Wie wurden früher Grenzen gelebt?

H

H. Carlsson

Gast
Wie war das Leben an/ mit einer Grenze im 17-19. Jhdt? Zum Beispiel zwischen Mecklenburg und Vorpommern oder Dänemark/ Hamburg. Klar, Händler mussten Zoll zahlen. Aber wie war der Wechsel von einem Staat zum anderen für den normalen Bürger? Von einem Dorf zum anderen?
Wie beeinflusste die Grenze das tägliche Leben? Auch sprachlich? Als Vorpommern zu Schweden gehörte sprachen die Leute ja nicht schwedisch, genausowenig wahrscheinlich dänisch in Holstein...
Habe über das Thema noch nichts zu lesen gefunden, leider.
Freundliche Grüße,
H. Carlsson
 
Wie war das Leben an/ mit einer Grenze im 17-19. Jhdt? Zum Beispiel zwischen Mecklenburg und Vorpommern oder Dänemark/ Hamburg. Klar, Händler mussten Zoll zahlen. Aber wie war der Wechsel von einem Staat zum anderen für den normalen Bürger? Von einem Dorf zum anderen?
Wie beeinflusste die Grenze das tägliche Leben? Auch sprachlich? Als Vorpommern zu Schweden gehörte sprachen die Leute ja nicht schwedisch, genausowenig wahrscheinlich dänisch in Holstein...
Habe über das Thema noch nichts zu lesen gefunden, leider.
Freundliche Grüße,
H. Carlsson

Ich denke, das hier könnte interessant für dich sein:

Arthur E. Imhof, "Die verlorenen Welten Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren- und weshalb wir uns heute so schwer damit tun Beck München 1984 ISBN 3 40630270X.

Imhof beschreibt die "kleinen Welten" des Johannes Hoos aus Leimbach in der Landgrafschaft Hessen- Kassel. Hoos, der ein geradezu biblisches Alter von über 80 erreichte, wuchs in einer Region in Mittelhessen auf, die man die Schwalm nennt. Der weitaus größere Teil gehörte zu Hessen Kassel, einige Dörfer aber zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Eingestreut lagen einige Kurmainzische Besitzungen, und einige Dörfer waren den Freiherren von Schwertzell abgabepflichtig. Hessen Kassel war reformiert, Hessen- Darmstadt lutherisch. Die Bewohner der Dörfer Schrecksbach und Röllshausen sprachen den gleichen Dialekt, verehrten aber Gott mit anderen Ritualen. Freundschaften und Heiratskreise wurden weniger von der politischen und religiösen Grenze, als von wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten berührt.
 
Grenzen wurden erstaunlich rigoros überwacht, auch wenn das schwierig war. Es gab ja kaum eine geschlossene Staatlichkeit wie heute. In einem Dorf hatte der eine die hohe Gerichtsbarkeit inne, aber ein anderer meinetwegen das Geleitrecht auf der dazu gehörigen Straße, ein Dritter hatte die meisten Untertanen in dem Dorf (aber dennoch nicht die hohe Gerichtsbarkeit), die Kirche gehörte vom Patronat noch zu einem Vierten... So sah das in vielen Fällen aus. Nichts war so umkämpft wie die Grenzen. Auch wenn es illusorisch war diese mit Mauern und Grenzposten wirklich zu besetzen, so wurden doch enorme Anstrengungen unternommen. V.a. Landwehren wurden bis weit ins 18.Jh. hinein zur Grenzsicherung verwendet. Im Ernstfall konnte wirklich bei Aufbietung einheimischer Kräfte (Landmiliz oder sowas) versucht werden, die Grenzen "dicht" zu machen.

