Wikinger - Betrachtungweisen, Perspektiven, Definitionen

dekumatland

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Mich erstaunen ein paar Details sowie die grundlegende Unterteilung aus folgendem Artikelbeginn (unterstrichen markiert):
Der Begriff Wikinger bezeichnet Angehörige von kriegerischen, zur See fahrenden Personengruppen der meist germanischen Völker (es gab darunter auch Balten[1]) des Nord- und Ostseeraumes während der Wikingerzeit (800-1050 n. Chr.) Dieser Artikel behandelt die Menschen, die von ihren Zeitgenossen als Wikinger bezeichnet wurden. Die Ereignisgeschichte im Zusammenhang mit den Wikingern wird im Artikel Wikingerzeit behandelt.
In der zeitgenössischen Wahrnehmung stellten die Wikinger nur einen sehr kleinen Teil der skandinavischen Bevölkerung dar. Dabei können zwei Gruppen unterschieden werden: Die einen betrieben den ufernahen Raub zeitweise und nur in einem frühen Lebensabschnitt. Es waren junge Männer, die aus der heimatlichen Gebundenheit ausbrachen und Ruhm, Reichtum und Abenteuer in der Ferne suchten. Später ließen sie sich wie ihre Vorfahren nieder und betrieben die in ihrer Gegend übliche Wirtschaft. Von ihnen berichten die Sagas (Altnordische Literatur) und die Runensteine. Für die anderen wurde der ufernahe Raub zum Lebensinhalt. Ihnen begegnet man in den fränkischen und angelsächsischen Annalen und Chroniken. Sie kehrten bald nicht mehr in die Heimat zurück und waren in die heimatliche Gesellschaft nicht mehr integrierbar. Sie wurden dort als Verbrecher bekämpft.
Es handelt sich um den Beginn des Artikel "Wikinger" in Wikipedia Wikinger ? Wikipedia


Natürlich ändern sich Wiki-Artikel, da teilweise recht viele Autoren am Erarbeiten eines irgendwann endgültigen Artikels befasst sind (so ist auch hier die Versionsgeschichte des Artikels eine von permanenten Änderungen und Erweiterungen)


was mich nun wundert:
1.
Das Detail der ersten Fußnote: es wird verwiesen auf Askeberg S.120 (1944 - nicht eben die neueste Forschungsliteratur) und es werden esten und Wenden in klammern erwähnt - sind die Wenden Balten?
2.
Die strikt nach Literatur (sic) getrennten Gruppen:
a) zeitweilig raubfahrende Wikinger, die nach ihrer Heimkehr friedlich siedelten (vereinfacht gesagt) aus den nordischen Quellen (Sagas, Runensteine)
b) raubfahrende und nicht mehr heimkehrende, sondern stattdessen daheim nicht mehr integrierbare Wikinger - und nur von diesen sollen die fränkischen (karolingischen? ottonischen?) und angelsächsischen Quellen berichten
Woher sollten die fränkischen (karolingischen/ottonischen) Quellen gewußt haben, dass die "Wikinger", von denen sie berichten, daheim als Outlaws betrachtet wurden??? bzw. woher wissen wir, dass diese Quellen nurt solche "Outlaw-Wikinger" meinen???
Sodann: mit welcher stichhaltigen Begründung lassen sich beide Quellengruppen so absolut eindeutig voneinander unerscheiden???


Der Wiki-Artikel selber gibt darüber keine Auskunft, daher stelle ich hier diese Fragen zur Diskussion.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Detail der ersten Fußnote: es wird verwiesen auf Askeberg S.120 (1944 - nicht eben die neueste Forschungsliteratur) und es werden esten und Wenden in klammern erwähnt - sind die Wenden Balten?

Nein, mit Wenden werden slawischsprachige Menschen gemeint sein. Im Zusammenhang mit den "Wikingern" besonders Menschen, die im heutigen Schleswig-Holstein, östlichem Niedersachsen ("Wendland"), Mecklenburg und Pommern lebten. Wenn ich mich richtig erinnere, hab ich mal was von slawischen "Wikinger" im Zusammenhang mit der sagenhaften Jomsburg gelesen, die heute wohl in Pommern (Insel Wolin) lokalisiert wird.
 
