Wirtschaftsgeschichte des Deutschen Reichs während des I. Weltkriegs

AnDro

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Schon 1914 wird im Deutschen Reich die Zusammensetzung von Brot festgelegt und das Verfüttern von Brotweizen an Vieh verboten. Festgesetzte Höchstpreise für Lebensmittel und Aufrufe zur Sparsamkeit in Tageszeitungen finden sich ebenfalls schon 1914.

Der Import von Kautschuk, z.B. für die Bereifung von Fahrzeugen, wurde Mangels fehlender Seeherrschaft blockiert. Bei Kautschuk trat das Problem direkt auf, wie sah es mit Brot aus? Sind die frühen Sparmaßnahmen, wie in der zeitgenößischen Presse suggeriert wurde, Vorsorge oder gab es bei Weizen ebenfalls so früh größere Probleme? Gibt es eine Gesamtdarstellung zur Wirtschaftsgeschichte des Deutschen Reichs während des Weltkriegs?

Wenn ich Zeitungsartikel aus der Zeit lese, bekomme ich den Eindruck, dass sehr früh brachliegendes Land für Privathaushalte zur Selbstversorgung bereitgestellt wurde. Desweiteren gab es Kochkurse für Kriegskost und Beratungsstellen zum Anbau von Kartoffeln etc., nicht zu vergessen unzählige Sammelaktionen.

Hier mal ein Ausschnitt aus einem damaligen Zeitungsartikel zum Thema:

"Außerst zahlreich besucht, so daß der große Drögesche Saal gesperrt werden mußte, war die Versammlung, welche der Magistrat in Gemeinschaft mit den vereinigten Frauenvereinen zu Sonntag Nachmittag einberufen hatte. Als Redner war Herr Rektor Oberg aus Münster gewonnen worden, welcher in etwa 1 ½ stündigen, mit großem Beifall aufgenommenen Ausführungen die Frage: „Warum müssen und wie können wir unsere Ernährung der wirtschaftlichen Kriegslage anpassen?“ eingehend und sehr erschöpfend behandelte. Einleitend erörterte Redner [sic] eingehend den von unseren Feinden gegen Deutschland gehegten Aushungerungsplan, welcher gestört werden müßte, und besprach die finanzielle Lage Deutschlands, dabei erwähnend, daß die deutschen Kriegskosten sich auf täglich 40 Millionen Mark beliefen. Zur
Ernährungsfrage selbst übergehend, hob Redner besonders hervor, daß wir sehen müßten, mit dem auszukommen, was wir im Lande haben. Die deutsche Einfuhr betrug vor dem Kriege jährlich 10 ¾ Milliarden Mark; hiervon entfielen 2 ¾ Milliarden allein auf Lebensmittel. Trotzdem bildete diese Einfuhr an Nahrungsmitteln nur den zehnten Teil des Bedarfes, während neun Zehnten in Deutschland selbst erzeugt wurden. Es handle sich nun für Deutschland darum, auszuhalten bis zur neuen Ernte. Um dies zu ermöglichen, seien die Höchstpreise eingeführt und die Maßnahmen bezüglich des Brotverkehrs getroffen worden. Alle diese Maßnahmen hätten nicht etwaigen Mangel an Nahrungsmitteln zur Ursache, sondern nur den Zweck, alle Vorräte richtig zu verteilen und die vorhandenen nach Möglichkeit zu strecken. Ueber diese Maßnahmen würde vielfach gemurrt, aber man müsse bedenken, es sei Krieg und da habe nur einer zu befehlen: Die Regierung; alle anderen müssen gehorchen. Um möglichst viele Nahrungsmittel zu erzeugen, müßte alles brachliegende Gelände, auch Bauland, bearbeitet werden. Dazu müsse Sparsamkeit im Verbrauch und vornehmlich im Haushalt kommen und wir müßten zur Lebensweise unserer Vorfahren zurückkehren. Auch die seit langen Jahren beobachtete Vergeudung von Fettstoffen, z.B. in Hotels und Gastwirtschaften, müsse unterbleiben. Dagegen ist der Gemüsegenuß zu vermehren. Redner warnte auch vor dem übermäßigen Aufspeichern von Lebensmittel-Vorräten, da dann mit dieen wohl kaum haushälterisch umgegangen würde. Zum Schluß betonte Herr Rektor Oberg, daß zur Zeit Selbstzucht in Essen und Trinken bedeutent bessere Dienste tut, als alle patriotischen Reden."
(Zeitungsartikel vom 9. März 1915)

