Wird Nero in der Geschichtsforschung immer noch als Brandstifter betrachtet?

Penseo

Aktives Mitglied
Guten Tag, liebe Forumsmitglieder,

in der Schule meiner Kinder wird gerade das Thema Römer und Germanen behandelt.

Aufgefallen sind mir bis dahin zwei Äusserungen:

1. Nero hat Rom angezündet,
2. Nero hat die Christen verfolgt.

Ich weiss, dass diese Themen im Forum schon behandelt wurden.
Danach ergibt sich aber ein anderes Bild, nämlich dass Tacitus ein Gerücht wiedergegeben hat, nach dem Nero Rom angezündet hätte. Dieses Gerücht hätte sich dann mit weiteren Geschichtsschreibungen immer mehr zur "Tatsache" entwickelt.
Desweiteren hat Nero die Christen nicht wegen ihrer Religion, sondern als vermeintliche Brandstifter verfolgt.

Nun sind meine Fragen:

Ist die im Forum vertretene Meinung eine Minderheitenmeinung in der Geschichtsforschung?

Und daran anschliessend stellt sich die Frage:

Wenn nicht, warum hält sich dann diese Aussage so hartnäckig?
 
Nun ja, Geschichtswissenschaft und Schulunterricht sind oft zwei Paar Stiefel... In der Wissenschaft wurde die Behauptung von Neros Täterschaft eigentlich seit einigen hundert Jahren nicht mehr ernsthaft vertreten.
 
Moment, versteh ich das gerade richtig? Nero hat Rom nicht angezündet und hat nicht die Schuld den Christen zugeschoben?
Falls das stimmt bricht mein Weltbild bald zusammen... Warum mach ich eigentlich Abitur. Ich lern hier viel mehr ;)
 
Nun, Nero hat Rom definitiv nicht angezündet ; große Brände waren in der Stadt nichts Ungewöhnliches, unter Titus gab es auch einen. Mit der Christenverfolgung sieht es schon anders aus, auch wenn sie möglicherweise in ihrem Umfang überschätzt wird. Aber da ist die Aussage von Tacitus zu definitiv.
 
Penseo schrieb:
Guten Tag, liebe Forumsmitglieder,
Ist die im Forum vertretene Meinung eine Minderheitenmeinung in der Geschichtsforschung?
quote]

ICh glaube nicht, dass es eine Minderheitenmeinung ist. Wie schon gesagt, wird die Täterschaft Neros meines Wissens nach wirklich nicht mehr ernsthaft in Betracht bezogen.
Eine sehr interessante Analyse der Stellung Neros - auch über den Brand und die 'Christenverfolgung' - in Rom findet sich hier:

Egon Flaig, Wie Kaiser Nero die Akzeptanz bei der plebs urbana verlor. Eine Fallstudie zum politischen Gerücht im Prinzipat, in: Historia 52, 2003, S. 351 372.
 
Was ist dann an der Behauptung dran, Nero habe den "heißen Abriss" durchgeführt, um Platz für geplante Monumentalbauten zu bekommen?
 
Das ist gar nicht mal so neu. Crassus sagte man nach, er wäre auf diese Weise zu seinen Reichtümern gekommen. Brannte insulae ab, kaufte das Areal und baute einfach neue Insulae (mitunter Größere) drauf.
Was daran stimmt und was nicht ist nicht mehr zu beweisen, bei Nero kam dieses Gerücht wegen seiner sofort einsetzenden Bauprojekte auf, was aber ehrlich gesagt eher ein Zeichen seiner Hilfsbereitschaft war (und auch seiner Prunksucht...). Alles in allem kostete ihn das Feuer wohl unmengen, nicht nur die letzte Gunst.
 
Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, aber bei Nero denke ich immer an Peter Ustinov.

Seine schauspielerische Leistung in "Quo Vadis" war Spitze und wurde ja nicht ohne Grund mit dem Oscar für die beste Nebenrolle honoriert. Ich frage mich aber, ob Nero wirklich vom Typ und Wesen her so war, wie Ustinov ihn dargestellt hat.
 
Ohne mich eingehend mit Nero befasst zu haben (was sicher eine faszinierende Aufgabe wäre): die Porträts, die es von ihm gibt, sind schon recht aussagekräftig.
 
Marcia schrieb:
Ohne mich eingehend mit Nero befasst zu haben (was sicher eine faszinierende Aufgabe wäre): die Porträts, die es von ihm gibt, sind schon recht aussagekräftig.

Da schliesse ich mich tela an. Könntest Du die Aussage noch ein wenig präzisieren?

