Wie überrascht war Varus?

Meine Schlussfolgerung ist: Sowohl die Reduzierung der Varuskatastrophe auf einen dummen Varus als auch die Reduzierung des Arminius auf Grössenwahn und Beutegier, entbehrt jeder Grundlage. Es sind nachträglich angenommene Eigenschaften der römischen Historiographen um eine Erklärung für das eigene Scheitern zu finden


Wenn man 2000 Jahre in die Vergangen geht, so muss man zunächst zeitgenössische Quellen sprechen lassen, von denen es hier zwei wichtige gibt, und kann hernach noch Spekulationen anfügen

Beide von mir vorgestellte Quellentexte erklären übereinstimmend, dass Varus fahrlässig gehandelt hat, und das wird auch zutreffen. Weitere Herabsetzungen der Person des Varus sind vermutlich dem Faktum seiner vernichtenden Niederlage geschuldet und insofern übertrieben. Der Kern jedoch - ein unvorsichtiger, allzu vetrauensseliger Feldherr - entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit der Wahrheit. Alle anderen Interpretationen werden nicht durch Quellen gestützt.
 
Wenn man 2000 Jahre in die Vergangen geht, so muss man zunächst zeitgenössische Quellen sprechen lassen, von denen es hier zwei wichtige gibt, und kann hernach noch Spekulationen anfügen
Was heißt 'zeitgenössisch`? Cassius Dio ist rund 200 Jahre nach den Ereignissen geschrieben worden. Man müsste erst einmal untersuchen, welche Quellen er in Bezug auf Varus zur Verfügung hatte.
Und Velleius ist klar parteiisch pro Tiberius. Seine Varus -Beschreibung sehr topisch. Also auch nicht ganz so einfach und eindeutig.
Klar. Die Quellen sind die Basis aller Interpretation. Aber auch hier ist Vorsicht angebracht.
 
Ave Dieter,

Dieter schrieb:
...Der Kern jedoch - ein unvorsichtiger, allzu vetrauensseliger Feldherr - entspricht mit großer Wahrscheinlichkeit der Wahrheit. ...

Im Nachhinein ist diese Aussage ja auch richtig, aber ad hoc eben nicht. Varus musste Arminius vertrauen, er konnte gar nicht anders.

Dieter schrieb:
...Beide von mir vorgestellte Quellentexte erklären übereinstimmend, dass Varus fahrlässig gehandelt hat, und das wird auch zutreffen. ....Alle anderen Interpretationen werden nicht durch Quellen gestützt....


U.a. Timpes Interpretationen sind sehr wohl durch Quellen gestützt, es gibt ja noch viele andere als die wenigen Quellen, die sich direkt mit der Varusschlacht beschäftigen. Zu den Quellen zählen ja auch allgemeine Kenntnisse über z.B. das römische Heerwesen, germanische Kultur oder auch über römische Literatur im allgemeinen u.v.m., Archäologie, Topologie etc.pp.

Das muss man erstmal alles sinnvoll zusammenbringen. Die Interpretation einer einzelnen Quelle wie den Vellius bringt da nur bedingt etwas. In jedem Falle muss man sie einer ausführlichen Analyse unterziehen, die wort-wörtliche Übernahme ist bestenfalls fragwürdig wenn nicht manchmal sogar grotesk falsch (z.B. Florus).

Natürlich bleibt vieles in der Vor- und Frühgeschichte Interpretation, Interpolation und Spekulation, wie auch immer Du das nennen magst. Die wörtliche Übernahme einer Textstelle ist dabei aber genauso fragwürdig spekulativ.


Beste Grüsse, Trajan.
 
Die wörtliche Übernahme einer Textstelle ist dabei aber genauso fragwürdig spekulativ.


Ich habe nicht eine, sondern zwei Quellen genannt, die übereinstimmende Aussagen bringen: Cassius Dio und Velleius Paterculus. Wenn man, wie viele das tun, von einer kräftigen Mitschuld des Varus spricht, so kann von einer wörtlichen Übernahme des Quellentextes - der überhaupt unsere einzige Information darstellt - nicht die Rede sein.
 
