Wiener Kongress

Das Buch liegt mir noch nicht vor, aus der Voransicht eines großen Onlinebuchhändlers wird deutlich, dass der Restaurationsbegriff erneut infrage gestellt wird:
"Die Verwendung des Begriffs "Restauration" als Epochenbezeichnung
für die europäische Geschichte zwischen 1814/15 und 1848 "steckt voller Schwierigkeiten und ist nicht zu empfehlen. [...]
Eine vollständige Wiederherstellung der alten, vorrevolutionären Ordnung wurde weder durchgeführt noch überhaupt angestrebt.

Diese Einleitung macht mich stutzig. Der Hintergrund ist, dass ich die Diskussion über die angebliche Ablösung des "Absolutismus"-Begriffs durch den "Barock"-Begriff als Beschreibung des Zeitalters als "künstliches", überwiegend deutsches Phänomen betrachtet habe.

Letzlich ist es doch "scheissegal", wie eine Epoche bezeichnet ist, da die historische Rekonstruktion relevanter ist.

In diesem Sinne war die post-napoleonische Phase, soweit ich die Zeit inhaltlich durchdrungen habe, sehr stark durch das Zurückdrängen der Elemente der Aufklärung gekennzeichnet. Somit wollte man schon politische Strukturen restaurieren, die vor der französischen Revolution in Kontinental-Europa die Norm waren.

Und es erscheint mir als eine Unterstellung für den Begriff der "Restauration", dass damit automatisch eine "vollständige" Restauration anzustreben war. Das war schon deswegen nicht möglich, da in der Zwischenzeit die "Moderne" angebrochen war mit ihrer "zweckrationalen Sicht", ihrer neuen kapitalistischen Wirtschaftsstruktur und der Präferenz für effiziente Verwaltungsstrukturen und der damit zusammenhängenden auf fachlicher Kompetenz aufbauenden Bürokratie.

Dann kann man ja sehr gespannt sein, welcher Begriff, statt der "Restauration" in Zukunft weltweit durchgesetzt werden soll. Ähnlich wie bei dem Ersetzen des "Absolutismus" vermutlich eine Vergeudung von Energie.

Oder sollte es am Ende nur der Versuch sein, akademisch auf sich aufmerksam zu machen?:grübel:
 
Und es erscheint mir als eine Unterstellung für den Begriff der "Restauration", dass damit automatisch eine "vollständige" Restauration anzustreben war. Das war schon deswegen nicht möglich, da in der Zwischenzeit die "Moderne" angebrochen war mit ihrer "zweckrationalen Sicht", ihrer neuen kapitalistischen Wirtschaftsstruktur und der Präferenz für effiziente Verwaltungsstrukturen und der damit zusammenhängenden auf fachlicher Kompetenz aufbauenden Bürokratie.
Das sehe ich genauso. Nur ist es wohl so, dass der Begriff "Restauration" eher negativ besetzt war/ist und als Gegenteil von Revolution verstanden wird (auch hier im Forum zu beobachten).
Daher waren Untersuchungen notwendig. Zum Beispiel schreibt Volker Sellin 2001:
"Es scheint viel dafür zu sprechen, Restauration nicht als das Gegenteil von Revolution aufzufassen, sondern angesichts ihrer in Frankreich, in Preußen und anderswo zu beobachtenden fortschrittlichen Elemente als eine Revolution von oben zu verstehen." [1]
Dann kann man ja sehr gespannt sein, welcher Begriff, statt der "Restauration" in Zukunft weltweit durchgesetzt werden soll. Ähnlich wie bei dem Ersetzen des "Absolutismus" vermutlich eine Vergeudung von Energie.

Oder sollte es am Ende nur der Versuch sein, akademisch auf sich aufmerksam zu machen?:grübel:
Insgesamt verstehe ich die aktuellen Wertungen so, dass das lange geltende Schwarz/Weiß-Bild zwischen Revolution und Restauration aufgebrochen wird. Ob am Ende ein anderer Begriff Einzug hält ist dabei zweitranging.

Da ich nicht im Wissenschaftsbetrieb tätig bin, enthalte ich mich einer Wertung.

