Es macht überhaupt keinen Sinn, danach zu fragen, welche der beiden Revolutionen "revolutionärer" war. Sie gehören beide in einen politischen historischen Kontext und sie beziehen sich im Rahmen der radikaleren Phase der Aufklärung aufeinander (vgl. beispielsweise J. Israel)
Zu betonen wäre, und hatl hatte mit Tuchman bereits darauf hingewiesen, dass der Prozess des zunehmenden Widerstands in den amerikanischen Kolonien wesentlich durch die provozierende Politik von GB hervorgerufen wurde(vgl, Tuchman, Torheiten…, S. 158ff) Diese Verschärfung der Eskalation kommt deutlich in zeitgenössischen Dokumenten zum Ausdruck. Die harte britische Linie führte in den Kolonien zu Widerstand und zog eine Welle der Solidarität nach sich, die im „Ersten Kolonialkongreß“ (1774) manifestierte. (vgl. Adams). Und es wurde, vor allem auch in Europa durchaus eine Sympathie mit den Kolonisten gezeigt. (vgl. beispielsweise Adams, Epilog: Ein zeitgenössischer Vergleich der amerikanischen mit der französischen Revolution aus dem Jahr 1793, S. 357)
Bei Bajohr findet sich eine entsprechende kurze historische Kontextualisierung des Unabhängigkeitskrieges bis hin zu "demokratische Revolution", wie bei muheijo angedeutet. (Bajohr, S. 63-82). In diesem Prozess manifestieren sich in Nord-Amerika und in Frankreich eine Reihe von parallelen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die von Land zu Land unterschiedlich sind und länderspezifische Entwicklungen nach sich ziehen (vgl. z.B. deutscher „Sonderweg“ in Abgrenzung zu GB und Frankreich). Zur Französischen Revolution und seine historische Einordnung im Rahmen der europäischen Revolutionen (Tilly, S. 211 ff und auch die Arbeiten von Hobsbawn)
Wichtig und relevant für das Verständnis der zentralen Inhalte dieser beiden Revolutionen im Rahmen der Aufklärung ist, dass sie sich sowohl gegen die persönliche Unterdrückung und für individuelle Freiheiten einsetzten. Dass sie aber auch andererseits erkannten, dass die individuelle Freiheit von der kollektiven bzw. staatlichen Garantie der Freiheit determiniert wurde. Und somit die individuelle und die kollektive Freiheit in einem engen Interaktionsverhältnis stehen. Und damit das Fundament gelegt haben für die moderne Vorstellung von universellen Menschenrechten (vgl dazu Menke & Raimondi, vor allem: Thomas Paine. Die Welt aus den Angeln heben, S. 58ff)
Neben diesen idealistischen Positionen sind aber auch unmittelbare ökonomische Konflikte vorhanden gewesen, die die Eskalation deutlich vorangetrieben haben. Die polarisierenden Effekte der antagonistischen wirtschaftlichen Positionen haben Acemoglu & Robinson mit Hilfe ihrer Überlegungen zur Inklusion und Exklusion für die britischen Kolonien in Nordamerika ausführlich dargestellt.
In diesem Sinne definierte der behinderte wirtschaftliche Fortschritt der Kolonien, die primär als Objekt der Ausbeutung und somit als Quelle für einen Transfer von Reichtum nach England angesehen wurde, die weitere wirtschaftliche Entwicklung der nordamerikanischen Kolonien. Und das betraf direkt dann natürlich auch die sozialen Chancen der Bevölkerung in den Kolonien und erklärt die zunehmende Härte der politischen Fronten.
Das in diesem Prozess sich entwickelnde Selbstverständnis der nach Freiheit strebenden nordamerikanischen Kolonisten wird am systematischten durch die Federalist Papers ausgedrückt (vgl. Brocker, S. 349ff). So schrieb Rossiter: „The Federalist is the most important work in political science that has ever been written, or is likely tob e written, in the United States. It is, indeed, the one product of the American mind that is rightly counted among the classics of political theory.“ (Brocker, S. 349).