Ganz wichtig waren Papiere - Ausweispapiere. Wie sagte mal ein höchst fähiger Archivar zu mir(?): "Das 18.Jahrhundert war die Blüte der Bürokratie". Personenbeschreibungen und detailiertere Pässe waren zwar seltener, richtig tief gingen in der Hinsicht nach meiner Erfahrung erst die Pässe von um 1790/1800, aber es wurde schon recht viel zur Authentifizierung der Pässe getan: sprich Siegel etc.. Auf dem eigenen Territorium konnte man recht frei reisen, aber wenn man die Grenze überschritt, musste man jederzeit damit rechnen, dass man von Schultheißen, Amtmännern und Vorformen der Streifenpolizisten (Büttel, Grabenreiter ...) sowie Militär (v.a. Dragoner oder Husaren) angehalten und kontrolliert wurde. Wenn man unbekannt war und sich nicht ausweisen konnte, so konnte es einem schon manchmal arg ergehen, denn man wurde leicht verdächtigt, ein herumziegender Gauner, Deserteur oder schlimmeres zu sein.

Literaturtipp:
Patrick Oelze: "Am Rande der Stadt – Grenzkonflikte und herrschaftliche Integration im Umland von Schwäbisch Hall" in: P. Schmidt, H. Carl (Hrsg.): "Stadtgemeinde und Ständegesellschaft..." LIT-Verlag, Berlin, 2007
 
Grenzen wurden erstaunlich rigoros überwacht, auch wenn das schwierig war. Es gab ja kaum eine geschlossene Staatlichkeit wie heute. In einem Dorf hatte der eine die hohe Gerichtsbarkeit inne, aber ein anderer meinetwegen das Geleitrecht auf der dazu gehörigen Straße, ein Dritter hatte die meisten Untertanen in dem Dorf (aber dennoch nicht die hohe Gerichtsbarkeit), die Kirche gehörte vom Patronat noch zu einem Vierten... So sah das in vielen Fällen aus. Nichts war so umkämpft wie die Grenzen. Auch wenn es illusorisch war diese mit Mauern und Grenzposten wirklich zu besetzen, so wurden doch enorme Anstrengungen unternommen. V.a. Landwehren wurden bis weit ins 18.Jh. hinein zur Grenzsicherung verwendet. Im Ernstfall konnte wirklich bei Aufbietung einheimischer Kräfte (Landmiliz oder sowas) versucht werden, die Grenzen "dicht" zu machen.

Ganz wichtig waren Papiere - Ausweispapiere. Wie sagte mal ein höchst fähiger Archivar zu mir(?): "Das 18.Jahrhundert war die Blüte der Bürokratie". Personenbeschreibungen und detailiertere Pässe waren zwar seltener, richtig tief gingen in der Hinsicht nach meiner Erfahrung erst die Pässe von um 1790/1800, aber es wurde schon recht viel zur Authentifizierung der Pässe getan: sprich Siegel etc.. Auf dem eigenen Territorium konnte man recht frei reisen, aber wenn man die Grenze überschritt, musste man jederzeit damit rechnen, dass man von Schultheißen, Amtmännern und Vorformen der Streifenpolizisten (Büttel, Grabenreiter ...) sowie Militär (v.a. Dragoner oder Husaren) angehalten und kontrolliert wurde. Wenn man unbekannt war und sich nicht ausweisen konnte, so konnte es einem schon manchmal arg ergehen, denn man wurde leicht verdächtigt, ein herumziegender Gauner, Deserteur oder schlimmeres zu sein.

Literaturtipp:
Patrick Oelze: "Am Rande der Stadt – Grenzkonflikte und herrschaftliche Integration im Umland von Schwäbisch Hall" in: P. Schmidt, H. Carl (Hrsg.): "Stadtgemeinde und Ständegesellschaft..." LIT-Verlag, Berlin, 2007


Die grenzübergreifende Verfolgung von Räubern und Gaunern scheiterte ja immer wieder daran, dass Territorialherren auf ihre staatliche Souveränität pochten. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Heiligen Römischen Reichs geschrumpft, doch Reisende mussten noch immer eine Menge grenzen passieren und dabei mit Zollkontrollen rechnen.

Heinrich Heine der im "traurigen Monat November" aus dem Exil in Paris nach Deutschland hinüber reiste, beschreibt in "Deutschland ein Wintermärchen" preußisches Militär sein Gepäck durchsuchten und nach Spitzen, Bijouterien (Schmuck), Spitzen und verbotenen Büchern suchten.

