Wie überrascht war Varus?

Darf ich, bevor dieser Thread vollends abdriftet, wieder zu meiner Ausgangsfrage zurückkehren, die immer noch nicht ganz geklärt ist?

Wie sah es nun vor der Varusschlacht aus? Alle Überlegungen, wo Varus wohin und mit wievielen Truppen marschiert, mal beiseite. Ist irgendwo verbürgt, oder ist es anzunehmen, dass es Unruhen oder gar Aufstände gab, bevor Arminius und seine Leute drei Legionen vernichteten?
 
Wilfried Menghin hat geschrieben, dass im Jahr 9 das Land westl. der Weser als befriedet gelten konnte.
 
Es gibt doch auch Quellen, die davon berichten, dass 'Germanien' beinahe eine Provinz ist (ist das von Velleius Paterculus?). Das klingt jedenfalls auch nicht mehr nach Kriegsgebiet. Und auch der Bericht von Cassius Dio von der beginnenden zivilen Besiedlung Germaniens, bestätigt durch Waldgirmes, zeugt davon, dass es in Germanien tendentiell ruhig war. Ob ein vereinzelter Stamm vielleicht doch noch irgendwo den Aufstand probte, wird wohl nie zu erkennen sein. Also ich denke daher schon - gedeckt sowohl durch die Literatur als auch durch den archäologischen Befund - dass Germanien als befriedet angesehen werden durfte.
 
Guten Tag Zusammen,
es gibt Leute, die Fragen sich ob diese Schlacht überhaupt sattfand.
Varus soll erhebliche Mißwirtschaft betrieben haben. Anstatt Steuereinnahmen für das Reich einzutreiben, mußte der wilde Norden eher subventioniert werden. Desweiteren war die Truppenmoral sehr schlecht und immer mehr Legionäre desertierten. Die Vermischung der Besatzer mit den Einheimischen war weit vorangeschritten und nicht mehr aufzuhalten. Wäre Varus Versagen in Rom bekannt geworden, hätte es ihn sicherlich den Kopf gekostet. Um das Finanzielle Fiasko und den Verlust der Legionen plausibel zu machen, erfand er also die Vernichtende Niederlage.
Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll !?
Interessant ist diese Sicht aber allemal.
Weiß jemand etwas genaueres über den weiteren Lebensweg des Varus ?
Viele Grüße

Mal ganz sachlich:
1. Varus überlebte die Schlacht sicher nicht. (Anekdote: Arminius soll Varus Kopf Marbod geschickt haben um ihn für sich einzunehmen, Marbod wiederum fand das gar nicht lustig, da er gerade den Rank mit den Römern gefunden hatte und schickte den Kopf nach Rom, wo man ihn bestattete)
2. Das Germanien nichts abwarf, lag am (aus römischer Sicht) unterentwickelten Stand des Landes.
4. Misswirtschaft und Unterschlagung. Mal gelesen, was Tiberius von seinen Statthaltern im allgemeinen hielt? War allgemein bekannt, das jeder die Zitrone noch ein bisschen auspressen wollte.
5. Verschmelzung von Soldaten mit der Bevölkerung. Da bist du definitiv zu früh dran. (Erst ab Flavierzeit).
6. Miese Truppenmoral: Die Leute wurden am Arsch der Welt eingesetzt und darüberhinaus noch meist ca. 3-4 Jahre zu spät entlassen. Natürlich ist man da nicht bester Laune.

PS: Versuch mal 10% der römischen Kerntruppen verschwinden zu lassen. :aua:

Noch was persönliches: Die einfachste Lösung ist meist die Richtige. Nur leider ist die Einfachste auch die langweiligste. ;)
 
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es gibt Leute, die Fragen sich ob diese Schlacht überhaupt sattfand.
Varus soll erhebliche Mißwirtschaft betrieben haben. Anstatt Steuereinnahmen für das Reich einzutreiben, mußte der wilde Norden eher subventioniert werden. Desweiteren war die Truppenmoral sehr schlecht und immer mehr Legionäre desertierten. Die Vermischung der Besatzer mit den Einheimischen war weit vorangeschritten und nicht mehr aufzuhalten. Wäre Varus Versagen in Rom bekannt geworden, hätte es ihn sicherlich den Kopf gekostet. Um das Finanzielle Fiasko und den Verlust der Legionen plausibel zu machen, erfand er also die Vernichtende Niederlage.
Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll !?