Ave Collo,




Nur dann lässt sich problemlos ein solcher Zug mit kleinen Kräften angreifen und auseinander sprengen:..............................................
Wenn der so ungünstige Marschweg lang genug ist, kann man mit dieser Salamitaktik den kompletten Zug aufreiben.

Beste Grüsse, Trajan.

Gut, das habe ich jetzt auch verstanden.
Die Zahl der Germanen war kleiner als die der Römer.
Und wie klein war denn wohl nun die Anzahl der Angreifer?


Das wüsste ich nur deshalb gerne, damit mir klar werden kann, wie ein Germane (auch wenn ihm blind vertraut wurde) unbemerkt eine Truppe ausheben konnte.

Und dann bleibt da noch die Frage, ob er nun bei Varus`Feldzug dabei war, oder nicht.
 
So jetzt kommt mein Senf dazu...
Varus war nicht auf dem Rückweg zum Rhein. Das steht nirgendswo und in welcher Himmelsrichtung er zog ist somit ungewiß. Auch ist es eine Mär, daß Varus ein unfähiger Verwaltungsmensch war. Schließlich wurde er zweimal zum Nachfolger des C.Sentius Saturninus (Syrien/Germanien) ernannt. Somit hatte er den Titel des "legatus augusti pro praetore" für Syrien und danach für Gallien mit Oberbefehl am Rhein.
Augustus hätte niemals eine unfähige Person mit diesem Posten vertraut, da hätte auch keine verwandtschaftlichen Verbindungen geholfen.
In einem anderen Beitrag ("Varuslager") hatte ich schon die Theorie aufgestellt, daß Varus mit seinen Legionen an der Lippe saß. Zu dem Zeitpunkt hat es in Germanien keinen Feind mehr gegeben, außer die Markomannen und deren Verbündete (z.B.Sueben), da Tiberius den Feldzug gegen Marbod ,aufgrund des Pannonischen Aufstands, abbrechen mußte.
Weshalb sollte ein Statthalter mit 3Legionen durch seine Provinz ziehen... um Steuern einzufordern? Dafür hätte es nicht so einer großen Streitmacht benötigt.
Varus zog erst los, nachdem ihm ein Aufstand gemeldet wurde. Ein Aufstand von westlichen germanischen Stämmen wäre auch von Asprenas mit seinen 2 Varus-Legionen zu beseitigen gewesen. Ferner hätte man die aufständischen Stämme auch mit Namen bezeichnet und nicht von "weit entfernten" Stämmen geschrieben, da diese sich dann in der Nähe des Rheins befunden hätten. Im Norden saßen die verbündeten Chauken, Ampsivarier und Friesen, die sich zu dem Zeitraum als sehr romtreu erwiesen. Es bleibt daher nur noch der Süden und Osten. Nach der Beschreibung waren aber die südlichen Stämme alle befriedet. Nur im Osten drohte Gefahr. Dort lebten germanische Stämme, die unter dem Einfluß des romfeindlichen Markomannen Marbod standen. Wenn diese die Elbe überschritten und in die römische "Provinz" einfielen, so mußte Varus sofort handeln, um diese Feinde zurückzuschlagen. Ähnlich verhielt sich Caesar in Gallien. Dort mußte Caesar auch verbündeten gallischen Stämmen sofort bei Gefahr beistehen, damit diese Stämme nicht untreu und auch zu Feinden werden.
Somit hatte Varus einen sofortigen Grund zum Aufbruch.

DELBRÜCK hat in seinem Buch: "Geschichte der Kriegskunst, Die Germanen" (1901) ein Kastell in Paderborn angenommen. Da er der festen Überzeugung war, daß die Römer ohne so einen Versorgungsplatz keinen Feldzug gen Osten in das Weserbergland unternehmen konnten (siehe dem abgebrochenen Drusus-Feldzug an die Weser).
Und das Kastell wurde Ende der `60iger Jahre in Anreppen (in der Nähe von Paderborn) gefunden!
Ferner konnte man in Anreppen einen großen palastartigen Bau feststellen. Jetzt stelle ich einmal die Vermutung auf, daß Varus eher seine Repräsentanz in einem palastartigen Bau hatte als in einem provisorischen Sommerlager an der Weser. In einem Lippe-Lager ist ein Fundstück (ich glaube ein Bleibarren) einer Varuslegion gefunden worden. Somit waren Teile der Varuslegionen an der Lippe stationiert.