1.
Das Detail der ersten Fußnote: es wird verwiesen auf Askeberg S.120 (1944 - nicht eben die neueste Forschungsliteratur) und es werden esten und Wenden in klammern erwähnt - sind die Wenden Balten?
2.
Die strikt nach Literatur (sic) getrennten Gruppen:
a) zeitweilig raubfahrende Wikinger, die nach ihrer Heimkehr friedlich siedelten (vereinfacht gesagt) aus den nordischen Quellen (Sagas, Runensteine)
b) raubfahrende und nicht mehr heimkehrende, sondern stattdessen daheim nicht mehr integrierbare Wikinger - und nur von diesen sollen die fränkischen (karolingischen? ottonischen?) und angelsächsischen Quellen berichten
Woher sollten die fränkischen (karolingischen/ottonischen) Quellen gewußt haben, dass die "Wikinger", von denen sie berichten, daheim als Outlaws betrachtet wurden??? bzw. woher wissen wir, dass diese Quellen nur solche "Outlaw-Wikinger" meinen???
Sodann: mit welcher stichhaltigen Begründung lassen sich beide Quellengruppen so absolut eindeutig voneinander unerscheiden???

Der Wiki-Artikel selber gibt darüber keine Auskunft, daher stelle ich hier diese Fragen zur Diskussion.
Wenden bezeichnet diejenigen Westslaven die vom 7. Jahrhundert an große Teile Nord- und Ostdeutsschlands bewohnten, heute meist als Elbslawen bezeichnet.
Die Bezeichnung Westslawen ist ein zusammenfassender Begriff für jene slawischen Völker, die in etwa auf dem Gebiet zwischen den Flüssen Elbe und Saale im Westen und den Prypiat-Sümpfen im Osten, sowie der Ostsee im Norden und der Theiß-Ebene im Süden siedelten. Askeberg ist immer noch zu diesem Thema der maßgebliche Autor. Es kommt nicht auf das Jahr der Arbeit, sondern auf deren Qualität an. Natürlich gibt es manches neuere, wie Regis Boyer, aber das ist großenteils Schrott. Oder sie beziehen sich selbst auf Askeberg.

Was die Nichtintegrierbarkeit anbetrifft, da musst Du eben mal das Buch von Horst Zettel lesen. Das ist zu diesem Thema immer noch das Standardwerk. Lies mal den Abschnitt "Das Ende". Wenn sie integrierbar gewesen wären, hätten sie nicht dieses deprimierende Ende gefunden, sondern wären wieder in ihre Heimat gefahren.
Woher sollten die fränkischen (karolingischen/ottonischen) Quellen gewußt haben, dass die "Wikinger", von denen sie berichten, daheim als Outlaws betrachtet wurden??? bzw. woher wissen wir, dass diese Quellen nur solche "Outlaw-Wikinger" meinen???
Die Autoren wussten über die Zustände und die Entwicklungen im Nordseeraum Bescheid. Ansonsten muss man halt mal die Quellen lesen, um festzustellen, was/wen die Autoren meinten. Zettel hat das getan.

Also ich denke mal, man kann schon Sagas von Annalen und Chroniken unterscheden.
 
Die Autoren wussten über die Zustände und die Entwicklungen im Nordseeraum Bescheid. Ansonsten muss man halt mal die Quellen lesen, um festzustellen, was/wen die Autoren meinten. Zettel hat das getan.

Also ich denke mal, man kann schon Sagas von Annalen und Chroniken unterscheden.
Letzteres unzweifelhaft! Man kann unterscheiden.

Aber was das Wissen um die Zustände im Nordseeraum betrifft: findet sich bei z.B. Adam von Bremen nicht auch allerlei sagenhaftes, was teilweise etwas übertrieben wirkt? Und über die west- bzw. elbslawischen Nachbarn geben die karolingischen und ottonischen Quellen, soweit sie erhalten sind, ebenfalls nur recht spärliche Auskunft (verblüffend ist doch, dass der Name der Abodritenprinzessin, die mit dem jungen Otto dem Großen einen Sohn hatte (späterer Erzbischof Wilhelm in Mainz), nicht überliefert ist)

Danke für die Literaturtipps!
 
Letzteres unzweifelhaft! Man kann unterscheiden.

Aber was das Wissen um die Zustände im Nordseeraum betrifft: findet sich bei z.B. Adam von Bremen nicht auch allerlei sagenhaftes, was teilweise etwas übertrieben wirkt? Und über die west- bzw. elbslawischen Nachbarn geben die karolingischen und ottonischen Quellen, soweit sie erhalten sind, ebenfalls nur recht spärliche Auskunft (verblüffend ist doch, dass der Name der Abodritenprinzessin, die mit dem jungen Otto dem Großen einen Sohn hatte (späterer Erzbischof Wilhelm in Mainz), nicht überliefert ist)

Danke für die Literaturtipps!

Adam von Bremen hat ein Geschichtsbuch geschrieben, wie Otto von Freising. Da ist es Aufgabe der quellenkritik, das Legendarische vom Historischen zu trennen.

Bei den listenhaften Chroniken und Annalen hat man eine ziemlich hohe Zuverlässigkeitsquote.

Die Literaturtipps stammen auch aus dem WP-Artikel - einfach mal die Verweise anklicken, mit denen die Aussagen belegt werden und dann in der Literaturliste die Werke aufsuchen.

