Wie waren die Germanen des Arminius gesellschaftlich organisiert?

Wir sollten auch bedenken, daß die Ausgangsfrage war, wie die Germanen solche Massen so schnell organisieren konnten. Nun, Manche waren halt gleicher als gleich. Und das reicht vollkommen. ;)
Wie erwähnt, brach die Diskussion hier los, weil die Ansicht vertreten wurde, dass nur ein Adel die Truppen "so schnell" hätte mobilisieren können. Das Anführungszeichen habe ich gesetzt, weil das alles gar nicht so schnell ging. Der Krieg dauerte mehr als 30 Jahre. Wenn man den Beginn bei Drusus setzt. Geht man von Caesar aus, sind es fast 70 Jahre. Ich glaube, irgendwann wussten die Germanen, dass sie im Winter Verabredungen für die Aufstellung größerer Truppenkontingente treffen mussten, weil regelmäßig im Frühjahr die römischen Legionen aufmarschierten. Für die Mobilmachung war dann nicht viel mehr nötig als der gemeinsame Wille und eine Verabredung über Ort, Zeit und Anführer.

Der Verlauf des Krieges, soweit wir ihn den römischen Quellen entnehmen können, zeigt das auch: Anfangs war es mit dem gemeinsamen Willen noch nicht so weit her. Da gab es viele Stämme, die lieber mit den Römern zusammenarbeiteten als sich zu widersetzen. Erst als Germanicus ins Land kam, hatten die Römer die Stämme so weit aufgescheucht, dass fast alle zum Krieg bereit waren.

MfG
 
Ich gehe davon aus, dass solche über die Stammesgrenzen hinausgreifenden Aktionen von Gefolgschaften (kriegerische Zweckgemeinschaften) getragen wurden und dass die Anführer dann gerade NICHT die Sippenoberen gewesen sind, sondern ehrgeizige Leute, die außerhalb der Stammesstruktur Ruhm, Ehre, Reichtum, was auch immer gesucht haben.
wenn aber das Prestige von ahnenstolzen mächtigen Sippenoberhäuptern u.a. auch in ihrer kriegerischen Tapferkeit liegen konnte (vgl. Tacitus über die "nobilitas"), warum sollten solche dann den Oberbefehl bei einem größeren kriegerischen Unternehmen nicht übernommen haben? Das wäre, wenn es zwischen den Sippen herumlaufende Kriegsprofis gegeben hätte, die sich nur durch Krieg/Raub ernährt hätten, einerseits nicht so günstig für das Prestige der großen Oberhäupter gewesen, andererseits muss man davon ausgehen, dass solche fiktiven quasi-Raubritter/Helden eher zu den Feinden der Sippen gehören mussten (je nachdem, bei wem sie raubten oder erpressten) - nein, dass irgendwelche externen Berserker oder prae-Wikinger die Stammesaufgebote anführten, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass allerlei Krieger/Waffenträger aus unbedeutenden Sippen sich als Gefolgschaft den mächtigen Sippen anschlossen.

nehmen wir doch Arminius oder Marbod: nichts weist darauf hin, dass diese solche bindungslosen "Recken" (ein negativ konnotierter Begriff der ma. Epik) gewesen seien - eher zählten sie zur Führungselite mächtiger großer Sippen und trachteten danach, diese Macht und dieses Prestige weiter auszubauen.
 
Zuletzt bearbeitet:
wenn aber das Prestige von ahnenstolzen mächtigen Sippenoberhäuptern u.a. auch in ihrer kriegerischen Tapferkeit liegen konnte (vgl. Tacitus über die "nobilitas"), warum sollten solche dann den Oberbefehl bei einem größeren kriegerischen Unternehmen nicht übernommen haben?
Weil ihre Aufgaben innerhalb der Sippen- und Stammesstruktur lagen. Dies war die Basis ihrer "Macht", besser: ihres Einflusses. Wenn Interessen des ganzen Stammes berührt waren, wurden zweifellos diese Sippenoberhäupter aktiv. Meine Theorie geht ja davon aus, dass die Gefolgschaften in Aktion traten, wenn nicht Stammesinteressen sondern nur Partiklarinteressen berührt waren. Warum hätte ein "Stammeshäuptling" versuchen sollen, den Stamm zu einem Waffengang zu überzeugen, wenn klar war, dass die Mehrheit der Leute gar kein Interesse daran hatte?