Jetzt die Annahme: wenn ein Aufstand (ob wahr oder nicht) im Osten gemeldet wurde, dann rief Varus seine Legionen (die an der Lippe entlang und im Land stationiert waren) zusammen, um dann mit seinem Troß (Verpflegung!) an die Weser ins befreundete Cheruskergebiet zu ziehen. Von dort aus würde er dann in Kampfformation in einem Eilmarsch gegen den Feind ziehen, während der Troß an der Weser zurückgeblieben wäre. Das hat Germanicus auch bei seinem Chatten-Feldzug so gehandhabt. Dort ließ Germanicus seinen Troß im Taunusgebirge zurück.
Da römische Händler sich damals an die Legionen hielten, wären sie bis an die Weser mitgezogen, um dann dort ihrem Geschäft nachzugehen. Das wäre somit keine Besonderheit gewesen, da sich römische Handelsleute (mit Frauen und Kindern) auch an die Standpunkte der Legionen hielten (TIMPE).
Varus hatte somit bis zur Weser nichts zu befürchten. Daher konnte der Troß auch noch in ungeordneter Weise dahinziehen.

Wie sah es jetzt bei den Germanen aus? Arminius plante einen Aufstand. Dafür reichten aber seine Kontingente nicht aus. Somit mußte er sich Verbündete suchen, die er in den Brukterern, Marsern und Chatten fand. Diese Stämme konnten allerdings nicht unbemerkt zu einem Feldzug aufbrechen, wenn sie durch ein anderes Gebiet als das eigene Gebiet, gezogen wären. So wäre es den römischen Truppen aufgefallen, wenn die Marser die Lippe Richtung Norden überquert hätten. Hier kam es jetzt Arminius (der den Titel eines römischen Ritters besaß) zu Gute, daß er Varus davon überzeugen konnte, daß er germanische Truppen herbeiholen kann. Es war durchaus üblich, daß die verbündeten Germanen Hilfstruppen stellten.
Als idealer Angriffsort entpuppt sich jetzt das Randgebiet der 4 beteiligten Stämme (Cherusker, Marser, Chatten und Brukterer). Diese Meinung vertritt auch der Archäologe BERKE. In so einem "Niemandsland" zwischen den germanischen Stämme konnten die germanischen Truppen ohne großes Aufsehen herbeigeführt werden.

Zur Überraschung des Varus: Varus hat mit einem Angriff von germanischen Verbündeten (die Cherusker galten als romfreundlich) nicht gerechnet. Allerdings war ihm nach den ersten Angriffen die Lage klar. Jetzt handelten die Römer und verbrannten alle unnützen Gegenstände und Troßwagen. Die Legionen 17,18 und 19 galten als die tapfersten von allen und waren führend unter den römischen Truppen, was Disziplin, Tapferkeit und Kriegserfahrung angeht (Velleius Paterculus,II.Buch (2)). Auch ohne Führung waren solche Legionäre in der Lage sich zu verteidigen (siehe auch Caesars Legionen in Gallien). Es muß die Strategie des Angriffs auf einen unsortierten Troß ausschlaggebend gewesen sein. Nachdem sich die Römer gesammelt hatten, konnten nur noch starke germanische Verbände für die Entscheidung sorgen. TACITUS berichtete, daß die letzte Schlacht auf einem Felde (campus) stattgefunden hat. Anscheinend haben die Römer zuletzt eine offene Feldschlacht verloren.
 
Ave zusammen,

Dieter schrieb:
... Wenn man, wie viele das tun, von einer kräftigen Mitschuld des Varus spricht, so kann von einer wörtlichen Übernahme des Quellentextes - der überhaupt unsere einzige Information darstellt - nicht die Rede sein....

Du hast Recht, dass Varus in der Tat per se der Schuldige war. Er war der verantwortliche Feldherr und damit muss er sich sein Scheitern auch vorhalten lassen. Und dass haben Vellius oder Dio und auch Du ja zu Recht getan.