@ Heilgesblächle: Es gibt viele offene Fragen um die Varusschlacht. Dass sie aber stattgefunden hat, steht außer Frage. Die 17., 18. und 19. Legion sind zum Teil auch durch archäologische Funde in Deutschland bezeugt; nach der Varusschlacht aber wurden diese Nummern nie wieder für Legionen vergeben.
 
Vielleicht erklärt diese Buch einige Fragen

Neue Überlegungen zur Varusschlacht

Neue Erkenntnisse über Ort und Hintergründe der Varus-Schlacht im Jahre neun nach Christus hat die Geographische Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zusammengetragen. LWL-Experte Wilm Brepohl räumt in seinem Buch
"Neue Überlegungen zur Varusschlacht"
mit bisher gängigen Deutungen auf. Nach Brepohls Meinung lässt sich die These, Arminius habe Varus und seine Legionen auf dem Hauptweg vom Sommerlager an der Oberweser zum Winterlager bei Xanten überrascht, nicht halten. Vielmehr habe die Schlacht im Umfeld eines germanischen Kultfestes stattgefunden, bei dem alle wehrfähigen Männer versammelt waren.
Varus, der beim Fest die römische Politik vorstellen und militärische Kraft demonstrieren sollte, habe mit seinem Aufmarsch den "Tempelfrieden" gestört und sei deshalb angegriffen worden. Arminius hatte den Feldherrn so in eine Falle gelockt. Auch zum Ort der Schlacht hat Brepohl ein eigene Theorie: Die von Tacitus aufgebrachte Bezeichnung "Teutoburger Wald" versteht er als "Opferwald der Teutoburg". Das Schlachtfeld sei demnach in der Nähe des (Opfer)Waldes einer sehr alten, hochrangigen Kultstätte auf befestigter Höhe (Burg) zu suchen, auf der die Priester den Willen der Gottheit volksverständlich deuteten ("Teutoburg"), schreibt Brepohl.

Inhalt:
I. Antike Schriftquellen. II. Die Situation im rechtsrheinischen Germanien zur Zeit des P. Quinctilius Varus. III. Kultversammlungen als Voraussetzung für die Planung einer Erhebung der Germanen. IV. Das Sommerlager des Varus an der Weser im Jahre 9 n. Chr. V. Wachsende germanische Unruhen. VI. Bericht über einen angeblichen Aufstand und die Warnung des Varus durch Segestes. VII. Gründe für die Arglosigkeit des Varus. VIII. Kultfest der Kultverbände. IX. Neue Deutung des "saltus Teutoburgiensis". X. Die Konzentration germanischer Stammesverbände im Herbst 9 n. Chr. unter den Augen der Römer. XI. Die militärische Angriffsplanung des Arminius. 72 XII. Kriterien für die Örtlichkeit der Varusschlacht. Anmerkungen. Verwandtschaftsbeziehungen des Arminius. Literatur.
 
Varus, der beim Fest die römische Politik vorstellen und militärische Kraft demonstrieren sollte, habe mit seinem Aufmarsch den "Tempelfrieden" gestört und sei deshalb angegriffen worden. Arminius hatte den Feldherrn so in eine Falle gelockt. Auch zum Ort der Schlacht hat Brepohl ein eigene Theorie: Die von Tacitus aufgebrachte Bezeichnung "Teutoburger Wald" versteht er als "Opferwald der Teutoburg". Das Schlachtfeld sei demnach in der Nähe des (Opfer)Waldes einer sehr alten, hochrangigen Kultstätte auf befestigter Höhe (Burg) zu suchen, auf der die Priester den Willen der Gottheit volksverständlich deuteten ("Teutoburg"), schreibt Brepohl.

@ Heilges Blächle: Brepohl ist zunächst nur einer von ganz vielen Heimatkundlern, die Theorien zur Varusschlacht. Nur neigt er zu besonders wilden Spekulationen, so dass er fast auf eine Stufe mit Varusschlacht-"Gelehrten" wie Friebe oder Kramer zu stellen ist. Insbesondere gibt es in den römischen Quellen keine Belege für das Kultfest, das Brepohl annimmt.
 
Ich weiss ja, dass ich nerve, aber wo war Arminius denn nun vor der Varusschlacht?
In Stammesangelegenheiten unterwegs heisst, er hat den Angriff vorbereitet?
So eine Truppe lässt sich doch nicht aus dem Hut hervorzaubern, ohne dass die Gefahr des Verrates und/oder der Entdeckung bestand.
Gab es denn für die Römer überhaupt keine Hinweise, dass sich da etwas zusammenbraute?
 