Jedenfalls erklärt sich so, warum Tacitus einerseits behauptet, die Germanen seien sippenweise zum Kampf angetreten, andererseits aber für das Gefolgschaftswesen erklärt, dort hätten sich Leute aus verschiedenen Stämmen zusammengetan. So erklärt sich auch, was Tacitus meinte, als er schrieb, nach einer verlorenen Schlacht gegen Germanicus (war das Idistaviso oder Angrivarierwall?) hätten die Stämme sich schon bereit gemacht, das Land zu verlassen, als dann angesichts des römischen Siegesdenkmals "das ganze Volk" zu den Waffen griff.

Übrigens will ich hier nicht wieder so einen Gegensatz aufbauen, wie wir den bezüglich "Adel" hatten. Es kann gut sein, dass innerhalb der Stammesaufgebote auch Gefolgschaften aktiv waren. Dem hoch geachteten Heerführer traue ich ohne weiteres zu, dass er eine Gefolgschaft um sich scharen konnte. Fraglich ist dann allerdings, ob diese Gefolgschaft nach dem Kampf stabil blieb. Wie hätte sie versorgt werden sollen? Aber das hatten wir ja schon...

Das wäre, wenn es zwischen den Sippen herumlaufende Kriegsprofis gegeben hätte, die sich nur durch Krieg/Raub ernährt hätten, einerseits nicht so günstig für das Prestige der großen Oberhäupter gewesen, andererseits muss man davon ausgehen, dass solche fiktiven quasi-Raubritter/Helden eher zu den Feinden der Sippen gehören mussten
Ganz genau. Exakt das führte letztlich zur Auflösung der alten "Klein-Stämme" und zur Formierung von großen Stammesverbänden wie Franken, Sachsen, Alemannen etc. Das führte zum Entstehen eines "Heer-Königtums": Landlose Kriegergruppen von einigen hundert Mann Stärke zogen durchs Land und plünderten, verlangten Tribute, rissen Land an sich. Heiko Steuer, dessen Arbeiten ich im Laufe dieser Diskussion immer mehr zu schätzen gelernt habe, hat in einem seiner Texte zu dem Thema Stellung genommen. Er verweist dabei auf mutmaßliche Opferfunde in südskandinavischen Mooren (unter anderem Nydam), wo offensichtlich komplette Waffenausstattungen ganzer Gefolgschaften rituell niedergelegt wurden. Er meint, das könnte die Ausrüstung von besiegten Gefolgschaften sein, die ins Land eingedrungen sind.

Ein anderer Beleg für eine mögliche Trennung zwischen Stammesaufgeboten und Gefolgschaften ist in den hier schon diskutierten "Königsgräbern" zu sehen. Es handelte sich dabei um Leute, die bewusst ganz anders bestattet wurden als es in den Stämmen üblich war. Keine Verbrennung, sondern Körperbestattungen. Die Gragausstattungen zeigen immer wieder, dass die Zahl "9" eine Rolle gespielt hat: Geschirrausstattungen mit neun Bechern, Tellern etc. Auch bei den Moorfunden ist erkennbar, dass in den Gefolgschaften acht Krieger und ein Anführer eine Gruppe gebildet haben. Parallel zu diesen Königsgräbern gibt es aber immer wieder auch Bestattungen, die ganz nach Stammessitte (Verbrennung und Urne etc) vorgenommen wurden und ebenfalls durch reichere Beigaben andeuten, dass hier Personen von "höherer Bedeutung" beigesetzt worden sind.

je nachdem, bei wem sie raubten oder erpressten
Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb gehe ich ja davon aus, dass der Kontakt zu Rom die Initialzündung zu der Entwicklung war. Nur, wenn die Gefolgschaften auf römischem Gebiet raubten (oder im Auftrag Roms andere Völker ausplünderten) versprach das anständig Beute und führte nicht zwingend zu Konflikten mit der eigenen Gesellschaft.

