Wie starb Hannibal (wirklich)?

Leon_

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Salvete!
Es finden sich in der Literatur durchaus abweichende Darstellungen über das unmittelbare Lebensende des großen karthagischen Feldherren. Ich möchte diese Thesen(wenn es geht, mit Quellenangabe) zusammentragen und beginne mit der interessanten Variante des Pausanias:

>> Tod durch Wundfieber (verursacht auf der Flucht, durch eigenen versehentlichen Schwertschnitt in Finger, Tod 3 Tage darauf) (Pausanias VIII 11, 6)

Ich freue mich auf weitere Anregungen.
 
Cornelius Nepos (Hannibal 12):
"Als die römischen Gesandten dorthin gekommen waren und mit einer Anzahl Leute sein Haus umstellt hatten, sagte der vom Tor ausschauende Sklave dem Hannibal, es zeigten sich außergewöhnlich viele Bewaffnete. Dieser gebot ihm, um alle Türen des Gebäudes die Runde zu machen und ihm schnell zu melden, ob er in gleicher Weise auf allen Seiten eingeschlossen sei. Als ihm der Sklave eilige Rückmeldung machte, wie es stehe, und ihm angezeigt hatte, dass alle Ausgänge besetzt seien, sah er ein, dass das nicht zufällig geschehen sei, sondern dass sie es auf ihn abgesehen hätten und er nicht länger am Leben bleiben dürfe. Um es nun nicht nach fremdem Gutdünken zu verlieren, nahm er im Bewusstsein seiner früher oft bewiesenen Mannhaftigkeit, Gift, das er immer bei sich zu tragen gewohnt war."

Livius 39,51:
"Vom Leichtsinn des Prusias hatte er ohnehin schon Proben, und gleich in der Ankunft des Flamininus hatte er den Vorboten seines Todes geahnt. Um bei allen diesen ihn von allen Seiten umringenden Gefahren immer noch einen Ausweg zur Flucht offen zu behalten, hatte er seiner Wohnung sieben Ausgänge gegeben, und einige versteckt genug, damit keine Wache sie besetzen möchte. Allein die Machtgewalt der Großen lässt nichts unaufgespürt, was sie erforschen wollen. Der ganze Umfang des Hauses wurde so mit Wachen umstellt, dass hier niemand entkommen konnte. Hannibal, der auf die Anzeige, im Vorhaus ständen königliche Soldaten, aus der Hinterthür zu entfliehen suchte, die am meisten abgelegen und der geheimste Ausgang war, als er auch diese von vortretenden Soldaten gesperrt und alles rundum von Wachen geschlossen sah, forderte das Gift, das er auf solche Fälle längst in Bereitschaft hielt. [....] Dann rief er Verwünschungen auf das Haupt und auf den Thron des Prusias herab, rief die gastlichen Götter zu Zeugen der von ihm gebrochenen Treue, und trank den Becher leer. So endigte Hannibal."

Iuvenalis 10,163 ff.: (Anm.: Eigene Übersetzung)
"Das Ende des Geistes, der die menschlichen Angelegenheiten einst verwirrte, führten nicht Schwerter, nicht Steine und nicht Geschoße herbei, sondern jener Ring als Vergelter Cannaes und Rächer von so viel Blut."
 
Aurelius Victor schreibt, er habe sich durch Gift, welches er in einer Gemme an seinem Ring mit sich trug, ums Leben gebracht:
...ad Antiochum regem Syriae confugit eumque hostem Romanis fecit; quo victo ad Prusiam regem Bithyniae concessit; unde Romana legatione repetitus hausto, quod sub gemma anuli habebat, veneno absumptus est, positus apud Libyssam in arca lapidea, in qua hodieque inscriptum eat: Hannibal hic situs est.
DE VIRIS ILLVSTRIBVS

Cornelius Nepos bestätigt dies im wesentlichen, ohne zu sagen, wo Hannibal das Gift trug, dafür transportiert er mehr Dramatik: Hannibal war, wie ihm ein Junge berichtete, der Weg zur Flucht schon versperrt, er muss das Gift - "welches er immer bei sich hatte" - aller Wahrscheinlichkeit nach also irgendwo am Körper getragen haben:
Puer cum celeriter, quid esset, renuntiasset omnisque exitus occupatos ostendisset, sensit id non fortuito factum, sed se peti neque sibi diutius vitam esse retinendam. Quam ne alieno arbitrio dimitteret, memor pristinarum virtutum venenum, quod semper secum habere consuerat, sumpsit.
http://www.thelatinlibrary.com/nepos/nepos.han.shtml
C. Nepos hat dies vermutlich aus dem Liber annalis des Cicero-Freundes Atticus, welches nicht erhalten ist. Er nennt es aber als eine akurate Quelle.
 