Was den WP-Artikel ansonsten anbetrifft: Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen WP und diesem Forum hier: In WP darf nur durch wissenschaftliche Literatur Belegtes aufgenommen werden (jedenfalls im Bereich Geschichte; bei Sport usw gilt das natürlich nicht). Eigene Zweifel und Überlegungen sind verboten (No Original Research). Das hängt mit dem Wiki-Prinzip zusammen, demzufolge jeder in den Artikeln schreiben kann. Nur so kann man einigermaßen verhindern, dass da Fakes eingetragen werden. Aber das ist ein heiß diskutiertes Thema.
Siehe Wikipedia Diskussion:Keine Theoriefindung ? Wikipedia und die Diskussionsseite dazu.
Deshalb können dort die Thesen Zettels nicht auf eigene Faust hinterfragt werden, sondern nur dann, wenn in Rezensionen oder anderen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Zweifel an ihnen geäußert werden.
Hier im Forum kann man durchaus eigene Theorien entwickeln.
 
damit dieser hoffentlich weiterhin interessante Faden nicht einschläft:
Die Literaturtipps stammen auch aus dem WP-Artikel - einfach mal die Verweise anklicken, mit denen die Aussagen belegt werden und dann in der Literaturliste die Werke aufsuchen.
das habe ich gemacht - erstaunlicherweise befindet sich rund ein Drittel der angeführten Literatur in meinem Bücherregal; und da geht es recht heterogen zu, wie auch in der Literaturliste :)
Mich hat wirklich sehr erstaunt, Scheibelreiters barbarische Gesellschaft in der Literaturliste zu finden, da diese sich überwiegend mit den Merowingern beschäftigt.

Problematisch für eine Diuskussion ist, wie der Begriff Wikinger aufgefasst wird - wir finden ja sowohl (salopp gesagt) "ein kultiviertes Seefahrervolk" (Sawyer, Hrsg) als auch grimmige Piraten unter diesem Begriff. Und natürlich ist Zettels Dissertation über das Bild der Normannen und Normanneneinfälle hochinteressant (die Unterstreichung ist nicht ganz grundlos!).

Mir scheint, dass es da noch viel zu überlegen gibt - noch bin ich von einer einzigen und dazu speziellen Wikingerdefinition (als grimm-grausame Piraten) nicht vollständig überzeugt.
 
Problematisch für eine Diuskussion ist, wie der Begriff Wikinger aufgefasst wird - wir finden ja sowohl (salopp gesagt) "ein kultiviertes Seefahrervolk" (Sawyer, Hrsg) als auch grimmige Piraten unter diesem Begriff. Und natürlich ist Zettels Dissertation über das Bild der Normannen und Normanneneinfälle hochinteressant (die Unterstreichung ist nicht ganz grundlos!).

Mir scheint, dass es da noch viel zu überlegen gibt - noch bin ich von einer einzigen und dazu speziellen Wikingerdefinition (als grimm-grausame Piraten) nicht vollständig überzeugt.
Eine Definition ist grundsätzlich beliebig: Man legt fest, was man unter einem Wort versteht, und so benutzt man es dann auch.
Deshalb sind die Wikingerbegriffe der Neuzeit mso unterschiedlich - bis hin zu Pilgern nach Jerusalem. Mal sind die Waräger dabei, mal nicht.

Der Beliebigkeit entzogen ist das, was diejemigen, die zur Wikingerzeit den Wikingerbegriff gebrauchten, mit ihm meinten. Und das steht im Artikel.

Also: Zurück zu den Wurzeln, ad fontes.
 
Der Beliebigkeit entzogen ist das, was diejemigen, die zur Wikingerzeit den Wikingerbegriff gebrauchten, mit ihm meinten. Und das steht im Artikel.

Also: Zurück zu den Wurzeln, ad fontes.
(streng genommen enthält ja schon der erste zitierte Satz verschiedene Wikingerbegriffe: einmal den üblichen temporären, dann einen etwas spezielleren)

zurück ad fontes kann ja nur die Quellen meinen. Hier interessiert mich, was eben als realistisch betrachtet werden kann und was ein möglicherweise verzerrtes oder überzeichnetes, übertriebenes Bild ist. (Adam von Bremen übertreibt gelegentlich ganz gerne und erfindet auch allerlei)

Keinesfalls will ich unterstellen, dass die Wikinger Lämmlein gewesen seien ;) aber ich frage mich, ob es nicht gelegentlich stereotype Bilder gegeben hat, mit denen eben diverse Feinde (seien es grimme nordische Piraten, seien es grimme Ungarn oder grimme Awaren usw.) als besonders schrecklich bezeichnet wurden. Ausgehend von Scheibelreiters Barbarengeschichte, welche die Mentalität des frühen Mittelalters untersucht und erstaunliches zutage fördert, neige ich dazu, die "Wikinger" nicht für gravierend schlimmer als andere marodierende Kontingente in jener Zeit zu halten.