In Thomas Manns Buddenbrooks gibt der alte Konsul Johann Buddenbrook II. seinem Schwiegersohn Bendix Grünlich folgenden Rat:

"..Un Grünlich" sagte der Konsul, "die neuen Spitzen liegen in der kleineren Handtasche zuoberst. Sie nehmen sie vor Hamburg ein bisschen unter den Paletot (Mantel), wie? Diese Akzise (Zoll)...man muss das nach Möglichkeit umgehen. Leben Sie wohl.."
 
Grenzen wurden erstaunlich rigoros überwacht, auch wenn das schwierig war. Es gab ja kaum eine geschlossene Staatlichkeit wie heute. In einem Dorf hatte der eine die hohe Gerichtsbarkeit inne, aber ein anderer meinetwegen das Geleitrecht auf der dazu gehörigen Straße, ein Dritter hatte die meisten Untertanen in dem Dorf (aber dennoch nicht die hohe Gerichtsbarkeit), die Kirche gehörte vom Patronat noch zu einem Vierten... So sah das in vielen Fällen aus. Nichts war so umkämpft wie die Grenzen. Auch wenn es illusorisch war diese mit Mauern und Grenzposten wirklich zu besetzen, so wurden doch enorme Anstrengungen unternommen. V.a. Landwehren wurden bis weit ins 18.Jh. hinein zur Grenzsicherung verwendet. Im Ernstfall konnte wirklich bei Aufbietung einheimischer Kräfte (Landmiliz oder sowas) versucht werden, die Grenzen "dicht" zu machen.

Ganz wichtig waren Papiere - Ausweispapiere. Wie sagte mal ein höchst fähiger Archivar zu mir(?): "Das 18.Jahrhundert war die Blüte der Bürokratie". Personenbeschreibungen und detailiertere Pässe waren zwar seltener, richtig tief gingen in der Hinsicht nach meiner Erfahrung erst die Pässe von um 1790/1800, aber es wurde schon recht viel zur Authentifizierung der Pässe getan: sprich Siegel etc.. Auf dem eigenen Territorium konnte man recht frei reisen, aber wenn man die Grenze überschritt, musste man jederzeit damit rechnen, dass man von Schultheißen, Amtmännern und Vorformen der Streifenpolizisten (Büttel, Grabenreiter ...) sowie Militär (v.a. Dragoner oder Husaren) angehalten und kontrolliert wurde. Wenn man unbekannt war und sich nicht ausweisen konnte, so konnte es einem schon manchmal arg ergehen, denn man wurde leicht verdächtigt, ein herumziegender Gauner, Deserteur oder schlimmeres zu sein.

Literaturtipp:
Patrick Oelze: "Am Rande der Stadt – Grenzkonflikte und herrschaftliche Integration im Umland von Schwäbisch Hall" in: P. Schmidt, H. Carl (Hrsg.): "Stadtgemeinde und Ständegesellschaft..." LIT-Verlag, Berlin, 2007

Ich wollte dich gestern schon fragen, ob du aus deiner Erfahrung mit zeitgenössischen Quellen Beispiele dafür gefunden hast, dass benachbarte Staaten sich über die Auslieferung von Deserteuren verständigten.

Bei Vaganten und Gaunern wurde eine mögliche Zusammenarbeit bei der Fahndung und Festnahme oft dadurch unterwandert, dass unerwünschte Bettler und Gauner, die für ihren Aufenthalt nicht bezahlen konnten, in benachbarte Territorien abgeschoben wurde, womit man dem Nachbarn die damit verbundenen sozialen Probleme zuschob.
Nach meiner Erfahrung mit Archivalien und Quellen habe ich den Eindruck, dass viele Behörden im 18. Jahrhundert an Deserteuren ein noch größeres Interesse hatten, als an Räubern und Gaunern, die ihre (Un)taten in benachbarten Territorien begangen hatten.
Manche Gauner entwickelten trotz drakonischer Strafen geradezu eine "Deserteur- Masche". Ein fränkischer Gauner hatte, ehe er schließlich doch einmal gefasst und exekutiert wurde, sich 9 mal als Dragoner anwerben lassen. Jedesmal hatte er nicht nur das Handgeld eingestrichen und die Montur mitgenommen, sondern auch das Pferd.
 