Dabei waren die Federal Artikel ursprünglich nicht mehr als fünfundachtzig anonym veröffentlichte Essays in New Yorker Zeitungen im Jahr 1787 bis 1788 (Hamilton u.a. S. XXVII) In ihnen spiegelt sich die Diskussion über die richtige, föderative und freiheitliche Organisation des neuen Bundesstaates wider, wie beispielsweise auch bei Tocqueville beschrieben. Die ursprüngliche Schwäche der zentralen staatlichen Institutionen auf Bundesebene, die die ursprüngliche Verfassung von 1781 vorsah, ist eine Erklärung für die relativ lange Abstinenz der USA in der „Großen Politik“, die erst unter T. Roosevelt und dann auch unter Wilson modifiziert werden sollte.
Dieses ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Außenpolitik der USA durch die amerikanische Revolution neu geregelt werden würde. Ein wesentlicher Punkt, der nicht nur die Erweiterung der individuellen Freiheitsrechte betraf, war auch die Negierung des Rechts von Monarchen oder des Adels, Entscheidungen über die Außenpolitik zu treffen. Das betraf dann auch natürlich die Legitimierung von Kriegen, die durch das "Volk" zu legitimieren waren und somit - zumindest als Anspruch - eine breite und rationalere Begründung aufwiesen (vgl. dazu Bukovansky)
Insgesamt konstatiert Bajohr: „Die Federalist Papers ließen das Modell einer modernen, pluralistisch organisierten republikanischen Ordnung entstehen und gelten als entscheidende Dokumente für die Selbstverständigung der freiheitlichen westlichen Demokratien. (Bajohr, S. 80)
Was gezeigt werden sollte ist, dass es nicht um Sprachhülsen wie „revolutionär“ geht, sondern darum, dass sich die damaligen Akteure verantwortungsvoll der Aufgabe gestellt haben, eine neue und bessere Zukunft für sich, für ihre Familien in einem demokratisch verfaßten Staat, zu schaffen.
Eine Zukunft, die nur durch einen revolutionären Prozess zu erreichen war, aber das Ziel war die Erringung von Freiheit und damit zusammenhängend einer selbstbestimmten Unabhängigkeit.
Acemoglu, Daron; Robinson, James A. (2012): Why nations fail. The origins of power, prosperity, and poverty. 1st ed. New York: Crown Publishers.
Adams, Willi Paul; Adams, Angela Meurer (1976): Die Amerikanische Revolution in Augenzeugenberichten. München: Deutscher Taschenbuch Verlag
Bajohr, Stefan (2014): Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters. Wiesbaden: Springer VS.
Brocker, Manfred (2007): Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch., Originalausg. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Bukovansky, Mlada (2009): Legitimacy and Power Politics. The American and French Revolutions in International Political Culture. Princeton: Princeton University Press
Hamilton, Alexander; Madison, James; Jay, John; Adams, Angela; Adams, Willi Paul (1994): Die Federalist-Artikel. Politische Theorie und Verfassungskommentar der amerikanischen Gründerväter : mit dem englischen und deutschen Text der Verfassung der USA. Paderborn: F. Schöningh
Hobsbawm, E. J. (1996): The age of revolution 1789-1848. 1st Vintage Books ed. New York: Vintage Books.
Israel, Jonathan I. (2010): A revolution of the mind. Radical Enlightenment and the intellectual origins of modern democracy. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
Menke, Christoph; Raimondi, Francesca (2011): Die Revolution der Menschenrechte. Grundlegende Texte zu einem neuen Begriff des Politischen. Berlin: Suhrkamp
Paine, Thomas (2011): Thomas Paine complete works – Ultimate collection - Common Sense, Age of Reason, Crisis, The Rights of Man, Agragian Justice, all Letters and Short Writings: Everlasting Flames Publishing.
Tilly, Charles (1999): Die europäischen Revolutionen. München: Beck
Tocqueville, Alexis de; Mayer, J. P. (1985): Über die Demokratie in Amerika. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, Nr. 8077[5