Vielleicht können wir hier verschiedene Quellen zitieren und vergleichen? das kann bestimmt interessant werden.
 
Spricht Adalbert von Bremen von Wikingern?
Die fränkischen und französischen Quellen?
Die englischen sprechen m.W. von "Vikings"
In der Neuzeit werden ja viele der alten Begriffe durch "Wikinger " ersetzt, und dies ist eben nicht immer synonym mit "Norman" oder "Viking". Auch "Däne" ist ja so ein Begriff, der in den Topf "Wikinger" geschmissen wurde.

In welchen deutschsprachigen Quellen taucht der Begriff "Wiking" überhaupt auf?

Ich denke mal, so aufgeschlüsselt ist das Thema viel leichter und differenzierter zu behandeln. Meine einfache, ahistorische Meinung
 
;) aber ich frage mich, ob es nicht gelegentlich stereotype Bilder gegeben hat, mit denen eben diverse Feinde (seien es grimme nordische Piraten, seien es grimme Ungarn oder grimme Awaren usw.) als besonders schrecklich bezeichnet wurden.

Die Plünderungs- und Raubzüge der Wikinger sind gut dokumentiert, zugleich auch die Verwüstungen, die sie anrichteten. Seit dem Überfall auf das englische Kloster Lindisfarne im Jahr 793 kamen sie fast jährlich in kleineren und größeren Verbänden, überfielen Nordschottland. Irland, und England. Sie drangen über die großen Flüsse Westeuropas ins Land vor, zerstörten Köln, Bonn und Trier und suchten das Frankenreich heim

Demgegenüber stehen die positiven Seiten der Wikinger-Expansion; z.B. die europaweite Ausweitung des von den Wikingern getragenen Handels, der staatenbildende Beitrag zur Kiewer Rus, der Aufbau von Territorien in West- und Südeuropa.

Das ist das etwas zwiespältige Bild der Wikinger- bzw. Normannenzüge des 9.-11. Jh.
 
(...)
Ich denke mal, so aufgeschlüsselt ist das Thema viel leichter und differenzierter zu behandeln. Meine einfache, ahistorische Meinung
ich weiß, dass die verschiedenen Quellen unterschiedliche Namen verwendeten, z.B. kommen die "Eschenmänner" bei Adam von Bremen noch hinzu - - natürlich sind für die Diskussion jene Namen und Quellen relevant, welche eindeutig diejenigen Gruppen meinen, die wir vereinfacht gesagt als skandinavische Piraten und Raubhändler (salopp: Wikinger) bezeichnen bzw. erkennen.
...es wäre ja etwas verwirrend, wenn man nur dort von Wikingern reden kann, wo sie auftauchten UND dann auch Wikinger genannt wurden ;) während dieselben Leute woanders in derselben Weise auftauchen, sich wie Wikinger benehmen, aber Nodrmänner oder Eschenmänner genannt werden und darum nicht als Wikinger bezeichnet werden dürfen ;)
 
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Das ist das etwas zwiespältige Bild der Wikinger- bzw. Normannenzüge des 9.-11. Jh.
sehe ich ähnlich, wobei meine Fragestellung halt speziell das Bild in den Quellen betrifft: ob es teilweise stereotyp ist, ob es teilweise übertrieben ist, ob dieselben Bilder nicht auch für andere Raubscharen verwendet wurden.
 
sehe ich ähnlich, wobei meine Fragestellung halt speziell das Bild in den Quellen betrifft: ob es teilweise stereotyp ist, ob es teilweise übertrieben ist, ob dieselben Bilder nicht auch für andere Raubscharen verwendet wurden.

Die Quellen halten die Zahl der von Wikingern Getöteten sowie die von ihnen angerichteten Verwüstungen fest und ich denke nicht, dass das ein Topos ist. Sicher standen die westeuropäischen Zeitgenossen auf der Seite der Opfer und beschworen einen "furor Normannorum". Die Chronisten beschrieben allerdings oft ganz konkrete Grausamkeiten, die sicher zuweilen etwas übetrieben geschildert sein mögen. Was ihnen allerdings besonders bitter aufstieß, war die Tatsache, dass die Wikinger auch vor Klöstern und Kirchen nicht halt machten, weswegen sie gern als "Geißel der Christenheit" gebranndmarkt wurden.

Ich denke, dass die Wikinger tatsächlich eine schwere Bürde für die meist schutzlose zivile Bevölkerung waren, die wegen der unzureichenden Verteidigungsanstrengungen nicht geschützt wurde. Die Wikinger waren verhasst und gefürchtet - daran kann kein Zweifel bestehen.
 