Aber es sind eben Vorwürfe im Nachhinein. Ad hoc hätte keiner der Kritiker die gestellte Aufgabe der Provinzialisierung viel anders angehen können. Vor dem Abfall des Arminius konnte niemand den drohenden Verrat ahnen.

Im Nachhinein darf man aber durchaus sagen: He Varus, die Cherusker waren schon einmal abgefallen (immensum bellum), du hättest ahnen können dass das nocheinmal passiert! Du hättest mehr Aufklärung betreiben müssen! Du hättest die Rheingrenze nicht entblössen dürfen! Du hättest ....u.s.w.

Aber das ist müßig. Vielmehr könnte man hier Augustus und Tiberius anklagen: Wieso übertragt ihr dem Varus eine solche Aufgabe, wenn ihr doch eigentlich wissen müsstet, dass Germanien noch garnicht soweit war. Ihr habt Varus ins Messer laufen lassen! Das Risiko war noch viel zu gross! (Irgendwie fällt mir hier gerade der Irak ein...)


Penseo schrieb:
...Gut, das habe ich jetzt auch verstanden.
Penseo schrieb:
Die Zahl der Germanen war kleiner als die der Römer.
Und wie klein war denn wohl nun die Anzahl der Angreifer?

Das wüsste ich nur deshalb gerne, damit mir klar werden kann, wie ein Germane (auch wenn ihm blind vertraut wurde) unbemerkt eine Truppe ausheben konnte.

Und dann bleibt da noch die Frage, ob er nun bei Varus`Feldzug dabei war, oder nicht....


Wie gross die Einheit des Arminius war ist wohl nicht ganz klar. Auxilliartruppen konnten mit ca. 5000 Mann so gross wie eine Legion sein. Der Angriff auf einen römischen Zug, der auf schmalen Wegen verhaftet ist, erfordert jedenfalls weit weniger. Greift man ihn auf einer Breite von nur 100 Metern an, dann hat man mit kaum mehr als einer Kohorte zu rechnen. Hit and run.

Wenn er also nur wenige 1000 Leute hatte, so konnte er den Zug an mehreren Stellen gleichzeitig sprengen. Für einen Sieg würde dass natürlich nicht reichen, was er noch brauchte war viel Zeit. Und zwar viel mehr Zeit als seinem Gegner zur Verfügung stand. Das funktioniert nur mit einer Einkesselung, die den Zug für etliche Tage fesselt.

Nur so kann dass funktioniert haben. Nach Timpe kamen dann sukzessive weitere Germanen hinzu, als die erkannten, dass diese Taktik aufgehen würde. Nach diesem Szenario brauchte er also keine Truppen auszuheben, er nutzte erstmal was er sowieso schon in römischen Diensten hatte.

Ich schätze aber, dass schon so einige einflussreiche Stammeshäuptlinge informiert waren und heimlich paktierten. Es dürfte so ähnlich gewesen sein, wie beim Aufstand des 20. Juli unter Graf Stauffenberg: Der Held riskiert Kopf und Kragen und wenn er den notwendigen Anfangserfolg geschafft hat, dann springen die Abwartenden schnell auf den Zug auf. Klappt es nicht, dann kann man immer noch so tun, als hätte man von nichts gewusst oder wäre schon immer dagegen gewesen.

Schönes Wochenende, Trajan.
 
Vielleicht sollte man noch einmal zeitgenössische Quellen dazu befragen, denn nur von dort haben wir unser Wissen. So sagt z.B. Cassius Dio (56, 18 ff.) zur "Schlacht im Teutoburger Wald":


Als wie "zeitgenössisch" Cassius Dio - ca. 200 Jahre nach der Schlacht - anzusehen ist, haben meine Vorredner ja bereits deutlich gemacht.

Cassius Dio hat dasselbe gemacht, was Pope hier vorexerziert hat: Er hat aufgrund der dürftigen und widersprüchlichen Quellen versucht, sich ein plausibles Szenario zusammenzureimen.