Grüße
excideuil

[1] Sellin, Volker: Die geraubte Revolution – Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2001, Seite 18
 
In einem anderen Thread wies ich auf diese Ausstellung hin:
An einem Samstag haben meine Frau und ich es dann geschafft, sowohl die Ausstellung als auch das Gelände mit Klosterkirche zu besuchen.
Die Ausstellung ist auch Ziel von Reiseunternehmen, 4 Busse auf dem Parkplatz zeugten davon.

Insgesamt eine übersichtliche Ausstellung mit wirklich hochkarätigen Ausstellungsstücken.

Recht ungemütlich war, dass es recht voll war und zudem etliche Führungen gleichzeitig stattfanden. Ärgerlich zahlreiche Rucksack-Touristen, die den Bewegungsradius ihres aufgeschnallten Rucksackes nicht genügend kalkulierten.

Mich interessierte natürlich besonders die napoleonische Zeit und der Wiener Kongress, wollte aber auch einige Exponate fotografien.
"Junger Mann, fotografieren ist hier aber verboten!", wurde ich schnell abgemahnt ...

Stellvertretend seien die ausgestellten Orginalverträge von Posen (1806) und Tilsit (1897), oder die Bildnisse Hardenbergs, Funcks oder Napoleon mit Friedrich August I. im Ostragehege genannt.

Zum Wiener Kongress ragten einige wunderbare Karikaturen (erstaunlich die noch nach 200 Jahren erhalten gebliebene Brillianz der Farben!), ein 77x100 cm großer Kupferstich der Delegierten und natürlich eine aufgeschlagene Schlussakte (österreichische Ausgabe - Replik) heraus.

Leihgeber der Karikaturen ist die Uni-Bibliothek Dresden; sie dürften damit aus der Sammlung stammen, die der Talleyrand-Sammler und Autor Ernst Eberhard der Bibliothek 2004 übereignet hat. Schön, dass sie so einem breiten Publikum zugänglich werden.

In den Mittelpunkt wurde ein Tisch (H: 77 cm, Dm 178,6 cm) gerückt. Eigens für diese Ausstellung wurde er aus Valençay herangeschafft. Laut einer mündlichen Überlieferung wurde die Schlussakte an diesem Tisch unterzeichnet.
Hier ein Bild aus dem Schloss:
http://p5.storage.canalblog.com/57/40/263093/66094753.jpg
Der Überlieferung nach hat der Fürst diesen Tisch von der "Stätte seines diplomatischen Triumpfes" nach
Valençay überführen lassen.
Ob das so stimmt? Ich weiß es nicht. Bekannt hingegen ist, dass schon einmal ein Tisch vom Wiener Kongress in den Besitz Talleyrands gelangt sein soll. So heißt es in einem Artikel von 1936 über das Schloss Sagan [1]: " ... und im Familiensaale blickt, von Meister Gérards Hand gemalt, mit kalten Augen und überlegenem Lächeln Fürst Talleyrand, [...] Er lehnt die Hand lässig auf den Tisch, an dem der Wiener Kongress unterzeichnet worden war, und jener Tisch steht im Original unter dem Bild." [1] Übersehen hat der Autor, dass Gérard das Bild lange (1808) vor dem Wiener Kongress gemalt hat ...:
A Portrait of Talleyrand by François Gérard Joins the Metropolitan Museum - The Art Tribune

Genug zu Möbeln, zurück zur Ausstellung.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog. Über 540 großformatige Seiten mit fast allen abgebildeten Exponaten. Dazu über 30 Aufsätzen mit weiteren Abb. zu den Themen.
So z.B. Reinhard Stauber über die Arbeit der Statistischen Kommision auf dem WK. Quasi als Ergänzung seines Buches zum WK - auf das ich w.o. schon Bezug nahm -, zumal der Artikel das Thema im Buch vertieft.
So wird deutlich, dass die Anregung Talleyrands, dass bei der Erhebung der Bevölkerungszahlen nicht nur die Quantität betrachtet werden dürfe, sondern auch die Qualität bei Metternich und auch Castelereagh Zustimmung fanden, "doch für eine Umsetzung in die Praxis, noch dazu unter Zeitdruck, fehlten den Statistikern Bewertungsstandards und Materialien. So blieben mögliche Gewichtungsfaktoren wie Reichtum der Bevölkerung oder Bodenqualität der betroffenen Gebiete ausgeklammert, und erhoben wurden reine Bevölkerungszahlen, die als Indikator für zu erwartende Staatseinnahmen qua Steuerleistungen galten." [2]

Ingesamt ein - für mich - lohnender Besuch.

