Wie wahrscheinlich war der Atomkrieg der beiden Supermächte wirklich?

Ich meine, dass ineiner Fernsehsendung mal was von 16 Beinahe-Atomkriegen erwähnt wurde.
Schuld waren zB Computerfehler, fehlinterpretierte Strahlung aus dem All, etc.
 
In der Rückschau auf die Zeiten des Kalten Krieges heißt es ja öfters, dass die Welt am Rande eines Atomkrieges gestanden sei.

Dass es nicht dazu gekommen ist, zeigt meines Erachtens, dass die Großmächte sich der Gefahr sehr wohl bewußt waren und es nicht zum Äußersten kommen ließen, auch dass sie verantwortungsbewußt genug waren, um es nicht soweit kommen zu lassen, sondern um des Frieden willens bereit waren, Kompromisse einzugehen.

Auf Anhieb fällt mir natürlich die Kuba-Krise ein.

Gruß....
Mir fällt in diesem Zusammenhang auf Anhieb ein, dass sich "die Großmächte" doch aus sehr vielen Akteuren zusammensetzten, die zum Teil unterschiedliche Interessen verfogten. Währenddessen in der Kubakrise McNamara versuchte, mit der Seeblockade Chruschtschow irgendwie zum Rückzug zu bewegen, statt ihn zur Vergeltung aufzustacheln, wollte der zuständige Chef der Seeoperationen Anderson, die Blockade nach den Standard-Verfahrensvorschriften für eine Seeblockade durchführen, auch wenn dies möglicherweise ein viel größeres Risiko geschaffen hätte als es Kennedy wünschte. Die Krise drohte der Politik zu entgleiten und genau darin lag wohl die abschreckende Wirkung, die auch glaubwürdig war.​

Die abschreckende Wirkung ergab sich also aus der absichtlichen Erschaffung eines Risikos, das nicht vollständig kontrolliert werden konnte. Zu den spieltheoretischen Grundlagen der nukelaren Abschreckung findet man hier einen lesenswerten Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Brinkmanship

Lesenswert ist auch Graham Allisons spieltheoretische Analyse der Kubakrisa: "The Essence of Decision: Explaining the Cuban Missile Crises", Boston, 1971.​
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem des Atomkriegs hat sich verschoben bzw. "diversifiziert". Und die Gefahr wird höher eingeschätzt, seit Jahren, dass es beispielsweise zu einem Konflikt zwischen Indien und Pakistan, unter Einsatz von Kernwaffen, kommt.

Eine Studie dazu zeigt, wie umfassend ein "regionaler Atomkrieg" die Grundlage der Menschheit insgesamt bedrohen würde. Einfach als Info.

Indien und Pakistan: Atomkrieg ließe zwei Milliarden Menschen hungern - SPIEGEL ONLINE

Damit steht diese neue Studie in der Tradition auch von Studien der "Starnberger" zu den Auswirkungen von Atomkriegen.

Kriegsfolgen und Kriegsverhütung - Carl Friedrich Weizsäcker (Freiherr von), Horst Afheldt - Google Books

http://www.spiegel.de/wissenschaft/...wei-milliarden-menschen-hungern-a-938008.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem des Atomkriegs hat sich verschoben bzw. "diversifiziert". Und die Gefahr wird höher eingeschätzt, seit Jahren, dass es beispielsweise zu einem Konflikt zwischen Indien und Pakistan, unter Einsatz von Kernwaffen, kommt.

Eine Studie dazu zeigt, wie umfassend ein "regionaler Atomkrieg" die Grundlage der Menschheit insgesamt bedrohen würde. Einfach als Info.
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Guter Hinweis.
Das beleuchtet zwar nicht die sehr schwer zu beantwortende Eingangsfrage, jedoch die Gefahr selbst. Und das ist ja bei der Betrachtung sehr wichtig.
Denn die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe alleine zeigt (zu) wenig, wenn nicht deren Ausmaß mit in die Wagschale gelegt wird.
Hierzu auch:
Climatic consequences of regional nuclear conflicts
 


Die abschreckende Wirkung ergab sich also aus der absichtlichen Erschaffung eines Risikos, das nicht vollständig kontrolliert werden konnte. Zu den spieltheoretischen Grundlagen der nukelaren Abschreckung findet man hier einen lesenswerten Artikel: Brinkmanship ? Wikipedia

Lesenswert ist auch Graham Allisons spieltheoretische Analyse der Kubakrisa: "The Essence of Decision: Explaining the Cuban Missile Crises", Boston, 1971.​


Ein weiteres Beispiel war Nixons Operation "Giant Lance" vom Oktober 1969, bei der ein nuklearer Angriff auf die Sowjetunion simuliert wurde, und zwar bewußt so, dass die Sowjets über dessen Ernsthaftigkeit im Ungewissen gelassen wurden. Dahinter steckten offenbar auch spieltheoretische Überlegungen seitens Nixons Sicherheitsberater Kissinger, konkret die "madman theory".

