Wie Karthager gesehen wurden...

tela

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Kennt jemand ein Buch/Aufsatz, der sich damit beschäftigt, wie die Karthager von ihren Feinden, also von Griechen und Römern gesehen wurden. Mit welchen Klischees sie belegt wurden, welche Eigenschaften und Eigenheiten ihnen zugeschrieben wurden?
 
Kennt jemand ein Buch/Aufsatz, der sich damit beschäftigt, wie die Karthager von ihren Feinden, also von Griechen und Römern gesehen wurden. Mit welchen Klischees sie belegt wurden, welche Eigenschaften und Eigenheiten ihnen zugeschrieben wurden?

Also die Römer haben ihnen nachgesagt ihre Kinder zu opfern. Ob das stimmt oder römische Propaganda war weiß man (noch) nicht.
 
Nur Karthager oder Punier allgemein? In der Odyssee (meine ich) werden die Phoinikes nämlich als Räuber beschrieben.
 
Schon eher Karthager im speziellen, aber was über die Punier/Phönizer nehm ich auch gerne.
 
Kennt jemand ein Buch/Aufsatz, der sich damit beschäftigt, wie die Karthager von ihren Feinden, also von Griechen und Römern gesehen wurden. Mit welchen Klischees sie belegt wurden, welche Eigenschaften und Eigenheiten ihnen zugeschrieben wurden?

Die gesamte überlieferte Quellenbasis zu den Karthagern, die in erster Linie römisch bestimmt ist, belegt die Karthager mit negativen Klischees. Da die Römer in den Punischen Kriegen Sieger blieben und Karthago die Römer erstmals in Existenznot brachten, haben sie ihnen das nie verziehen. Das Quellenmaterial der Römer über die Karthager ist also von römischer Siegermentalität beeinflusst, oft propagandistisch gefärbt und genau wie heute bestimmte der Sieger das Urteil über den Gegner.

Viele Wissenschaftler snd heute der Ansicht, dass der in römischen Quellen überlieferte Brauch, wonach die Karthager in Notsituationen Kinder opferten, indem sie sie einer Molochstatue in die Arme legten und sie durch einen Mechanismus ins Feuer fallen ließen, lediglich üble Nachrede der römischen Konkurrenz ist. Antike Autoren wie Diodor und Plutrach berichten zwar darüber, doch ist der Wahrheitsgehalt in der Fachwelt inzwischen umstritten. Es ist denkbar, dass man auf dem Tofet - also der Opferstätte - lediglich tot geborene oder sehr früh verstorbene Kinder verbrannte.

Im übrigen verunglimpften die Römer die Karthager mit der Behauptung, sie seien grausam, wären eid- und vertragsbrüchig, würden ungerechte Kriege anzetteln und in Massen Kinder opfern.

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung bemerkt dazu sehr richtig:

Was von Karthago überliefert wurde, besorgten römische Propagandisten wie Livius, die punischen literarischen Zeugnisse sind so gut wie ausgelöscht. Nach römischen Quellen war dieses Karthago blutrünstig, Kinder opfernd, kriegslüstern, Verträge brechend, eine Macht, die nach der Weltherrschaft und damit nach dem Untergang Roms strebte.



Das brave Rom aber rettete sozusagen das Abendland in drei verlustreichen Kriegen vor einer Macht, die nach römischer Ideologie schon damals gewissermaßen jene orientalischen Züge trug, die bis jetzt im Okzident negativ besetzt sind.

Karthago - Schmelztiegel des Mittelmeers - Kultur - sueddeutsche.de

Wer also ein objektives Urteil über die Kultur und Religion der Karthager fällen will, muss vom Wahrheitsgehalt der antiken römischen Propagandisten eine gehörige Portion abziehen, da die Aussagen oftmals vezerrt sind.

Moderne Autoren vermeiden natürlich solche Fehlurteile, wobei u.a. zu nennen sind:

1. Walter Ameling, Karthago. Studien zu Militär, Staat und Gesellschaft, München 1993

2. Collette und Gilbert Charles-Picard, Karthago. Leben und Kultur, Stuttgart 1983http://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:ISBN-Suche/3150103169

3. Werner Huß, Karthago, München 1995http://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:ISBN-Suche/3406398251

4. Jürgen Süß, Karthago. Macht und Reichtum der antiken Großmacht, Brühl 2004

Sehr gut lesbar - wenn auch etwas älter - sind die Publikationen des Spezialisten für semitische Geschichte und Kultur, Sabatino Moscati, die auch bei mir stehen.
1. Sabatino Moscati, Die Karthager, Stuttgart/Zürich 1984
http://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:ISBN-Suche/3763017313
2. Sabatino Moscati, Die Phönizier, Hamburg 1988
 
Fast alle Bücher über die Karthager beschreiben die römische/griechische Perzeption. Deshalb würde ich einfach wieder zum Huss greifen (der Schnelligkeit halber zur gekürzten Fassung der Beck'schen Reihe).

Interessant als Quelle ist die Plautus-Komödie Poenulus. Neben einem der wenigen sprachlichen Dokumente (anfangs des fünften Aktes gibt es einen ganzen Absatz transkribierten punischen Text) ist auch die Schilderung des Onkels aus Afrika ganz interessant: ein sehr frommer, konservativer hellenistischer Herr wird hier geschildert. Angesichts der Tatsache, wie derb mitunter die Späße gegenüber "Landeiern" und "Stadtschnöseln" ausfallen, kommt der Punier Hanno in dieser Komödie sehr gut davon.
 