Meiner Ansicht nach war Varus vollkommen überrascht.

Varus soll die Verwaltung der Provinz aufbauen und zieht mit seinen Truppen, Vermessern, Pionieren, usw. von einem Stamm zum nächsten. Dort erweist sich Arminius als sehr nützlich. Er schafft es sogar den mürrischsten Häuptling zur Zusammenarbeit mit Varus zu überreden. Die Menschen empfangen die Römer freundlich und geben bereitwillig Verpflegung, nachdem Arminius mit den Clanchefs verhandelt hat. Arminius scheint großes diplomatisches Geschick bei den Einheimischen zu haben, und erweist sich durch die gewonnenen Ortskenntnisse als unentbehrlich für Varus.

Wenn Varus und Arminius gemeinsam trinken, erzählt Arminius Geschichten über das Volk, von germanischen Sagen und Legenden. Und wenn sie durch ein Dorf ziehen, merkt Arminius an, wie schön es erst sein werde, wenn diese noblen Menschen von der römischen Zivilisation geschliffen worden seien.

Varus vertraut Arminius so sehr, dass er Arminius schon alleine vorausschickt, um Verhandlungen zu führen. Und so vergeht der Sommer erstaunlich reibungslos und ohne Zwischenfälle.

Auf dem Rückweg ins Winterlager bekommt Arminius von einem seiner Kundschafter die Nachricht, dass ein benachbarter Stamm sich gegen Rom erhoben hätte. Arminius rät natürlich erst davon ab, so spät im Jahr noch eine militärische Kampagne zu wagen, doch Varus und seine Offiziere beissen an: Endlich gibt's mal was zu tun, die Männer brauchen einen ordentlichen Kampf! Mit so einem Haufen werden wir doch schnell fertig!

Arminius gibt natürlich nach und empfielt einen Schleichweg, der zwar anstrengend, aber dafür kürzer ist. Seine Männer würden die Vorhut bilden und sicherstellen, dass sie nicht in einen Hinterhalt gerieten ...

Die ersten Tage drängt Arminius Varus und die Kolonne vorwärts, besteht auf ein hohes Marschpensum und wenige Pausen. Der Weg werde bald besser. Man müsse so schnell wie möglich weiter, sonst versinke man im Morast und käme garnicht mehr voran. Varus wird, knöcheltief im Dreck stehend, zum ersten mal das Land verflucht haben, aber er hatte diesen Umweg ja gewollt und befohlen.

An einem Morgen ist Arminius mit seinen Truppen früh vorausgeritten. Gegen Mittag trift er auf die Anführer der Stämme Germaniens. "Ich habe geliefert, was ich versprach! Hier habt Ihr die Legionen Roms, sie gehören Euch!" Dann teilt er die Gruppen ein. Eine Gruppe versperrt den Ausweg nach Vorne, sollte Varus es soweit schaffen. Eine Gruppe soll den Rückzug absperren. Der Rest würde die Kolonnen nach Schwachstellen absuchen und sie möglichst mit Nadelstichen vom "Kopf" abzutrennen versuchen.

Wenn die römischen Truppen dann festsäßen und sich nicht mehr bewegten, wäre ihr Schicksal besiegelt ...
 
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Sehr schön, Pope.
Das Szenario klingt sehr einleuchtend. Nur was ich mich immer wieder bei dem Szenario der im unwegsamen Gelände festsitzenden Römer frage ist, warum die Germanen nicht feststeckten, sondern einen grossen, aber dennoch schwer bewaffneten Zug angreifen konnten.
War ihre Geländekenntnis einfach besser?
Wie gross waren die Kontingente der germanischen Angreifer?
Und wo wir gerade bei möglichen Szenarien sind:
Arminius brauchte nicht vorreiten und die Römer wartenden Germanenfürsten ausliefern. Er brachte einfach germanische, vermeintlich romtreue Kämpfer als Verstärkung mit zu den Römern (wegen des Aufstandes, der niederzuschlagen sei).
Und dann kam es zu einem Verrat......
 
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Sehr schön, Pope.
Das Szenario klingt sehr einleuchtend. Nur was ich mich immer wieder bei dem Szenario der im unwegsamen Gelände festsitzenden Römer frage ist, warum die Germanen nicht feststeckten, sondern einen grossen, aber dennoch schwer bewaffneten Zug angreifen konnten...

an dem prinzip hat sich seit urzeiten nichts geändert: je schwerer die bewaffnung, je mehr soldaten, desto mehr platz braucht eine streitmacht, um ihre kampfkraft voll entfalten zu können. und je weniger leichter bewaffnete angreifer benötigt man, um diese streitmacht zu schlagen.
 