Wie widersprüchlich die Quellenlage schon wenige Jahrzehnte nach der Schlacht aussah, sieht man an der Darstellung des Lucius Annaeus Florus, derzufolge die Aufständischen anläßlich eines öffentlichen Tribunals losgeschlagen hätten, wobei von einem Lager die Rede ist - auch wenn natürlich die für jede Schilderung germanischer Verhältnisse unvermeidlichen "Wälder und Sümpfe" als Kulisse dienen.

Lucius Annaeus Florus schrieb:
So griffen sie den Ahnungslosen und nichts derartiges Befürchtenden überraschend an, als jener - welche Sorglosigkeit! - vor Gericht lud, und von allen Seiten brachen sie herein. Das Lager wurde ausgeraubt, drei Legionen überwältigt.

http://www.geschichte.uni-osnabrueck.de/projekt/5/5a.html


Anstatt die Quellen als Rohmaterial heranzuziehen, um zum 17160. Mal eine neue Rekonstruktion der Varusschlacht zu erstellen, würde ich lieber einmal versuchen, die Entstehung einer Quelle wie etwa des Berichts des Cassius Dio zu rekonstruieren:

Was hätte denn ein römische Schriftsteller gemacht, dem keine authentischen Quellen bzw. nur Widersprüchliches und Fragmentarisches zur Verfügung stand?

Er hätte sich garantiert als erstes die Frage gestellt, wie es denn kommen konnte, daß die beste Armee der Welt von einem Haufen undisziplinierter Barbaren ausgelöscht wurden. Die Antworten, auf die er ohne langes Nachdenken gekommen wäre, wären sicherlich auch jedem Fußballfan eingefallen, wenn die von ihm vergötterte Nationalmannschaft bei einem Auswärtsspiel, sagen wir mal gegen die nepalesische B-Mannschaft, 0:3 verliert:
1. Der fiese Gegner muß sich ganz hinterhältiger Tricks bedient haben.
2. Der Trainer, diese Lusche, hat auf der ganzen Linie versagt.
3. Die klimatischen Bedingungen waren unerträglich. Bei einem Heimspiel wäre das nicht passiert.


Würden sich nicht die Übereinstimmungen in den Schilderungen der alten Schriftsteller auch so zwanglos erklären, ohne unterstellen zu müssen, daß ihnen brauchbare Augenzeugenberichte zur Verfügung standen?
 
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Wenn wir Aussagen über Varus und seine Schlacht machen wollen, müssen wir uns wohl oder übel auch auf die vorhandenen Quellen stützen. Natürlich wird jeder vernünftige Mensch Quellen auf ihre Standortgebundenheit prüfen und sie kritisch analysieren. Das lernt jeder Student bereits in ersten Prosemestern. Man kann aber andererseits nicht hingehen, und aus einem Quellenfundus das auswählen, was eine vorgefasste Hypothese stützt, und das fortlassen, was dazu weniger beiträgt.

Dass pauschale Verurteilungen des Varus heute nicht mehr angängig sind, habe ich bereits oben geschrieben. Dass er aber vermutlich fahrlässig und unvorsichtig gehandelt hat, scheint mir durchaus plausibel zu sein. Es sei denn, wir wollen alle entsprechenden Quellen auf den Kopf stellen.

Überhaupt scheint es mir gefährlich zu sein, anhand einer derart dünnen Quellenlage so weitreichende Hypothesen über die Varusschlacht und die Befindlichkeiten von Personen anzustellen, wie es vielfach hier geschieht.
 
Hat jemand eigentlich mal was zum Zeitpunkt der Schlacht geschrieben? Ich komme auf Anfang Juli ... das Würde gegen den Rückzug ins *Sommerlager sprechen.

*oops ... Winterlager!
 
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Wie sah es jetzt bei den Germanen aus? Arminius plante einen Aufstand. Dafür reichten aber seine Kontingente nicht aus. Somit mußte er sich Verbündete suchen, die er in den Brukterern, Marsern und Chatten fand. Diese Stämme konnten allerdings nicht unbemerkt zu einem Feldzug aufbrechen, wenn sie durch ein anderes Gebiet als das eigene Gebiet, gezogen wären. So wäre es den römischen Truppen aufgefallen, wenn die Marser die Lippe Richtung Norden überquert hätten. Hier kam es jetzt Arminius (der den Titel eines römischen Ritters besaß) zu Gute, daß er Varus davon überzeugen konnte, daß er germanische Truppen herbeiholen kann. Es war durchaus üblich, daß die verbündeten Germanen Hilfstruppen stellten.