Während ich das schreibe, kommt mir der Verdacht, dass es möglicherweise von Beginn an ein Spannungsverhältnis zwischen Stammesgesellschaft und Gefolgschaften gegeben hat. Das wälze ich noch ein bisschen in meinem Kopf hin und her. Vielleicht schreibe ich später noch was dazu...

Wahrscheinlicher ist, dass allerlei Krieger/Waffenträger aus unbedeutenden Sippen sich als Gefolgschaft den mächtigen Sippen anschlossen.
Wie wäre es mit unbedeutenden Waffenträgern aus bedeutenden Sippen, die daheim nichts werden konnten und deshalb einem ruhmreichen Mann hinterherliefen, dem es daheim zu langweilig war, der die Mehrheit der Sippenchefs aber nicht zu irgendwelchen Aktionen überreden konnte? Wäre genausogut denkbar.

nehmen wir doch Arminius oder Marbod: nichts weist darauf hin, dass diese solche bindungslosen "Recken" (ein negativ konnotierter Begriff der ma. Epik) gewesen seien - eher zählten sie zur Führungselite mächtiger großer Sippen und trachteten danach, diese Macht und dieses Prestige weiter auszubauen.
Fügen wir noch Ariovist hinzu. Der war auch so ein Typ. Jetzt ist nur die Frage: Wie bedeutend waren die drei Herren, BEVOR sie zu dem wurden, was die Römer so blumig beschreiben? Vielleicht ist Ariovist nach Gallien gezogen, weil er im Suebenland zwar geachtet war, sich aber nicht gegen die anderen Sippenchefs/Häuptlinge/Adeligen (JA, JA, ich habe es TATSÄCHLICH geschrieben! ;)) nicht durchsetzen konnte. Und Marbod: Konnte er das Markomannenreich begründen, weil er so berühmt war oder wurde er erst berühmt, weil er durch expansives Ausgreifen über die Stammesgrenzen hinaus das Reich gründete? Was Arminius betrifft, wissen wir ziemlich genau, dass er in seinem eigenen Stamm nicht genug Rückhalt fand und deshalb eine irgendwie geartete stammesübergreifende Koalition auf die Beine stellen musste, um eine Stellung zu erlangen, die dann irgendwann auch unwillige "Kritiker" wie Segestes und Inguiomer zu den Waffen zwingen konnte. Der Kern des "Aufstands" waren jedenfalls nicht die Cherusker. Oder einer der anderen Stämme. Die wurden am Ende des Tages mitgerissen. Kern des Aufstands könnten die gemischt zusammengesetzten Hilfstruppen der Römer gewesen sein, zu denen Arminius einen bessern Draht hatte als irgendeiner der Stammes-Obermuftis. So gesehen waren diese Hilfstruppen-Einheiten auch so eine Art "Gefolgschaften".

MfG
 
Wie wäre es mit unbedeutenden Waffenträgern aus bedeutenden Sippen, die daheim nichts werden konnten und deshalb einem ruhmreichen Mann hinterherliefen, dem es daheim zu langweilig war, der die Mehrheit der Sippenchefs aber nicht zu irgendwelchen Aktionen überreden konnte? Wäre genausogut denkbar.
das ist ja das Dilemma unserer Diskussion: beide Positionen sind denkbar, für beide lassen sich Quellen und Argumente finden.

Und Marbod: Konnte er das Markomannenreich begründen, weil er so berühmt war oder wurde er erst berühmt, weil er durch expansives Ausgreifen über die Stammesgrenzen hinaus das Reich gründete?
vom Tellerwäscher zum Millionär ist ein amerikanisches Phänomen - vom kleinen Kriegsmann zum Markomannenboss: das wirkt weniger wahrscheinlich; Marbod wird wohl schon zuvor eine herausragende Stellung gehabt haben.
 