Hintergrund waren die Pariser Verhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs; Nixon hoffte Druck auf die Sowjets und ihre nordvietnamesischen Verbündeten ausüben zu können, indem er sie glauben ließ, er sei zu einer drastischen Eskalation des Konflikts bereit.

Operation Giant Lance - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Wie kannst du da so sicher sein?

Es hat in der Politik immer schon irreale Reaktionen gegeben - auch Fanatiker - die sich einem logischen Verständnis völlig entziehen. Derartige Beispiele hat die Weltgeschichte vielfach gesehen und sie enden auch nicht im 21. Jahrhundert.

Im übrigen ist es gut denkbar, dass eine Seite die Vorstellung hat, eine militärische Konfrontation sei eingrenzbar und beherrschbar und sich aus kleinen Militärschlägen oder auch Stellvertreterkriegen binnen kurzer Zeit ein globaler Krieg entwickelt.

Mit irrationalen militärischen Reaktionen muss also jederzeit gerechnet werden, vor allem dann, wenn die beteiligten Mächte Diktaturen oder fundamentalistische Regierungen repräsentieren.

Wenn auf sowjetischer und amerikanischer Seite die Falken ans Ruder gekommen wären und eine Bedrohungsspirale in Gang gesetzt hätten, wäre ein Atomkrieg Wirklichkeit geworden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur durch Zufall und glückliche Umstände einem solchen Vernichtungskrieg entronnen sind.

Wenn ich mir so die Berichte in jüngsterer Zeit zu Kennedy's Tod anschaue, dann war die Welt offensichtlich sehr nahe an einem Atokrieg. Somit kann ich diesem Beitrag nur beipflichten.
 
Wenn ich mir so die Berichte in jüngsterer Zeit zu Kennedy's Tod anschaue, dann war die Welt offensichtlich sehr nahe an einem Atokrieg. Somit kann ich diesem Beitrag nur beipflichten.

Im ersten Moment, wäre Dieters Ansicht nichts hinzu zufügen und basiert auf den rationalen Gedanken eines, na sagen wir mal, OTTO Normalverbrauchers.
Und das meine ich nicht negativ.
Im zweiten Gedankengang, kommt mir die Frage, wie wurden die Erkenntnisse der realen Atombombenangriffe 45 auf Japan und die weiteren Tests der USA und der SU insgeamt mit der militärischen Strategie und einer Ergebnisstrategie eines unbeschränkten Atomkrieges bewertet?
Immerhin haben wir gesehen, daß beide Machtblöcke, oder besser, die USA und auch die SU Atomtests durchführten, die heute Nachweislich nicht einmal mehr selbst für die jeweiligen Techniker oder Militärs kalkulierbar waren (Beispiel Castle Bravo 1954 oder die Zar-Bombe 1961).
Und war das Machtpotential der Atomwaffen in nur eine Hand legbar gewesen. Immerhin gab es in allen Jahrzehnten des Kalten Krieges Situationen, die auf Messers Schneide standen, aber eine Hau-drauf Eskalation war immer vermeidbar. War das alles nur Glück?
 
Nicht unbedingt. Jeder Politiker ist auf Machterhalt angelegt. Wenn beide Seiten mit Nuklearwaffen hochgerüstet sind, ist die Perspektive des Machterhalts zumindest unsicher. Das heißt ein Politiker, der seine Machtfülle erhalten will, kann nicht riskieren sein Land untergehen zu lassen. Massenvernichtungswaffen wurden weitaus häufiger in Situationen der asymmetrischen Rüstung verwendet. Bei symmetrischer Rüstung werden die Waffen seltener eingesetzt so gab es einen kleinen "kalten Krieg" im zweiten Weltkrieg, als Briten und Deutsche ihre Kampfgasvorräte zurück hielten, weil sie Angst vor dem Gegenschlag hatten. Die Italiener hatten wenige Jahre zuvor Kampfgas in Äthiopien eingesetzt, genau wie die Japaner in China. Der Nuklearwaffeneinsatz im 2. WK war ja auch einer der asymmetrischen Rüstung. Japan hatte keine Zweitschlagmöglichkeit.
 
So ähnlich seh ich das auch- im kalten Krieg ging man wohl auf beiden Seiten spätestens nach Kuba realistischerweise nicht mehr von einem unbegrenzten Atomkrieg aus-die Bomben dienten eher dazu die Fiktion der Balance of Power aufrecht zu erhalten.
Aber was man zumindest bis in die 80er Jahre nach wie vor als Option ins Kalkül zog war der lokal begrenzte Einsatz kleiner Atomsprengkörper- ich erinnere da an Planspile wie "the Fulda Gap", wo durch kleinere Sprengköpfe eine Art atomarer "Panzergraben" im Bereich Fulda /Osthessen geschaffen werden sollte oder den Einsatz atomarer Artillerie .
 
Immerhin gab es in allen Jahrzehnten des Kalten Krieges Situationen, die auf Messers Schneide standen, aber eine Hau-drauf Eskalation war immer vermeidbar. War das alles nur Glück?