Da die Geländekenntnisse ebenfalls sehr gut waren und der Aufstand geplant wurde, lag der Überraschungsmoment auf Seiten der Germanen. Und wenn man dann das Gelände so wählte, daß die Römer aufgrund dieses Geländes ihre Truppen nicht in Schlachtordnung bringen konnten, dann bestanden gute Chancen, daß der Anschlag gelingen konnte.
 
Ave Collo,

Collo schrieb:
.. je schwerer die bewaffnung, je mehr soldaten, desto mehr platz braucht eine streitmacht, um ihre kampfkraft voll entfalten zu können. und je weniger leichter bewaffnete angreifer benötigt man, um diese streitmacht zu schlagen....


Richtig. Das Problem ergibt sich vorallen Dingen dann, wenn ein solcher Militärzug gezwungen wird, auf relativ schmalen Wegen ohne ausreichenden Flankenschutz zu marschieren. Dann zieht der sich nämlich unendlich in die Länge.

Nur dann lässt sich problemlos ein solcher Zug mit kleinen Kräften angreifen und auseinander sprengen: Bei einem Angriff irgendwo von der Flanke her haben dann nämlich nur die Legionäre, die in unmittelbarer Nähe des Angriffpunktes stehen, eine Chance in den Kampf einzugreifen. Die komplette Vor- und Nachhut kann überhaupt nicht eingreifen und bleibt völlig wirkungslos. Bei den langen Meldewegen erfährt sie erst Stunden später, dass überhaupt ein Angriff stattgefunden hat. Dann ist es aber schon zu spät, der Zug ist schon in zwei Teile zerlegt.

Wenn der so ungünstige Marschweg lang genug ist, kann man mit dieser Salamitaktik den kompletten Zug aufreiben.

Beste Grüsse, Trajan.
 
1. Ich bin überzeugt, dass Arminius sich vor der Schlacht entfernt hat. Sonst hätte er wohl Varus und die römische Führungsriege als erstes erschlagen - immerhin haben sie aber bis zum Ende überlebt. Seine Truppen haben daher wohl nicht "von Innen" den Kampf begonnen.

Warum sollte er auch? Er kannte Varus und wusste wohl, dass er nicht in der Lage sein würde, am Ausgang der Schlacht etwas zu ändern. Wichtiger - und schlachtentscheidend - war für Arminius die Koordination der Angriffe. Er musste die Gemüter besänftigen und den Germanen Geduld und Besonnenheit eintrichtern. Auch die Stammesführer werden sich schnell in die Haare gekriegt haben, wenn der Eine am ersten Tag bereits reiche Beute am Trossende gemacht haben sollte. Disziplin war m.E. am Ende der einzige Faktor: würden sich die Stämme "beherrschen" können, gab es für Varus keine Rettung. Hätten einige sich jedoch mit Plünderungen aufgehalten, oder Teile der Germanen rücksichtslos in eine Entscheidungsschlacht geworfen, wäre der Ausgang der Schlacht möglicherweise anders gewesen.

Arminius war klar, dass nur eine traumatische, vollständige Niederlage Roms den Germanen nützen würde. Den "Untergang auf Raten" hatte er sicherlich in anderen römischen Provinzen miterlebt: lokale Aufstände, vereinzelte Siege der Rebellen, und im Gegenzug ein massiver Gegenschlag Roms, der mit der Auslöschung allen Widerstandes durch militärische Gewalt, Kolonisierung, Versklavung und Verschleppung endete.

Zudem gebe ich zu bedenken, dass man wohl schwerlich die Vernichtung von drei Legionen "von Innen" heraus koordinieren kann, ohne dass es jemand merken würde. Denn er konnte ja kaum allen seinen eigenen "römischen" Truppen den Plan offenbaren - viel zu riskant. Sie wurden m.E. erst eingeweiht, als Arminius vor den versammelten Stämmen Germaniens stand, und sie vor die Wahl stellte, für Rom oder für ihn zu kämpfen.

Ausserdem stelle man sich vor, Arminius wäre beim Versuch, "von Innen" den Kampf zu beginnen, gefallen. Das hätte wohl schwerer gewogen, als jede erfolgreiche "Verwirrung" des römischen Hauptquartiers.