Plutarch (Flamininus 20):
"Einige erzählen, er habe einen Strick um den Hals gelegt und einem Diener befohlen, das Knie von hinten auf seine Hüfte zu stemmen, den Hals mit aller Gewalt zurückzureißen und den Strick solange zusammenzuziehen und herumzudrehen, bis er ihn völlig erdrosselt hätte. Andere behaupten, er hätte nach dem Beispiel des Themistokles und Midas Stierblut getrunken." [Dann wird noch die Version von Livius nacherzählt.]
 
Danke für eure zahlreichen fundierten Antworten.
Ich habe zu allem Gesagten noch eine Stelle bei Appian gefunden:

Dort erfolgt die Tötung auf Veranlassung des Prusias:

>> Φλαμινῖνος ... ἔκτεινε τὸν ᾿Αννίβαν διὰ τοῦ Προυσίου φαρμάκῳ. (wörtl.: „Flamininus tötete Hannibal durch Prusias mittels Gift.”)
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann φαρμάκῳ hier nicht evtl. im übertragenden Sinne gemeint sein, der Verrat des Prusias an Hannibal?
 
Ich habe in einer italienischen Zeichnung um 1450, die darstellt wie einem Herrscher das Haupt eines Geköpften dargebracht wird, den Hinweis gelesen, es handle sich um Hannibals Ermordung durch Prusias. Hierfür suche nich nach Quellen. Kann mir jemand helfen?
 
Dafür, dass Hannibal enthauptet wurde oder dafür, dass das Bild tatsächlich Prusias mit Hannibals Kopf darstellen soll? (In meinem Kopf hämmert es gerade Johannes der Täufer, Johannes der Täufer, Johannes der Täufer...)
 
Aus Hoyos, HANNIBAL’S DYNASTY, Power and politics in the western Mediterranean, 247–183 BC, 2003.


S. 206, Fn. 7:
On the various versions of Hannibal’s suicide, Seibert, Hann. 527–8. Date: Polybius gave it as Olympiad 149, 2, i.e. mid-183 to mid-182 (Nepos, 13.1; Livy 39.52.1; Walbank, 3.235–9; Walsh [1994] 172); Livy opts for 183, the consulate of M. Claudius Marcellus and Q. Fabius Labeo. Since the Roman envoys left Rome in the second half of 183 (Walbank, 3.221–2, 237; despite Seibert, 529), the suicide can be placed in winter 183/182. Hannibal’s tomb: Pliny, NH 5.148; [Victor], De Vir. Ill. 42.6, claiming the simple epitaph ‘Here lies Hannibal’ still existed in the author’s day; Tzetzes, Chiliades 1 (cf. chapter V note 15), lines 804–5 on Severus’ construction; A. R. Birley, The African Emperor: Septimius Severus (London 1988) 148; Seibert, 529

Und aus der 2017er Publikation von Hunt, Hannibal
Hannibal’s servant reported that Bithynian soldiers were stationed at the main entrances to Hannibal’s stronghold in the town of Libyssa (near modern Gebze) on the Bithynian peninsula. Hannibal had every secret exit and bolt-hole checked: an armed soldier was indeed waiting at every exit. Hannibal refused to be taken alive. Because he was prepared as always, he took the fatal poison he always had on his person and ended his own life, denying Flamininus what even Scipio had not demanded. At least one late Roman writer claimed Hannibal had a ring he always wore, and that under its gem he had poison stored for just this moment when it finally arrived as he long expected.42 A few centuries later, Pliny claimed that nothing was left of Libyssa in his day except Hannibal’s tomb,43 but it is conjectural whether there ever was an actual monument there.
For once, Livy offers—in concert with Plutarch—a sad semblance of dignity to the last moments of Hannibal, claiming a breach of faith by King Prusias, an ironic inversion of the “fides Punica” (Punic trust, i.e., treachery) against Rome in his dying breath.44 Even most Roman writers praise Scipio for restraint the ambitious Flamininus lacked; that Scipio’s clemency and magnanimity contrasted with Flamininus’ vindictiveness. Cornelius Nepos said that Hannibal’s death was the end of the bravest of men.45 Hannibal was around sixty-four years old in 183 when he took the poison. Rome’s greatest enemy and her greatest fear was no more.
 