Das klingt sehr plausibel!

Zur Überraschung des Varus: Varus hat mit einem Angriff von germanischen Verbündeten (die Cherusker galten als romfreundlich) nicht gerechnet. Allerdings war ihm nach den ersten Angriffen die Lage klar.

Mir hätte klar sein müssen, dass ich keinen Thread mit "Varus" im Titel eröffnen konnte, ohne dass direkt die gesamt Thematik wieder aufgerollt wird. ;)

Nochmal: Ich hätte keinen Thread eröffnen müssen, um zu fragen, ob Varus vom Angriff von Arminius und seinen Verbündeten überrascht war.

Meine Frage war in erster Linie:

War VOR der Varusschlacht - im vorangehenden Sommer, in den vorangehenden Jahren - eine Unruhe unter den nicht zu Arminius gehörenden Germanen spürbar, oder verhielt sich alles bis zum großen Knall komplett ruhig?
 
Nochetwas zum Zeitpunkt:

Velleius Paterculus
Mit diesem Vorsatz begab er sich ins Innere Germaniens, und als habe er es mit Männern zu tun, die die Annehmlichkeiten des Friedens genossen, brachte er die Zeit des Sommerfeldzuges damit zu, von seinem Richterstuhl aus Prozeßformalitäten abzuhandeln.

Es war demnach wohl vielleicht schon Spätsommer ...

Kaum hatte Tiberius Caesar die letzte Hand angelegt, um den pannonischen und den dalmatischen Krieg endgültig zu beenden, da brachten - nur fünf Tage, nachdem er diese gewaltige Aufgabe vollendet hatte [am 3. August wurde die letzte Bastion der Illyrer gestürmt*]- Depeschen aus Germanien die Unglücksbotschaft ...

Das setzt den 8. August als Datum für die ersten Meldung aus Germanien an. Die Varusschlacht fand dann wohl zwischen dem 15. und dem 25. Juli des Jahres statt. (Das lässt 2-3 Wochen für die ersten Meldungen.) Eigentlich Hochsommer, beste Zeit weil schön trocken. :grübel:

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* Theodor Mommsen, 8.Buch: "Er verließ die Stadt, da er nicht vermochte, die Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist, als politischer Gefangener interniert, in Ravenna gestorben. Ohne den Führer setzte die Mannschaft den vergeblichen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis die Römer das Kastell mit stürmender Hand einnahmen - wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August, verzeichnen die römischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges."
http://gutenberg.spiegel.de/mommsen/roemisch/Druckversion_roem08.htm
 
War VOR der Varusschlacht - im vorangehenden Sommer, in den vorangehenden Jahren - eine Unruhe unter den nicht zu Arminius gehörenden Germanen spürbar, oder verhielt sich alles bis zum großen Knall komplett ruhig?


Entschuldige bitte, dass die Diskussion nicht in die von Dir intendierte Richtung ging.....

Und nun zu der fettgedruckten Frage:
Wurde das nicht bereits von mehreren Teilnehmern mit dem Hinweis, Germanien galt zu dem Zeitpunkt als befriedet, beantwortet?

edit: von wufi und tela zum Beispiel...
 
Meine Frage war in erster Linie:

War VOR der Varusschlacht - im vorangehenden Sommer, in den vorangehenden Jahren - eine Unruhe unter den nicht zu Arminius gehörenden Germanen spürbar, oder verhielt sich alles bis zum großen Knall komplett ruhig?