2. Varus führte eine ganze Zirkustruppe mit sich. Wahrscheinlich haben ihm die "treuen" Germanenfürsten dazu noch jede Menge sperriges Gerät und lahmende Tiere als Gastgeschenke überbracht - und dabei ein besonders großes Grinsen aufgesetzt. Varus - entzückt von der Großzügigkeit der Germanen - wird seine Mannen vollbeladen über den Schlammpfad getrieben haben. Wahrscheinlich hatte er schon "Kasse" gemacht, sich von seinen Finanzbeamten die Einnahmen vorrechnen lassen, während am Ende der Karawane Sklaven angepeitscht wurden, die Wagenladungen mit Gerümpel aus dem Dreck zu schieben (und hielten damit den weiteren Teil der Truppe auf).

Auf der anderen Seite standen die germanischen Krieger, ohne Anhang, ohne aufwendige Ladung. Sie wurden von umliegenden Dörfern versorgt und konnten dort ihren Nachschub horten.

Je schlechter das Wetter, je schlechter die Wege, umso größer war (relativ) die Beweglichkeit und damit der Vorteil der leichtbewaffneten Krieger über den römischen Tross.

Hier einige Textstellen:

Sie [die Germanen] erfanden einen Rechtsstreit nach dem anderen; bald schleppte einer den anderen vor Gericht; bald bedankten sie sich dafür, daß das römische Recht ihren Händeln ein Ende mache, daß ihr ungeschlachtes Wesen durch diese neue und bisher unbekannte Einrichtung allmählich friedsam werde und, was sie nach ihrer Gewohnheit bisher durch Waffengewalt entschieden hätten, nun durch Recht und Gesetz beigelegt würde.Dadurch wiegten sie Quintilius Varus in höchster Sorglosigkeit, ja, er fühlte sich eher als Stadtprätor, der auf dem römischen Forum Recht spricht, denn als Oberbefehlshaber einer Armee im tiefsten Germanien.
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Statt dessen nahmen sie Varus bei sich auf, taten so, als wollten sie alle ihnen erteilten Befehle ausführen, und lockten ihn auf diese Weise weit vom Rhein weg, in das Cheruskerland und bis an die Weser. Dort zeigten sie sich höchst friedlich und freundschaftlich und erweckten damit den Glauben, sie könnten auch ohne die Anwe-senheit von Soldaten ein unterwürfiges Leben führen.
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Wie mitten im Frieden führten sie [die Römer] viele Wagen und auch Lasttiere mit sich; dazu begleiteten sie zahlreiche Kinder und Frauen und noch ein stattlicher Sklaventroß, die sie ebenfalls zu einer gelockerten Marschform zwangen.
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Und so kam es denn auch: Zuerst gaben ihm die Verschworenen beim Ausmarsch das Geleite, dann beurlaubten sie sich, um angeblich die verbündeten Kontingente zu sammeln und ihm damit rasch zur Hilfe zu kommen, übernahmen aber nur die Führung ihrer schon bereitstehenden Truppen und griffen, nachdem man allerorts die dort befindlichen, zuvor erbetenen Garnisonen niedergemacht hatte, den Feldherrn selber an, der sich bereits inmitten undurchdringlicher Wälder befand.
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Vielleicht sollte man noch einmal zeitgenössische Quellen dazu befragen, denn nur von dort haben wir unser Wissen. So sagt z.B. Cassius Dio (56, 18 ff.) zur "Schlacht im Teutoburger Wald":

"Als aber Quintilius Varus die Staatthalterschaft in Germanien übernahm und, während er die Verhältnisse bei ihnen auf Grund seiner Amtsgewakt zu regeln suchte, danach trachtete, sie (die Germanen) auf einmal zu anderen Menschen zu machen und ihnen Vorschriften gab, als ob sie schon geknechtet wären, und nun gar Geldzahlungen von ihnen wie von Untertanen eintreiben wollte, da war ihre Geduld zu Ende: die Vornehmen, die ihre frühere Machtstellung wiedererlangen wollten, und das Volk, das den altgewohnten Zustand der Fremdherrschaft (der Römer) vorzog, sie alle lehnten sich zwar nicht offen auf, denn sie sahen, wie viele Römer am Rhein und wie viele in ihrem eigenen Lande standen. Vielmehr nahmen sie Varus auf, als ob sie alle seine Gebote erfüllen würden und lockten ihn fern vom Rheine fort in das Land der Cherusker und zur Weser. Und indem sie dort auf das friedlichste und freundschaftlichste mit ihm verkehrten, erweckten sie in ihm den Glauben, dass sie sich auch ohne militärischen Zwang regieren lassen würden.
Er hielt daher auch seine Legionen - was doch in Feindesland angebracht gewesen wäre - nicht zusammen, sondern stellte den Germanen, wenn sie von seinen Truppen zahlreiche Mannschaften erbaten, weil sie angeblich dazu zu schwach wären, diese bald hierfür, bald dafür zur Verfügung."