Vielen Dank, ich komme zu dem gleichen Ergebnis. Alle antiken Quellen sind sich einig: Selbstmord. Gleichwohl deutet ein Index aus dem späteren 15. Oder frühen 16. Jh. eine Zeichnung, die einen thronenden Herrscher zeig, dem das Haupt eines Geköpften dargebracht wird (Jacopo Bellini, Zeichnungsband Louvre) auf Prusias und Hannibal statt auf Herodes und Johannes d. T. Wie kommt es dazu im humanistischen Ambiente Venedigs? Vielleicht gibt es eine Neubearbeitung des Stoffes in damaliger Zeit? Oder spinnt der Verfasser, was ich allmählich glaube.
 
Gleichwohl deutet ein Index aus dem späteren 15. Oder frühen 16. Jh. eine Zeichnung, die einen thronenden Herrscher zeig, dem das Haupt eines Geköpften dargebracht wird (Jacopo Bellini, Zeichnungsband Louvre) auf Prusias und Hannibal statt auf Herodes und Johannes d. T. Wie kommt es dazu im humanistischen Ambiente Venedigs? Vielleicht gibt es eine Neubearbeitung des Stoffes in damaliger Zeit? Oder spinnt der Verfasser, was ich allmählich glaube.
Wenn Du dem Verfasser des Index nicht unumstößlich komplette Spinnerei vorwerfen möchtest, könnte vielleicht dies einen erklärenden Zusammenhang darstellen, denn einer der Barkiden wurde tatsächlich enthauptet, Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal. Dieser verlor 207 v. Chr. am Metauros nicht nur die Schlacht gegen die Römer sondern auch das Leben, und zuletzt zudem den Kopf. Diesen warfen die Römer in einem Sack dann Hannibal ins Feldlager.
Eventuell stellt die Zeichnung ja die Szene dar als Hannibal der Kopf Hasdrubals gebracht wird. Im Kontext des Humanismus könnte dies ja derart einzuordnen sein, dass Hannibal, der wiederholt Gefangene gut behandelte und auch freiließ, sich nun mit unehrenhaftem Verhalten seitens des am Metauros siegreichen römischen Konsuls Claudius Nero konfrontiert sieht. Ich habe jetzt keinen Blick in die Quellen geworfen, glaube mich jedoch vage daran erinnern zu können, dass sich selbst römische Geschichtsschreiber darüber empörten einen ehrenhaft gefallenen Gegner derart zu schänden. Livius? Polybios?
 
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Weitere (spätere) Künstler die das Thema der Überbringung von Hasdrubals abgetrenntem Kopf an Hannibal aufgreifen sind:
Giovanni Battista Tiepolo (um 1730), Kunsthistorisches Museum Wien
Bartolomeo Pinelli, "Istoria Romana", Rom 1818-19, Tafel 65
 
Herzlichen Dank, die Möglichkeit es handle sich um Hasdrubals Kopf hat Einiges für sich. Im humanistischen Padua (der Geburtsstadt des Livius), wo die Zeichnung entstanden ist., vielleicht erklärbar. Dennoch müsste irgend ein Grund eruierbar sein, warum man dies in einem Bild festhalten wollte.
 
Hasdrubals Enthauptung und die symbolische Verwendung für die (ausgebliebene) Enthauptung Hannibals - dies wiederum als Metapher für das militärisch-politische Scheitern - könnte durchaus ein präsentes Bild gewesen sein:

Getting Ahead: Decapitation as Political Metaphor in Silius Italicus' Punica in: Mnemosyne Volume 61 Issue 1 Year 2008

In Silius Italicus' Punica wird noch mehr enthauptet, und wieder "draufgesetzt", als historisch überliefert.


S. 78/79

The string of defeats for the Carthaginians since Cannae and their decapitations, both symbolic and real, keep us looking forward to Carthage’s final defeat in the war as an instance of her beheading. The decapitation of Hasdrubal is an especially pregnant moment in this foreshadowing program, as it suggests that that defeat will entail Hannibal’s decapitation specifically; this is surely one of the implications of Hasdrubal’s portrayal as a ‘second Hannibal’ in the book, and it is an implication that Nero himself draws for Hannibal when his brother’s head is presented to him (15.816-8). 28) Of course, since Hannibal will not actually be killed or decapitated, Hasdrubal may be viewed as a kind of surrogate victim or sacrificial ‘double’, who, for suffering the decapitation that should have befallen Hannibal, spares his brother this fate. Even so, as we follow Hannibal’s story to the end of the epic, it becomes clear that with the real beheading of the symbolic ‘Hannibal’ at the end of book 15 Silius has prepared us for the symbolic beheading of the real Hannibal.