Augenscheinlich hatten viele der Sammelaktionen und Maßnahmen zur Sicherung der Nahrungsversorgung ihre Fehler. Das Festsetzen von Höchstpreisen führte z.B. dazu, dass Landwirte ihre Produktion lieber auf dem lukrativeren Schwarzmarkt verkauften bzw. zurückhielten und auf eine Steigerung der Höchstpreise hofften. Die Vorschriften über Brotzusammensetzungen wurden von Bäckern und Privathaushalten sehr häufig nicht eingehalten. Das größte Fauxpas war mit Sicherheit der Schweinemord 1915, wobei schlicht nicht bedacht wurde das Schweine nicht nur Korn fressen, sondern auch Dünger produzieren.
 
Danke, das ist schonmal sehr aufschlussreich.
6. Als auch das Heer nicht mehr beliefert werden konnte, und die Versorgungslage zugespitzt ist, ergeht die Bewirtschaftungsverordnung für Brotgetreide und Mehl am 25.1.1915. Erzeuger dürfen nur geringe Mengen für Eigenbedarf zurückhalten. Mehlverbrauch pro Kopf wird regional festgesetzt.
Da stellt sich die Frage, wie effektiv die Sparmaßnahmen in Form von K-Brot und die Verteilung von Brachland als "Schrebergärten" vor der großen Nahrungsmittelkrise waren. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das staatliche Eingreifen eher schädlich und die Ergebnisse oft überschaubar blieben. Äußerungen wie:
"Alle diese Maßnahmen hätten nicht etwaigen Mangel an Nahrungsmitteln zur Ursache, sondern nur den Zweck, alle Vorräte richtig zu verteilen und die vorhandenen nach Möglichkeit zu strecken."
tragen sicher nicht zur Beruhigung der Bevölkerung bei, bzw. können wie Sparmaßnahmen die Angst vor einer Knappheit schüren.

außer ein paar Detailanalysen, Regionalanalysen und dem veralteten, zT tendenziösen Material zur Blockade gibt es mE keine befriedigenden Analysen der militär-ökonomischen Entwicklungen des Ersten Weltkrieges. Ein paar Brocken hier, ein Dokumentenband des Reichsarchivs dort, ein wenig oberflächliches Blabla ala Ferguson.
Ferguson wird zumindest in Rezensionen häufig für sein ökonomisches Fachwissen gelobt ( http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-101 ). Aber gut, der Titel klingt schon abschreckend genug.
Kann jemand was zur Qualität dieser Studie sagen?:

  • Roerkohl: Hungerblockade und Heimatfront. Die kommunale Lebensmittelversorgung in Westfalen im Ersten Weltkrieg. 1998
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Studie von Roerkohl ist im Steiner-Verlag erschienen. Das ist eigentlich eine Qualitätsgarantie. Von daher würde ich erwarten, dass die Analyse der Versorgung eine hohe Qualität hat und die Erwartungen der Überschrift erfüllt werden.

Als reichsweite Alternative ist Huegel (Kriegsernährungswirtschaft Deutschlands im Ersten und Zweiten Weltkrieg im Vergleich, 2003) sehr zu empfehlen. Die Schrift enthält allerdings keine Ursachenforschung in Bezug auf Düngung, Personaleinsatz und Rentabilitäten in der Landwirtschaft im Kriegszeitraum.
 
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