Es ist denkbar, dass man auf dem Tofet - also der Opferstätte - lediglich tot geborene oder sehr früh verstorbene Kinder verbrannte.

Damit scheint v.a. die geringe Zahl der Kindsbestattungen in den übrigen Nekropolen zu korrellieren. Unbeantwortet bleiben in diesem Zusammenhang dann allerdings die nachgewiesenen tierischen Überreste, insbesondere für den Fall, dass die Urne quasi als Substitut ausschließlich von Tieren stammende Asche enthielt. Aubet 1993, 214 gibt für die archaische Epoche folgenden Verteilungsschlüssel an: 62,5% der Urnen beinhalteten menschliche, 30% tierische und 7,5% sowohl menschliche als auch tierische Überreste.

- M. E. Aubet, The Phoenicians and the West. Politics, Colonies and Trade (Cambridge 1993)
- H. Bénichou-Safar, Le tophet de Salammbô à Carthage. Essai de reconstitution, Collection de l’École française de Rome 342 (Rom 2004)
 
Es ist mit Sicherheit anznehmen, dass semitische Kulturen Vorderasiens und damit auch die Phönizier (und Kanaaniter) Menschenopfer gekannt haben, überwiegend wohl Kriegsgefangene. Allerdings ist strittig, seit welcher Zeit dieser Brauch nicht mehr geübt wurde und es stattdessen zu tierischen Ersatzopfern kam.

Die Frage der Kindsopferung in Karthago ist seit geraumer Zeit umstritten, den letzten Stand dieser Diskussion kenne ich nicht.
 
Wer also ein objektives Urteil über die Kultur und Religion der Karthager fällen will, muss vom Wahrheitsgehalt der antiken römischen Propagandisten eine gehörige Portion abziehen, da die Aussagen oftmals vezerrt sind.

Ich will gerade nicht nur das objektive Urteil über die Karthager, mich interessieren besonders diese verzerrten Bilder aus griechischer und römischer Sicht.

Ich kenne Bücher über Germanen (Günnewig, Beatrix, Das Bild der Germanen und Britannier : Untersuchungen zur Sichtweise von fremden Völkern in antiker Literatur und moderner wissenschaftlicher Forschung)

oder über Kelten (Kremer, Bernhard, Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit : Studien zur Instrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen und römischen Autoren)

und wäre sehr an einem vergleichbaren Buch oder Aufsatz über Karthago interessiert. Nur habe ich bisher eine Spezialuntersuchung dazu nicht gefunden:weinen:. Gibts da irgendwas?
 
Dieter, hier verschwimmen die Grenzen zwischen dem religiös konnotierten Massaker (1) und der tatsächlichen Opferung im Rahmen einer sakralen Handlung (2); d. h. wenn es heißt "Im Namen Gottes, keine Gefangenen!" kann das gut als (2) interpretiert werden, dabei ist es (1) … in der Tat sind die meisten Darstellungen aus Assur und Vorderasien voll von (1), aber ich würde schon eine Differenzierung zu (2) vollziehen.

Was die Römer den Karthagern vorwarfen ist (2). (1) haben sie schließlich selbst auch praktiziert. Aber die Opferung der eigenen Kinder erschien selbst der römischen Hochkultur, in der das Aussetzen ungewollter Kinder an der Tagesordnung war, als unnatürlich und unmenschlich. Ein Schleier des Nichtverstehens und Nicht-mehr-verstehen-könnens liegt über dieser finsteren Praxis: wir wissen, dass einige Urnen in den Tofets nicht entwickelte Foeten enthielten, andere enthielten Gebeine von Kleinkindern, andere von Kleinkindern und Lämmern … ein genereller Ausschluss des Kinderopfers ist damit nicht gegeben, eine Interpretation als "Früh-/Fehlgeburtenfriedhof" möglich, aber nicht ausschließlich möglich. Das haben wir aber auch an anderem Ort schon diskutiert.

Aus Karthago wurden viele technische und alltägliche Techniken und Einrichtungen übernommen. Puls Punica, ein süßer Frischkäsebrei, zählt zu den Standardgerichten, der berühmte römische Spitzgraben ist ein fossa punica, die Geschichten von der Pentere, dem Prinzip der Serienfertigung und der Kreuzigung sind Allgemeingut. Das Buch eines Mago über die Landwirtschaft hat die römische reformiert – aber in dieser römisch-punischen Beziehungsgeschichte gab es keinen nachweisbaren Ideentransfer (wie z. B. mit der griechischen Stoa oder der hellenistischen Kunst).
 
Es gibt einen Satz in "Hannibal" von Pedro Barceló:

..."Bei den Karthagern jedenfalls herrscht der Ruf der Geldgier, bei den Römern der der Grausamkeit."

Abgeleitet wird dies von Polybios II 25

Gruß
 
Ich hab den Satz gegoogelt und hab das Buch bei Google Books gelesen. Druckfehler oder Nachlässigkeit. Leider ist Barcelós Argumentation bezüglich des Ebro-Vertrages genau dort, wo die Vorschau ein paar Seiten ausgelassen hat...
 
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