Vielleicht hat sich das hier in der Wahrnehmung mit den überlieferten Ereignissen vermischt. Vorausgesetzt, diese Symbolik wurde auch damals schon so verstanden. Oder hier liegt eine Ursache der Vermischung.
 
Danke vielmals, die symbolische Deutung um zwei Ecken halteich für zu kompliziert. Wie wäre es mit folgendem: Silus Italicus wird von Poggio Braccioilini wiederentdeckt und nach Padua gebracht. Im dortigen humanistischen Ambiente mag die bei Livius nicht vorhandene (?) Episode von dem tragischen Ende des Hasdrubal auf Interesse gestoßen sein. Vielleicht wurden auch aktuelle Parallelen gezogen und das Thema so an den Zeichner weitergeben.
 
Wurde denn der Tod Hannibal ls (bzw. Hasdrubals) im Humanismus überhaupt thematisiert? Man war doch für Rom und nicht für die Feinde.
 
Ich habe jetzt keinen Blick in die Quellen geworfen, glaube mich jedoch vage daran erinnern zu können, dass sich selbst römische Geschichtsschreiber darüber empörten einen ehrenhaft gefallenen Gegner derart zu schänden. Livius? Polybios?
Plutarch (Flamininus 21) schreibt, dass viele Senatoren das Verhalten von Flamininus, der die treibende Kraft dahinter, dass Hannibal in den Selbstmord getrieben wurde, war, kritisierten und zum Vergleich die Milde von Scipio lobten.
Livius (39,51) legt Hannibal vor seinem Selbstmord kritische Worte über das Verhalten der Römer in den Mund. Darin stellt er das Verhalten der Römer jetzt dem einstigen gegen Pyrrhos gegenüber, dessen Ermordung durch Gift die Römer einst ausdrücklich verwarfen.


Eine vereinzelte abweichende Version von Hannibals Tod findet sich übrigens bei Pausanias (8, 11): Bei ihm verletzt sich Hannibal auf der Flucht mit dem Finger an seinem Schwert und stirbt an Wundbrand.


Dass Hannibal (nach seinem Tod) enthauptet worden wäre, habe ich nirgendwo gefunden.
 
Wurde denn der Tod Hannibal ls (bzw. Hasdrubals) im Humanismus überhaupt thematisiert? Man war doch für Rom und nicht für die Feinde.
In der Rückbetrachtung auf die Antike war man wohl nicht zwingend von Patriotismen geleitet sondern allgemein an Errungenschaften interessiert, zu welchen auch die Kriegkunst zu zählen war.
Hannibal war da kaum zu übergehen. Der Tod seines Bruders als Meilenstein auf dem Weg in die Niederlage wie auch sein eigener Tod könnten insofern interessant gewesen sein, weil Hannibal eben nicht die Eigenschaften verkörperte die ein Feldherr/Herrscher nach humanistischem Ideal in sich vereinigen sollte. Zwar in Schlachten außerordentlich erfolgreich, verlor er den Krieg letztendlich.
In Zeitstellung der Skizze Bellinis bin ich bei Jacob Burckhardt (Kunsthistoriker des 19. Jh.) auf eine Episode aus dem Krieg zwischen der Republik Venedig und Mailand gestoßen. Demnach wurde 1451/52 der im Dienste Venedigs befehlende Condottiere Jacopo Piccinino von dem ihm Auftrage des Königs von Neapel die Kriegsereignisse bewertenden Literaten Porcellio mit Scipio Africanus major verglichen, während sein Mailänder Widersacher Francesco Sforza die Rolle des Hannibal bekam.
Kultur und Kunst der Renaissance in Italien

Eine Übersicht für das Skizzenbuch Jacopo Bellinis aus dem Louvre mit leider nur sehr wenigen Abbildungen:
Skizzenbuch | Jacopo Bellini | Bildindex der Kunst & Architektur - Bildindex der Kunst & Architektur - Startseite Bildindex
Demnach sind in dem Skizzenbuch neben etlichen anderen christlichen Motiven vier Zeichnungen enthalten die Johannes den Täufer thematisieren, eine davon stellt die Enthauptung dar. Eine weitere Zeichnung ist umschrieben mit “Einem entmachteten Herrscher wird ein abgeschlagener Kopf präsentiert“, womöglich die Zeichnung auf die Du Dich beziehst, leider ohne Abbildung.
 
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