das ist ja das Dilemma unserer Diskussion: beide Positionen sind denkbar, für beide lassen sich Quellen und Argumente finden.
Wenn Du jetzt andeuten willst, dass ich die Gegenfrage gestellt habe, um auf dieses Dilemma hinzuweisen, dann liegst Du natürlich völlig daneben. Würde ICH sowas machen? Können DIESE :scheinheilig: Augen lügen? :devil:

vom Tellerwäscher zum Millionär ist ein amerikanisches Phänomen - vom kleinen Kriegsmann zum Markomannenboss: das wirkt weniger wahrscheinlich; Marbod wird wohl schon zuvor eine herausragende Stellung gehabt haben.
War er der einzige, der eine herausragende Stellung hatte? War seine Stellung herausragender als die anderer Leute? Schon klar, das wissen wir alles nicht. Ich vermute aber, dass er NICHT von vornherein ein Alleinherrscher war. Dass er NICHT alle anderen überragt hat. Natürlich glaube auch ich nicht, dass er nur irgendein Tellerwäscher (respektive Speerträger) war. Trotzdem führt uns das zu der logischen Frage: Wieso hat gerade ER den Aufstieg zum "König" geschafft, alle anderen aber nicht? Vielleicht nur deshalb, weil ER es auch VERSUCHT hat, alle anderen aber nicht?

Das ist die Gretchen-Frage unserer ganzen Diskussion: Warum ist es bestimmten Individuen (oder auch Gruppen von Individuen) gelungen, sich eine Vormachtstellung gegenüber allen anderen Individuen zu erarbeiten und diese Vormachtstellung dann auch noch zu tradieren? Wäre ich ein Rösler-Fan, würde ich jetzt sagen: Leistung! Das erklärt aber nichts. Schließlich ist es ja nicht so, dass zuvor in der Stammesgesellschaft nichts geleistet worden wäre.

Übrigens ist Marbod der einzige Germane, dem ich den Status "König" tatsächlich zubilligen würde. Seine Position war unbestreitbar herausragend. Und zwar deshalb, weil sich ihm offenbar auch andere Stämme unterworfen haben. Stämme, die sicher einen eigenen "Adel" (immer im Sinne unserer Diskussion!) hatten. Das war die Basis seiner Macht. Aber: Warum haben sich die anderen Stämme ihm unterworfen/untergeordnet/angeschlossen? Weil er von vornherein so berühmt war oder weil er durch eine besondere, herausragende Tat/Leistung so berühmt geworden ist?

MfG
 
na sowas... :)
Tante Wiki schrieb:
Den inneren Fehden nach dem Tod des Arminius (21 n. Chr.) fiel fast die gesamte Fürstenschicht der Cherusker zum Opfer, sodass sie im Jahre 47 n. Chr. in Rom darum baten, Italicus, den letzten aus dem Geschlecht des Arminius, zum König ernennen zu dürfen. Doch auch dessen Erfolg bei der Befriedung des Stammes war begrenzt.[15] Einer seiner Nachfolger, König Chariomerus, wurde um das Jahr 88 n. Chr. von den Chatten vertrieben und rief Kaiser Domitian vergeblich um Hilfe an.[16]
Cherusker ? Wikipedia
 
noch so ein prekärer Fund, diesmal immerhin mit Demandt:
nochmal Tante Wiki schrieb:
Alexander Demandt hat 1995 staatsrechtliche Aspekte beim Handeln des Arminius diskutiert. Demandt sieht die Geschichte des Arminius als wichtige Phase der Staatsentstehung. Das Handeln des Arminius bezeichnet er als Ansatz zum Verfassungswandel, wobei sich ein locker gefügtes Stammeswesen zu einem dauerhaften dynastischen Stammeskönigtum entwickele. Jedoch ist es weder Arminius noch einem anderen westgermanischen Herrscher gelungen, ein Stammeskönigtum zu begründen. Die Gründe dafür sieht Demandt im Adel, der einerseits die Voraussetzung für die Bildung persönlicher Herrschaft ist, andererseits aber die Verfestigung der Monarchie behinderte – beispielsweise wurde Arminius von Verwandten getötet und das Königtum des Marbod gestürzt. Eine weitere Ursache sieht Demandt in Rom selbst: das Reich habe allgemein Könige unterstützt, wenn diese sich in die römische Klientel fügten, jedoch die Adelsopposition gestärkt, wenn diese zu stark wurden. Demandt bezieht seine Argumentation hier auf die wirtschaftliche und militärische Stärke, welche die Germanen zur Abwehr bewegt habe. Diese Stärke spiegele sich darin, dass Arminius die römische Kriegsschule durchlief und eng mit der römischen Kultur in Berührung kam.[92]
Arminius ? Wikipedia
 
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