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Die Quellen halten die Zahl der von Wikingern Getöteten sowie die von ihnen angerichteten Verwüstungen fest
wobei - wie immer bei frühmittelalterlichen Zahlenangaben - ein wenig Vorsicht geboten ist. -- nicht dass ich falsch verstanden werde: ich will keinesfalls irgendwas kleinreden - ich merke nur an, dass Zahlenangaben oftmals und aus verschiedenen (damals oft auch gut gemeinten) Gründen Übertreibungen enthalten, sei es um besondere Gefahren sei es um besondere Leistungen darzustellen.
Und ganz klar: die Orte der Überfälle (und dass das keine friedlichen Kaffeekränzchen waren!) sind eindeutig überliefert, das ist ja auch, was auffällt und zur Namensgebung "Wikingerzeit" beigetragen hat!

aber bedenkenswert:
und ich denke nicht, dass das ein Topos ist.
nein, die überlieferten Orte sind sicher kein Topos, die Angst vor Überfällen sicher auch nicht, aber schau mal auf die Unterstreichungen:
Sicher standen die westeuropäischen Zeitgenossen auf der Seite der Opfer und beschworen einen "furor Normannorum". Die Chronisten beschrieben allerdings oft ganz konkrete Grausamkeiten, die sicher zuweilen etwas übetrieben geschildert sein mögen. Was ihnen allerdings besonders bitter aufstieß, war die Tatsache, dass die Wikinger auch vor Klöstern und Kirchen nicht halt machten, weswegen sie gern als "Geißel der Christenheit" gebranndmarkt wurden.
furor normannorum, zuweilen etwas übertrieben, Kirchenplünderungen obendrein, Geißeln der Christenheit - da haben wir doch Ansätze zu den Topoi oder stereotypen Darstellungsweisen: die plündernden, versklavenden, mordenden Nordmänner auf ihren Raubzügen sind nicht die erste und nicht die letzte und schon gar nicht die einzige Strafe Gottes; ohne jetzt weiter in diese Richtung zu argumentieren, dürfte doch offensichtlich sein, dass die Art der Darstellungen und Wertungen und Erklärungen in den Quellen eben auch literarische Motive verwenden (Geißel Gottes etc) und damit vorhandene Bilder weiter tradieren.

Ich meine, man müsste eben diese Elemente einerseits bzgl. ihrer Verwendung im selben Zeitraum bezogen auf andere Feindbilder betrachten, andererseits auch mal diese Elemente ausblenden und schauen, was dann übrig bleibt -- und dann vergleichen, z.B. mit damals alltäglichen Grenzüberfällen an der slaw. Grenze, z.B. mit den zeitgleichen Streiterein mit den vordringenden Ungarn, z.B. mit den Reibereien an der Grenze zu den span. Mauren usw


Ich denke, dass die Wikinger tatsächlich eine schwere Bürde für die meist schutzlose zivile Bevölkerung waren, die wegen der unzureichenden Verteidigungsanstrengungen nicht geschützt wurde. Die Wikinger waren verhasst und gefürchtet - daran kann kein Zweifel bestehen.
Zweifelsohne!

Und das ist nicht nur ereignisgeschichtlich interessant (wie reagierte man? wie organisierte man Gegenwehr? warum konnte das überhaupt passieren? usw), sondern auch in der Hinsicht, wie die damaligen Menschen diese Bedrohungen auffassten, verarbeiteten, beschrieben, bewerteten - - - und sich, wie immer bei alten und oft leider unvollständigen und/oder auch einseitigen Quellen (es gibt ja keine, welche aus Nordmännersicht das abmurksen von Nonnen inklusive Raub des Klosterschatzes als Freudenfest beschreibt), fragen, was wir da als glaubwürdig und was als übertrieben oder tendenziös einschätzen sollten.

Mich würde freuen un interessieren, solche Fragen hier zu diskutieren.
 
... was wir da als glaubwürdig und was als übertrieben oder tendenziös einschätzen sollten.

Es gibt eine große Zahl von Quellen und Chronisten, die unabhängig voneinander die Aktivitäten der Wikinger beschreiben. Und wenn im einzelnen zuweilen auch Übertreibungen erfolgt sein mögen, so sind die schweren Verwüstungen und barbarischen Plünderungen der Wikinger sicher eine unumstößliche Tatsache.