Zurück zur Frage: Das Gerücht von Neros Brandstiftung hält sich also wegen eines Hollywood Spielfilms so hartnäckig?
 
Ob Nero Rom anzündete, ist unsicher, und wird wohl nie endgültig zu klären sein. Die Forschung ist heute der Ansicht, dass dieser Verdacht vermutlich unbegründet ist, ohne dass sich das abschließend beweisen ließe. Fakt ist, dass man ihn der Brandstiftung verdächtigte, was ein bzeichnendes Licht auf ihn wirft.

Auf jeden Fall lenkte er den gegen ihn gerichteten Verdacht der Brandstiftung auf die junge römische Christengemeinde ab, die er grausam verfolgte. Insofern nutzte er diese Katastrophe geschickt für sich aus.
 
@tela, Penseo:
Entschuldigt bitte.
Ich schweife nun ungern noch mehr ab, und nur, damit ihr nicht denkt, ich sei völlig durchgeknallt: Ich dachte daran, dass bei der Beurteilung historischer Persönlichkeiten gelegentlich auch deren Porträts mit einbezogen werden. Und Neros Porträts haben – das ist mein Eindruck - einen hohen Wiedererkennungswert, weisen charakteristische Züge auf, denen man menschliche Eigenschaften zuordnen kann. Ich finde so was sehr interessant, aber ...:still: derartige Überlegungen fallen in den Bereich des Spekulativen, deshalb ignoriert bitte meinen Kommentar, ich würde ihn am liebsten löschen, aber das wäre unhöflich, und wahrscheinlich dürfte ich es auch nicht.
 
Auch bei individuellen Porträts kann nicht von vornherein ein Bezug auf das wirkliche Aussehen des Abgebildeten vorausgesetzt werden. Zumal ein Kaiserporträt eine panegyrische, zelebrative Funktion im öffentlichen Raum wahrnimmt, die eine kritische Intention von vornherein ausschließt.
 
Da gebe ich dir völlig Recht. Man braucht weitere Informationen, um sich ein Bild zu machen. Und, streng genommen, sind Überlegungen in die Richtung: Was für ein Mensch war der/die denn ... sowieso spekulativ. Und trotzdem werden sie angestellt, und nicht nur von Laien. Hat ja auch damit zu tun, dass Menschen sich immer für Menschen interessieren.
 
Eines, was man vielleicht aus Neros Portraits herauslesen kann, ist, dass er sich als erster Kaiser mal komplett anders dargestellt hat. Wenn man sich die vielleicht 'typische' Kaiserdarstellung des Augustus von Prima Porta anschaut, dann soll daraus sicherlich Größe, Stärke, Erfolg und ähnliches dargestellt werden. Und von diesem Typus gibt es ja von vielen Kaisern Darstellungen (z.B. Claudius).
Neros Portraits dagegen zeigen ihn mit Bart, was wohl in Richtung Griechenland geht, in als Künstler, Philosoph o.ä. darstellt. Auf jeden Fall eine ganze Ecke weit weg von den sonst üblichen Darstellungsmustern.
Aber es sind eben keine Portraits in unserem Sinn des Wortes. Sie können zwar individuelle Züge tragen (Vespasian), sind im großen und ganzen aber doch sehr schematisiert. Was ja die Unterscheidung von Portraits der julisch-claudischen Familie so ungemein einfach macht.
 
tela schrieb:
Eines, was man vielleicht aus Neros Portraits herauslesen kann, ist, dass er sich als erster Kaiser mal komplett anders dargestellt hat. Wenn man sich die vielleicht 'typische' Kaiserdarstellung des Augustus von Prima Porta anschaut, dann soll daraus sicherlich Größe, Stärke, Erfolg und ähnliches dargestellt werden. Und von diesem Typus gibt es ja von vielen Kaisern Darstellungen (z.B. Claudius).
Die römischen Plastiken und Skulpturen waren doch (im Vergleich zu den griechischen) sehr viel individueller und und objektiver. augustus bildet mit seinem Idealbild (laut unserem Kunstunterricht) eher eine Ausnahme und ist daher kein gutes Beispiel für römische Kaiserdarstellungen.

Nachtrag:
http://www.katharinen.ingolstadt.de/projekte/kglatein/2002-03-11bc/architektur.htm#plastik (etwas runterscrollen zu Porträtskulpturen) sagt, dass Augustus Vorlieben Vorbild für spätere Büsten waren und die realistischen Bildnisse mehr in die Republik gehören
 
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