Die Quelle zeigt ganz deutlich die Naivität des Varus, den die Germanen aufs simpelste übertöpelten, indem sie ihn - völlg arglos - in Sicherheit wiegten. Eine andere Quelle zu diesem Thema ist Velleius Paterculus (2, 117 ff.), der auch einiges zu Person des Varus sagt:


"Quintilius Varus, aus einer mehr bekannten als vornehmen Familie, war ein Mann von mildem Wesen, ruhigen Charakter, an Körper und Geist wenig regsam, mehr an das Nichtsstun im Lager als an wirklichen Kriegsdienst gewöhnt (...) Als er das Heer in Germanien befehligte, bildete er sich die Meinung, dass die Bewohner Menschen seien, die außer der Stimme und den Gliedern nichts von Menschen an sich hätten, und dass sie, die durch das Schwert nicht unterworfen werden konnten, durch das Recht gefügig gemacht werden könnten.
Mit disem Vorsatz drang er in Germanien ein und verlor die Zeit für den Sommerfeldzug mit Rechtsprechen und förmlichen Verhandlungen als Gerichtsherr. So verleiteten sie (die Germanen) den Quintilius zu äußerster Sorglosigkeit, bis zu einem solchen Grade, dass er wähnte, er spreche als Praetor in Rom auf dem Forum Recht und nicht, er kommandiere ein Heer mitten in Germanien. (...)
Da benutzte ein junger Mann von vornehmer Abkunft, persönlicher Tapferkeit, rascher Auffassung und einer genialen Klugheit die Stumpfheit des Feldherrn zur Ausführung seines Frevels. Er hieß Arminius, war der Sohn des Segimer, eines Fürsten aus diesem Stamme. (...)
Den Ablauf der furchtbaren Katastrophe kann ich nur mit Wehmut berichten. Das beste Heer von allen, das an Manneszucht, Tapferkeit und Kriegserfahrung unter den römischen Truppen das erste war, geriet durch die Stumpfheit seines Führers, die Tücke des Feindes und die Missgunst des Schicksals in die Falle. Und da den Truppen nicht einmal ungehindert elegenheit gegeben wurde, zu kämpfen oder vorzurücken, ward es eingeschlossen durch Wälder, Sümpfe und Hinterhalt, bis zur vernichtung von dem Feind niedergehauen.
Der Feldherr hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen, denn nach dem Vorbilde seines Vaters und Großvaters stürzte er sich selbst in das Schwert. (...)"


Beide Quellen beantworten mehrere Fragen dieses Threads. Aufgrund seines sträflichen Leichtsinns war Varus in der Tat völlig überrascht, als die Germanen, die ihm scheinbar so töpelhaft-freundlich gesonnen waren, plötzlich seine Legionen überfielen. Sicherheits- und Schutzmaßnahmen oder Kundschafter hat es anscheinend nicht gegeben, sodass die Germanen aus ihrem Hinterhalt die ganze Beute erlegen konnten. Sie waren mit dem Gelände vertraut, hatten sich vorbereitet und eine ausweglose Situation geschaffen. Die römischen Legionen müssen völlig chancenlos gewesen sein.

Das Bild des Varus ist freilich unter Augustus besonders stark ins Negative gezogen worden. Man ist heute vielfach der Meinung, dass es in dieser Krassheit unzutreffend ist.
 
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(Ich gebe zu, dass ich ich einige vermutete Wesensarten der Germanen von einem ganz anderen Kulturkreis geklaut habe. Lawrence von Arabien beschreibt in seinem Buch wie es ist, wenn man versucht mit Beduinen einen Krieg zu führen: Komplizierte Stammesbeziehungen und offene Fehden erfordern ein ständiges taktisches Manövrieren, wer mit wem zusammen kämpfen soll; die Eigentineressen der Beduinen liegen hauptsächlich auf Beutemachen, und wenn sie mit dem zufrieden sind, was sie ergattert haben, verlässt sie die Lust und sie ziehen einfach ab; jeder Krieger ist ein Bekannter, hat Verwandte unter den Eigenen, dazu Frau und Kinder daheim - manchmal reicht ein Toter Bruder, ein gefallener Häuptling, und sie ziehen sich angesichts des großen Verlustes für den Stamm zurück.