Grüße
excideuil

[
1] Glaeser, Edmund: Schloss Sagan; in Atlantis, Heft 3, März 1936, Seite 132
[2] Reinhard Stauber: Legitimität oder Länderschacher? Zur Arbeit der Statistischen Kommission auf dem Wiener Kongress 1814/15, in:
Göse, Frank; Müller, Winfried; Winkler, Kurt; Ziesak, Anne-Katrin (Hrsg.): Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft, Sandstein Verlag, Dresden, 2014, Seite 384
 
Zuletzt bearbeitet:
Dass das Thema Wiener Kongress noch einige neue Aspekte bietet, beweist dieses jetzt erhältliche Buch:
Thierry Lentz: 1815 Der Wiener Kongress und die Neugründung Europas (1. Sep., 432 Seiten, 24,99 Euro)
Der Autor ist Direktor der Fondation Napoléon in Paris. Natürlich war ich gespannt, was ein Franzose zu der wohl immer umstrittenen Person des Fürsten Talleyrand zu schreiben hat. Angemerkt sei dabei, dass in der Danksagung des Autors zwei bekannte Namen erscheinen: Emmanuel de Waresquiel, Autor umfangreicher Bücher zu Talleyrand und Pierre Combaluzier, ein Kenner, der auf seiner HP Unmengen von Material zu Talleyrand bereitstellt.

Nur ein Beispiel im Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen Österreich, Frankreich und England vom 3. Jänner 1815. Talleyrand hatte - und das war mir auch neu - darum gebeten, einen Militär nach Wien zu entsenden. Seiner Bitte wurde entsprochen und General Ricard entsandt, der sich einem "Militärkomitee" um Graf Radetzky und Fürst Wrede anschloss. Er schindete mit Sachkenntnis Eindruck und verkündete auf Weisung Talleyrands in Salons etc., dass Frankreich durchaus über eine Armee von 200000 Mann gebiete, was natürlich dick aufgetragen war und das wussten nicht nur Talleyrand und Ricard.

Talleyrands taktischer Kunstgriff wurde dann später von einem Historiker so gewertet:
"Diese Neuigkeit [der 200000 inter Waffen stehenden Soldaten] sorgte für großes Aufsehen; man wunderte sich, dass Frankreich nach dem Abbau der kaiserlichen Armee imstande war, eine derart imposante Streitmacht aufzustellen, und dachte sich im selbem Atemzug, dass es nicht nur ein nützlicher Verbündeter, sondern auch ein angsteinflößender Gegner sein könnte." [Seiten 192/93; vergl. [1]]

Dazu Lentz:
"Das hieße, Ricard und Talleyrand hätten den Bogen überspannt und damit die vorteilhafte Position, die Frankreich sich verschafft hatte, wieder verspielt. Diese Interpretation geht aber wohl zu weit. Eher sollte man sie unter jenen Klagegesängen verbuchen, die die meisten napoleonischen Historiker bei jedem sich bietenden Anlass über den "hinkenden Teufel" anstimmen." [Seite 193] Man beachte, Lentz schreibt diesen Satz in der Gegenwart!)
Die Stelle hat mich übrigens zum Lachen gereizt, was zu erstaunten Blicken meiner Frau führte. Ja, Geschichte, besser ihre Darstellung und Deutung führt gelegentlich zu Heiterkeitsausbrüchen. Besser ist das!

Insgesamt ein rundes Buch mit vielen auch für mich neuen Details.

Auch, ja, es sei noch daran erinnert, dass vor 200 Jahren der Kongress langsam begann. Am 22. September 1814 trafen sich die 4 verbündeten Mächte das erste Mal, um die "Marschroute" für den Kongress festzulegen.

Grüße
excideuil

[1] Sirtema de Grovestins, baron, Le Congrès de Vienne en 1814 et 1815, et le Congrès de Paris en 1856, Paris 1856, Seite 107
 
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