Es gab um die Zeitenwende den immensum bellum vereinzelter Stämme. Der wurde innerhalb eines Zeitraums von 2Jahren von Tiberius niedergeschlagen. Die Cherusker wurden nicht angegriffen, sondern als Verbündete gewonnen. 6n.Chr. versuchte Tiberius die Markomannen unter der Herrschaft von Marbod anzugreifen, was aus bekannten Gründen mißlang.
Cassius Dio schreibt, daß nach Tiberius die Lage friedlich war und es wird so ausgedrückt: die Schwerter wurden rostig und die Gäule lahm.
Selbst das Wetter soll besser geworden sein....und das heißt schon was. Größere Unruhen waren somit nicht zu erwarten. Die Verwaltung Germaniens wurde 5n.Chr. vom Statthalter Caius Sentius Saturnius übernommen, der sie wiederum 7n.Chr. an Varus übergab.

Jetzt etwas Grundsätzliches über die Germanen. Die Germanen waren ein Kriegervolk und keine Bauern! Diese Ansicht, die Tacitus in seiner Germania beschreibt, wird durch die heutige Archäologie wieder unterstützt. So waren die Germanen in der Landwirtschaft ziemlich unfähig. Aus den vorhandenen Mitteln holten sie nicht den maximalen Erfolg heraus, sondern eher das Minimum. Vorratshaltung im größeren Stil war ihnen unbekannt. So kam es zu häufigeren Hungersnöten und Mangelerscheinungen. Die Versorgung bestand größtenteils aus einem Brei aus Gerste, Hafer und Unkrautsamen (bis zu 40%!). Fleisch und Brot waren eher selten und die Jagd aufgrund der fehlenden Vorratshaltung ebenfalls. Wichtig war nur eine Viehherde, die man notfalls auch in die Wälder treiben konnte. Diese Viecher wurden aber nicht geschlachtet, sondern dienten zur Milchproduktion und als Statussymbole.
Man fand sogar Eicheln als Nahrungsmittel (z.B. geröstet Eichelhälften) und nicht die genießbaren Bucheckern! Schlechtweg ungenießbar und ein richtiger Fraß! (Quelle Prof. Dr. Ebel-Zepezauer)

Warum schreibe ich das hier.....es waren harte Zeiten mit viel Gewalt! Die Germanen scherten sich nicht um die Landwirtschaft, sondern vertraten die Ansicht: was ich nicht mit Handel erwerben kann, das hole ich mir!
Gegenseitige Streitigkeiten unter den verfeindeten Stämmen waren an der Tagesordnung. Jeder wehrfähige Germane war ein Krieger und es wurde mit Mißachtung gestraft, wenn man aus der Schlacht ohne Schild zurückkehrte bzw. Feigheit vor dem Feind zeigte. Man brauchte keine Truppen auszuheben, sondern die Krieger waren da und konnten kurzfristig mobilisiert werden (siehe auch DELBRÜCK).

Diese Welt ist uns heutzutage recht schwer vorstellbar, aber wenn damals irgendwo ein Streit ausbrach (und das ging anscheinend schnell), dann hieß es ja nicht diesen zu vermeiden!
TIMPE schreibt hierzu: "Römische Legionäre gingen zwar nicht im Wald spazieren, aber sie brauchten sich auch nicht als mögliche Opfer einer terroristischen Untergrundorganisation zu betrachten."
Aber so richtig ruhig war es in Germanien nie! Die Römer betrachteten es nur als Ruhe, wenn sie nicht selbst angegriffen worden sind. Die Streitereien innerhalb der germanischen Stämme waren ihnen weitestgehend egal, z.B. 59n.Chr. werden die romfreundlichen Ampsivarier von den Cheruskern vollständig vernichtet.
Einen freien germanischen Stamm konnte man aufgrund seiner Gebräuche und Handlungsweisen nicht zur Ruhe erziehen. Irgendwann hat es dann gekracht. Ein Appell an die Vernunft bewirkte gar nichts.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
"Befriedet" ist ein dehnbarer Begriff. ;) Im Großen und Ganzen sicher befriedet - ich fragte mich nur, ob irgendwer Informationen darüber hätte, ob es irgendwo doch zu Reibereien gekommen wäre.

Scheint aber nicht der Fall zu sein. ;)

Edit: Ah, danke für deine Einschätzung, Cherusker! Damit kann ich nun wirklich was anfangen. Dankeschön!
 
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