Das mag blöd klingen, aber so in etwa stelle ich mir die Kriegsführung mit den "wilden" Germanen auch vor. Es brauchte einen Arminius, wie es in Arabien einen T.E. Lawrence brauchte, um die Menschen auf das große Ziel einzuschwören und beisammen zu halten.)
 
Klingt in der Tat schön - aber war Arminius da wirklich dabei?

1. Der "Aufstand" war fingiert. Er sollte Varus zu einem Umweg verleiten.
2. Arminius musste unter allen Umständen versuchen, a) den Ort der Schlacht selbst auswählen zu können, und b) versuchen, den ganzen Tross samt und sonders zu erbeuten.
3. Erst als der Ort vorhersehbar war und die Krieger der Stämme versammelt waren, konnte Arminius sich entfernen und die Falle zuschlagen lassen.
 
1. Ich bin überzeugt, dass Arminius sich vor der Schlacht entfernt hat. Sonst hätte er wohl Varus und die römische Führungsriege als erstes erschlagen - immerhin haben sie aber bis zum Ende überlebt. Seine Truppen haben daher wohl nicht "von Innen" den Kampf begonnen.


Davon war ich auch nicht ausgegangen - im Gegenteil, ich war der Ansicht, Arminius sei nie Teil von Varus' Heereszug gewesen, sondern sei den Sommer über wirklich mehr als Diplomat, Vertrauter, Verbündeter in Varus' Lager ein- und ausgegangen. Meines Wissens haben wir keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie genau Arminius' Stellung bei Varus war, aber ich sehe ihn eher als eigentständigen, verbündeten Fürsten, nicht als Teil der Armee. Letzteres wäre nämlich ein zu gefundenes Fressen für die antiken Schriftsteller gewesen.


Dieter: Die Quellenlage ist das große Problem - in allem, was mit der Varusschlacht zusammenhängt. Cassius Dio liest sich für mich, als hätte es eben schon gebrodelt ob der harten Steuerpolitik des Varus; bei Velleius Paterculus wird es so dargestellt, als hätten die Germanen Varus monatelang an der Nase herumgeführt, was ihn natürlich restlos dämlich dastehen lässt. An dem Punkt - und zwar quasi nur an dem ;) - bin ich Dio eher zugeneigt.
 
Ave zusammen,

Zu den Quellen über Varus:

Man muss bedenken, dass diese NACH der Schlacht verfasst wurden. Da geht also das Bedürfnis ein, einen Schuldigen für die schmachvolle Niederlage zu finden. Es ist dann als zu billig,dem Varus alleine die Schuld zuzuschreiben.

Natürlich hat Varus strategische Fehler begangen, die Frage ist nur, ob er wirklich ad hoc eine Chance hatte, sie zu vermeiden. Im Nachhinein lässt sich dass einfach zeigen, wo die Fehler lagen und was man hätte besser machen können.

Ich denke ad hoc hatte er nur seinen Auftrag, Germanien zu provinzialisieren, eigentlich recht professionell angegangen. Er musste sich dabei auf die Hilfe der Verbündeten verlassen, ob er wollte oder nicht. Insbesondere auf Arminius, der sowohl als römischer Ritter (germanische) Truppenteile befehligte und, das ist etwas ganz besonderes, sogar Tischgenosse des Varus war. Es gab da also ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis zwischen Ihm und Varus, kein anderer germanischer Fürst reichte da heran.

Wenn er also überhaupt jemanden vertrauen konnte, dann Arminius. Auch die (angebliche) Warnungen von Segestes vor einem Überfall ist da kein Grund ihm Fehler vorzuwerfen: wenn hier einer, aus welchen eigennützigen Motiven auch immer, lügte, so war das ad hoc ganz zweifellos Segestes. Er konnte getrost annehmen, das es Segestes war der hier vielleicht den Aufstand in seinem Rücken unterstützte und nur wollte dass er nicht rechtzeitig am Aufstandsort eintraf.

Überrascht wird er erst dann gewesen sein, als er feststellen musste, dass es ausgerechnet sein bester Verbündeter und Tischgenosse war, der ihn so fürchterlich belogen hatte.