Ich wollte dich gestern schon fragen, ob du aus deiner Erfahrung mit zeitgenössischen Quellen Beispiele dafür gefunden hast, dass benachbarte Staaten sich über die Auslieferung von Deserteuren verständigten.

Bei Vaganten und Gaunern wurde eine mögliche Zusammenarbeit bei der Fahndung und Festnahme oft dadurch unterwandert, dass unerwünschte Bettler und Gauner, die für ihren Aufenthalt nicht bezahlen konnten, in benachbarte Territorien abgeschoben wurde, womit man dem Nachbarn die damit verbundenen sozialen Probleme zuschob.
Bei der Vorbereitung der Veranstaltung letztes Jahr im Freilandmuseum Wackershofen mit dem Titel "Anno Domini 1763 - Endlich Frieden" bin ich in einer handschriftlichen Chronik darauf gestoßen, dass Württemberg erfolgreich mit Schwäbisch Hall die Fahndung nach württembergischen Deserteuren vereinbarte. Hällische Amtmänner etc. wurden ausdrücklich zur Mithilfe heran gezogen. Es klang mir so, als wäre diese Abmachung nicht die erste dieser Art.

Es gab mal einen Artikel in einer Essaysammlung, wo es darum ging, dass offenbar zumindest alle hohenlohischen Linien bei der Verfolgung von "Jaunern" zusammen arbeiteten. Den Titel des Buches müsste ich mal raussuchen, würde ich Dir dann per PN schicken.

Es gab auf jeden Fall großangelegte sogenannte "Generalstreifen", wo dann regional auch über die Landesgrenzen hinweg die Fahndung nach Tätern unternommen wurde.

Problematischer scheint mir generell die Verfolgung von mutmaßlichen Verbrechern gewesen zu sein, wo dies ad hoc direkt im Anschluss an eine Tat geschah. Dann wurde diese "Streife" oftmals an der Grenze behindert. Das scheint mir zumindest im Fränkischen aber weniger dadurch begründet, dass es generell usus war, dass sich die Behörden ein Bein stellten, sondern dass sich das bisweilen hochschaukelte. Heißt: ein etwas weniger einsichtiger Schultheiß X hat einmal die Verfolger des Nachbarn zurückgewiesen. Dafür fahren dann die Nachbarn eine Retourkutsche und beschließen künftig auch ebenso zu verfahren.

Außerdem ging es bei der Verfolgung von Straftätern auch oftmals darum, dass diese "Verfolgung" nur zum Vorwand diente, die viel wichtigere Gerichtsbarkeit per Präjudizfall über die bisherigen Grenzen auszubreiten.

Was anderes scheinen generell Ausbrüche von Häftlingen gewesen zu sein. Da habe ich im Archiv und anderswo einige Steckbriefe gesehen, die zeigen, dass man grenzübergreifend zusammen arbeitete. Das mag aber auch daran gelegen haben, dass man ja auch generell beim Betreiben der Gefängnisbauten, Galeerenstrafen, Zwangsarbeit an Kreisfestungen für Verurteilte zusammen wirkte, sonst hätte ja damals garnichts funktioniert.

In dem einen Buch, das hier auch schon zitiert habe, "Leben in der Residenz"*, kommt auch ein Fall vor, wo ein preußischer Werbeoffizier 2 rudolstädtische Deserteure zufällig anwirbt und diese, als er von dem Fehler erfährt, dann umgehend an den Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt wieder ausliefert. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass Schwarzburg-Rudolstadt und Preußen trotz der preußischen Plünderungen im Schwarzburgischen im 7-jährigen Krieg ausgezeichnete Beziehungen zueinander pflegten, die sogar seitens Friedrich II. von einem gewissen Respekt gekennzeichnet waren. Ich glaube, mich entsinnen zu können, dass dann ein paar rudolstädtische Prinzen den preuß. Offizier dann auch noch ein bisschen auf die Schippe nehmen wollten, als er bei Hofe in Rudolstadt vorstellig wurde.*
Über lange Zeit war auch ein preußischer Werbeoffizier in einer schwarzburgisch-rudolstädtischen Stadt einquartiert.

* Horst Fleischer: "Vom Leben in der Residenz - Rudolstadt 1646-1816" Thüringisches Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt, 1996
 
Zurück
Oben