Sogar Dudo von St. Quentin, der im Auftrag der Normannenherzöge ihre Geschichte schrieb, ließ keinen Zweifel an der Brutalität der Wikingerüberfälle:

Diese Dänen strömten nun unter ihrem Führer, Anstignus, mit Gewalt in die entlegensten Landschaften Frankreichs. Er tötete, wen er traf und wen er aufstöberte. Er verurteilte die Priesterschaft und bestrafte sie mit einem grausamen Tod ... Jeder der es wagte, eine Waffe gegen sie zu erheben, töteten sie aufs grausamste. Das übrige Volk schleppten sie entwaffnet in die Gefangenschaft.

Die Frauen wurden von vielen vergewaltigt, weinend in die Fremde geführt. Alle Mädchen wurden schamlos ihrer Jungfräulichkeit beraubt. Mit den jungen Männern wurden auch die alten in großer Zahl ins Ausland verschleppt.

(Dudo von St. Quentin, De moribus at actis primorum Normanniae ducum, Lib. I, 3, zit. nach: Rudolf Simek, Die Wikinger, München 1998, S. 32 f.)

So und ganz ähnlich klingt das in vielen Chroniken, sodass sicher keine Veranlassung besteht, das Treiben der Wikinger klein zu reden - selbst wenn hier und da etwa übertrieben sein sollte.
 
Und wenn im einzelnen zuweilen auch Übertreibungen erfolgt sein mögen, so sind die schweren Verwüstungen und barbarischen Plünderungen der Wikinger sicher eine unumstößliche Tatsache.

Sogar Dudo von St. Quentin, der im Auftrag der Normannenherzöge ihre Geschichte schrieb, ließ keinen Zweifel an der Brutalität der Wikingerüberfälle:
gab es andernorts auch weniger "barbarische" Plünderungen?
(hier scheint speziell der Raub kirchlicher Güter eine besonders abstoßende Wirkung gehabt zu haben)
und weniger brutale Überfälle?
(edle Räuber wie Rinaldo Rinaldini scheint es im frühen Mittelalter wohl nicht gegeben zu haben - ein wikingischer wie ein ungarischer Überfall war eine schwere Heimsuchung!)
dass Menschen geraubt und in die Sklaverei verkauft wurden (was als Geschäftsmodell nur Sinn macht, wenn man sie weder tötet noch allzu sehr beschädigt) war keine spezielle Eigenart der "Wikinger", aber offenbar beschreibt man dieselben Aktivitäten bei anderen Gruppen mit weniger Emphase (selbst du greifst zu starken Wertungen) - - unter anderem das ist, was mich erstaunt.

natürlich kann man auch sagen: aber die Überfälle durch andere Gruppen haben sich nicht so sehr ins kollektive Gedächtnis eingeprägt, selbst wenn sie nicht friedlicher oder weniger blutig abliefen, und dass somit die Nordleute zum Feindbild par excellence wurden? - - solche Fragen interessieren mich in diesem Kontext.
 
Zuletzt bearbeitet:
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier freischwebend ohne Quellen diskutiert wird. Die einzige Quelle, die hier zitiert wurde, ist die von Dudo v. St. Quentin. Da gibt es keine Zahlen, die übertrieben sein könnten. Soweit ich mich erinnere wird - jedenfalls auf der Opferseite - in den Quellen keine Zahl genannt.
Zum Thema "Stereotyp und Topos": In den Quellen werden die Ereignisse in der Regel individuell geschildert. Wenn da ein Bischof gefesselt verschleppt wird, was soll da Topos und stereortyp sein? Kommt nur ein Mal vor.

Und mal zur Darstellung selbst:
Annales Vadastini zum Jahr 896 schrieb:
König Odo überwinterte in Francien, König Karl aber an der Mosel. Von hier befehdeten Karls Anhänger den Balduin, und überall wurden von ihnen Verheerungen angerichtet.
Annales Vadastini zum Jahr 879 schrieb:
Die Normannen aber, nach Verwüstung und Mordbrennerei trachtend und dürstend nach Menschenblut, schlugen zum Unheil und Verderben des Reiches im November ihren Sitz im Kloster Gent auf …
Die gleichen Annalen beschreiben die Verwüstungen so unterschiedlich, dass von einem Stereotyp nun wirklich keine Rede sein kann.

Der allfällige Hinweis auf Übertreibungen, Topoi und Stereotypen scheint mir eine Modeerscheinung zu sein, die eine genaue Quellenanalyse überflüssig macht und nur den Zweck hat, die eigene Distanz zu den Quellen zu dokumentieren.

Man hat in den Küstenstädten mit solchen Ereignissen längst nicht mehr gerechnet, weshalb sie in friedlichem Handel zur Blüte gelangen konnten - so, wie die Kontinentaleuropäer mit Sebreniza nicht mehr gerechnet haben.