Zum Aufstand von "innen" heraus:

Timpe argumentiert im Grundsatz damit, dass dem Arminius für die Organisation eines allgemeinen germanischen Aufstands einerseits die Zeit fehlte, andererseits die Gefahr eines vorzeitigen Auffliegen des Komplotts zu gross war.

Vellius berichtet dass Arminius bei gemeinsamen Kriegen dabei gewesen wäre, schweigt sich aber aus, bei welchem. In Frage kommt der immensum bellum oder der pannonische Krieg. Erster wäre in 5 zu Ende gegangen, letzterer dauerte von 6 bis 9.

Bei ersterem wäre zwar die Zeit da gewesen, aber auch die Gefahr der Aufdeckung gross, bei letzterem wäre er frühestens in 8 oder gar in 9 zurückgekehrt, was für eine sorgfältige Vorbereitung zu wenig Zeit bedeutet hätte.

Ergo: der Kern des Aufstandes dürften die von ihm befehligten germanischen Hilfstruppen gewesen sein. Die Gefahr der Aufdeckung wäre geringer gewesen, da er diese Truppen ständig im Griff hatte, und die Sprachbarriere zwischen seinen mutmasslich cheruskischen Truppen und den Römern wäre auch sehr hilfreich gewesen.

Nichts desto Trotz, Arminius hat natürlich die ganze Zeit seinen Hals riskiert! Varus hätte ihn persönlich zu Sushi verarbeitet, wenn er ihm nur auf die Schliche gekommen wäre.

Was natürlich die Frage nach seiner tieferen Motivation aufwirft. Er hatte höchste Posten inne, er war römischer Ritter, er war sogar als Tischgenosse Mitglied des "inner circle" um Varus, er hatte mit Sicherheit grosse und dauerhafte wirtschaftliche Vorteile. Warum nur gibt er dass alles auf?

Beutelust erklärt dass nicht, er gab einen dauerhaften Vorteil gegen einen einmaligen Vorteil auf, wobei nichteinmal klar war, ob der überhaupt jemals zustande kommen würde. Viel höher war dei Wahrscheinlichkeit, dass er vorher schon seinen Kopf verlieren würde.

König von Germanien zwischen Weser und Elbe werden? Warum, er war es ja schon in kleinerem Umfang. Und was für einen Vorteil sollte ihm dass bringen, ausser ehrlicher Armut vielleicht?

Ich glaube, er hatte schon einen tiefen moralischen und politischen Hintergrund. Die Schlacht des Jahres 9 war schliesslich nicht die erste in Germanien. Es hatte dutzende gegeben, das Leid für die okkupierte Bevölkerung muss fürchterlich gewesen sein, schliesslich kamen Drusus und Co. nicht als Kulturdezernenten an die Elbe, sondern sie haben sich den Weg freigemetzgert. Als Drusus in 9 v.Chr. bis zur Elbe kam und die Cherusker unterwarf, da war Arminius sieben Jahre alt. Wieviele seiner Verwandten waren da gefallen? Während des immensum bellum war ein Teenager bis Anfang 20, was wird er da alles erlebt haben, was mit seinen Volk geschah? All die Hungerwinter die den Sommern folgten in denen römische Truppen die Landstriche geplündert hatten, reihenweise verhungerten Frauen, Männer und vorallendingen Kinder! Wir wissen nicht ob er uns unbekannte Brüder, Schwestern, Freunde verlor, es werden sicherlich etliche gewesen sein.

Diese jungen Jahre haben ihn geprägt und sie bestimmten den Antrieb für sein späteres Handeln. Mit Varus brach zwar eine neue Zeit an, es sollte nicht mehr nur das römische Schwert durch germanische Hütten fahren, es sollten jetzt auch die Segnungen römischer Moderne in Germanien Einzug halten. Aber dazu kam es dann nicht mehr. Irgendwann hatte Arminius entscheiden seine Stellung für eine anderes Ziel als der persönlichen Bereicherung auszunutzen. Er tat dass, obwohl er riskierte alles was er bereits erreicht hatte zu verlieren, auch unter dem Risiko dass es seiner Familie an den Kragen ginge, und nicht zuletzt unter ständiger eigener Lebensgefahr.

Meine Schlussfolgerung ist: Sowohl die Reduzierung der Varuskatastrophe auf einen dummen Varus als auch die Reduzierung des Arminius auf Grössenwahn und Beutegier, entbehrt jeder Grundlage. Es sind nachträglich angenommene Eigenschaften der römischen Historiographen um eine Erklärung für das eigene Scheitern zu finden.

Beste Grüsse,Trajan.
 
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