wenn aber das Prestige von ahnenstolzen mächtigen Sippenoberhäuptern u.a. auch in ihrer kriegerischen Tapferkeit liegen konnte (vgl. Tacitus über die "nobilitas"), warum sollten solche dann den Oberbefehl bei einem größeren kriegerischen Unternehmen nicht übernommen haben?
Weil ihre Aufgaben innerhalb der Sippen- und Stammesstruktur lagen. Dies war die Basis ihrer "Macht", besser: ihres Einflusses. Wenn Interessen des ganzen Stammes berührt waren, wurden zweifellos diese Sippenoberhäupter aktiv. Meine Theorie geht ja davon aus, dass die Gefolgschaften in Aktion traten, wenn nicht Stammesinteressen sondern nur Partiklarinteressen berührt waren. Warum hätte ein "Stammeshäuptling" versuchen sollen, den Stamm zu einem Waffengang zu überzeugen, wenn klar war, dass die Mehrheit der Leute gar kein Interesse daran hatte?
Jedenfalls erklärt sich so, warum Tacitus einerseits behauptet, die Germanen seien sippenweise zum Kampf angetreten, andererseits aber für das Gefolgschaftswesen erklärt, dort hätten sich Leute aus verschiedenen Stämmen zusammengetan. So erklärt sich auch, was Tacitus meinte, als er schrieb, nach einer verlorenen Schlacht gegen Germanicus (war das Idistaviso oder Angrivarierwall?) hätten die Stämme sich schon bereit gemacht, das Land zu verlassen, als dann angesichts des römischen Siegesdenkmals "das ganze Volk" zu den Waffen griff.
Übrigens will ich hier nicht wieder so einen Gegensatz aufbauen, wie wir den bezüglich "Adel" hatten. Es kann gut sein, dass innerhalb der Stammesaufgebote auch Gefolgschaften aktiv waren. Dem hoch geachteten Heerführer traue ich ohne weiteres zu, dass er eine Gefolgschaft um sich scharen konnte. Fraglich ist dann allerdings, ob diese Gefolgschaft nach dem Kampf stabil blieb. Wie hätte sie versorgt werden sollen? Aber das hatten wir ja schon...
Das wäre, wenn es zwischen den Sippen herumlaufende Kriegsprofis gegeben hätte, die sich nur durch Krieg/Raub ernährt hätten, einerseits nicht so günstig für das Prestige der großen Oberhäupter gewesen, andererseits muss man davon ausgehen, dass solche fiktiven quasi-Raubritter/Helden eher zu den Feinden der Sippen gehören mussten
Ganz genau. Exakt das führte letztlich zur Auflösung der alten "Klein-Stämme" und zur Formierung von großen Stammesverbänden wie Franken, Sachsen, Alemannen etc. Das führte zum Entstehen eines "Heer-Königtums": Landlose Kriegergruppen von einigen hundert Mann Stärke zogen durchs Land und plünderten, verlangten Tribute, rissen Land an sich. Heiko Steuer, dessen Arbeiten ich im Laufe dieser Diskussion immer mehr zu schätzen gelernt habe, hat in einem seiner Texte zu dem Thema Stellung genommen. Er verweist dabei auf mutmaßliche Opferfunde in südskandinavischen Mooren (unter anderem Nydam), wo offensichtlich komplette Waffenausstattungen ganzer Gefolgschaften rituell niedergelegt wurden. Er meint, das könnte die Ausrüstung von besiegten Gefolgschaften sein, die ins Land eingedrungen sind.
Ein anderer Beleg für eine mögliche Trennung zwischen Stammesaufgeboten und Gefolgschaften ist in den hier schon diskutierten "Königsgräbern" zu sehen. Es handelte sich dabei um Leute, die bewusst ganz anders bestattet wurden als es in den Stämmen üblich war. Keine Verbrennung, sondern Körperbestattungen. Die Gragausstattungen zeigen immer wieder, dass die Zahl "9" eine Rolle gespielt hat: Geschirrausstattungen mit neun Bechern, Tellern etc. Auch bei den Moorfunden ist erkennbar, dass in den Gefolgschaften acht Krieger und ein Anführer eine Gruppe gebildet haben. Parallel zu diesen Königsgräbern gibt es aber immer wieder auch Bestattungen, die ganz nach Stammessitte (Verbrennung und Urne etc) vorgenommen wurden und ebenfalls durch reichere Beigaben andeuten, dass hier Personen von "höherer Bedeutung" beigesetzt worden sind.
je nachdem, bei wem sie raubten oder erpressten
Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb gehe ich ja davon aus, dass der Kontakt zu Rom die Initialzündung zu der Entwicklung war. Nur, wenn die Gefolgschaften auf römischem Gebiet raubten (oder im Auftrag Roms andere Völker ausplünderten) versprach das anständig Beute und führte nicht zwingend zu Konflikten mit der eigenen Gesellschaft.
Während ich das schreibe, kommt mir der Verdacht, dass es möglicherweise von Beginn an ein Spannungsverhältnis zwischen Stammesgesellschaft und Gefolgschaften gegeben hat. Das wälze ich noch ein bisschen in meinem Kopf hin und her. Vielleicht schreibe ich später noch was dazu...
Wahrscheinlicher ist, dass allerlei Krieger/Waffenträger aus unbedeutenden Sippen sich als Gefolgschaft den mächtigen Sippen anschlossen.
Wie wäre es mit unbedeutenden Waffenträgern aus bedeutenden Sippen, die daheim nichts werden konnten und deshalb einem ruhmreichen Mann hinterherliefen, dem es daheim zu langweilig war, der die Mehrheit der Sippenchefs aber nicht zu irgendwelchen Aktionen überreden konnte? Wäre genausogut denkbar.
nehmen wir doch Arminius oder Marbod: nichts weist darauf hin, dass diese solche bindungslosen "Recken" (ein negativ konnotierter Begriff der ma. Epik) gewesen seien - eher zählten sie zur Führungselite mächtiger großer Sippen und trachteten danach, diese Macht und dieses Prestige weiter auszubauen.
Fügen wir noch Ariovist hinzu. Der war auch so ein Typ. Jetzt ist nur die Frage: Wie bedeutend waren die drei Herren, BEVOR sie zu dem wurden, was die Römer so blumig beschreiben? Vielleicht ist Ariovist nach Gallien gezogen, weil er im Suebenland zwar geachtet war, sich aber nicht gegen die anderen Sippenchefs/Häuptlinge/Adeligen (JA, JA, ich habe es TATSÄCHLICH geschrieben!
) nicht durchsetzen konnte. Und Marbod: Konnte er das Markomannenreich begründen, weil er so berühmt war oder wurde er erst berühmt, weil er durch expansives Ausgreifen über die Stammesgrenzen hinaus das Reich gründete? Was Arminius betrifft, wissen wir ziemlich genau, dass er in seinem eigenen Stamm nicht genug Rückhalt fand und deshalb eine irgendwie geartete stammesübergreifende Koalition auf die Beine stellen musste, um eine Stellung zu erlangen, die dann irgendwann auch unwillige "Kritiker" wie Segestes und Inguiomer zu den Waffen zwingen konnte. Der Kern des "Aufstands" waren jedenfalls nicht die Cherusker. Oder einer der anderen Stämme. Die wurden am Ende des Tages mitgerissen. Kern des Aufstands könnten die gemischt zusammengesetzten Hilfstruppen der Römer gewesen sein, zu denen Arminius einen bessern Draht hatte als irgendeiner der Stammes-Obermuftis. So gesehen waren diese Hilfstruppen-Einheiten auch so eine Art "Gefolgschaften".
MfG