Und dann der ewige Vergleich mit anderen Grausamkeiten anderswo: Als das Massaker von Sebreniza stattfand, war die Empörung gewaltig, obgleich "anderswo" auf der Welt ähnliche Massaker stattgefunden haben. Das Besondere war: Im eigentlich zivilisiert gedachten Europa vor unserer Haustür hatte dieses Massaker für die Europäer eine andere Dimension als ein ähnliches Massaker im Sudan oder sonstwo.

Wenn die Verheerungen König Karls anders dargestellt werden als die der Wikinger, dann hat das sicher seine Grunde. Seine Verheerungen sollten schließlich die wirtschaftliche Grundlage des Gegners zerstören, so dass dieser seine Truppen in den verheerten Gebieten nicht mehr versorgen konnte. Deshalb dürften sich die Maßnahmen gezielt auf die Landwirtschaft bezogen haben. Dem Annalisten scheint das eine logische Begleiterscheinung eines Krieges gewesen zu sein. Demgegenüber sieht es so aus, als ob die Wikingerüberfälle ihm eher sinnlos wie eine Naturkatastrophe erschienen sind. Die Verheerungen innerhalb eines Krieges zwischen europäischen Herrschern werden ja auch nicht als "Geißel Gottes" bezeichnet. Man erkennt ihre Funktion und denkt sie sich als innerweltliche Folge des krieges. Den Topos "Geißel Gottes" verwenden die Autoren, wenn sie in der Katastrophe keinen Sinn erkennen können, wie bei Seuchen, Hungersnöten oder eben Wikingerüberfällen. Da muss der Sinn in Gottes Ratschluss gesucht werden, weil es innerweltlich keinen gibt.
 
Und dann der ewige Vergleich mit anderen Grausamkeiten anderswo: Als das Massaker von Sebreniza stattfand, war die Empörung gewaltig, obgleich "anderswo" auf der Welt ähnliche Massaker stattgefunden haben. Das Besondere war: Im eigentlich zivilisiert gedachten Europa vor unserer Haustür hatte dieses Massaker für die Europäer eine andere Dimension als ein ähnliches Massaker im Sudan oder sonstwo.
das ist doch ein sehr überzeugendes Argument dafür, dass Ereignisse eben nicht objektiv deskribiert bzw. überliefert werden, sondern perspektivisch und mit immanenten Wertungen! Warum sollte es im 8.-11. Jh. anders gewesen sein? Das frühe Mittelalter und seine Scriptoren sind ja nun nicht gerade die Epoche der angewandten realistischen Objektivität ;)

Wenn die Verheerungen König Karls anders dargestellt werden als die der Wikinger, dann hat das sicher seine Grunde. Seine Verheerungen sollten schließlich die wirtschaftliche Grundlage des Gegners zerstören, so dass dieser seine Truppen in den verheerten Gebieten nicht mehr versorgen konnte. Deshalb dürften sich die Maßnahmen gezielt auf die Landwirtschaft bezogen haben. Dem Annalisten scheint das eine logische Begleiterscheinung eines Krieges gewesen zu sein. Demgegenüber sieht es so aus, als ob die Wikingerüberfälle ihm eher sinnlos wie eine Naturkatastrophe erschienen sind.
darin steckt erstens eine Vermutung ("dürften") und zweitens bestätigst du den subjektiven Eindruck des Annalisten - streng genommen wissen wir nicht, ob Karls Verheerungen harmloser oder schlimmer waren.

Die Verheerungen innerhalb eines Krieges zwischen europäischen Herrschern werden ja auch nicht als "Geißel Gottes" bezeichnet. Man erkennt ihre Funktion und denkt sie sich als innerweltliche Folge des krieges. Den Topos "Geißel Gottes" verwenden die Autoren, wenn sie in der Katastrophe keinen Sinn erkennen können, wie bei Seuchen, Hungersnöten oder eben Wikingerüberfällen. Da muss der Sinn in Gottes Ratschluss gesucht werden, weil es innerweltlich keinen gibt.
Da hängt halt viel davon ab, auf welcher Seite sich der Chronist befand. Und dementsprechend fällt dann auch seine Bewertung aus. Die "Sinnlosigkeit" der Wikingerüberfälle ist durchaus eine perspektivische Wahrnehmung - für die Täter solcher Raubüberfälle stellt sich das anders dar. Und es stellt sich die Frage, ob im Wesentlichen allerlei Raubzüge vor und nach der Wikingerzeit, nicht recht ähnlich verliefen: möglichst überraschend, möglichst mobil und zu einem Zeitpunkt, in welchem die zu überfallende Region relativ wehrlos ist.
 
