen, nicht mehr oder nur noch selten.

Wie lange in den Ost-Legionen die Befehlssprache Latein blieb, weiß ich nicht, aber wenn man annimmt, dass man Offiziere und Soldaten hauptsächlich aus Orten rekrutierte, in denen vornehmlich griechisch gesprochen wurde, dürfte es auch dort so zugehen wie in den kaiserlichen Kanzleien.

Dennoch war die (faktische, nicht rechtliche) Reichsteilung vermutlich unvermeidbar. Anders war es kaum möglich, die Bedrohungen an den verschiedenen Fronten von außen (Rhein- und Donaugrenze, Orient, zum Teil auch Afrika und Britannien) sowie von innen (Usurpatoren) im Griff zu behalten.
Schon klar, aber nach der Teilung des Reiches galt Kirchturmpolitik. Oder wie man heute sagt: Ostrom first bzw. Westrom first. Das konnte nicht für beide Teile gut ausgehen.
 
Zurück
Oben