... und das war zweifellos in der Kuba-Krise der Fall. Autobiografien, Berichte und Dokumente aus jenen wichtigen Monaten lassen klar erkennen, dass die Falken im Pentagon zu einer atomaren Konfrontation entschlossen waren, falls die Russen den Durchbruch ihrer Frachter vor Kuba gewaltsam erzwingen würden. Es stand also wirklich auf des Messers Schneide und wir sind, wie wir heute wissen, nur mit viel Glück davongekommen.

Der nachträgliche Schock in den Regierungskanzleien war so groß, dass erstmals mit dem "heißen Draht" oder "roten Telefon" eine ständige Verbindung zwischen Moskau und Washington geschaffen wurde, um die Gefahr eines vernichtenden Atomkriegs zu minimieren.

Der ist auch heute noch nicht gebannt: in Nordkorea kann eine psychopathische Militärclique Atomraketen abfeuern, der Streit um Inseln und vermutete Erdölvorkommen zwischen China, Japan und den SO-asiatischen Staaten kann rasch eskalieren, al-Kaida kann sich handstreichartig in den Besitz von Atomwaffen bringen.

Wir sind also noch nicht aus dem atomaren Schneider.
 
...Immerhin gab es in allen Jahrzehnten des Kalten Krieges Situationen, die auf Messers Schneide standen, aber eine Hau-drauf Eskalation war immer vermeidbar. War das alles nur Glück?

Das ist eine sehr interessante Frage, die sich wohl nicht einfach beantworten lässt.

Die zwei nachfolgenden Beiträge weisen darauf hin, dass es ja nicht im Interesse eines möglichen Angreifers liegen konnte einen Atomkrieg zu führen, da ein socher ihn selbst in nicht akzeptabler Weise schädigen musste.
Es wird dabei von Rationalität der Gegner ausgegangen, (die ja nicht gegeben sein musss, wie Dieter anmerkt,) und es bleiben hier auch noch andere wesentliche Aspekte unberücksicht.

Wie Gandolf m.E. zutreffend anmerkte, ist das 'Spiel mit dem Feuer - brinkmanship' durchaus als 'rationales' Handeln zu begreifen, auch wenn dieses im Ergebnis die Gefahr der eigenen Schädigung einschließt und damit irrational sein kann.

Rationales Handeln braucht aber auch eine zutreffende Erkenntnislage, welche nicht immer gegeben war,
und es braucht insbesondere auch eine dem menschlichen Verstand angemessene Zeit die Informationen über einen möglichen Angriff auszuwerten.
(hierzu http://www.geschichtsforum.de/f328/kleine-geschichte-der-atombombe-45542/ ab #29)

Wenn man Glück als günstigen Zufall sieht, dann ist vielleicht folgende Quelle interessant:
BREAKTHROUGH - Overlapping False Alarms: Reason for Concern?

Worum geht es?
Die pure Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Fehlalarme überlappen, steigt mit dem Quadrat derselben.
Und geht man von der Berechnung der Quelle aus, so liegt der Zeitraum für eine zu erwartende Fehlalarmüberlappung, basierend auf den geschätzten Zahlen von 1977 - 1984, bei eben knapp sieben Jahren.

Und da sehen wir ja nur einen Aspekt der Gefahr der atomaren Apokalypse.

Also, ich würd mal sagen:
wir haben Glück gehabt und müssen weiter auf dieses hoffen.
 
Berechnung der Wahrscheinlichkeit..

geht sowas überhaupt?
Sicher nicht.
Aber eine Abschätzung ist schon möglich und das meiste wird ja weit eher abgeschätzt als genau berechnet.

Der Stanfordprof. Hellman beschäftigt sich mit dem Problem der Risikokalkulation eines Atomkrieges.
Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Menschen eines unnatürlichen Todes, aufgrund eines Atomkrieges, zu sterben bei mindestens 10% liegt.
According to Hellman’s numbers, the risk of a person not living out his or her natural life because of nuclear war is at least 10 percent.
Stanford engineer: Chance of nuclear war is greater than you think

Eine tiefere, und sehr lesenswerte, Betrachtung Hellmans findet sich hier:
http://nuclearrisk.org/paper.pdf
Nachdem die Kubakrise mittlerweilen gut ergründet ist, zeigt er anhand des Szenarios „CTMC“ (Cuban Type Missile Crisis) eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für einen nuklearen 3. Weltkrieg.
(PDF-Seite 8-9)

Eine anderer, sehr bemerkenswerter, Aspekt besteht darin, wie die damaligen Akteure selbst die Gefahr des Atomkrieges einschätzten.
...
The last step is to estimate P3, the conditional probability
that the use of a nuclear weapon results in full-scale
nuclear war. Again, we have the difficulty of estimating the
probability of an event that has never happened. While
Kennedy did not specify what he meant by the crisis ending
in war, his evacuation order to the families of White
House staff lends some support to the hypothesis that he
meant full-scale nuclear war. McNamara’s stated fear that
he would not live out the week is also consistent with that
interpretation. In that case, the upper bound of 0.5 for P2
is really an upper bound for the product P2 P3. Again to
avoid being seen as alarmist, this article uses an estimated
range (0.1, 0.5) for P3.
...
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