das ist doch ein sehr überzeugendes Argument dafür, dass Ereignisse eben nicht objektiv deskribiert bzw. überliefert werden, sondern perspektivisch und mit immanenten Wertungen! Warum sollte es im 8.-11. Jh. anders gewesen sein? Das frühe Mittelalter und seine Scriptoren sind ja nun nicht gerade die Epoche der angewandten realistischen Objektivität ;)
Ich verstehe jetzt nicht, was das mit der Glaubwürdigkeit der dargestellten Ereignisse zu tun hat. Wird durch die unterschiedliche Aufmerksamkeit zwischen Srebreniza und Kongo die Darstellung des Massakers in Srebreniza unglaubwürdig?


darin steckt erstens eine Vermutung ("dürften") und zweitens bestätigst du den subjektiven Eindruck des Annalisten - streng genommen wissen wir nicht, ob Karls Verheerungen harmloser oder schlimmer waren.
Es spricht viel dafür, dass der unterschiedlichen Darstellung unterschiedliche Ereignisse zu Grunde lagen. Jedenfalls ist vom Anhäufen von Schätzen keine Rede, sondern nur von Verheerungen = Zerstörungen.


Da hängt halt viel davon ab, auf welcher Seite sich der Chronist befand. Und dementsprechend fällt dann auch seine Bewertung aus.

Es geht nicht um Bewertung, sondern um die Darstellung der Ereignisse.

Die "Sinnlosigkeit" der Wikingerüberfälle ist durchaus eine perspektivische Wahrnehmung - für die Täter solcher Raubüberfälle stellt sich das anders dar.
Woher weißt Du das? Es gibt keinerlei Überlieferung darüber, wie sich die Überfälle für Wikinger darstellten. Aus der Plünderung ergibt sich nur, dass sie Schätze sammeln wollten.
Und es stellt sich die Frage, ob im Wesentlichen allerlei Raubzüge vor und nach der Wikingerzeit, nicht recht ähnlich verliefen: möglichst überraschend, möglichst mobil und zu einem Zeitpunkt, in welchem die zu überfallende Region relativ wehrlos ist.
Ja und?:confused:

Ich verstehe immer noch nicht, warum man eigene Wertungen gewaltsam und mit argumentativem Aufwand an die Stelle der Berichte der Zeitgenossen setzt. Glaubst Du wirklich, auf diese Weise einer wie immer definierten "Wahrheit" näher zu kommen?

Zu dem Modeströmungen gehört auch: Je weiter man sich von den Quellen entfernt, desto näher sei man an der Wahrheit. Das Ganze läuft dann unter dem Etikett "Quellenkritik".
 
Es spricht viel dafür, dass der unterschiedlichen Darstellung unterschiedliche Ereignisse zu Grunde lagen. Jedenfalls ist vom Anhäufen von Schätzen keine Rede, sondern nur von Verheerungen = Zerstörungen.
Verheerungen, Zerstörungen, Plünderungen usw - diese Maßnahmen sind offenbar im fraglichen Zeitraum (Wikingerzeit) allerorten anzutreffen. Ob die Verheerungen/Zerstörungen durch europäische Könige beutelos abliefen, also komplett aus dem "Königsschatz" finanzierte Militäraktionen waren, halte ich für zweifelhaft - Beute war im Krieg der Spätantike und des frühen Mittelalters eine der wichtigsten Finanzierungen von Kriegszügen.

Es geht nicht um Bewertung, sondern um die Darstellung der Ereignisse.
Genau! Darum geht es!
Und interessant werden die Darstellungen eben dann, wenn sie Wertungen, Übertreibungen, ausschmückende Erfindungen etc. enthalten - denn dann stellen sich Fragen wie: warum? wozu? usw.

Aber hierzu eine grundsätzliche Frage: hältst du alle Quellen über "Wikingerüberfälle" für objektive und komplett Tatsachen überliefernde/aufzeichnende Berichte?

Ich verstehe immer noch nicht, warum man eigene Wertungen gewaltsam und mit argumentativem Aufwand an die Stelle der Berichte der Zeitgenossen setzt. Glaubst Du wirklich, auf diese Weise einer wie immer definierten "Wahrheit" näher zu kommen?

Zu dem Modeströmungen gehört auch: Je weiter man sich von den Quellen entfernt, desto näher sei man an der Wahrheit. Das Ganze läuft dann unter dem Etikett "Quellenkritik".
mir geht es nicht um Glaubensfragen, ich postuliere auch keine selbstgezimmerten "Wahrheiten", ebensowenig postuliere ich gewaltsam eigene Wertungen - - - sondern stattdessen stelle ich Fragen und erkläre, was mir am vorläufigen Wissen zweifelhaft erscheint. Und das tue ich aus Interesse am Thema. Allerdings scheint dieses Interesse unliebsam zu sein, jedenfalls bei dir, denn der Tonfall solcher Reaktionen ist recht gereizt...

das ist schade - ich würde mich nämlich gerne überzeugen lassen, würde auch gerne bei dieser Diskussion was lernen (im Falle stichhaltiger Argumente)
 
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